Botschafter des Heils in Christo 1875
Ein Wort über die Gebetsversammlungen
Bei Betrachtung dieses, das Gebet betreffenden Gegenstandes erfordern zwei Dinge, nämlich die moralische Grundlage und die moralische Bedingung des Gebets unsere Aufmerksamkeit. Bezüglich der moralischen Grundlage lesen wir in der Schrift: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, so werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch geschehen“ (Joh 15,7). Und wiederum: „Geliebte, wenn unser Herz uns nicht verurteilt, so haben wir Freimütigkeit zu Gott, und was wir irgend bitten, empfangen wir von Ihm, weil wir seine Gebote halten und das vor Ihm Wohlgefällige tun“ (1. Joh 3,21–22). Ebenso zeigt uns der Apostel, wenn er um die Fürbitte der Heiligen bittet, die moralische Grundlage seines Begehrens in den Worten: „Betet für uns; denn wir sind der Zuversicht, dass wir ein gutes Gewissen haben, da wir in allem ehrbar zu wandeln begehren“ (Heb 13,18).
Aus diesen und vielen anderen wichtigen Stellen ersehen wir, dass ein gehorsames Herz, ein aufrichtiger Geist und ein gutes Gewissen die Forderungen eines wirksamen Gebetes sind. Wie können wir eine Antwort auf unsere Gebete erwarten, wenn die Seele nicht in Gemeinschaft mit Gott ist, nicht in Christus bleibt und nicht durch seine heiligen Gebote beherrscht wird – wenn, mit einem Wort, das Auge nicht einfältig ist? Dann gleichen wir vielmehr solchen, wovon Jakobus sagt: „Ihr bittet und empfangt nichts, weil ihr übel bittet, damit ihr es in euren Wollüsten verzehrt“ (Jak 4,3). Wie könnte Gott, als heiliger Vater, solche Gebete erhören! Wir müssen daher ernstlich darauf bedacht sein, dass unsere Gebete auf der rechten Grundlage ruhen. Unmöglich hätte Paulus die Gebete der Brüder für sich beanspruchen können, wenn er nicht ein gutes Gewissen, ein einfältiges Auge und ein aufrichtiges Herz gehabt hatte, verbunden mit der innersten Überzeugung des wahrhaftigen Verlangens, in allem ehrbar zu wandeln. Man sagt so leicht: „Gedenkt meiner in euren Gebeten!“ – und sicher kann nichts köstlicher sein, als von den geliebten Kindern Gottes auf den Herzen getragen zu werden, wenn sie zum Thron der Gnade nahen; aber schenken wir auch wohl der moralischen Grundlage unseres Begehrens die nötige Aufmerksamkeit? Wenn wir die Brüder zur Fürbitte auffordern, können wir dann auch in der Gegenwart dessen, der die Herzen ergründet, hinzufügen: „Denn wir sind der Zuversicht, dass wir ein gutes Gewissen haben, da wir in allem ehrbar zu wandeln begehren?“ Und können wir uns selbst vor dem Thron der Gnade beugen mit einem aufrichtigen Herzen, welches uns nicht verurteilt, und mit einem einfältigen Auge, mit einer Seele, welche wirklich in Christus bleibt und seine Gebote bewahrt?
Geliebter Leser! Das sind ernste Fragen, welche das Herz ergründen und bis zur Wurzel und zur moralischen Quelle unseres Wesens dringen. Und dennoch bedarf es einer solchen Herzensprüfung in allen Dingen und besonders im Blick auf das Gebet. Unsere Gebete ermangeln in der Tat viel der Wirklichkeit und verraten oft eine traurige Abwesenheit der moralischen Grundlage, indem sie vielfach einen Beleg zu den Worten liefern: „Weil ihr übel bittet.“ Daher so viele kraft– und wirkungslose Gebete, so viele Gebete nach einer Form und aus Gewohnheit, verbunden selbst mit positiver Heuchelei. Der Psalmist sagt: „Hätte ich auf Ungerechtigkeit gesehen in meinem Herzen, so würde der Herr nicht gehört haben“ (Ps 66,18). Welch ernste Worte! Unser Gott will Wirklichkeit. Er selbst – gepriesen sei sein heiliger Name! – ist wahr in seinen Beziehungen zu uns; und Er will, dass auch wir wahr seien in unseren Beziehungen zu Ihm. Er will, dass wir so, wie wir wirklich sind, und mit unseren wirklichen Bedürfnissen vor Ihn treten. Aber ach, wie oft ist es anders! Wie oft gleichen unsere Gebete mehr einer Rede, als einem Gebet! Wie oft scheinen sie eher eine Zusammenstellung von Lehren, als der Ausdruck der Bedürfnisse zu sein! Oft hat es den Schein, als wolle man dem Herrn gewisse Grundsätze vorstellen und Ihn über gewisse Dinge unterrichten. Solche Zustände üben leider oft einen lähmenden Einfluss auf unsere Gebetsversammlungen aus und berauben sie ihrer Frische und ihres Interesses. Die, welche wirklich wissen, was Beten heißt und den Wert und die Notwendigkeit des Gebets kennen, kommen in die Gebetsversammlung, um zu beten und nicht um die Reden, Vorträge und Erklärungen kniender Männer zu hören. Man will beten und nicht lernen; denn dafür ist in den Versammlungen zur Betrachtung und Verkündigung des Wortes Gelegenheit geboten. Die Gebetsstunde ist der Ort, wo wir unseren Bedürfnissen Ausdruck geben und die Segnung erwarten, wo wir unsere Schwachheit bekennen und die Kraft erwarten. Das ist der Charakter des Ortes, „wo es gebräuchlich ist, das Gebet zu tun“ (Apg 16,13); und man ist daher weder geneigt noch zubereitet, daselbst lange Predigten unter der Form von Gebeten zu hören, welche, wenn es wirklich Predigten wären, kaum zu ertragen, in diesem Fall aber gänzlich unerträglich sind.
