Botschafter des Heils in Christo 1878
Das Buch der Erfahrung - Teil 5/5
Kapitel 4,8–23
Die Ermahnungen der Brief endigen mit dem 9. Verse dieses Kapitels. – Wir haben bereits gesehen, in welcher Weise der Christ in völliger Überlegenheit über alle Umstände wandeln soll. Dieser Charakter der Macht des Geistes Gottes zieht sich durch den ganzen Brief hindurch. Der 8. Vers zeigt uns die Wirkung dessen, wovon wir weiter oben gesprochen haben: „Freut euch in dem Herrn allezeit!“ „Lasst eure Gelindigkeit kund werden allen Menschen!“ „Seid um nichts besorgt, sondern in allem lasst durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden, und der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und eure Sinne bewahren in Christus Jesus.“ Das Herz ist freigemacht; denn der Friede Gottes, der unerschütterlich ist, bewahrt das Herz und die Sinne. Für Gott gibt es nichts Neues oder Unbekanntes. Er ist stets in Frieden und „wirkt alles nach dem Rat seines Willens.“ Auf diese Weise ist das Herz in Ruhe gebracht und frei, sich mit alle dem zu beschäftigen, was liebreich und gesegnet ist.
Es ist von großer Wichtigkeit für den Christen, die Gewohnheit zu haben, in dem zu leben, was gut ist in dieser Welt, wo wir notwendigerweise mit dem Bösen zu tun haben. Wir selbst waren ehemals böse; nur Böses war im Herzen, in den Gedanken und in der Gesinnung; und auch jetzt gibt es noch Böses, nicht nur in der Welt, sondern auch in unseren Herzen, und wir haben es da zu richten, wo es sich wirksam zeigt. Aber es ist nicht gut, stets mit dem Bösen beschäftigt zu sein; es verunreinigt uns sogar, wenn wir es richten. Wir sehen in 4. Mose 19, dass derjenige unrein war, der sich mit der Asche der roten Kuh zu beschäftigen hatte. Er verrichtete wirklich einen Dienst, indem er die Asche sammelte und sie außerhalb des Lagers an einen besonderen Ort trug, aber nichtsdestoweniger war er unrein bis an den Abend; und dasselbe war der Fall bei demjenigen, der mit dem Wasser der Reinigung besprengte. Sogar das Richten des Bösen verunreinigt unsere Gedanken. In manchen Herzen ist die Neigung vorhanden, sich mit dem Bösen zu beschäftigen; allein es ist nicht gut, stets darin zu beharren. Ich spreche selbstredend nicht von einem wirklichen Leben in dem Bösen, sondern von dem Richten desselben, sei es auch nur in den Gedanken. Es ist von höchster Wichtigkeit, dass der Ton und die Stimmung des Herzens der Art sei, dass man seine Wonne in den Dingen findet, worin Gott sie findet. Selbst in dem Gefühl, das Böse als Böses zu richten, ist das Herz nicht glücklich. Wir sind berufen, jetzt so zu leben, als wären wir mit Gott im Himmel. Hat Gott im Himmel Böses zu richten? Wir wissen, dass es nicht der Fall ist, und für unsere Seelen ist es sehr wichtig, mit dem Herrn droben zu sein und nicht nur die Dinge zu tun, die Ihm Wohlgefallen, sondern auch in einem Zustand zu sein, an dem Er seine Wonne haben kann. Lasst uns nur auf einen Tag zurückblicken und uns fragen, ob unser Herz in den Dingen gelebt hat, die „liebreich und wohllautend“ sind. Das ist es, wovon der Apostel hier spricht. Ist es die Gewohnheit unseres Herzens, bei dem zu verweilen, was gut ist? Das Böse dringt in unseren Tagen von allen Seiten auf uns ein, aber es ist nicht gut, dabei zu verweilen, sich viel damit zu beschäftigen. Es schwächt den Geist – der Gedanke daran gibt ihm keine Kraft. Da wo ein geistlicher Zustand vorhanden ist, kann das Böse Abscheu erwecken; aber selbst wenn wir das Böse richten, wird es nie in der rechten Weise geschehen, wenn das Herz nicht bei dem verweilt, was gut ist. Wir möchten begehren wie die Jünger damals, Feuer vom Himmel fallen zu lassen, während Christus nur nach einem anderen Dorf geht.
