Botschafter des Heils in Christo 1875
Der Dienst in der Versammlung oder im Haus Gottes
In Israel waren die Priester und Leviten für Gott abgesondert: erstere, um Ihm zu nahen, Ihm Opfer darzubringen, letztere, um Ihm zu diesen. Die Leviten waren Erstlinge, die Gott geweiht wurden; sie nahmen die Stelle der Erstgeborenen ein, in welchen Gott Israel für sich genommen hatte, als Er alle Erstgeborenen der Ägypter schlug. So lesen wir in 4. Mose 3,12–13: „Und ich, siehe, ich habe die Leviten genommen aus der Mitte der Kinder Israel, anstatt aller Erstgeburt, welche die Mutter bricht, von den Kindern Israel; und die Leviten sollen mein sein, denn mein ist alle Erstgeburt. An dem Tag, da ich alle Erstgeburt im Land Ägypten schlug, habe ich mir alle Erstgeburt in Israel geheiligt, vom Menschen bis zum Vieh; sie sollen mein sein. Ich bin Jehova.“ Da nun aber die Zahl der Erstgeborenen die der Leviten überstieg, so mussten die übrigen, weil sie Gott angehörten, gelöst werden; und die Leviten wurden das Besitztum Gottes zu seinem Dienst. Sie wurden Aaron, dem Hohepriester, gegeben, und ihr Dienst stand mit dem Opferdienst in der innigsten Verbindung. Ohne diese Verbindung würde derselbe von keinem Wert gewesen sein.
Dasselbe findet seine Anwendung auf die Kirche oder Versammlung, nur mit dem Unterschied, dass nicht nur einige, sondern alle Glieder derselben sowohl zum Priestertum als auch zum Levitentum gehören. Der Apostel Petrus sagt zu allen Gläubigen: „Ihr seid als lebendige Steine aufgebaut, ein geistliches Haus, ein heiliges Priestertum, um darzubringen geistliche Opfer, Gott wohlannehmlich, durch Jesus Christus“ (1. Pet 3,5). Alle Gläubigen nahen Gott gleicherweise und stehen in derselben Beziehung zu Ihm. Der eine ist so nahe, wie der andere, und alle sind berufen, Ihm durch Christus „stets das Opfer des Lobes darzubringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen“ (Heb 13,15). – So wie ferner die Leviten für die Erstgeborenen in Israel das Eigentum Gottes waren, so ist auch die Versammlung in all ihren Gliedern, als Erstlinge der Welt, dem Herrn heilig. Wir sind erlöst, wir sind um einen teuren Preis erkauft, und deshalb gehören wir uns selbst nicht mehr an, sondern Gott, um Ihn durch unseren Geist und Leib, die sein sind, zu verherrlichen. Ebenso wie die Leviten dem Aaron, so sind auch wir Christus, dem Opferpriester, dem Oberhaupt des Hauses Gottes, gegeben, um den Dienst in seinem Haus zu verrichten. Dieser Dienst hängt ganz und gar von Christus in der Gegenwart Gottes ab und bezieht sich nur auf das, was Ihn betrifft, und auf das, was Er selbst in seinem Haus tut. Ohne die engste Verbindung mit Ihm ist dieser Dienst ganz wertlos und sogar verwerflich. Derselbe hat nur insofern einen wirklichen Wert, wie er in der Abhängigkeit von Christus geschieht und in seinen Einzelheiten mit unserer Gemeinschaft mit Ihm und mit seinem Opferpriestertum in Verbindung steht. Christus ist „Sohn über sein Haus, dessen Haus wir sind“ (Heb 3,6). Es gibt „Verschiedenheiten der Dienste, aber derselbe Herr“ (1. Kor 12,5). Der Heilige Geist gibt die Fähigkeit und die Gabe zum Dienen, aber als Diener Christi üben wir diese Fähigkeit und Gabe aus. Gott selbst ist es, der diesen Dienst, der sehr mannigfaltig und verschieden ist, regelt, indem Er einem jeden seinen besonderen Platz anweist. So tat Er es bei den Leviten (vgl. 4. Mo 4), und so tut Er es in der Versammlung. Wir sind alle Brüder unter einander und haben nur einen Meister. Dieser teilt einem jeglichen seine Gnadengaben aus, wie Er will, nach den Ratschlüssen Gottes, des Vaters. Es sind seine Diener, die Er sich nach seiner Weisheit und nach seinen Rechten zu den verschiedenen Diensten erwählt und über welche Er allein verfügt. Wer einerseits die Einheit der Gläubigen oder andererseits die Verschiedenheiten der Dienstleistungen leugnet, der leugnet das Wort und die Autorität Gottes. „Denn gleich wie wir in einem Leib viele Glieder haben, aber alle die Glieder nicht dieselbe Verrichtung haben, also sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, aber je einer des anderen Glieder“ (Röm 12,4–5).
