Botschafter des Heils in Christo 1875
Die zugerechnete Gerechtigkeit - Teil 1/2
Es ist sehr beachtenswert, dass die Schrift weder von einer uns „zugerechneten Gerechtigkeit Christi“, noch überhaupt von der „Gerechtigkeit Christi“ redet, sondern stets, wie in der oben angeführten Stelle, von der „Gerechtigkeit Gottes.“ Der Heilige Geist muss dabei eine Absicht haben, und sicher zunächst, um unsere Aufmerksamkeit auf Gott selbst zu lenken und uns seinen Charakter und seine Eigenschaften in ihrer vollkommenen Übereinstimmung und Harmonie, sowie seine Gerechtigkeit in dem Rechtfertigen des Sünders vorzustellen. Der Weg dazu ist das versöhnende Blut Christi.
Die Psalmen beschäftigen sich in der eingehendsten Weise mit diesem Gegenstand. So lesen wir z. B. in Psalm 71 die Worte: „Durch deine Gerechtigkeit hilf mir aus und errette mich“ (V 3). „Mein Mund soll erzählen deine Gerechtigkeit“ (V 15). „Ich will in Erinnerung bringen deine Gerechtigkeit“ (V 16). „Auch ist deine Gerechtigkeit, o Gott, bis zur Höhe“ (V 19). „Auch meine Zunge wird sprechen von deiner Gerechtigkeit den ganzen Tag“ (V 24). Der Geist Christi, der in den Psalmen redet, ist unerschöpflich in Lobeserhebungen bei dem herrlichen Anblick der Gerechtigkeit Gottes, die in der Ewigkeit zu preisen ist, und deren Herrlichkeit die ganze Erde erfüllt. Es ist daher von der höchsten Wichtigkeit, dass Gott betrachtet wird als in vollkommener Übereinstimmung mit sich selbst bezüglich dessen, worin Er zu allen geschaffenen Wesen steht; und dieses ist die Gerechtigkeit. In Daniel 6 finden wir eine treffende Erklärung dieses Grundsatzes. Das Gesetz der Meder und Perser war unwiderruflich: es konnte nicht aufgehoben werden. Der König musste die vollkommene Handhabung desselben fordern. Daniel hatte das Gesetz übertreten; und wie ungerecht dasselbe auch an und für sich war, so änderte dieses doch die Sachlage nicht. Darms liebte den Jüngling in der innigsten Weise. Aber das Gesetz der Meder und Perser forderte, dass Daniel sterben, dass er in die Löwengrube geworfen werden sollte. Und wenn nun der König dieser Forderung nachgab, wo blieb dann seine Liebe? Hätte er aber das Leben seines Günstlings geschont, wo blieb dann seine Gerechtigkeit als König der Meder und Perser? Das war die Schwierigkeit. Der König bot alles auf, ihn zu retten, ja, bis zum Untergang der Sonne war er damit beschäftigt, ihn zu befreien. Aber die Liebe allein konnte ihn nicht retten. Daniel musste unbedingt in die Löwengrube geworfen werden; und dieses geschah in der Tat. Auf den großen Stein, der die Öffnung der Grube verschloss, ward das Siegel des Königs gedrückt, und das war das Ende des Gesetzes der Meder und Perser. Doch der lebendige Gott verschloss das Maul der Löwen. Eine Nacht der Traurigkeit schwand dahin; aber der folgende Morgen war ein Augenblick des Jubels. Daniel ward unversehrt aus der Grube hervorgezogen. Ein herrliches Vorbild von Tod und Auferstehung! Daniel lebte und ward hoch erhoben; und Darius handhabte seine Gerechtigkeit als König der Meder und Perser. Wenn nun aber ein menschliches Wort, selbst ein gottloses Gesetz nicht konnte gebrochen und aufgehoben werden, wie würde denn der Ausspruch des allein heiligen Gottes verändert und bei Seite gestellt werden können? „Nicht ein Mensch ist Gott, dass Er lüge, noch ein Menschensohn, dass Ihn etwas gereue. Sollte Er sprechen und nicht tun, und sollte reden und es nicht bestätigen?“ (4. Mo 23,19) Er ist heilig, und sein Urteil über die Sünde ist der Tod. Aber wie gesegnet ist es zu wissen und es aussprechen zu dürfen, dass Gott den Sünder liebt. Nun aber ist die Frage: Wenn Gott den Sünder schont, wo bleibt dann seine Gerechtigkeit? Und wenn Er den Sünder vertilgt, wo bleibt dann seine Liebe? Die Liebe des Darius konnte den Daniel nicht retten, und ebenso kann die Liebe Gottes den Sünder nicht schauen oder erlösen; denn dieses würde auf Kosten seiner Gerechtigkeit geschehen müssen. Die Innigkeit der Liebe Gottes gegen den Sünder kann nicht durch Worte ausgedrückt werden; aber Gott kann sich als der Regent des ganzen Weltalls nicht verleugnen.