Christus wandelte in der völligen Kraft der Gemeinschaft in dem, was gut ist, inmitten des Bösen, obgleich Er sich mit demselben zu beschäftigen hatte. Er war genötigt, zu sagen: „Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer!“ (Mt 23,13) Auch wir haben uns mit dem Bösen zu beschäftigen; doch wird es nie in der rechten Weise geschehen, wenn wir nicht in dem leben, was gut ist. Es würde nie Sanftmut vorhanden sein – ich rede von der Sanftmut der Gnade und nicht von der Sanftmut gegen das Böse, denn dieses sollen wir mit Entschiedenheit richten. Paulus musste sagen: „Ich wollte, dass sie auch abgeschnitten würden, die euch aufwiegeln“ (Gal 5,12). Hierin liegt keine Sanftmut, und dennoch ist auch dieses Wort in Liebe gesprochen. Kommen wir in den Fall, das Böse richten zu müssen, so soll es in der Kraft des Guten geschehen, das in uns ist; dies ist der Pfad, auf welchem unsere Seelen zu wandeln berufen sind: „Im Übrigen, Brüder, alles was wahrhaftig, alles was ehrbar, alles was gerecht, alles was rein, alles was liebreich, alles was wohl lautet, wenn es irgendeine Tugend und wenn es irgendein Lob ist, dieses erwägt.“ Der Herr gebe, geliebte Brüder, dass wir uns stets hieran erinnern! Gott mag das Böse zu richten haben, allein Er bleibt in dem, was gut ist.
Der Apostel fügt hinzu, und wie gesegnet ist es für einen Menschen, der fähig ist, so zu sprechen: „Was ihr auch gelernt und empfangen und gehört und an mir gesehen habt, dieses tut, und der Gott des Friedens wird mit euch sein.“ Beachten wir, dass dies der Weg ist, den Gott des Friedens „mit uns“ zu haben. Wenn wir unsere Anliegen auf Gott werfen, so sagt er: „Der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und eure Sinne bewahren in Christus Jesus;“ das aber, wovon hier die Rede ist, ist weit mehr. Paulus hatte einen ganz besonderen Platz; er war mit dem Geist Gottes erfüllt, obgleich er der vornehmste Sünder war, wie er sagt. Allein er trug allezeit das Sterben Jesu an seinem Leib umher, so dass er sagen konnte: „So denn wirkt der Tod in uns, das Leben aber in euch“ (1. Kor 4,7–12). Es war etwas Großes, so sprechen zu können. Er bedurfte eines Dorns im Fleisch, um ihn zur Ausübung eines solchen Dienstes zu befähigen; denn von Natur war sein Fleisch durchaus nicht besser als das unsrige. Er sagte nicht nur: „Ich bin gestorben“, sondern er trug allenthalben den Tod im Fleisch mit sich umher, so dass es sich nicht regte. Er war, wie wir wissen, ein auserwähltes Gefäß, und er trug den Tod im Fleisch durch die Gnade und Kraft Christi mit sich umher. Aber er tat es wirklich, und darum wird die Sünde, wie wir schon im Anfang bemerkten, in der Brief an die Philipper nie erwähnt, weil uns diese die eigentliche Erfahrung des christlichen Lebens darstellt; die Lehre wird kaum darin berührt. Paulus spricht durchweg im Bewusstsein seiner Erfahrung.