Wir reden offen, weil wir das Bedürfnis nach Wirklichkeit, Aufrichtigkeit und Wahrheit in unseren Gebetsversammlungen fühlen. Es geschieht oft, dass das, was wir ein Gebet nennen, nichts weniger als ein Gebet, sondern vielmehr eine Darstellung gewisser erkannter und aufgefasster Wahrheiten ist, deren beständige Wiederholung sehr drückend und ermüdend wird. Ja, es ist in der Tat ermüdend, von einem Knienden allerlei Grundsätze vorstellen oder verschiedene Lehren entwickeln zu hören. Man muss sich unwillkürlich fragen: „Redet der Betende mit Gott oder mit uns?“ Redet er mit Gott, so kann sicher nichts unehrerbietiger sein, als Ihm verschiedene Dinge erklären zu wollen; redet er mit uns, so ist das kein Gebet; und je eher wir in einem solchen Fall unsere betende Stellung verlassen, desto besser; denn dann wird es passender sein, wenn der Redende steht und die Hörenden sitzen.
Indem wir von der betenden Stellung reden, möchten wir in aller Liebe die Aufmerksamkeit unserer gläubigen Leser auf eine Sache lenken, die nach unserem Urteil einer ernsten Erwägung bedarf. Wir glauben nämlich, dass es, wie es ja in vielen Versammlungen geschieht, geziemend ist, während der heiligen und feierlichen Ausübung des das Knie zu beugen. Wir haben wohl nicht nötig zu bemerken, dass wir von der Notwendigkeit überzeugt sind, unsere Herzen während des Gebets in einer passenden Stimmung zu haben. Außerdem wissen wir und wollen es nicht vergessen, dass es unter denen, welche den Gebetsversammlungen beiwohnen, alte, schwache und kränkliche Personen gibt, denen es unmöglich ist, eine längere Zeit oder selbst nur für einen Augenblick auf den Knien zu liegen. Auch geschieht es häufig, dass, wie lebhaft der aufrichtige Wunsch, in einer geziemenden Stellung vor Gott zu treten, auch sein mag, es dennoch wegen Mangel an Raum unmöglich ist, die entsprechende Stellung einzunehmen. Alle diese Dinge müssen wohl erwogen werden. Aber diese Fälle abgerechnet, ist es andererseits ein bedauernswürdiger Mangel an Ehrfurcht gegen Gott, wenn in unseren öffentlichen Gebetsversammlungen mitunter Jünglinge und Jungfrauen, die sich weder auf körperliche Schwache, noch auf Mangel an Raum berufen können, während der ganzen Dauer der Gebetstunde sitzen bleiben. Dieses ist, wir müssen es offen bekennen, höchst anstößig und unehrerbietig: und wir glauben, dass es den Geist des Herrn betrüben muss. Wir sollten unsere Knie beugen, wenn wir es können. Diese Stellung drückt Achtung und Ehrfurcht aus. Unser göttlicher Lehrer betete kniend (Lk 22,41); und sein Apostel tat dasselbe; denn wir lesen in Apostelgeschichte 20,36: „Und als er dieses gesagt hatte, kniete er nieder und betete mit ihnen allen.“ 1 Ist es daher nicht auch für uns passend, dieses zu tun? Wir betrachten das Sitzenbleiben als einen Mangel an Ehrfurcht und bitten unsere gläubigen Leser, diesen Gegenstand in ernste Erwägung zu ziehen und sich zu dem schriftgemäßen Gebrauche des Kniens in den Gebetsversammlungen ermuntern zu lassen.
Betrachten wir jetzt im Licht der Heiligen Schrift die moralischen Bedingungen oder Eigenschaften des Gebets. Es ist nichts köstlicher, als die Autorität des Wortes Gottes für jede Handlung unseres praktischen, christlichen Lebens zu haben. Vergessen wir nie, dass die Schrift unser alleiniger, großer und erhabener Schiedsrichter in all unseren Schwierigkeiten sein muss.
