Botschafter des Heils in Christo 1878
Beantwortung einiger Fragen
1. „Gibt es einen Unterschied zwischen ‚dem Reich‘ und ‚der Kirche?‘“ Allerdings. Das Reich ist der Schauplatz einer entfalteten Macht und Herrlichkeit (1. Kor 15,34; 2. Pet 1,16–17; Ps 145,11–13); die Kirche dagegen ist die Versammlung der Erretteten (Apg 20,28; Eph 5,33–25). Wenn ich von dem Reich spreche, so denke ich an Christus als König (Ps 2); rede ich aber von der Kirche, so steht Christus als Haupt derselben vor meiner Seele (Eph 5,23; Kol 1,18). Viele befinden sich jetzt in dem Reich, die nicht in Wahrheit zu Gott bekehrt sind (Mt 13; 25,1–12), aber niemand kann der Kirche, d. h. dem Leib Christi, angehören, der nicht durch den Heiligen Geist mit Christus vereinigt ist (1. Kor 12,12). Das erstere begreift das Bekenntnis, die letztere die Wirklichkeit des Lebens in sich. In dem ersteren hat man sich im gegenwärtigen Augenblick nicht mit dem Bösen zu beschäftigen (Mt 13,23–30); aus der letzteren aber muss das Böse hinausgetan werden (1. Kor 5). 2. Welches ist der Unterschied zwischen dem „Reiche der Himmel“ und dem „Reich Gottes?“ Das „Reich der Himmel“ kommt allein in dem Evangelium des Matthäus vor (etwa 30 Mal) und ist ein Ausdruck, her eine Verwaltung bezeichnet. Letzteres ist zwar auch bei dem Ausdruck: „Reich Gottes“ der Fall; derselbe hat aber außerdem eine moralische Bedeutung. Das Reich der Himmel wurde angekündigt als „nahegekommen“ (Mt 3,2); das Reich Gottes ebenfalls, Zugleich aber auch als „mitten unter ihnen“ in moralischer Kraft (Lk 17,31). Das Reich Gottes war „gekommen“, weil Christus in der Mitte Israels in Macht handelte (Mt 12,28). Von dem Reich der Himmel konnte in dieser Weise nicht gesprochen werden, weder als Geheimnis, noch als offenbart; denn um von dem Reich als Geheimnis reden zu können, musste Christus notwendigerweise vorher sterben und sich zur Rechten Gottes setzen, während Er zur Offenbarung des Reiches ein zweites Mal in Herrlichkeit erscheinen wird. Daher wird von dem Reich der Himmel gesprochen als „nahegekommen“ und nicht als schon „gekommen.“ Das Reich der Himmel ist eine Sache, die beobachtet werden kann; aber „das Reich Gottes kommt nicht, dass man es beobachten konnte“ (Lk 17,20); d. h. es hat einen ausgeprägt moralischen Charakter (Vgl. Röm 14,17). Ich kann nicht immer den Ausdruck „das Reich der Himmel“ da gebrauchen, wo von „dem Reich Gottes“ gesprochen wird, weil letzteres einige Male einen ausschließlich moralischen Charakter trägt; wohl aber könnte ich an allen Stellen, wo „das Reich der Himmel“ vorkommt, dafür „das Reich Gottes“ setzen.
3. Was versteht man unter dem „Reiche des Sohnes“ und dem „Reiche des Vaters?“ „Der Sohn des Menschen wird seine Engel senden, und sie werden aus seinem (des Sohnes) Reiche zusammenlesen alle Ärgernisse und die das Gesetzlose tun; ... Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne im Reich ihres Vaters“ (Mt 13,41–43). Diese Verse stellen die beiden Reiche einander gegenüber. Das erstere ist auf der Erde, und aus ihm werden die Ärgernisse und die gesetzlosen Menschen zusammengelesen und ins Feuer geworfen; das letztere ist die Szene himmlischer Herrlichkeit. Das tausendjährige Reich wird eine himmlische Herrlichkeit – das Reich des Vaters – und eine irdische Herrlichkeit – das Reich des Sohnes – besitzen. Der erhabene Platz, an welchen Christus und seine himmlischen Heiligen versetzt sind, ist unmittelbarer mit dem Vater in Verbindung, gebracht, während der niedrigere Schauplatz, wo die wiederhergestellten und bekehrten Juden und die Nationen in Segnung gesammelt werden, mit dem Sohn des Menschen in direkter Verbindung steht.