Wenn ich Christus nach zu wandeln trachte, muss ich mich selbst für tot halten. Ich sage nie: Ich muss sterben, weil das eine Wirksamkeit des Fleisches voraussetzen würde. Ohne Zweifel ist das Fleisch da, aber ich sage: es ist tot. Ich verstehe jemanden sehr wohl, der einen Zustand durchmacht, in welchem er lernt, was das Fleisch ist; dieser Zustand kann von längerer oder kürzerer Dauer sein. Wenn aber eine Seele gänzlich gedemütigt ist und sagt: „In mir, das ist in meinem Fleisch, wohnt nichts Gutes“ (Röm 7,18), dann kann Gott sagen: Halte dich der Sünde für tot und erlaube ihr nicht, über dich zu herrschen (Siehe Röm 6,11 ff.). Die Quelle, aus welcher alle Macht hervorströmt, ist diese: „Ihr seid gestorben.“ Das ist die Grundwahrheit hinsichtlich der Befreiung. Dieselbe tritt ein, wenn wir durch die Macht des Geistes Gottes uns selbst für tot halten. Jedoch ist dieses nur der Fall für den Glauben. Christus ist in Macht gegenwärtig; ich halte mich für tot und kann alsdann in Kraft handeln.
„Dies ist das Zeugnis, dass Gott uns das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn“ (1. Joh 5,11). Ist das aber alles? Nein; denn angenommen, das Leben wäre vorhanden und die alte Natur noch lebendig, so würde einerseits nur unaufhörlicher Kampf zwischen beiden bestehen, und andererseits, wenn ich nicht die Macht des Geistes Gottes besäße, die erworbene Befreiung von der Sünde nicht vorhanden sein. Falls ich aber jene Macht besäße, so würde doch der Kampf bleiben. Nur wenn ich sage, dass ich wirklich tot bin, ist meine Befreiung von der Wirksamkeit des Fleisches völlig verwirklicht. In der Macht und dem Besitz dieses Lebens sagt der Apostel: „Ich bin gestorben.“ und wenn er es praktisch verwirklicht, so sagt er: „Allezeit das Sterben Jesu am Leib umhertragend“ (2. Kor 4,10). Ich habe Christus als Gerechtigkeit von Gott und als Leben in mir empfangen und behandle das alte Leben als tot. Nicht nur besitze ich das Leben, sondern ich bin auch gestorben, so dass es sich zwischen dem alten und neuen Leben nicht um die Frage handelt, wer die Oberhand haben wird. Dies ist freilich solange der Fall, bis ich die Entdeckung gemacht habe, dass im Fleisch nichts Gutes wohnt, und dass ich in Christus mit gestorben bin; alsdann erkenne ich nicht nur, dass ich Böses getan habe, sondern auch, dass der Baum selbst, der alte Mensch, schlecht ist, und dass Christus, unser Leben, eben sowohl der Sünde als auch für die Sünden gestorben ist (Röm 4,25; 6,10); und wenn ich den alten Menschen für tot halte, so finde ich die Freiheit.
Ich sage nicht, dass ich die Vergebung finde, sondern die Befreiung. „Das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes“ (Röm 8,2). Ohne Zweifel kann ich fehlen und für einen Augenblick unter die Macht der Sünde gebracht werden; allein ich bin in keiner Weise deren Schuldner. Auf welche Art hat Gott die Sünde im Fleisch verurteilt: Im Tod. Dann bin ich frei; ich habe das Leben und behandle den alten Menschen als tot. Wir sind berufen, dieses Leben Jesu allezeit zu offenbaren. Indem ich im Glauben das Sterben Christi festhalte, habe ich das Kreuz für das Fleisch gefunden. Der Apostel sagt: Der Tod Christi wirkt in mir, dem alten Paulus, und so strömt nur das Leben Christi für euch hervor, und er sagt: Geht hin und tut desgleichen. „Was ihr auch gelernt und empfangen und gehört und an mir gesehen habt, dieses tut, und der Gott des Friedens wird mit euch sein.“ Gott selbst wird dann bei euch gegenwärtig sein.