Die Frage in dem Buch Hiobs: „Wie sollte ein Mensch gerecht sein bei Gott?“ (Hiob 25,4) verlangt also eine Antwort. Ich glaube, dass diese Frage zuerst in dem Brief an die Römer beantwortet worden ist. Der Gegenstand der ersten acht Kapitel dieses Briefes ist die Enthüllung der Gerechtigkeit Gottes in der Beurteilung der Sünde, während Er dennoch den Sünder, welcher glaubt, rechtfertigt.
Die Liebe Gottes war in der Hingabe seines eingeborenen Sohnes in ihrer ganzen Fülle ans Licht getreten. Aber die Liebe Gottes allein ist nicht die frohe Botschaft, welche dem verlorenen Sünder einen beständigen Frieden schenkt. Paulus war abgesondert für das Evangelium Gottes. Und dieses Evangeliums schämte er sich nicht; „denn es ist Gottes Kraft zum Heil jeglichem Glaubenden, beides, dem Juden zuerst und dem Griechen“ (Röm 1,16). Was ist nun der vornehmste Punkt in dieser wunderbaren frohen Botschaft? Die Antwort ist: „Denn Gottes Gerechtigkeit wird darin offenbart aus Glauben zu Glauben, wie denn geschrieben steht: ‚Der Gerechte aber wird aus Glauben leben.‘“ (V 17) Dies ist der große Gegenstand dieses Briefes, den der Sünder vor allem zu kennen nötig hat: Die Gerechtigkeit Gottes aus Glauben. Der Apostel beginnt damit zu beweisen, dass keine menschliche Gerechtigkeit bestehe, noch bestehen könne, als nur auf dem Grund des Glaubens. Im ersten Kapitel beweist er, dass der Mensch ohne Gesetz ganz und gar gesetzlos ward und, sich selbst überlassen, in das tiefste Verderben hinabsank. Der Zustand der Heiden bezeugt dieses (Röm 1,21–32). Der Mensch aber unter Gesetz übertrat dasselbe und versank, wo möglich, noch tiefer als die Heiden. Der Zustand Israels bezeugt dieses (Röm 2,17–29). Aus Gesetzes Werken war keine Rechtfertigung möglich: denn die ganze Welt ist dem Gericht Gottes verfallen (Röm 3,19). Das Gesetz machte die Sünde nur offenbar. Je mehr der Mensch es zu vollbringen trachtet, desto mehr zeigt er seine ganze Verderbtheit. „Das Gesetz kam daneben ein, auf dass die Übertretung überströmend sei“ (Röm 5,20). Welch ein Wunder nun, dass diese so tief eingewurzelte, einem jeglichen anklebende Ungerechtigkeit eine Ursache zur Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes sein musste! Denn als der Zustand des Menschen so schrecklich war, wie er nur werden konnte, offenbarte sich die Gnade Gottes, um den Menschen zu erlösen und zu rechtfertigen, und dieses alles in völliger Übereinstimmung mit seiner vollkommenen Gerechtigkeit. So musste es sein, weil der Mensch keine Gerechtigkeit besaß und, wie die Schrift und die eigene Erfahrung es bezeugen, auf Grund des Gesetzes nicht irgendwelche Gerechtigkeit besitzen kann; denn wir lesen: „Nun aber ist, ohne Gesetz, Gottes Gerechtigkeit offenbart worden, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten; Gottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus zu allen hin und auf alle, die da glauben“ (Röm 3,21–22). Prägen wir es uns tief ein, dass allein „die Erlösung, die in Christus Jesus ist“, die Grundlage bildet; denn „wir werden aus freier Gabe gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist; welchen Gott vorgestellt hat zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben an sein Blut, zur Erweisung seiner (Gottes) Gerechtigkeit wegen des Hingehenlassens der vorher geschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes; zur Erweisung seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, dass Er gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesus ist“ (Röm 3,24–26). Die folgenden fünf Kapitel erklären, in welcher Weise dieses geschieht. Bevor wir jedoch darauf unsere Aufmerksamkeit richten, ist es wichtig zu bemerken, dass es die Aussprüche Gottes sind, wenn wir lesen: „dass ein Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzes Werke“ (Röm 3,28). Darum ist es auch kein Wunder, dass jemand, welcher aus Gesetzes Werken gerechtfertigt zu werden trachtet, nimmer Frieden und Ruhe für seine gebeugte Seele finden kann.