4. Hat die Belehrung, welche uns in dem Gleichnis von den zehn Jungfrauen gegeben wird, einen jüdischen oder christlichen Charakter? Ohne Zweifel einen christlichen. Der fromme, gottesfürchtige Überrest Israels wird nicht „ausgehen“, um dem Bräutigam zu begegnen. „Geht aus, ihm entgegen!“ (Mt 25,6) ist ein geeigneter Ausdruck, um die christliche, aber nicht die jüdische Stellung zu bezeichnen. Ein Christus, der für uns „in der Luft“ erscheint, und ein Messias, der nach Judäa kommt, um Israel zu segnen, charakterisier in entsprechender Weise die Stellung des Christen und des Israeliten. Eine Segnung auf der Erde und in Judäa unter der friedensreichen Regierung des Messias ist die Erwartung des Israeliten; bei ihm gibt es daher kein Ausgehen, sondern vielmehr ein festes Anhangen an seinem Land, bis der Messias kommt. Außerdem kann der Zustand des Schlafes, aus dem die Jungfrauen aufgeweckt werden (V 5–6), keine Anwendung auf den zukünftigen Überrest Israels finden. Die Juden werden in der Stunde, wenn jene wichtige Krisis in ihrer Geschichte eintritt, nicht schlafen. Sie werden seufzen und wehklagen in jener schrecklichen, aber kurzen Mitternacht, wenn sie den Mord ihres Messias und die Schuld des Bruches ihres Gesetzes als ihre eigene Sünde und als die der Nation erkennen und bekennen werden (Ps 74; 79; Jes 63,15–19; Hes 9,4).
5. Wer sind die „Brüder“, die „Schafe“ und die „Böcke“ in Matthäus 25,31–46? Wenn Jesus als der Sohn des Menschen kommt und sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzt, so wird Er mit den Juden wieder Verbindungen anknüpfen; Er wird eben sowohl eine jüdische Braut (Ps 45) haben wie eine christliche (Off 19). Die Personen, von denen Er hier als von seinen „Brüdern“ spricht, sind daher Juden, die am Schluss dieses Zeitalters ausgesandt worden sind, um unter den Nationen (nach der Entrückung der Versammlung in den Himmel) „das Evangelium des Reiches“ zu predigen. Die Behandlung, die den Boten des Königs und der Botschaft selbst zu Teil geworden ist, bildet die Grundlage des Gerichts über die Nationen. Alles, was diesen Boten geschehen ist, betrachtet der König als sich selbst erwiesen – hat man sie und ihre Botschaft verworfen, so hat man Ihn verworfen, hat man sie aufgenommen, so hat man Ihn aufgenommen. Diejenigen, welche die Botschaft angenommen und sich unter dieselbe gebeugt haben, werden als „Schafe“ bezeichnet, nehmen ihren Platz zur Rechten des Königs ein und ererben das ewige Leben. Die Anderen aber, welche die Botschaft verworfen und ihre Träger geschmäht und verfolgt haben, werden „Böcke“ genannt, haben ihren Platz zur Linken des Königs und gehen hin in die ewige Pein. Die Segnung der Schafe sowohl, wie das Gericht der Böcke ist unabänderlich und endgültig.
Um den Schwierigkeiten, die manche in Bezug auf dieses Kapitel finden, zu begegnen, möchte ich noch auf einige Gegensätze aufmerksam machen, welche zwischen dem Gericht der Nationen und dem der Toten bestehen und gewöhnlich zu wenig beachtet werden.