Wie wunderbar ist dieses, geliebte Brüder! Das Leben Christi ist gegeben, das Fleisch wird für tot gehalten, und wir wandeln demgemäß. Wird sich Gott auf diesem Pfad fern von uns halten? Nein; „der Gott des Friedens wird mit euch sein.“
Es ist bemerkenswert, wie oft Gott „der Gott des Friedens“ genannt wird, während Er niemals der Gott der Freude heißt. Die Freude ist veränderlich. Wir freuen uns, wenn wir eine gute Botschaft vernehmen, und doch kann auch Traurigkeit vorhanden sein. Es ist wirklich Freude im Himmel über einen Sünder, der Buße tut, weil dies dort eine gute Botschaft ist; aber die Freude ist nicht die Natur Gottes wie der Friede. Sie ist eine Gemütsbewegung. Der Mensch ist ein armes, schwaches Geschöpf. Er hört gute Nachrichten und freut sich; er hört schlechte und ist traurig. So ist die menschliche Natur bald oben, bald unten. Gott aber ist „der Gott des Friedens.“ der Friede geht viel tiefer als die Freude. Betrachten wir die Welt und das menschliche Herz; sehen wir dort jemals Frieden? Wir finden die Freude selbst in der tierischen Natur, z. B. bei einem Hund, der von seiner Kette losgelassen wird. Wir mögen in der Welt eine Art von Freude sehen, aber da ist kein Friede; das Herz des Menschen ist wie ein aufgewühltes Meer, das nicht ruhig sein kann (Siehe Jes 57,20). Man rennt unaufhörlich nach Vergnügen und nennt dies Freude. Die Welt ist eine ruhelose Welt, und wenn sie unermüdlich nach dem hascht, was sie wünscht, so geschieht es, weil sie es nicht finden kann. Wir werden in dieser Welt nie Frieden finden, es sei denn, dass Gott ihn gibt.
Wenn wir in der Kraft des Lebens Christi wandeln, so ist der Gott des Friedens mit uns. Wir haben das Bewusstsein seiner Gegenwart; das Herz ist in Ruhe. Da ist kein Trachten nach etwas, das wir noch nicht erlangt haben. Selbst unter Christen sehen wir Personen, die keinen Frieden haben, weil sie nach dem suchen, was sie nicht besitzen, und das ist kein Friede. Genießen wir aber das, was in Ihm ist, obgleich wir sicher danach trachten, Ihn besser kennen zu lernen, so befindet sich das Herz in einer glückseligen Ruhe, und das ist Friede. Es ist gesegnet, solch ein Heiligtum in dieser Welt – „den Gott des Friedens“ – mit uns zu haben.
Wir sehen, wie Paulus Wer alle Umstände erhaben ist. Er hatte Mangel gelitten, obwohl er sich in einer gewissen freien Gefangenschaft befand, und sein Herz fühlte es. „Ich habe mich aber sehr gefreut im Herrn, dass ihr jetzt einmal wiederaufgelebt seid, endlich an mich zu denken.“ Er sagt „endlich“, als wenn die Philipper ihm gegenüber ein wenig nachlässig gewesen wären; aber voll schonender Zartheit gegen sie, nimmt er das Gesagte sogleich wieder zurück, indem er hinzufügt: „wiewohl ihr auch früher meiner gedachtet, aber keine Gelegenheit hattet.“ Die Überlegenheit des Christen ist nie Gefühllosigkeit, anders wäre sie keine Überlegenheit. In allen Umständen ist sein Herz frei, um der Gnade des Herrn Jesus Christus gemäß zu handeln, und Er war niemals gefühllos. Wir sträuben uns gegen die Umstände; unsere armen, selbstsüchtigen Herzen möchten den Leiden aus dem Weg gehen. Er aber blieb sich immer gleich in den Umständen, so dass man sagen kann: Christus war ohne Charakter. Er war immer derselbe. In allen Umständen hatte Er vollkommenes Mitgefühl, aber Er wurde nie durch dieselben beherrscht; Er war immer in der Kraft seiner eigenen Gnade inmitten derselben. Wir sehen Ihn nie teilnahmslos. „Als Er die Menge sah, ward Er innerlich bewegt über sie;“ als Er die Bahre sah, auf welcher man den einzigen Sohn der Witwe hinaustrug, „ward Er innerlich bewegt über sie“, und am Grab des Lazarus „seufzte Er tief im Geist und erschütterte sich“ – ein sehr starker Ausdruck: Er erschütterte sich innerlich. Die Macht des Todes inmitten des Ihn umgebenden Volkes lastete auf seinem Geist. Wo Er sich auch befinden mochte – Er war nie gefühllos, sondern blieb immer derselbe in Gnade in Bezug auf alles, was sein Mitgefühl in Anspruch nahm. Auf dem Kreuz hatte Er das rechte Wort für den Räuber. Selbst als Er genötigt war, zu sagen: „Bis wann soll ich bei euch sein und euch ertragen?“ (Lk 9,41) fügte Er sogleich hinzu: „Bringe deinen Sohn her.“ Sein Mitgefühl war vollkommen, das unsrige ist es nie; seine Gnade war für jeden Ruf bereit. Wir sollten danach trachten, das zu sein, was sich in Christus offenbart, indem wir alle Umstände völlig mitfühlen, doch so, dass sie Ihm in uns begegnen und Er offenbart werde.