Aus diesem Grund führt der Apostel zwei Fälle an, um zu zeigen, dass die Rechtfertigung stets den Glauben und nie die Werke zur Grundlage hat – ein deutlicher Beweis für den gefallenen Zustand des Menschen, der von etlichen so hartnäckig geleugnet wird.
Zunächst Abraham. Für die Juden musste dieses ein Ärgernis sein. Mochte Abraham auch vor den Menschen ein gerechter und rechtschaffener Mann sein, vor Gott wurde ihm die Gerechtigkeit auf dem Grund des Glaubens zugerechnet. „Denn was sagt die Schrift? Abraham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet“ (Röm 4,3).
Es würde nun ein großer Irrtum sein, zu denken, als ob Christus das Gesetz für mich erfüllt habe und dieses mir zur Gerechtigkeit gerechnet werde. Denn dieses würde mich, vorausgesetzt dass ich ein Jude sei, nur auf Grund der Erfüllung des Gesetzes gerecht machen, eine Sache, die Gott als unmöglich bezeichnet (Röm 3,30). Nirgends lehrt uns die Schrift, dass das Leben Jesu, als die Erfüllung des Gesetzes dem Übertreter des Gesetzes zugerechnet werde, so dass dieser im Stande sei, vor Gott in der Gerechtigkeit zu stehen, die das Gesetz fordert. Es wird viel mehr verlangt. Es war für den heiligen Christus unmöglich, mit einem sündigen Geschöpf vereinigt zu werden. Hätte der Herr auch stets in unbefleckter Gerechtigkeit auf Erden gelebt, so hätte Er dennoch allein bleiben müssen. Deutlich sagen uns dieses die Worte Jesu: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein; wenn es aber stirbt, so bringt es viele Frucht“ (Joh 13,24). Der Herr selbst erklärt, dass diese Worte sich auf seinen Tod beziehen; und wenn daher jemand das Leben haben will, so muss er Ihm in diesen Tod folgen. Der große Irrtum unserer Tage ist, dass so viele die Verbesserung oder Veredlung des alten Menschen für möglich halten, während Gott erklärt, dass das Alte, als etwas ganz Unverbesserliches, vergangen und alles neu geworden ist.
Wir lesen: „Abraham glaubte Gott.“ Was glaubte er? Er glaubte, was Gott sagte, weil Gott es sagte. Das ist der große Punkt, auf welchen es bei wahrhaftigem Glauben ankommt. Wenn ich das einfache Wort Gottes nur dann glaube, wenn die Kirche oder irgendein Mensch es bestätigt, so glaube ich Gott überhaupt nicht. Abraham hatte nichts als Gottes Wort, es gab keine Kirche, bei welcher er eine Bestätigung desselben einholen konnte; die Welt war voll von Abgötterei. Er konnte auch seine eigene Meinung nicht zu Rat ziehen. Er sah seinen eigenen, schon erstorbenen Leib nicht an. Und in den Worten, die Gott zu ihm sprach, in der Verheißung des kommenden Samens wurde nach dem Grundsatz der Auferstehung dem Glauben der Tag Christi offenbart. „Wie geschrieben steht: Ich habe dich zum Vater vieler Nationen gesetzt vor dem Gott, dem er glaubte, der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ruft, als seiend“ (Röm 4,17). Also glaubte Abraham an den Gott der Auferstehung, nach demselben Grundsatz, wie wir, nur ist es für uns deutlicher, da Christus für uns gestorben und auferstanden ist.