Bevor ich in diesem Gegenstand weiter fortfahre, bemerke ich, dass es nicht meine Absicht ist, von den besonderen Gaben des Dienstes zur Vollendung der Heiligen zu reden, wie sie uns z. B. in Epheser 4,11–12 aufgezeichnet sind, wo wir lesen: „Er hat etliche gegeben als Apostel, und etliche als Propheten, und etliche als Evangelisten, und etliche als Hirten und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi.“ Christus, der hinaufgestiegen und als Mensch seinen Platz zur Rechten Gottes genommen und alles erfüllt hat, hat als Haupt seines Leibes diese Bedienung bewerkstelligt. Die Apostel und Propheten bildeten die Grundlage der Versammlung, während die Evangelisten, Hirten und Lehrer zum gewöhnlichen Dienst für alle Zeiten bestimmt sind. Jedoch ist, wie bereits bemerkt, eine nähere Beleuchtung dieser besonderen Gaben nicht der Zweck dieser Zeilen, sondern vielmehr wünsche ich, ein Wort über den Dienst der Versammlung, d. h. eines jeden Gliedes derselben zu reden.
In demselben 4. Kapitel des Epheserbriefes, wo die besonderen Gaben erwähnt sind, finden wir auch eine wichtige Ermahnung in Bezug auf den Dienst aller Glieder zur Auferbauung des Leibes Christi. Wir lesen in den Versen 15–16: ... „sondern der Wahrheit beflissen in Liebe, lasst uns heranwachsen in allem, zu Ihm hin, der das Haupt ist der Christus, aus welchem der ganze Leib, wohl zusammengefügt und zusammenbefestigt durch jedes Gelenk der Darreichung, nach der Wirksamkeit in dem Maß eines jeglichen Teiles, für sich das Wachstum des Leibes bewirkt zu seiner Selbstauferbauung in Liebe.“ – Christus ist in seiner ganzen Fülle offenbart worden, und nach dieser Fülle sollen die Glieder des Leibes gebildet werden; sie sollen zu ihr heranwachsen und dadurch dem Haupt immer ähnlicher werden; sie sollen in ihrer eigenen Seele der Wahrheit in Liebe zugeneigt sein. Wahrheit und Liebe gehen zusammen: die Wahrheit offenbart alle Dinge, zeigt ihr wirkliches Verhältnis zu einander und zu Gott, der in diesem allen die Liebe ist, und beide – Wahrheit und Liebe – finden ihren vollkommenen Ausdruck in Christus. Er ist unser Vorbild, und Er ist das Haupt, mit dem wir als Glieder seines Leibes verbunden sind. Von Ihm fließt, und zwar durch seine Glieder, jegliche Gnade, die notwendig ist, um das Werk der Auferbauung Ihm gemäß zu vollenden. Aus Ihm ist der ganze Leib wohlzusammengefügt und zusammenbefestigt, und durch die Wirkung seiner Gnade in jedem Glied wächst derselbe heran und erbaut sich selbst in Liebe. Dies ist die Stellung, welche die Versammlung Gott gemäß einnimmt, bis alle Glieder des Leibes heranwachsen zu dem Maß des Wuchses Christi – zu seiner Fülle.