Das 20. Kapitel der Offenbarung erzählt das Gericht der Toten, das vorliegende das Gericht der Lebendigen. Jenes wird ausgeübt an einzelnen Personen, dieses an Nationen; jenes findet in der Ewigkeit statt, dieses im Lauf der Zeit; jenes Kapitel spricht nur von einer Klasse, dieses von drei Klassen von Personen; in jenem finden wir Bücher, in denen die Taten eines jeden aufgezeichnet sind, in diesem finden wir keine; dort gibt es ein Buch des Lebens, hier nicht; jenes Kapitel spricht nicht von einem „Kommen“, was bei diesem doch der Fall ist; jenes redet nur von Gott und Menschen, dieses von dem Sohn, von Menschen und Engeln; in jenem sehen wir den Himmel und die Erde „entfliehen“, dieses zeigt uns das Fortbestehen derselben; jenes spricht von einem großen weißen Thron, dieses von einem Thron der Herrlichkeit.
6. Was für ein Unterschied besteht zwischen der Ankunft Christi für die Seinen und seinem Kommen mit ihnen? Die Rückkehr des Herrn vom Himmel, um, begleitet von allen seinen Heiligen und den Engeln, seine Regierung über die Erde anzutreten, ist der große Gegenstand der Propheten. Diese Ankunft wird durch göttliche Majestät und Macht gekennzeichnet. Es ist klar, dass eine „Aufnahme“ der Heiligen zum Herrn stattgefunden haben muss, ehe von einer Begleitung derselben bei seiner glorreichen Rückkehr auf die Erde die Rede sein kann. Die einzige Stelle, welche die Aufnahme der Heiligen in ihren Einzelheiten, als die Rückkehr mit dem Herrn einleitend, enthüllt, ist 1. Thessalonicher 4,15–17. Der Herr wird unbeachtet und ohne irgendwelche Entfaltung von Herrlichkeit erscheinen. Er wird kommen in „die Luft“, um dort seinen Erlösten zu begegnen. Der „Zuruf“, die „Stimme“ und die „Posaune“ werden nur von den Seinen gehört werden. Um andere Personen handelt es sich hier gar nicht. Die Toten werden auferweckt, die Lebenden verwandelt und alle „zusammen“ dem Herrn entgegengerückt werden in die Luft. Er wird vom Himmel herabsteigen; wir werden von der Erde hinaufsteigen und so dem Herrn begegnen. Dieser Versammlungsplatz, „die Luft“, wird nur einmal in der Schrift genannt. Es ist wichtig zu wissen, wo wir uns begegnen; allein für ein Herz, das mit Jesu innig verbunden ist, handelt es sich mehr um die Frage, wem wir begegnen. Diese Frage zu beantworten war der schöne Auftrag des Apostels Paulus und ihm in besonderer und bestimmter Weise offenbart. Deshalb sagt er in Vers 15: „Denn dieses sagen wir euch im Wort des Herrn.“
Nehmen wir jetzt eine der zahlreichen Stellen, welche von der Herrlichkeit der zweiten Ankunft Christi sprechen, und vergleichen sie mit den oben angeführten Versen, so werden wir sogleich den Unterschied zwischen seinem persönlichen und geheimen Herniederkommen in die Luft für die Seinen und dem späteren Ereignis, seiner glorreichen Erscheinung mit seinen Heiligen, bemerken. Verstehen wir den Unterschied zwischen seinem Kommen in die „Luft“ für die Seinen und seinem Stehen auf dem Ölberg mit ihnen (Sach 14,4), so ist der Schlüssel für manche Schwierigkeit gefunden. Dies letztere Ereignis steht in Verbindung mit dem ganzen Inhalt der Prophezeiung; das erstere ist eine persönliche Sache zwischen dem Herrn und seinem Volk und steht für sich, außerhalb der Reihe aller prophetischen Gegenstände. Nicht eine einzige Stelle des Alten Testaments spricht von dem Kommen für die Seinen; sie beziehen sich alle auf sein Kommen des Herrn mit ihnen, wie z. B. Sacharja 14,5, wo es heißt: „Und es wird kommen Jehova, mein Gott, und alle Heiligen mit dir.“