Das zweite Vorbild ist David. Es ist ohne allen Widerspruch, dass dieser Mann unmöglich auf dem Grund der Beobachtung des Gesetzes gerechtfertigt werden konnte. Er hatte dasselbe vielmehr selbst vor den Augen der ganzen Welt schändlich übertreten. Auf welchem Grund konnte er nun gerechtfertigt werden? Nur auf dem Grund des Glaubens. Aber auf wen stützte sich sein Glaube? Ohne Zweifel auf den Gott der Auferstehung, wie Petrus in Apostelgeschichte 2,24 und 32 sagt. Und dasselbe teilt uns Paulus mit (Apg 13,34–37). Die Gewissheit stand so klar vor den Augen Davids, dass er sagte: „Ich werde schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit, werde erfüllt werden, wenn ich erwache, mit deinem Bild“ (Ps 17,15). Nicht als ob der Glaube Verdienste hätte, und als ob dieser Verdienst zur Gerechtigkeit gerechnet würde. Nein, der Glaube kann mit dem Auge verglichen werden. Das Auge würde nichts sehen, wenn es finster wäre, und auch das Licht würde nutzlos sein, wenn kein Gegenstand zum Anschauen vorhanden wäre. Der Glaube ist eine Gabe Gottes. Gott sagt: „Es werde Licht“, und Gott offenbart durch den Heiligen Geist den herrlichen Gegenstand des Glaubens. Der Glaube Abrahams und Davids schaute Christus in der Auferstehung an; und dieses ward ihnen zur Gerechtigkeit gerechnet. Welch ein glückseliger Zustand ist diese Rechtfertigung, worin Gott nicht nur die Sünden vergeben hat, sondern worin Er denen, die sich darin befinden, die Sünde nicht zurechnen will!
Sehen wir jetzt, wie das Vorbild des Glaubens Abrahams auf uns angewandt wird. „Es ist aber nicht allein seinetwegen geschrieben, dass es ihm zugerechnet worden, sondern auch unsertwegen, denen es zugerechnet werden soll, die wir an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, von den Toten auferweckt hat, welcher unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist“ (Röm 4,23–25). Es ist sehr beklagenswert, dass dieser herrliche Teil des Evangeliums so sehr aus dem Auge verloren ist. Wie kann in diesem Fall die Gerechtigkeit Gottes verstanden werden? Nur wenn die Rechtfertigung durch die Auferstehung verstanden wird, verschwindet bezüglich der zugerechneten Gerechtigkeit jede Spur von Schwierigkeit. Die Behauptung, dass in der Rechtfertigung nur die Vergebung der Sünden verstanden sei, verrät eine völlige Unkenntnis mit der Lehre in Bezug auf die Auferstehung. Wenn wir die Bedeutung der Rechtfertigung in der Schrift mit Aufmerksamkeit betrachten, so tritt es sogleich ins Licht, wie töricht es ist, dieselbe in die Grenzen der Sündenvergebung einsperren zu wollen. David sagt zu Gott: „An dir, an dir allein habe ich gesündigt und das Böse in deinem Auge getan, damit du gerechtfertigt seist in deinem Reden, rein in deinem Richten“ (Ps 51,4). Wenn man hier die beschränkte Bedeutung von Sündenvergebung auf das Wörtchen „gerechtfertigt“ anwenden wollte, dann hätte ja David gesündigt, damit Gott Vergebung finden möchte. Dieses Zeigt klar, dass die Behauptung, die Rechtfertigung bezeichne nur die Vergebung der Sünden, nichts als die traurigste Unwissenheit verrät. Es ist daher von großer Wichtigkeit, ein richtiges Verständnis von dem doppelten Charakter der Rechtfertigung zu haben, und zwar im Blick sowohl auf die Gerechtigkeit Gottes, als auch auf den Genuss des Friedens mit Ihm. Diesen zweifachen Charakter finden wir in Römer 5 sehr deutlich vor unsere Augen gestellt. Hier lesen wir von der „Rechtfertigung durch das Blut Christi“ (V 9) und von der „Rechtfertigung des Lebens“ (V 18), das eine ist die Rechtfertigung von allem, was ich gewesen bin, die vollkommene Reinigung von den Sünden; das andere, die Rechtfertigung des Lebens, besitzt ein jeglicher, der also gereinigt ist. Der Tod unseres anbetungswürdigen Stellvertreters – sein Blut – bewirkt das eine; die Auferstehung Christi ist die Quelle des anderen. Er ist „unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden.