Botschafter des Heils in Christo 1878
"Kommt her zu mir"
Wiewohl der Herr seine Verwerfung von Seiten Israels tief empfand, so unterwarf Er sich in dieser Hinsicht doch vollkommen dem Willen und der Weisheit Gottes (Siehe Jes 49). „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dieses vor Weisen und Verständigen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart.“ Wie sehr Er über allem stand, wird hierdurch völlig an den Tag gelegt. „Ja Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir.“ Notwendigerweise wendet die Kenntnis, die wir von Gott haben, alles zu unserer Segnung; es kann nicht anders sein, denn alles kommt von Ihm. Das, was uns zugeteilt ist, mag unserer Natur sehr zuwider sein. Für Jesus war die Verwerfung seiner Botschaft seitens der Menschen ohne Zweifel sehr schmerzlich; allein sie hatte zur Folge, dass Er seine Zuflucht zur Unumschränktheit Gottes, seines Vaters, nahm, den Er kannte, zu einer Unumschränktheit, die sich darin kundgab, dass sein Vater diese Dinge den Weisen dieser Welt verborgen hatte und sie denen offenbarte, welche schwach und verachtet waren. Er erkannte den Vater in dem, was Er tat, und in der Art und Weise, wie sein Tun der vollständigen Ordnung der Wege Gottes, in einer Welt wie diese, entsprach. Dies war ohne Zweifel alles, was der Sohn Gottes wünschen konnte (wie auch wir, wenn wir vom Geist unterwiesen sind); allein die Umstände waren so, dass es einer vollständigen Unterwürfigkeit des Herzens und des Wandels bedurfte.
Diese vollkommene Unterwürfigkeit des Sohnes gab Ruhe und stellte die Herrlichkeit seiner Person ans Licht. Er war ganz auf den Vater hingewiesen, denn Er war Sohn und als solcher gänzlich verworfen. In diesem Charakter – indem Er Zugleich vollkommen war und sich als das kundgab, was Er war – hatte Er sich nicht mit seiner Herrlichkeit bekleidet, wobei Er nur sein irdisches Reich in Besitz genommen haben würde. Das Geheimnis lag darin, dass dies für Ihn „zu gering“ war (Jes 49,6). „Alles war Ihm von seinem Vater übergeben“, und gerade der Herrlichkeit seiner Person wegen – denn Er war der Sohn Gottes – kannte niemand den Sohn als nur der Vater. Sein Dienst bestand jetzt darin, den Vater in seinem unumschränkten Rechte, Gnade zu erweisen, zu offenbaren; denn niemand kannte den Vater als nur der Sohn, und wem irgend der Sohn Ihn offenbaren wollte. „Kommt her zu mir“, sagt Er, dieser einzige geduldige Zeuge der Liebe, „kommt her zu mir, alle Mühselige und Beladene, und ich werde euch Ruhe geben.“
Hier bin ich, der Verworfene, dem alles von seinem Vater übergeben worden ist, dessen Herz sich aber in der Langmut der Liebe allem unterworfen hat, der den Gehorsam gelernt, der gelernt hat, betrübt und verstoßen zu sein und nach außen hin keine andere Zuflucht zu finden als die Unterwerfung. „Kommt her zu mir.“ Die Menschen mögen mich verworfen haben, aber ich bin der Sohn, und niemand kennt den Vater, es sei denn, dass ich Ihn offenbare. Ich betätige meine Liebe gegen jeden, der beladen ist und sich nicht mit dem Lauf dieser stolzen Welt verbindet, gegen jeden Mühseligen und Beladenen. „Kommt her zu mir, und ich werde euch Ruhe geben.“ „Ich weiß mit dem Müden ein Wort zu reden zu rechter Zeit“ (vgl. Jesaja 50 und das Ende von Römer 8 in seiner ganzen herrlichen Tragweite für uns).