Es ist klar, dass diese Stelle von dem Dienst aller Glieder zur Auferbauung des Leibes Christi redet. Alle Glieder sollen mit den Gedanken und den Reichtümern Christi erfüllt werden, um sich gegenseitig in Liebe zu bedienen und im Wachstum zu fördern. Doch ach! wie sehr haben die Gläubigen diese Freiheit und dieses Vorrecht aus den Augen verloren. Der alte Feind hat, wie immer, großen Schaden angerichtet, indem er die Untreue der Versammlung für seine boshaften Zwecke benutzt hat. Er ist wie ein Wolf in die Herde eingedrungen und hat die Schafe zerstreut. Die Einheit der Versammlung, des wahren Leibes Christi, ist in die verschiedenartigsten Parteien aufgelöst worden, die oft mit Neid, Eifersucht und Bitterkeit gegen einander erfüllt sind und sich gegenseitig lieblos verurteilen. Sie haben vergessen, oder bekennen es wenigstens nicht durch die Tat, dass sie die Schafe eines Hirten, die Glieder eines Leibes sind. Bei so vielen teuer erkauften Seelen ist nicht der Name Jesu das einzige Panier, um welches sie sich sammeln, sondern es sind Namen von Menschen oder gewissen Lehrsätzen. Und diese Namen und Lehrsätze sind die Barrieren, die sie zwischen sich und ihre Brüder, die Kinder desselben Vaters, die Glieder desselben Leibes stellen, um dadurch ihre Trennung von ihnen öffentlich auszudrücken. Ware der Name Jesu die einzige Grundlage des Zusammenkommens für alle Gläubigen (denn wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, da ist Er in ihrer Mitte) und wäre sein Tisch der einzige Sammelpunkt für alle Erlösten, so würde die Einheit des Leibes Christi auf der ganzen Erde dargestellt und von allen erkannt und gesehen werden. Wie sehr würde dadurch der Name des Herrn verherrlicht und der Segen der Versammlung vervielfältigt werden! Viele von dem Heiligen Geist für die Auferbauung des ganzen Leibes verliehene Gaben müssen sich wegen der großen Zerrissenheit der Versammlung auf einen ganz kleinen Teil beschränken. Gewiss, die vielen Parteien sind nur ein Hindernis für die Segnung und das Wachstum des Leibes Christi und eine Unehre für Gott und sein Wort.
Durch diese Fehler und Untreuen der Menschen, wie groß und mannigfach sie auch sein mögen, ist aber – Gott sei Dank! die Gnade und ihre Wirkung, welche zur Ernährung und zum Wachstum der Glieder des Leibes aus dem Haupt fließt, ebenso wenig vermindert, als die Liebe in dem Herzen des Herrn, aus welchem diese Gnade entspringt. Es ist wahr, wir haben viel gefehlt, wir haben Ihn nicht verherrlicht, haben das gesegnete Vorrecht, der Diener der Freude anderer zu sein, nicht benutzt, wie wir es hätten tun können: allein das Haupt hört nicht auf, zum Besten seines Leibes zu wirken und auf alle Weise seine zärtliche Sorge für alle Glieder an den Tag zu legen. In seinen Gedanken und in seinem Herzen – wie groß auch die Zerrissenheit der Versammlung, wie groß auch die Zahl der Parteien, in welche sie sich Zersplittert hat, sein mag – ist und bleibt sie nur eine Versammlung, nur ein Leib. Und glücklich der Glaube, der fähig ist, in diese Gedanken einzugehen und sie zu verwirklichen, wie es einst bei den frommen Königen von Juda, Hiskia und Josia, in Bezug auf das Volk Israel der Fall war! Für sie gab es nur ein Volk, das aus zwölf Stämmen bestand. Wenn sich auch dem menschlichen Auge seit vielen Jahren zwei völlig getrennte Volker darstellten, die sich sogar oft gegenseitig bekriegten und fremde Nationen zur Hilfe riefen – jene Männer luden alle, ganz Israel, zum Passah und zum gemeinschaftlichen Gottesdienst nach Jerusalem ein (2. Chr 30,34).
Ebenso handelt der Glaube jetzt in Bezug auf die Versammlung, wenn er anders Gott gemäß durch den Heiligen Geist geleitet wird, welcher alle Gläubigen, alle Glieder des Leibes Christi, wo Er sie irgend findet, einladet, sich im Namen Jesu zu versammeln zur Verkündigung seines Todes und zur Anbetung und Verherrlichung seines Namens. Ebenso handelt der Glaube. Das ist das gesegnete Vorrecht aller Gläubigen; das Wort Gottes schließt nur solche davon aus, die durch ihre Lehre oder ihr Leben den Herrn verunehren und anderen ein Ärgernis geben. Mag aber auch ein solcher Glaube und seine Tätigkeit, gleich den Boten des Hiskia, verlacht und verspottet werden, so wird ihn doch der Herr mit seinem Segen begleiten; und, gepriesen sei sein Name! schon Tausenden der Seinen hat Er in dieser letzten Zeit ein offenes Ohr und ein verständiges Herz gegeben, dass sie der Wahrheit gefolgt sind, und sie erfreuen sich der Wahrheit und verherrlichen den Herrn.