Was sagt denn die Schrift bezüglich der moralisch notwendigen Bedingungen des gemeinsamen Gebets? Wir lesen in Matthäus 18,19: „Wiederum sage ich euch, dass, wenn zwei von euch einstimmig sein werden auf Erden über irgendeine Sache, um welche sie bitten, dieselbe ihnen widerfahren wird von meinem Vater, der in den Himmeln ist.“ Diese Stelle lehrt uns, dass die Einmütigkeit, die Übereinstimmung der Herzen, die vollkommene Einheit des Gefühls eine der notwendigen Bedingungen des Gebets sind; jeder falsche Ton in dieser Hinsicht bringt nur Verwirrung. Wenn wir uns z. B. vereinigen, um für die Förderung des Evangeliums, die Bekehrung der Seelen zu beten, so müssen wir notwendig ein und dasselbe Gefühl über diesen Gegenstand haben – einstimmig vor Gott sein. Dieser Punkt ist von unermesslicher Tragweite und von großem Einfluss auf den Ton und Charakter unserer gemeinsamen Gebete und Gebetsversammlungen. Sicher sind wir nicht ernst genug in dieser Sache. Müssen wir nicht oft den fast zwecklosen Charakter unserer Gebetsversammlungen beklagen, während wir für irgendeinen gemeinsamen Gegenstand eingenommen und diesbezüglich gemeinschaftlich zum Herrn flehen sollten? Wir lesen in Apostelgeschichte 1 in Bezug auf die ersten Jünger: „Diese alle hielten einmütig an am Gebet mit den Weibern und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern.“ 2 Ferner im zweiten Kapitel: „Und als der Tag der Pfingsten erfüllt wurde, waren sie alle an einem Ort beisammen.“ Sie – erwarteten nach dem Gebot des Herrn die Verheißung des Vaters, die Gabe des Heiligen Geistes; sie hatten das unfehlbare Verheißungswort; und dieses bildete die Grundlage ihres Gebets. Sie waren an einem und demselben Orte versammelt und beteten einmütig, indem sie die Sendung des verheißenen Sachwalters erwarteten. Männer und Weiber vertieften sich in einen großen Gegenstand und erwarteten Tag für Tag in heiliger Übereinstimmung mit Sehnsucht und Inbrunst, angetan zu werden mit Kraft aus der Höhe. Sollten nicht auch wir, gleich ihnen, in unseren Gebetsversammlungen einen und denselben Gedanken haben? Wir haben selbstredend nicht um das Kommen des Heiligen Geistes zu bitten. Denn Er ist – Gott sei dafür gepriesen! – bereits ausgegossen worden; aber wir haben die Entfaltung seiner Macht in unserer Mitte zu erflehen. Was sollten wir z. B. tun, wenn wir in einer Gegend wohnten, wo nur Tod und geistliche Finsternis herrschten, wo nirgends das Wehen des Lebens sich zeigte und kein Blatt sich regte, wo eine bloße Form, ein kraftloses Bekenntnis, der Unglaube und Aberglaube an der Tagesordnung waren, und wo man nie etwas von einer Bekehrung oder dergleichen reden hörte? Sollten wir uns durch diese ungesunde und tödliche Atmosphäre lähmen oder einschläfern lassen? Gewiss nicht. Wir sollten, selbst wenn unserer nur zwei wären, welche diesen trostlosen Zustand fühlten, uns vereinigen und einmütig unsere Herzen vor Gott ausschütten und auf Ihn warten, bis Er einen fruchtbaren Regen der Segnung auf diese dürre Gegend herabsenden würde. Ware es nicht verwerflich zu sagen: „Die Stunde ist noch nicht gekommen?“ oder jenen Vernunftschlüssen Raum zu geben, welche behaupten: „Gott ist unumschränkt, Er handelt nach seinem Willen, wir müssen den von Ihm bestimmten Zeitpunkt abwarten; denn menschliche Anstrengungen sind nutzlos, weil wir keine Erweckung bewirken können, und müssen uns hüten, etwas herbei zu führen, was am Ende nichts als Aufregung ist.“ Solche Vernunftschlüsse sind umso gefährlicher, weil sie eine gewisse Wahrheit enthalten, aber nicht die ganze Wahrheit. Dieses ist das Übel. Eine einseitige Auffassung der Wahrheit ist mehr zu fürchten, als ein bestimmter und greifbarer Irrtum, vor welchem man sich leichter hüten kann; und wie viele, übrigens eifrige Seelen sind nicht schon durch eine solche einseitige Anschauung oder üble Anwendung einer Wahrheit gestrauchelt und vom geraden Wege völlig abgewandt worden? Schon mancher nützliche und ergebene Arbeiter hat in Folge seiner unweisen Beharrlichkeit in der Darstellung gewisser Lehren, welche teilweise Wahrheit, aber nicht die völlige Wahrheit Gottes enthielten, am Glauben Schiffbruch gelitten und sich aus dem Arbeitsfelds vertreiben lassen. Doch nichts ist im Stande, die Kraft der Worte des Herrn in Matthäus 18,19 anzutasten oder zu schwächen. Diese Worte stehen vor den Augen des Glaubens in all ihrer göttlichen Fülle, ihrer Huld und ihrem Wert; ihre Ausdrücke sind klar und können nicht missverstanden werden; denn der Herr selbst ist es, welcher sagt, „dass, wenn zwei von euch einstimmig sein werden auf Erden über irgendeine Sache, um welche sie bitten, dieselbe ihnen widerfahren wird von meinem Vater, der in den Himmeln ist.“ Das ist unser Grundsatz, das ist unsere Vollmacht, kraft deren wir uns für irgendeine Sache, die sich unseren Herzen darstellen mag, zu gemeinschaftlichem Gebet vereinigen. Was haben wir also zu tun, wenn wir über die Kälte, über die Erstarrung und über den uns umringenden Zustand des Todes trauern – wenn wir über die Erfolglosigkeit der Predigt des Evangeliums und durch den Mangel an Kraft in der Verkündigung selbst niedergebeugt sind – wenn wir durch die Dürre, die Erschlaffung und den niedergedrückten Ton in unseren Zusammenkünften am Tisch des Herrn, oder vor dem Thron der Gnade, oder an der Quelle des Wortes Gottes uns gedemütigt fühlen? Sollten wir mit kalter und ungläubiger Gleichgültigkeit die Hände in den Schoß legen? Sollten wir entmutigt den Klagen, der Unzufriedenheit, oder gar der Erbitterung freien Lauf lassen? Das sei ferne. Vielmehr sollten wir uns, gestützt auf das treue Wort des Herrn in Matthäus 18,19, einmütig versammeln, uns vor Gott auf unser Angesicht werfen und wie ein Mann unsere Herzen vor Ihm ausschütten.