“ Der Tod Christi auf dem Kreuz ist der Grund von allem. Dieses leugnen, hieße Gott zum Lügner machen. Gott sagt zu uns: „Christus ist, da wir noch kraftlos waren, zu seiner Zeit für Gottlose gestorben – der Gerechte für die Ungerechten, auf dass Er uns zu Gott führe.“ – „Welcher selbst unsere Sünden an seinem Leib auf das Holz getragen hat.“ „Christus ist einmal geopfert, um vieler Sünden zu tragen.“ „Der sich selbst hingab für unsere Sünden.“ „Er ist um unserer Übertretungen willen verwundet.“ „Er ist gestorben für unsere Sünden nach den Schriften.“ Wer diese Dinge leugnen wird, der wird am Tag des Gerichts erfahren, dass es sich hier nicht um irgendeine Ansicht handelt. Der Glaube an Gott und an das, was Er so deutlich offenbart hat, ist der seligmachende Glaube, das Gegenteil ist verdammungswürdiger Unglaube. Einen Mittelweg gibt es nicht. Das gesegnete Werk ist vollbracht. Christus ist gestorben, der Gerechte für die Ungerechten. Unser Auge ruht auf Ihm, unserer Sicherheit, der unseren Platz eingenommen hat, um unserer Sünden willen verwundet und um unsertwillen nicht geschont worden ist. Die Liebe Gottes durfte, so Er anders in Bezug auf unsere Rechtfertigung gerecht sein wollte, seinen eigenen Sohn nicht verschonen. Der Kelch konnte nicht an Ihm vorübergehen. Wenn das Herz des Darius niedergebeugt war, weil er den Daniel nicht befreien durfte, was wird das Herz des Vaters gefühlt haben, als Er seinen viel geliebten Sohn im Garten Gethsemane liegen sah und Ihn an das Kreuz heften musste? O wohl mochte der leidende Herr ausrufen: „Mein Gott, mein Gott! warum hast du mich verlassen?“ O wer vermochte die Liebe Gottes für uns, die armen Sünder, zu fassen, da Er seinen eigenen Sohn nicht verschonte? Christus starb den schmählichen Tod des Kreuzes, der Schoß der Erde nahm Ihn auf; ein großer Stein ward vor die Öffnung des Grabes gewälzt, und wie einst die Löwengrube Daniels, so wurde auch sein Grab versiegelt. Das war das Ende aller Forderungen des Gesetzes: es war bis auf den letzten Punkt erfüllt. Um die, welche unter dem Gesetz waren, zu befreien, trug Er ihren Fluch. Um uns, die Nationen, die wir ohne Gesetz waren, zu erlösen, „ward Er zur Sünde gemacht, auf dass wir Gerechtigkeit Gottes würden in Ihm.“
Das Gesetz konnte nur bis an den Tod gehen; aber Gott konnte weitergehen. Wo das Gesetz endigte, da begann Gott. Gott weckte Ihn auf aus den Toten; und also ist Christus der Anfang, der Erstgeborene aus den Toten (Kol 1,18), und Er ist durch sein Sterben „des Gesetzes Ende, jedem Glaubenden zur Gerechtigkeit“ (Röm 10,4).
Wenn Darius so außerordentlich glücklich war, als er am folgenden Morgen zur Grube kam, und Daniel aus der Löwen Mitte, gleichsam wie aus den Toten, auferstand, wie groß muss dann die Freude Gottes an jenem Morgen gewesen sein, als die Weiber zum Grab kamen, und Jesus aus den Toten auferstanden war? Darius verkündigte Frieden allem Volk, und Daniel, der in der Grube des Todes gewesen, war lebendig und wurde erhöht, während seine Feinde in dieselbe Grube geworfen wurden. Es ist sicher ein treffendes Vorbild von dem Triumph Gottes durch das Kreuz Christi. Daniel lebte, und Darius hatte seiner Gerechtigkeit in der strengen Handhabung des Gesetzes freien Lauf gelassen.