Wir haben gesehen, wie Paulus das verbesserte, was er gesagt hatte: „Ihr seid jetzt einmal wieder aufgelebt, endlich an mich zu denken“, indem er hinzufügt: „wiewohl ihr auch früher meiner gedachtet, aber keine Gelegenheit hattet.“ Wir finden nicht, dass der Herr Jesus sich je zu verbessern hatte. Paulus war „ein Mensch von gleichen Gemütsbewegungen wie wir“; er konnte nicht in Troas bleiben, wiewohl ihm eine weite Tür zur Predigt des Evangeliums geöffnet war; er hatte keine Ruhe in seinem Geist, weil er Titus nicht fand. Auch in Mazedonien hatte sein Fleisch keine Ruhe; und von jenem Brief, in welcher er uns inspirierte Anweisungen für die Versammlung gibt, ohne die wir uns in derselben nicht zu verhalten wüssten, sagt er, er bereue nicht, sie geschrieben zu haben, wiewohl er es bereut habe; und doch war er zum Schreiben derselben inspiriert worden. Als er daran gedachte, dass sich alle Korinther gegen ihn gewendet hatten, sank sein Mut unter die Stellung hinab, in der er sich befand.
In gewissem Sinn ist es gesegnet für uns, dass er, obwohl ein Apostel, uns so ähnlich war; bei dem Herrn aber ist nichts Derartiges zu finden. Er war vollkommen mitfühlend; in allen Umständen gewähren wir die Vollkommenheit seines Mitgefühls, während der Apostel zeigt, dass er ein Mensch war, obwohl es interessant ist, zu sehen, wie sich sein Mitgefühl äußerte.
Ferner sehen wir, dass Paulus erhaben war über alle die Umstände, in welchen er sich befand. „Ich sage das nicht des Mangels halben, denn ich habe gelernt, worin ich bin, mich zu begnügen ... alles vermag ich in dem, der mich kräftigt.“ Für uns, geliebte Freunde, ist die Macht hineingekommen. Man hört es oft als eine absolute Wahrheit aussprechen, dass wir durch Christus alles vermögen; doch ich frage dich: Vermagst du alles? Du antwortest mir: Nein, ich nicht; ich sage nur: man vermag alles. Darin hast du ganz recht; als absolute Lehre ist es völlig wahr, aber es ist nicht das, was der Apostel meint. Er sagt, dass er alles vermöge. Er hatte es gelernt. Für ihn war dies nicht nur eine Redeweise, sondern sein wirklicher Zustand. „Ich weiß sowohl satt zu sein als zu hungern.“ Bin ich satt, so bewahrt der Herr mich vor der Gleichgültigkeit und der Selbstbefriedigung. Bin ich hungrig, so bewahrt Er mich vor Niedergeschlagenheit und Unzufriedenheit. Bei Paulus hieß es nicht: man vermag, sondern ich habe Christus in jeder Lage so ausreichend gefunden, dass ich durch keine derselben beherrscht werde. Er war mit Ruten geschlagen worden; von den Juden hatte er fünfmal vierzig Streiche weniger einen erhalten; er war gesteinigt worden und hatte alle möglichen Umstände durchgemacht; aber in allem hatte er Christus als genügend gefunden. Du denkst vielleicht: Paulus war ein gereifter Christ, und am Ende seines Lebens konnte er wohl so sprechen. Aber hätte er Christus nicht von Anfang bis zu Ende völlig ausreichend gefunden, dann hätte er am Ende seiner Laufbahn nicht so sprechen können. Der Glaube rechnet auf Christus vom Beginn des christlichen Lebens an. Dies ist der Grundsatz, den wir im 23. Psalm finden. Nachdem der Psalmist durch alles hindurchgegangen war, sagte er: „Fürwahr, Güte und Huld werden mir folgen alle die Tage meines Lebens, und ich werde wohnen im Haus Jehovas in Länge der Tage.“ Im Überfluss oder im Mangel werde ich jederzeit finden, dass Er genügt. Um aber im Stande zu sein, diese Erfahrung am Ende der Laufbahn zu machen, muss man sie auf dem ganzen Weg gemacht haben.