Das ist das große Heilmittel, die unfehlbare Hilfsquelle. Gewiss ist „Gott unumschränkt;“ aber gerade deshalb müssen wir auf Ihn warten. Ohne Zweifel sind menschliche Anstrengungen vergeblich, und wir vermögen keine Erweckung zu bewirken; aber eben aus diesem Grund müssen wir die göttliche Kraft suchen und Gott bitten, dass Er Seelen rette. Und sicherlich müssen wir uns hüten, etwas herbei zu führen, was sich am Ende nur als eine Aufregung erweisen würde; aber müssen wir uns nicht ebenso sehr vor Kälte, Lauheit und selbstsüchtiger Gleichgültigkeit hüten? Solange Christus zur Rechten Gottes und der Heilige Geist in unserer Mitte und in unseren Herzen ist, – solange wir das Wort Gottes und die Aussprüche in Matthäus 18,19 besitzen, gibt es für die Dürre, Kälte und Gleichgültigkeit, für die ermüdenden und nutzlosen Zusammenkünfte, für den Mangel an Frische in den Versammlungen und für die geringe Segnung in unserem Dienst keine Entschuldigung. Gott wird uns sicherlich segnen, wenn wir in heiliger Übereinstimmung auf Ihn warten.
In Matthäus 21,33 finden wir eine andere wesentliche Bedingung bezüglich der Wirksamkeit des Gebets: „Und alles, was ihr irgendwie im Gebet glaubend begehrt, werdet ihr empfangen.“ In der Tat ein wunderbares Wort. Es öffnet dem Glauben selbst die Schätze des Himmels. Es zieht keine Grenzen. Der Herr selbst versichert uns, dass wir alles, was wir mit einfältigem Glauben begehren, empfangen sollen. Der Heilige Geist gibt uns durch den Apostel Jakobus in Bezug auf die Bitte um Weisheit eine ähnliche Versicherung: „Wenn aber jemandem von euch Weisheit mangelt, so bitte er von Gott, der allen willig gibt und nichts vorwirft; und sie wird ihm gegeben werden. Er bitte aber“ – das ist hier die moralische Bedingung – „im Glauben, ohne zu zweifeln; denn der Zweifelnde ist gleich einer Meereswoge, die vom Wind bewegt und hin und her getrieben wird. Denn jener Mensch denke nicht, dass er etwas vom Herrn empfangen werde.“ Aus diesen beiden Stellen lernen wir, dass unsere Gebete die Gebete des Glaubens sein müssen, wenn sie Erhörung finden sollen. Das Hersagen von Gebeten und das Beten mit einem einfältigen Glauben in der vollen, reinen und festen Zuversicht, dass unsere Bitte Erhörung finden werde, sind zwei ganz verschiedene Dinge. Es ist sehr zu befürchten, dass viele unserer vermeintlichen Gebete die über uns befindliche Zimmerdecke nicht übersteigen. Unsere Gebete können nur auf den Flügeln des Glaubens den Thron Gottes erreichen. Ebenso müssen unsere gemeinschaftlichen Gebete aus gleichgesinnten Herzen wie aus einer Seele hervortönen mit einer heiligen und gläubigen Erwartung dessen, um was wir bitten.
Zeigt sich in dieser Hinsicht in unseren Gebeten und Gebetsversammlungen nicht ein trauriger Mangel? Und Gott offenbart diesen Mangel durch die Tatsache, dass wir oft so wenig Resultate von unseren Gebeten sehen. Möchten wir uns doch ernstlich prüfen, in wieweit wir diese beiden Bedingungen des Gebets – die Übereinstimmung und das Vertrauen des Glaubens – in Wahrheit verstehen. Fragen wir uns doch im Blick auf die Verheißung, dass, wenn zwei einstimmig und im Glauben bitten, sie das Erbetene empfangen werden, warum wir so wenig Antwort auf unsere Gebete finden. Müssen wir nicht die Schuld bei uns selbst, in unserem Mangel an Übereinstimmung und Vertrauen suchend?