Diese Anerkennung der Einheit des Leibes Christi ist auch wesentlich nötig, um in der rechten Weise den Dienst ausüben zu können. Wie der Glaube alle umfasst, so auch die Liebe im Dienst. Man ist so gewohnt und so geneigt, diesen Dienst in die Hände Einzelner zu legen – abgesehen davon, in welch trauriger und ungöttlicher Weise dies meist geschieht. Und in der Tat gibt es solche, wie wir gesehen haben, die in besonderer Weise und mit besonderer Gabe zu diesem Dienst ausgerüstet und dafür verantwortlich sind. Allein alle Glieder des Leibes sind nach der in Epheser 4 angeführten Stelle, der noch andere hinzugefügt werden können, berufen und genießen das Vorrecht, Diener Christi für seinen Leib zu sein, und haben, ein jeder in seiner Weise, durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes das erlangt, was zur Auferbauung des Leibes nützlich und dienlich ist. Und ein jeder ist nach dem Maß der empfangenen Gabe und Fähigkeit für dieses Werk verantwortlich; ein jeder kann dem Wachstum des einzelnen Gliedes, und somit dem ganzen Leib, zum Nutzen oder zum Schaden sein. Wie ernst ist dieser Gedanke! Möge doch jeder gläubige Leser ihn beherzigen und mit Aufrichtigkeit vor Gott darüber nachdenken!
zunächst möchte ich nun auf zwei Worte der Schrift, auf zwei höchst beachtenswerte Grundsätze im Dienst aufmerksam machen. Der Prediger Salomo ermahnt: „Alles, was deine Hand zu tun findet, tue mit deiner Kraft“ (Kap 9,10); und der Prophet Sacharja ruft aus: „Wer verachtet den Tag kleiner Dinge?“ (Kap 4,10) Es wird sicher für den Diener gesegnet sein, wenn diese beiden Grundsätze während seines ganzen Dienstes einen Platz in seinem Herzen finden, obwohl die Erkenntnis Gottes und Christi und die Liebe zu Ihm, als die Frucht eines steten und vertrauten Umgangs mit Ihm und seinem Wort, die alleinige Quelle seiner Kraft im Dienst sind. Verwirklichen wir die Worte des Herrn: „Lernt von nur; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig“, so wird unsere Hand schnell und leicht etwas zu tun finden; nimmt seine Verherrlichung, sein wohlgefälliger Wille stets den ersten Platz bei uns ein, und ist die Liebe zu Ihm der alleinige Beweggrund unserer Bemühung, so werden wir alles von ganzem Herzen und mit all unserer Kraft tun. Das Fleisch liebt zu herrschen, Dinge zu wählen und zu tun, worin es glänzen kann, über das anvertraute Maß der Gnadengaben hinauszugehen und mit solchen Gaben zu dienen, die ihm bei Menschen Ehre und Ansehen verschaffen. Ein solcher Dienst aber, der weder die Verherrlichung Christi, noch das Wohl der Seelen zum Zweck hat, ist völlig verwerflich und wird immer, für uns und andere, nur zum Schaden ausschlagen. Wie gefährlich ist diese Klippe, und wie viele sind schon daran gescheitert! Sie haben mit einer Gabe zu dienen und zu glänzen gesucht, die sie entweder gar nicht, oder doch nur in einem sehr geringen Maße besaßen, und haben das, was ihnen verliehen war, vernachlässigt, weil es ihnen zu unwichtig und unbedeutend schien. Ach, wie viele Gelegenheiten, wie viele gesegneten Dienstleistungen lassen wir unbenutzt vorübergehen, wenn wir nach großen Dingen trachten und die kleinen geringschätzen! Wie oft gehen die Gläubigen, die in einem Haus wohnen, gleichgültig neben einander her, ohne die sich vielleicht täglich darbietende Gelegenheit zu benutzen, einander in Liebe zu dienen, sich gegenseitig nach Seele und Leib behilflich zu sein! Mancher beklagt sich über den Mangel an Gelegenheit, den Heiligen zu dienen, während er das, was „seine Hand zu tun findet“, übersieht, und „den Tag kleiner Dinge verachtet.“ Wir können sehr gesegnete und Gott wohlgefällige Dienstleistungen unbeachtet lassen, können Arme und Kranke, Witwen und Waisen in unserer Nähe, die des Trostes und der Ermunterung oder auch oft der äußeren Hilfe bedürfen, vernachlässigen, können junge Christen, die aus Mangel an Erkenntnis und Erfahrung so leicht vom rechten Wege abgelenkt werden, sich selbst überlassen und Zugleich sehr begierig sein, in der Versammlung zu reden oder uns auf andere Weise zu zeigen. Wenn wir nur ein einfältiges Auge und ein auf Christus gerichtetes und mit Liebe zu Ihm erfülltes Herz haben, so werden wir tausendfache Gelegenheit haben, Ihm auf eine wohlgefällige Weise zu dienen und zur Auferbauung seines Leibes nützlich zu sein. Möge der Herr durch seinen Geist eine stete Bereitwilligkeit und eine Ihm würdige Gesinnung zum Dienst der Heiligen in uns erwecken und vermehren!