Christus war der einzige, der das Leben in sich selber hatte, der es für die Seinen hingeben und wieder nehmen konnte. Er war tot und ist wieder lebendig. Er starb für unsere Sünden als unser Stellvertreter; Er ist unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden. Darum „gerechtfertigt aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.“ Wollen wir diesen Frieden genießen, so dürfen wir nicht allein bei dem Tod Christi stehen bleiben. Dieser Tod allein würde uns nichts nützen. Wenn Christus nicht auferweckt worden ist, so ist unser Glaube eitel, wir sind noch in unseren Sünden (1. Kor 15,17). Aber Er ist auferstanden aus den Toten und ist der Erstling derer geworden, die entschlafen sind. Wenn nun Gott unseren Stellvertreter nicht verschonen und dennoch gerecht bleiben konnte, wie kann Er denn gerecht sein und uns verurteilen, nachdem unser Stellvertreter eine vollkommene Versöhnung für unsere Sünden gemacht hat? Hat Ihn denn Gott nicht als den Bürgen unserer Gerechtigkeit aus den Toten auferweckt? Christus ist allezeit für uns in diesem vollkommen gerechtfertigten und reinen Zustand; und hier liegt, wie wir gleich sehen werden, die Rechtfertigung viel mehr, als die Vergebung der Sünden. Gesetzt, ein Gefangener wird vor den Schranken eines Gerichtshofes wegen irgendeines Vergehens für schuldig erklärt. Vielleicht wird er begnadigt: aber würde der Richter ihn als gerecht erklären können? Gewiss nicht, oder er mühte das Vergehen, dessen sich jener schuldig gemacht, rechtfertigen. Könnte er sagen: „Ich erkläre diesen Mann frei von aller Schuld; und zum Beweis, dass kein Flecken an seinem Charakter klebt, reiche ich ihm die Hand und nehme ihn als Gast in meinem Haus auf?“ Unmöglich würde der Richter also sprechen und dennoch gerecht sein können. Wie gesagt, ein Schuldiger kann Gnade oder Vergebung finden: aber gibt es denn keinen Unterschied zwischen Vergebung und Rechtfertigung? – Wählen wir ein anderes Beispiel. Ein Ladenbesitzer stellt die Regel auf, dass er jeden seiner Gehilfen, der sich eines Diebstahls schuldig mache, bestrafen werde. Kurz nachher begeht ein junger Mann dieses Verbrechen. Vielleicht ist derselbe wegen seiner sonstigen guten Eigenschaften ein Günstling seines Herrn. Aber wird dieser als der Prinzipal seines Geschäfts und als der Aufsteller jener Regel nicht seinen Charakter verleugnen, wenn er den jungen Dieb ohne jegliche Strafe dahingehen lässt? Nun in demselben Verhältnis steht Gott dem Menschen gegenüber. Der Mensch sündigte, und der Tod ist der Lohn der Sünde. Kann Gott nun das Leben des Menschen, dessen er sich durch die Sünde verlustig gemacht hat, verschonen und dennoch gerecht bleiben und seinen Charakter als Schöpfer aufrechterhalten? Unmöglich. Er kann sich selbst nicht verleugnen. Aber nachdem Jesus den Fluch getragen und als unser Stellvertreter die Sünden, als hatte Er sie selbst begangen, auf sich genommen und dafür den Tod am Kreuz geschmeckt hat, handelte Gott in Gerechtigkeit, als Er Ihn aus den Toten auferweckte, und handelt daher auch in Gerechtigkeit, indem Er uns durch den Glauben an das Blut Christi freispricht von allen Sünden. – Nehmen wir noch ein Beispiel. Jemand schuldet hundert Mark. Er kann die Schuld nicht leugnen. Aber wenn sich ein anderer für ihn verbürgt und die ganze Summe bezahlt, kann dann nicht gesagt werden, dass er nun frei von Schuld sei? Und wenn ich nun sehe, dass Christus die ganze Summe meiner vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Sünden bezahlt und – was noch mehr ist – Gott Ihn zu meiner Rechtfertigung aus den Toten auferweckt hat, muss ich dann nicht sagen, dass Gott, indem Er mich in Christus als gerecht erklärt, vollkommen gerecht ist? Jedenfalls. Gott ist also gerecht im Rechtfertigen des Sünders und würde nicht gerecht sein, wenn Er denselben, obwohl glaubend an Christus, verurteilte. Welch einen vollkommenen Frieden verleiht uns dieses! Oder hat dieses Bezug auf solche, welche eine eigene Gerechtigkeit aufzuweisen haben? O nein, denn „Gott erweist seine Liebe gegen uns, indem Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist. Vielmehr nun, da wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt sind, werden wir durch ihn errettet werden vom Zorn. Denn wenn wir, da wir Feinde waren, Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, vielmehr werden wir, da wir versöhnt sind, durch sein Leben errettet werden“ (Röm 5,8–10).
Im Verlauf unseres Kapitels (Röm 5) wird nun die Frage des Lebens klar ans Licht gestellt. Zunächst hat der Mensch, da er ein Sünder ist, sein Leben verwirkt. Der Tod ist zu dem ganzen Geschlecht Adams durchgedrungen, da alle, es sei unter oder ohne Gesetz, gesündigt haben. Wenn nun aber der Tod über das ganze Geschlecht Adams geherrscht hat, wie kann dann jemand das Leben besitzen? Der Apostel zeigt, dass dieses auf einer ganz anderen Grundlage stattfinden, dass das Leben aus einer ganz anderen Quelle hervorströmen müsse. Es ist das Leben des auferstandenen Christus. Es ist nicht eine Wiederherstellung des Lebens, welches durch die Sünde verloren ist. Vielmehr lesen wir: „Denn wenn durch die Übertretung des einen der Tod durch den einen geherrscht hat, so werden vielmehr die, welche die Überschwänglichkeit der Gnade und der freien Gabe der Gerechtigkeit empfangen, im Leben herrschen durch den einen Jesus Christus“ (Röm 5,17). Ja, das Leben, welches der Gläubige jetzt besitzt, ist die Gabe der Gerechtigkeit. Gott ist vollkommen gerecht in dem Mitteilen dieses Lebens, weil das Leben des fleckenlosen Stellvertreters freiwillig hingegeben ist. Zuerst gereinigt durch sein Blut, dann gerechtfertigt – ja, vielmehr, gerechtfertigt durch das Leben, das ist die Gabe der Gerechtigkeit. „So denn, wie durch eine Übertretung gegen alle Menschen die Verdammnis gerichtet ist, also durch eine Gerechtigkeit gegen alle Menschen die Rechtfertigung des Lebens“ (Röm 5,18).