Der Herr lässt sich in Matthäus 18,19 bis zu der geringsten Zahl, bis zu der kleinsten Versammlung von Zweien herab, obwohl diese Verheißung sich selbstredend auf jede beliebige Zahl anwenden lässt. Die Hauptsache ist nur, dass die Versammelten, wie verschieden auch ihre Zahl sein mag, völlig einstimmig und überzeugt sind, dass sie empfangen werden, was sie begehren. Das wird unseren Gebeten und Gebetsversammlungen, welche leider oft so arm und tot, so zwecklos und ohne inneren Zusammenhang sind, einen ganz anderen Ton und Charakter verleihen. Welch ein Unterschied würde es sein, wenn unsere Gebetsversammlungen mehr das Resultat einer wahren Übereinstimmung der Herzen und Gedanken der Versammelten wären, und wenn alle, wegen welcher Sache es auch sei, auf Gott warteten und im Gebet verharrten, bis sie eine Antwort empfingen! Wie wenig sieht man davon! Wir versammeln uns von Woche zu Woche, und es ist gewiss sehr gut, dass wir es tun; aber sollten wir nicht vor Gott geübt sein, um uns Rechenschaft darüber zu geben, in wieweit unsere Herzen in seiner Nähe sind, um bezüglich des Gegenstandes, welchen wir vor seinen Thron zu bringen haben, unter uns einstimmig zu sein? Die Antwort auf diese Frage knüpft sich an eine andere moralische Bedingung des Gebets.
In Lukas 11 lesen wir: „Wer von euch wird einen Freund haben und zu ihm kommen um Mitternacht und zu ihm sagen: Freund, leihe mir drei Brote, nachdem mein Freund von der Reise bei mir angelangt ist, und ich nicht habe, was ich ihm vorsetzen soll; und jener würde von innen antworten und sagen: Mache mir keine Mühe; die Tür ist schon verschlossen, und meine Kinder sind bei mir im Bett; ich kann nicht aufstehen und dir geben? – Ich sage euch, wenn er auch nicht aufstehen und ihm geben wird, weil er sein Freund ist, so wird er wenigstens um seiner Unverschämtheit willen aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf. Und ich sage euch: Bittet, und es wird euch gegeben werden; sucht, und ihr werdet finden, klopft an, und es wird euch aufgetan werden. Denn jeder Bittende empfängt, und der Suchende findet, und dem Anklopfenden wird aufgetan werden“ (V 5–10). Diese Worte sind von höchster Wichtigkeit, weil sie einen Teil der Antwort des Herrn auf die Bitte seiner Jünger: „Herr, lehre uns beten“, enthalten. Man denke indessen nicht, dass wir die Absicht hätten, andere beten zu lehren. Gott wolle uns davor bewahren! Nichts liegt unseren Gedanken ferner, als dieses. Wir suchen einfach unsere Leser in direkte Berührung mit dem Wort Gottes zu bringen – mit dem wahrhaftigen Worte unseres göttlichen Herrn und Lehrers, damit sie im Licht dieses Wortes selbst beurteilen möchten, ob ihre Gebete und Gebetsversammlungen das sind, was sie sein sollen.
Die Worte in Lukas 11: „Freund, leihe mir drei Brote!“ lehren uns zunächst, dass wir uns in unseren Gebeten genau ausdrücken sollen. Es gibt hier ein bestimmtes, gefühltes und ausgedrücktes Bedürfnis – eine Sache in den Gedanken und auf dem Herzen; und der Bittende beschränkt sich auf diese eine Sache. Er macht keine breite Darstellung von allerlei Dingen in unzusammenhängenden und leeren Worten; seine Bitte ist genau, deutlich und bestimmt ausgedrückt. Er hat drei Brote unumgänglich nötig, die Stunde ist vorgerückt und die Sache dringend. Die Umstände zwingen ihn; und er kann seine Ansprüche auf die zu suchende Sache nicht aufgeben. „Freund, leihe mir drei Brote!“ Ohne Zweifel scheint der Augenblick seines Kommens sehr ungelegen zu sein; denn es ist „Mitternacht.“ Alles ist dazu angetan, ihn zu entmutigen. Der Freund liegt zu Bette, die Tür ist verschlossen, die Kinder sind bei ihm im Bett, und er kann nicht aufstehen. Aber für den Bittenden ist dieses alles nicht wichtig; denn das Bedürfnis ist da, er muss drei Brote haben.
Hier gibt es eine große praktische Aufgabe zu lernen. Zu oft hört man in unseren Gebetsversammlungen lange, unzusammenhängende Gebete, ohne einen bestimmten Gegenstand zu haben. Wir wenden oft viele Worte für Dinge an, für welche wir nicht einmal ein wirkliches Bedürfnis fühlen. Würde nicht mancher in große Verlegenheit kommen, wenn der Herr ihm am Schluss der Gebetsstunde erschiene und ihn fragte: „Was wolltest du denn eigentlich, dass ich tun sollte?“ Dieses alles erfordert von unserer Seite eine ernste Erwägung. Unsere Gebete und Gebetsversammlungen werden sicher viel an Frische, Tiefe, Wirklichkeit und Kraft gewinnen, wenn wir bestimmte Bedürfnisse hineinbringen, für welche wir die Gemeinschaft der Brüder verlangen können. Es ist nicht nötig, lange Gebete zu halten und alle möglichen Dinge zu berühren; denn wie aufrichtig und wohlgemeint dieses auch sein kann, so verliert sich der Geist doch sehr bald in der Mannigfaltigkeit der Gegenstände. Es ist weit besser, nur das, was wirklich auf dem Herzen liegt, vor den Thron der Gnade zu bringen, dieses mit Inbrunst zu erflehen und es dabei bewenden zu lassen, so dass der Heilige Geist auch andere leiten kann, entweder für dieselbe oder für eine andere, gleichfalls bestimmte Sache zu beten. Die langen Gebete in unseren Versammlungen sind oft außerordentlich ermüdend. Man entgegnet uns vielleicht, dass man dem Heiligen Geist keine Zeit festsetzen könne. Ein solch verwerflicher Gedanke sei fern von uns! Aber wie kommt es, dass wir in der Schrift nie lange Gebete finden? Das bewundernswürdigste Gebet, das je auf Erden über menschliche Lippen kam, kann wenigstens in fünf Minuten langsam, mit Ruhe und mit Nachdruck gelesen werden (Joh 17). Und das Gebet, welches der Herr seine Jünger lehrte, ist noch kürzer. Dasselbe lässt sich sowohl von dem kräftigen Gebet in Apostelgeschichte 4,24–30, als auch von den bewundernswürdigen beiden Gebeten des Apostels im ersten und dritten Kapitel des Epheserbriefes behaupten.