Du magst denken: Paulus war ein Apostel; er war ein außerordentlich gesegneter Mann, hoch erhaben über das Böse, das mich umgibt. Dem aber war nicht so. Als er schrieb, hatte er einen Dorn im Fleisch, und obwohl dieser ihm keine Kraft gab, so wurde er doch dadurch zum Bewusstsein seines Nichts gebracht, worin die Kraft sich erweisen konnte. Der Herr wollte den Dorn nicht wegnehmen, als Paulus Ihn darum bat; Er antwortete ihm: „Meine Gnade genügt dir.“ Der Dorn schien für Paulus ein Hindernis zu sein; doch wenn Paulus predigte, so offenbarte sich die Macht Christi und nicht die des Apostels. Ich erwähne dies alles, damit man nicht denken möge, Paulus sei von den Schwierigkeiten und den Fallstricken des Fleisches frei gewesen. Gott hatte ihn in den dritten Himmel entrückt, und dieses außerordentliche Vorrecht brachte ihn in Gefahr, sich zu erheben, deshalb sandte ihm Gott einen Dorn, um ihn zu nichts zu machen, und also wurde Gottes Kraft in Schwachheit vollbracht. Die göttliche Kraft kann nicht da sein, wo die menschliche ist. Wäre es menschliche Kraft gewesen, so würden die durch Paulus bekehrten Seelen wertlos gewesen sein; die durch Gott bekehrten aber waren des ewigen Lebens würdig. Es ist eine wichtige Sache, zu nichts gemacht zu sein. Wenn wir nicht wissen, wie wir dazu gelangen sollen, so muss Gott uns zu nichts machen. Wer demütig ist, hat nicht nötig, gedemütigt zu werden.
Paulus war von Christus abhängig – vollständig abhängig von Ihm – und wir sehen die unfehlbare Treue Christi gegen ihn. Aber ich wiederhole es, der Apostel hätte am Ende seiner Laufbahn nicht sagen können: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt“, wenn dieses nicht seine Erfahrung auf dem ganzen Wege gewesen wäre. Es ist ein gesegnetes Zeugnis. Christus ist überall genug für uns, aber Er muss uns zur Aufrichtigkeit bringen. Die Seele muss in ihrem wirklichen Zustand vor Gott sein. Solange nicht mein Gewissen dahin gebracht ist, wo ich mich wirklich befinde, solange es nicht zum Bewusstsein meiner Entfremdung von Gott und meiner Untreue gegen Ihn gekommen ist, ist es nicht aufrichtig. Aber ist es einmal dahingelangt, so sagt Gott: Ich habe dich jetzt an den rechten Platz gebracht, jetzt kann ich dir helfen. Hiob sagt: „Wenn das Ohr mich hörte, pries es mich; wenn das Auge mich sah, zeugte es von mir; denn ich befreite den Elenden, der da rief, und die Waisen und den, der keinen Helfer hatte.“ Ich tat dieses, ich tat jenes. – Gott aber sagt: So geht es nicht; es heißt immer: ich und mich. So übergab ihn Gott den Händen Satans, bis er den Tag seiner Geburt verfluchte und sagte: „Nun sieht dich mein Auge; darum verabscheue ich mich.“ Jetzt sagt Gott: So geht es; jetzt kann ich dich segnen. Und Er segnete ihn. Gott will nicht nur, dass wir unser Haupt über dem Wasser halten, sondern dass wir in der Kraft seiner Gnade wandeln.