Die Unterwürfigkeit des Herrn in solchen Umständen gab seiner Seele das Gefühl eines viel besseren Teils, wie dasjenige war, welches dem Messias nach dem Gesetz und den Propheten zugehörte, und brachte anderen die Offenbarung desselben. Der Herr war verworfen und, so zu sagen, dazu geführt worden, und Er hatte, Gott sei dafür gepriesen! dem Volk Israel gegenüber eine Liebe kundgetan, die voll Geduld und Gnade war; allein sie taten nicht Buße, selbst da nicht, wo Er seine Wunderwerke gewirkt hatte. Die jüdische Haushaltung endigte, obwohl der Messias persönlich erschienen war, in Verfall. „Und ich sprach: Vergeblich habe ich mich bemüht, unnütz und umsonst meine Kraft verzehrt“ (Jes 49,4). Er hatte seine Hände ausgestreckt zu einem ungehorsamen und widersprechenden Volk (Röm 10,31). Als Er kam, war niemand da (Jes 63,5). Für seine Liebe widerfuhr Ihm Hass (Ps 109,5). Die Schmach brach sein Herz. Seine Hoffnung für das Volk, sein Recht, das Recht seiner Liebe wurde verkannt und verworfen. Aber da waren Kinder, welche das sahen, was den Weisen verborgen war: „Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir.“ Das war im Grund der Trost des Herrn. Mehr bedurfte Er nicht. Was war aber die Folge seiner Verwerfung? „Alles ist mir übergeben von meinem Vater“, – ein größerer Schauplatz und eine höhere und wirklichere Herrlichkeit. Doch obwohl Er so herrlich war, so ruft Er doch alle Mühseligen und Geladenen zu sich und kündigt ihnen an, Er werde ihnen Ruhe geben – die Ruhe der offenbarten Liebe des Vaters.
Es gibt sonst niemand, zu dem wir gehen könnten. Alle haben sich als trüglich erwiesen. „Kommt her zu mir!“ Wer anders als der Sohn Gottes konnte also sprechen? Wer konnte allen, welche kamen, Ruhe geben, wenn nicht der Sohn, Jehova selbst. Und Er, der Sohn Gottes, der Demütige und Sanftmütige, Er gibt die Ruhe, Er gibt sie völlig und umsonst. Er gibt die höchste Ruhe, Er, welcher wusste, was der Friede war inmitten der Bekümmernisse und der Mühen, wie kein anderer sie je erfahren hatte. Er teilt anderen das Geheimnis dieses Friedens mit. „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen.“ Es heißt jetzt nicht mehr: „Ich werde euch Ruhe geben.“ Dieses vermochte Er zu tun als Jehova und Gott, der Herr, und Er wollte es tun; hier aber sagt Er: „Ihr werdet finden.“ Ich habe dieses gelernt: „Siehe ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun“ (Heb 10,7). Die Ruhe findet sich auf dem Pfad, den Christus verfolgt hat. Er allein hat darauf gewandelt; Er allein konnte in dieser Welt vollkommen darauf wandeln.
Es ist jedoch kein hartes, kein aufgedrungenes und mühsames Joch. In gewissem Sinn ist es leicht, wie der Herr sagt. Unterwerft euch, sprecht: „Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir.“ Das ist sein Joch. Also lernen wir von Ihm; denn Er schrieb alles dem Vater und nicht den Umständen zu. Deshalb dankt Er dem Vater allezeit und für alles, wie wir es in seinem Namen tun können und sollten. „Es war wohlgefällig vor dir.“ Dies genügt. Es war die vollkommene Unterwerfung, und der Vater war darin offenbart. Ihr Wert besteht in der vollkommenen Kenntnis seines Willens und seines Verhältnisses als Sohn. Dies alles ist unendlich kostbar und wird nur in Christus gelernt. Die Unendlichkeit der Gottheit des Sohnes war in seiner Menschheit aufrechterhalten, und in Folge dessen traten auch seine augenscheinliche Erniedrigung und seine gegenwärtige Zurücksetzung in besonderer Weise ans Licht und gaben sich durch die absolute Unerforschlichkeit seines Wesens in dieser Stellung kund. Zugleich war durch seine Fähigkeit, den Vater zu offenbaren und durch die Freiheit seines Willens, indem Er dieses tat. Seine Einheit mit dem Vater offenbar. Auf diese Weise werden die Person des Sohnes in der Herrlichkeit der Gemeinschaft mit seinem Vater einerseits, und andererseits die also kundgemachte Unerforschlichkeit Gottes, indem der Vater offenbart wurde, aufrechterhalten und erscheinen in ihrer ganzen Schönheit. Wie weise, vollkommen und einzig göttlich ist doch die Schrift! Nichts kommt ihr gleich. Kein menschliches Wissen hat je Worte wie diese hervorgebracht. J. N. D.