Sollte indessen jemand uns vorwerfen wollen, dass wir dem Heiligen Geist Vorschriften machen wollten, so rufen wir nochmals: „Ein solcher Gedanke sei fern von uns!“ Wir vergleichen bloß das, was wir in den Schriften finden mit dem, was wir leider zu oft in den Versammlungen bezüglich des Gebets entdeckt haben. Wir dürfen uns nicht einbilden, vieler Worte wegen erhört zu werden. Der Herr will unsere eitlen Wiederholungen nicht, sondern redet von Gebeten dieser Art in Ausdrücken der höchsten Missbilligung. Auch können wir hinzufügen, dass wir während einer Reihe von Jahren die Erfahrung gemacht haben, dass die Gebete treuer, geistlicher und erfahrener Brüder sich meistens durch Kürze, Einfachheit und Bestimmtheit charakterisierten. Dieses ist gut, nützlich und der Schrift gemäß, und dient Zugleich zur Erbauung, zum Trost und zum Segen. Solche inbrünstige und bestimmt ausgedrückte Gebete erfrischen und beleben das Interesse in den Gebetsversammlungen, während andererseits lange und unzusammenhängende Gebete einen erschlaffenden Eindruck in den Herzen zurücklassen.
Doch die Belehrung des Herrn in Lukas 11 enthält noch einen anderen wichtigen Zug des wahren Gebets, nämlich den der Unverschämtheit oder der Zudringlichkeit. Jesus sagt uns, dass der, welcher zu seinem Freund kam, von diesem das Begehrte einfach wegen seines zudringlichen Anhaltens erlangen werde. Er bedurfte in diesem Augenblick dreier Brote und wollte sich deshalb nicht bis auf eine andere Zeit zurückweisen lassen. Da, wo die Ansprüche auf die Freundschaft wirkungslos blieben, erreichte die Unverschämtheit ihren Zweck. Der Bittende wollte sich nicht abweisen lassen, denn er hatte nicht, was er seinem Freund vorsetzen sollte, und gegen dieses Bedürfnis konnte der andere nichts erwidern. Dieses will uns nicht sagen, dass Gott uns je auf diese Weise von „innen“ antworten werde. Nie wird Er zu uns sagen: „Mache mir keine Mühe: ich kann nicht aufstehen und dir geben.“ Er ist stets unser treuer „Freund“ und stets ein fröhlicher und williger Geber, der nichts vorwirft. Nichtsdestoweniger ermuntert Er uns zur Zudringlichkeit: und wir müssen uns in unseren Gebeten daran erinnern. Wo die Bedürfnisse – die fehlenden drei Brote – gefühlt werden, da gibt es auch gewöhnlich Zudringlichkeit und ein beharrliches Anhalten, um das zu erlangen, was man begehrt. Aber wir haben leider oft in unseren Gebeten eine höchst geringe Ähnlichkeit mit solchen, welche begehren, was sie bedürfen, und welche erwarten, was sie begehrt haben. Unsere Gebete sind oft ohne Zweck und ohne Kraft; und anstatt ein inbrünstiges Flehen vor Gott zu bringen, verfallen wir nicht selten in Belehrungen oder brüderliche Unterhaltungen. Wir sind überzeugt, dass die Kirche Gottes in dieser Beziehung von neuem erwachen muss; und wir fühlen uns durch diese Überzeugung gedrungen, die gegenwärtigen Gedanken und Betrachtungen zu veröffentlichen.