7. Was bedeutet die Stelle: „Also wird auch Gott die Entschlafenen durch Jesus mit Ihm bringen?“ (1. Thes 4,14) Die Thessalonicher waren erst kürzlich bekehrt worden und standen in der unmittelbaren Erwartung der Rückkehr des Sohnes Gottes vom Himmel. Aber während sie warteten, starben einige von ihnen. Der Feind suchte nun die Herzen dieser frischen und in der ersten Liebe stehenden, aber nicht genug unterwiesenen Heiligen zu beunruhigen, indem er ihnen einflüsterte, dass ihre entschlafenen Brüder etwas von der Freude und der Herrlichkeit der kommenden Herrschaft einbüßen würden. Doch der Apostel belehrt sie, dass dies durchaus nicht der Fall sein werde, „denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, also wird auch Gott die Entschlafenen mit Ihm bringen.“ Dann fährt er, indem die Verse 15–18 gleichsam eine Parenthese bilden, in Kapitel 5,1 fort: „Was aber Zeit und Zeiten betrifft, Brüder, so habt ihr nicht nötig, dass euch geschrieben werde.“ Wenn Gott Christus wieder in die Welt einführen wird, dann wird Er unsere entschlafenen Brüder mit Ihm bringen. Die Verse 15–18 teilen uns mit, was vor diesem Ereignis stattfinden wird. Die Toten werden auferweckt und die Lebenden verwandelt werden, und alle werden Ihm entgegengehen in die Luft. Nachdem diese Begegnung in der Luft stattgefunden hat, wird Gott Jesus und die Heiligen wieder auf die Erde bringen.
8. Wer sind „die Toten in Christus“ in 1. Thessalonicher 4,16? Die Toten in Christus stehen in diesem Vers im Gegensatz zu den Lebenden in Christus, und nicht sind hier, wie einige merkwürdiger Weise angenommen haben, die gestorbenen Gerechten den gestorbenen Gottlosen gegenübergestellt. Der Zusammenhang löst hier, wie überall, jede Schwierigkeit. Die Stelle will nichts anderes sagen, als dass die in Christus Gestorbenen auferweckt werden, bevor die Lebenden verwandelt sind. Den Entschlafenen ist ein Vorrecht eingeräumt; aber alles wird in einem Augenblick geschehen. Die Ersten also, welche auf den Zuruf und die Stimme des Herrn antworten werden, sind die Toten, „danach wir die Lebenden, die übrigbleiben.“ Das ist die göttliche Ordnung.
9. Sind die alttestamentlichen Heiligen bei dem Ausdruck „die Toten in Christus“ mit einbegriffen? Es ist durchaus kein Grund vorhanden, den Ausdruck allein auf solche zu beschränken, die von dem Pfingstfest ab gestorben sind. Die alttestamentlichen Heiligen und andere, wie Johannes der Täufer, welche starben, bevor der Heilige Geist herniederkam, um die Kirche zu bilden (Pfingstfest, Apg 2), werden auferweckt, um die tausendjährige Herrlichkeit Christi zu teilen. Ich denke, dass sie die zu dem Hochzeitsmahl des Lammes geladenen Gäste (Off 19,9), sowie die Freunde des Bräutigams sind (Joh 3,29). Die Braut und die Gäste sind sicher voneinander verschieden. Wenn die Stimme des Sohnes erschallt, werden alle, welche des Christus sind bei seiner Ankunft auferweckt werden (1. Kor 15,23). Niemand wird zu behaupten wagen, dass die alttestamentlichen Heiligen nicht des Christus sind, dass sie Ihm nicht angehören. Alle Heiligen daher, welche von Adam an bis zu dem Augenblick des Herniedersteigens des Herrn in die Luft gestorben sind, werden zusammen auferweckt werden, um mit den Lebenden, die dann verwandelt werden, die himmlische Herrlichkeit Christi zu teilen. Die Worte: „Die, welche des Christus sind, bei seiner Ankunft“, machen die Sache sehr einfach.