Wenn nun jemand – um noch einmal auf das Vorbild Daniels zurückzukommen – zu jener Zeit gesagt hätte: „Wie kann dieser Daniel im Leben sein, da er doch verurteilt war, in die Löwengrube geworfen zu werden?“ so hätte Darms antworten können: „Ja, dieses ist jener Daniel, der in die Grube des Todes geworfen worden und daraus auferstanden ist.“ Das Urteil war vollstreckt und konnte nicht wiederholt werden. Ebenso ist es mit unserem hoch gepriesenen Herrn, der unseren Platz eingenommen hat. Er ist verurteilt; – Er ist gestorben; Er ist begraben; aber Er ist wieder auferstanden; und der Tod hat kein Recht mehr an Ihm, selbst nicht, wenn es sich um uns handelt. Einst hatte der Tod, weil Er für uns zur Sünde gemacht, Ansprüche auf Ihn; aber Er hat vollkommen freiwillig allen Ansprüchen genügt. Während daher Adam der erste von dem Geschlecht der dem Tod unterworfenen Sünder war, so ist Christus, der für die Seinen starb, der erste eines neuen Geschlechts, so dass das Leben, welches ich als Gläubiger besitze, nicht mein Leben ist, welches geschont und wiederhergestellt wurde, sondern das Leben des auferstandenen Christus, und darum ein gerechtes Leben. So sind also alle Gläubigen durch das Blut Christi von allem, was sie als Kinder Adams waren, gereinigt und in allem, was sie als Kinder Gottes in Christus sind, gerechtfertigt. Wir sind also gerechtfertigt durch sein Blut und werden vielmehr durch sein Leben errettet werden. Das ist etwas ganz anderes, als jenes unsichere, halbe Evangelium, welches in der Rechtfertigung nur die Vergebung der Sünden erblickt und dann die Zukunft ganz düster und ungewiss lässt, während es nach der Vergebung in Wirklichkeit keine andere Stütze anweist, als die eigene Gerechtigkeit.
„Denn wie durch des einen Menschen Ungehorsam die vielen in die Stellung von Sündern gesetzt sind, also sind auch durch den Gehorsam des einen die vielen in die Stellung von Gerechten gesetzt“ (Röm 5,19), Ich glaube, dass die Worte: „in die Stellung von Gerechten gesetzt“, selbst über unseren gegenwärtigen Zustand hinausgehen und sogar auf die Umwandlung unseres Leibes in der Auferstehung hinzielen, wo wir Ihn sehen und Ihm gleich sein werden. Dieses stand vor den Blicken unseres Herrn, als Er das Kreuz erduldete und die Schande nicht achtete. Darum sitzt Er nun zur Rechten Gottes und harrt dem Tag unserer Aufnahme entgegen. Sein unwandelbarer Gehorsam bis zum Tod hat alles entschieden. Wenn man uns fragt, welches die Gerechtigkeit sei, zu der wir gemacht werden sollen, so ist unseres Antwort: „Schaue hin auf den verherrlichten Menschen Christus Jesus, auf dessen Antlitz die Herrlichkeit Gottes strahlt; Ihm werden wir gleich sein.“ – Er sagt: „Die Herrlichkeit, die du mir gegeben, habe ich ihnen gegeben.“ Es kann kein Unterschied mehr vorhanden sein; denn Gott hat Ihn aus den Toten auferweckt; und Christus ist gen Himmel gefahren und hat als der Sohn des Menschen für uns die Herrlichkeit in Besitz genommen. Ist es möglich, dass Gott seinen Sohn um unserer Sünden willen ans Kreuz geheftet und Ihn um unserer Rechtfertigung willen wieder auferweckt hat, und dass Er uns schließlich nicht in die Herrlichkeit bringen sollte? Das ist unmöglich. Die vollkommene Gerechtigkeit Gottes fordert es eben, dass wir ewig mit seinem Sohn leben. Nichts kann Gott der Freude seines Herzens in Bezug auf unsere ewige Seligkeit berauben. „Denn welche Er zuvor gekannt hat, die hat Er auch zuvor berufen, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit Er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Welche Er aber zuvor bestimmt hat, diese hat Er auch berufen; und welche Er berufen hat, diese hat Er auch gerechtfertigt; welche Er aber gerechtfertigt hat, diese hat Er auch verherrlicht“ (Röm 8,29–30). Gott hat in der Tat alles so zusammengestellt, dass der Gläubige in Betreff dieser Herrlichkeit, wenn er dieselbe einst besitzen wird, nicht sicherer sein kann, als jetzt, wo er glaubt, was Gott sagt. Sehr beachtenswert sind auch noch die Worte: „Auf dass, gleich wie die Sünde geherrscht hat im Tod, also auch die Gnade herrsche durch die Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn“ (Röm 5,21). Welch eine Aussicht, Gott anschauen zu können in vollkommener Gerechtigkeit, als vollkommen gerecht bezüglich unserer Rechtfertigung, und wir dort gerecht und ohne Flecken und Runzel; und dieses alles vollbracht durch den Gehorsam Christi bis zum Tod! Die Worte Daniels sind erfüllt: Er hat eine ewige Gerechtigkeit zu Wege gebracht (Dan 9,24). Da dieses alles in all den Zeitaltern der Zeitalter sicher ist, so wird es den Gläubigen zugerechnet während der kurzen Periode, die noch verlaufen muss, bevor wir in den vollen Genuss der Freude eingehen.
Die Lehre der Zurechnung der Rechtfertigung ist daher so einfach als möglich. Zunächst ist sie darauf gegründet, dass Christus, nachdem Er Gott verherrlicht, in vollkommener Gerechtigkeit auferstanden ist. Das Lösegeld seines Blutes wird allen Glaubenden zugerechnet. Was ein Bürge getan hat, wird denen zugerechnet, für welche er sich verbürgt hat. Dann ist sie ferner darauf gegründet, dass unser Stellvertreter in der Herrlichkeit ist: denn was mit einem Stellvertreter geschieht, das ist für den geschehen, welchen derselbe vertritt. Welch eine Freude für das Herz, welches Jesus in der Herrlichkeit kennen gelernt hat! Es ist mit einem Wort das Einssein mit Christus in den Augen Gottes; wir sind mit Christus gestorben und auferstanden. Das ist die Lehre von Römer 6. Nicht unser alter Mensch wird durch Christus errettet und selig gemacht, sondern derselbe wird mit Ihm gekreuzigt und begraben. Mein Leben, mein eigenes ich, der alte Mensch, wird nicht erhalten oder veredelt, sondern gekreuzigt. Doch dieses ist nicht alles, sondern wir sind auch mit Ihm auferweckt. Also betrachtet uns Gott, und also sollen auch wir uns betrachten. „Haltet euch der Sünde für tot, Gott aber lebend in Christus Jesus“ (Röm 6,11). Dieses „Dafürhalten“ ist gleichbedeutend mit dem „Zurechnen.“ Und welches ist die Bedeutung? Gesetzt, ein Freund teilte euch brieflich mit, dass euch eine Erbschaft zugefallen sei. Sicher werdet ihr, wenn ihr seinen Worten glaubt, von dem Augenblick an diese Erbschaft als euer Eigentum betrachten. Wenn ihr sie wirklich in Besitz genommen habt, so werdet ihr nicht mehr nötig haben, sie noch ferner im Vertrauen auf den empfangenen Brief für euer Eigentum zu halten, sondern ihr werdet eure Erbschaft vor Augen haben. In dieser Weise glaube ich dem Wort Gottes, welches durch den Heiligen Geist auf mich angewandt wird. Ich preise den hochgelobten Herrn, der sein Blut für mich vergossen hat. Ich glaube, dass eine ewige Herrlichkeit und Gerechtigkeit in Ihm mein Teil ist, und zwar auf Grund der Gerechtigkeit Gottes. Ja, ich halte dafür während dieser Zeit der Trauer und des Kampfes, dass die zukünftige Herrlichkeit mein Teil ist. Gott rechnet sie mir zu. Er betrachtet wich als gestorben, auferstanden und verherrlicht mit Christus. Und das ist die Erlösung Gottes (Schluss folgt).