Je mehr wir den vorliegenden Gegenstand, sowie den Zustand der ganzen Kirche Gottes betrachten, desto mehr sind wir von dem dringenden Bedürfnis einer völligen Erweckung an allen Orten bezüglich des Gebets überzeugt. Wir haben deshalb unseren Lesern den Mangel an Übereinstimmung, an Vertrauen und an Beharrlichkeit in unseren Gebeten und Gebetsversammlungen vor Augen zu stellen gesucht. Wir haben an die langen und fruchtlosen Gebete erinnert, durch welche die wahre Kraft und Segnung untergraben werden, und das Interesse an den Gebetsversammlungen rauben. Wenn aber jemand dieses zu einem Ruhekissen gebraucht und solche Zusammenkünfte verlässt, wie „es bei etlichen Sitte ist“, der verrät dadurch seinen eigenen traurigen Zustand; und sicher ist sein Verhalten kein Heilmittel gegen das bestehende Übel. Wenn das Zusammenkommen zum Gebet und Flehen gut ist – und wer wollte daran zweifeln? – dann ist es sicher nicht gut, dass sich jemand aus irgendeinem Grund zurückzieht. Was würde überhaupt aus unseren Gebetsversammlungen werden, wenn alle wahrhaft geistlichen Glieder sich zurückziehen wollten, weil sie das eine oder das andere missbilligen. Wir schätzen die Wichtigkeit der Elemente, aus welchen eine Versammlung zusammengesetzt ist, oft lange nicht hoch genug. Es können solche gegenwärtig sein, deren Lippen sich selten oder nie zu lautem, öffentlichem Gebet öffnen, welche aber dennoch, wenn sie im wahren Geist daran Teil nehmen und wirklich aus Gott warten, in wunderbarer Weise den Ton unterstützen und den Segen aufrecht halten. Andererseits müssen wir uns daran erinnern, dass wir in der Versammlung nicht allein an unseren Nutzen, an unsere eigene Ermunterung, sondern vor allem an die Verherrlichung des Herrn zu denken haben. Wir müssen durch seine Gedanken und durch seinen Willen geleitet zu werden suchen, und nicht nur an uns selbst, sondern auch an den Segen anderer denken; aber unser eigenwilliges Fernbleiben „von dem Ort, wo es gebräuchlich ist, das Gebet zu tun“, wird ein „solches Resultat sicher nicht herbeiführen und keiner Seele zum Nutzen“ sein. Es bleibt daher eine nicht zu bestreitende Wahrheit, dass ein jeder, welcher sich eigenwillig fernhält von der Versammlung der Gläubigen, sich in keinem guten Zustand befinden kann. Eine gottesfürchtige, ernste und glückliche Seele wird dieses sicher nicht tun.
Dieses führt uns naturgemäß noch zu einer anderen moralischen Bedingung des Gebets. Wir lesen in Lukas 18,1–8: „Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis dafür, dass sie jederzeit beten und nicht nachlassen sollten, und sprach: Es war ein gewisser Richter in einer großen Stadt, der Gott nicht fürchtete und vor keinem Menschen sich scheute. Es war aber eine Witwe in jener Stadt; und sie kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht vor meinem Widersacher! Und eine Zeitlang wollte er nicht: danach aber sprach er bei sich selbst: Wenn ich auch Gott nicht fürchte und vor keinem Menschen mich scheue, so will ich doch, weil diese Witwe mir Mühe macht, ihr Recht verschaffen, damit sie nicht unaufhörlich komme und mich quäle. Der Herr aber sprach: Hört was der ungerechte Richter sagt! Gott aber, wird Er nicht ausführen das Recht seiner Auserwählten, die Tag und Nacht zu Ihm schreien, und Er in Bezug auf sie langsam sein? Ich sage euch, dass Er ihr Recht schnell ausführen wird.“ – Hier wird unsere Aufmerksamkeit auf die wichtige Bedingung der Beharrlichkeit im Gebet gelenkt. Die Gläubigen müssen je derzeit beten und nicht nachlassen. Wir haben gesehen, dass unsere Gebete der Ausdruck eines gefühlten und bestimmten Bedürfnisses sein müssen, welches wir einmütig mit Zudringlichkeit, mit Vertrauen und Beharrlichkeit vor Gott bringen, bis Er uns eine Antwort sendet. Und diese wird nicht ausbleiben, wenn die Grundlage und die moralischen Bedingungen aufrechterhalten werden. Aber wir müssen anhalten und nicht nachlassen im Gebet, wenn die Antwort auch nicht sobald erfolgt, wie wir erwartet haben. Es kann Gott gefallen, uns zu üben, indem Er uns Tage, Monden, ja vielleicht Jahre warten lässt. Diese Übungen sind gut und dem Willen Gottes gemäß; sie sind heilsam und geeignet, uns wirklicher zu machen, indem sie uns zu der Wurzel der Sache führen. Man betrachte z. B. den Propheten Daniel, welcher „drei volle Wochen“ trauerte, während er in einer tiefen Seelenübung auf Gott harrte. Er sagt: „An selbigem Tag war ich, Daniel, drei volle Wochen trauernd. Köstliche Speise aß ich nicht, und weder Fleisch noch Wein kam in meinen Mund; auch salbte ich mich nicht, bis drei volle Wochen erfüllt waren“ (Dan 10,2–3). Diese Zeit der Absonderung und des Harrens war für Daniel nützlich, denn er erntete eine tiefe Segnung aus den Übungen, durch welche er drei Wochen lang zu gehen hatte. Und es ist besonders beachtenswert, dass die Antwort auf seinen Ruf schon im Anfang seiner Übungen von dem Thron Gottes ausgesandt war; denn wir lesen in Vers 12: „Und er sprach zu mir: Fürchte dich nicht, Daniel! denn von dem ersten Tage an, da du dein Herz darauf gerichtet, um zu verstehen, und um dich zu demütigen vor dem Angesicht deines Gottes, sind deine Worte gehört worden; und um deiner Worte willen bin ich gekommen. Und der Fürst des Königreichs von Persien stand mir gegenüber ein und zwanzig Tage; und siehe, Michael, einer der ersten Fürsten, kam, mir zu helfen, und ich trug daselbst den Sieg davon bei den Königen von Persien. Und ich bin gekommen, dich verstehen zu lassen, was deinem Volk begegnen wird am Ende der Tags.