„Ihr wisst aber auch, ihr Philipper, dass im Anfang des Evangeliums, als ich aus Mazedonien wegging, keine Versammlung mir mitgeteilt hat in Betreff des Gebens und Empfangens, als nur ihr allein. Denn auch in Thessalonich habt ihr mir ein– und zweimal für meine Notdurft gesandt.“ Die Liebe ist niemals vergesslich; sie zeichnet jede Dienstleistung auf. Der Apostel bewahrte mit Sorgfalt die Erinnerung an alles das, was man ihm erwiesen hatte. Gott hat Wohlgefallen an jedem Dienst, den man seinen Heiligen erweist; Er erfreut sich sogar an dem, was man an der Welt tut.
„Mein Gott aber wird alle eure Notdurft erfüllen nach seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christus Jesus.“ Beachten wir die Innigkeit, welche in dem Ausdruck „mein Gott“ liegt. Er ist sehr bezeichnend; es ist, als ob Paulus sagen wollte: ich kenne Ihn; ich kann für Ihn antworten; ich habe alle möglichen Umstände durchgemacht, und ich kann dafür bürgen, dass Er mich nie im Stich gelassen hat. Ich weiß, wie Er selbst in den kleinsten Dingen des täglichen Lebens handelt.
Es ist etwas Großes, Gott täglich und stündlich zu vertrauen, indem wir nicht denken, dass wir selbst für uns sorgen und uns vor der Macht des Bösen sicheren können, sondern indem wir Gott völlig vertrauen. Und welches ist das Maß seiner Hilfe? Nichts weniger als „Sein Reichtum in Herrlichkeit in Christus Jesus.“ Er muss sich selbst verherrlichen, sogar durch den Fall eines Sperlings; denn bei Gott ist nichts groß und nichts klein. Er denkt an das, worin seine Liebe sich verherrlichen muss.
„Mein Gott wird alle eure Notdurft erfüllen.“ Wie konnte Paulus dieses sagen? Er kannte Ihn. Nicht als ob er keinen Mangel erlitten hätte, aber er hatte die Köstlichkeit der Durchhilfe Gottes dann erfahren. Die Umstände mögen sehr dunkel scheinen; aber wir haben immer die Erfahrung gemacht, dass, wenn Er uns durch die wasserleere Wüste führte, Er dort Wasser für uns aus dem Felsen hervorsprudeln ließ. Er übt stets den Glauben, aber Er kommt ihm immer entgegen. „Ich habe euch 40 Jahre in der Wüste geführt; eure Kleider sind nicht an euch veraltet, und der Schuh ist nicht veraltet an deinen Füßen“ (5. Mo 29,5). Das ist ein gesegnetes Ergebnis.
„Mein Gott wird alle eure Notdurft erfüllen.“ Der Apostel rechnet auf die Segnung für andere. Welch ein Trost, anstatt im Schauen zu wandeln, diese Welt im gesegneten Bewusstsein dessen zu durchschreiten, was Er für uns ist, und fähig zu sein, auch für andere auf Ihn zu rechnen. Wir fürchten uns oft, jemanden zu überreden, den Weg des Glaubens zu betreten, allein wir sollten uns nicht fürchten, sondern vielmehr auf die Gnade für ihn rechnen.
Der Glaube triumphiert immer. Möge der Herr geben, dass wir allezeit auf Ihn rechnen! Dann werden wir fähig sein, zu sagen: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt.“