“ – Wie wunderbar und geheimnisvoll ist dieses alles! Während der geliebte und treue Diener Gottes hienieden in Trauer und Betrübnis auf Gott harrte, war der Bote mit der Antwort schon unterwegs; allein es wurde dem Feind gestattet, denselben aufzuhalten. Aber Daniel verharrte im Gebet, bis ihm die Antwort zur passenden Zeit zu Teil wurde. Enthält dieses nicht eine Belehrung für uns? Es ist möglich, dass auch wir zuweilen in Geduld und in dem heiligen Vertrauen des Glaubens längere Zeit warten müssen; aber wir werden erfahren, dass diese Zeiten des Harrens die nützlichsten für unsere Seelen sind. Sehr oft findet es Gott in seiner Weisheit und Treue für gut, in solcher Weise mit uns zu handeln und mit der Antwort zu zögern, bloß um uns bezüglich der Wirklichkeit unserer Gebete zu prüfen. Die Hauptsache ist, dass wir einen durch den Heiligen Geist eingegebenen Gegenstand haben, welchen wir vor Gott bringen, indem wir auf Ihn und sein treues Wort warten und im Gebet verharren, bis wir das, was wir erwarten, erlangt haben. Der Apostel mahnt: „Zu jeder Zeit betend mit allem Gebet und Flehen in dem Geist, und eben dazu wachend mit allem Anhalten und Flehen für alle Heiligen“ (Eph 6,18).
Dieses alles erfordert unsere ernsteste Aufmerksamkeit. Wir ermangeln ebenso sehr des Anhaltens, als auch der Genauigkeit und der Zudringlichkeit in unseren Gebeten. Daher die Kraftlosigkeit dieser Gebete, sowie die öftere Kälte der Herzen in unseren Gebetsstunden, welche zuweilen nichts anders als eine ermüdende Gewohnheit sind, und nur ein aufeinander folgendes Absingen von Liedern und ein Hersagen von kraft– und salbungslosen Worten liefern. O möchten doch alle gläubigen Leser dieser Zeilen dieses alles im Licht Gottes prüfen! Ist denn der Mangel an Kraft in unseren Zusammenkünften nicht fühlbar genug? Woher kommt die Erschlaffung am Tisch des Herrn, diese Hemmung und Schwäche bei der Feier eines so herrlichen Festes, welches unseren inneren Menschen bis in sein tiefstes Wesen beleben sollte? Woher dieser Mangel an Salbung, Kraft und Erbauung in unseren Vorträgen? Woher die mangelhaften Resultate in unserem Dienst des Evangeliums und die geringe Wirkung des Wortes auf unsere Herzen?
Vielgeliebte Brüder! Lasst uns aufwachen, um diesen wichtigen Gegenstand geziemend zu würdigen. Begnügen wir uns nicht mit dem gegenwärtigen Zustand der Dinge. Wir bitten alle, welche die Wahrheit dessen, was wir in diesen Zeilen über das Gebet und die Gebetsversammlungen vorgestellt haben, erkennen, sich mit ganzem Herzen zu brünstigem Gebet und Flehen Gott gemäß zu vereinigen. Lasst uns Ihm nahen wie ein Mann und uns vor dem Thron der Barmherzigkeit niederbeugen und mit Anhalten auf Gott harren, dass Er unseren Eifer belebe zur Förderung seines Evangeliums und zur Auferbauung seiner Heiligen; denn nur auf diesem Weg werden unsere Zusammenkünfte wirkliche Gebetsstunden sein, in denen wir unsere Bedürfnisse an das Herz unseres Gottes legen und auf seine Güte hoffen. Dann werden unsere Versammlungen eine Segensstätte sein, von wo aus die Kinder Gottes einstimmig dem Thron Gottes nahen, um in die Schätze des Himmels einzudringen und dort alles das in Empfang zu nehmen, was sie für sich selbst, für ihre Häuser, für die ganze Kirche Gottes und den Weinberg Christi nötig haben.
Einen solchen Charakter werden unsere Gebetsversammlungen tragen, wenn wir uns durch das Wort Gottes belehren lassen! O möchten sie denselben doch an allen Orten verwirklichen! Möchte der Geist Gottes uns alle erwecken und beleben und uns den Wert, die Wichtigkeit und die so unerlässlich notwendige Einstimmigkeit, sowie das Vertrauen des Glaubens, die Wirklichkeit, die Zudringlichkeit und die Beharrlichkeit in all unseren Gebeten und Gebetsversammlungen in kräftiger Weise fühlen lassen!
Fußnoten
- 1 Siehe auch 2. Chr 6,13; Dan 6,11; Esra 9,5; Jes 45,23; Apg 9,40; 21,5; Röm 14,11; Phil 2,10; Eph 3,14; Off 4,10; 5,14 usw.
- 2 Es ist sehr beachtenswert, hier „Maria, die Mutter Jesu“, unter denen genannt zu finden, welche an der Gebetsversammlung Teil nahmen. Was würde sie gedacht haben, wenn ihr früher jemand gesagt hätte, dass später Millionen bekennender Christen sich in ihren Gebeten an sie selbst richten würden?