Wenden wir uns jetzt zu den Briefen des Neuen Testaments, so finden wir viele Ermahnungen, die sich an alle Glieder des Leibes Christi wenden und das Wachstum und die Auferbauung durch dieselben bezwecken. Ich will hier nur einige dieser Stellen anführen, die der gläubige Leser mit Aufmerksamkeit lesen und beherzigen möge. Zunächst verweise ich auf Römer 12, wo wir von Vers 6–3 lesen: „Da wir aber verschiedene Gnadengaben haben, nach der uns verliehenen Gnade: es sei Weissagung, so lasst uns weissagen nach dem Maß des Glaubens; es sei Dienst, so lasst uns bleiben im Dienst; es sei, der da lehrt, in der Lehre; es sei, der da ermahnt, in der Ermahnung; der da mitteilt, in Einfalt; der da vorsteht, mit Fleiß; der da Barmherzigkeit übt, mit Freudigkeit.“ Freilich sind wir in den vorhergehenden Versen ermahnt, das empfangene Maß der Gabe nicht zu überschreiten, sondern ein demütiges Herz zu haben und uns stets bewusst zu sein, dass uns jede Gabe, ja alles, was wir besitzen, aus Gnaden geschenkt ist. Jedoch ist niemand von dieser Ermahnung ausgeschlossen; ein jeder hat in irgendwelchem Maß von der einen oder anderen dieser Gnadengaben zum Nutzen des Leibes empfangen und ist dafür verantwortlich. Noch weniger kann sich jemand ausschließen, wenn er Stellen, wie die folgenden, liest: „In der Bruderliebe seid herzlich gegen einander. In Ehrerbietung geht einer dem anderen voran ... an den Bedürfnissen der Heiligen teilnehmend, nach Gastfreundschaft trachtend“ (Röm 12,10.13). „Jeglicher von uns gefalle dem Nächsten zum Guten, zur Erbauung“ (Röm 15,2). „Durch die Liebe dient einander“ (Gal 5,13). „Lasst uns auf einander Acht haben zum Reizen der Liebe und guter Werke“ (Heb 10,24). „Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, gleich wie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“ (Eph 5,1).
Wir dürfen nie vergessen, dass uns Gott durch seine große Liebe, die Er uns in Christus erwiesen, zu Schuldnern der Liebe unter einander gemacht hat (1. Joh 4,11). Ja, wir sind sogar schuldig, unser Leben für die Brüder darzulegen, da Christus für uns sein Leben hingegeben hat (1. Joh 3,16). Wir sind Diener Christi und Schuldner der Liebe. Einerseits ist uns ein hohes Vorrecht zu Teil geworden, andererseits liegt eine ernste Pflicht auf uns. Wie vieles verlieren wir, wenn wir im Dienst der Liebe untereinander nachlässig und träge sind! Welch ein Schaden für uns und für die Versammlung, und – was über allem ist – welch eine Unehre für den Herrn! Mögen wir eine noch so wichtige und nützliche Beschäftigung in dieser Welt haben – es gibt keinen höheren Dienst, keine gesegnetere Arbeit als die Bemühung der Liebe unter den Seinen. Er betrachtet jeden Dienst, jede Bemühung der Liebe – klein oder groß – als Ihm persönlich bewiesen. O möchte die Liebe zu Ihm, der sein Leben für uns hingegeben hat, doch immer mehr zunehmen und überströmender sein!
Betrachten wir noch einige andere Stellen, die alle Gläubigen zum gegenseitigen Dienst ermahnen: „Brüder, wenn auch ein Mensch von einem Fehltritt übereilt würde, so bringt ihr, die Geistlichen, einen solchen wieder zurecht im Geist der Sanftmut, und siehe auf dich selbst, dass nicht auch du versucht wirst. Einer trage des anderen Last, und also erfüllt das Gesetz des Christus“ (Gal 6,1–2). „Seid aber gegen einander gütig, mitleidig, einander vergebend, wie auch Gott in Christus euch vergeben hat“ (Eph 4,32). „Wir ermahnen euch aber, Brüder: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, nehmt euch der Schwachen an, seid langmütig gegen alle. Seht zu, dass niemand Böses mit Bösem jemandem vergelte, sondern strebt allezeit dem Guten nach gegen einander und gegen alle“ (1. Thes 5,14–15). Paulus schreibt an Timotheus: „Gebiete den Reichen ... wohl zu tun, reich zu sein in guten Werken, freigebig, mitteilend usw“ (1. Tim 6,17–19).
Da ist ein weites Gebiet des Dienstes für jeden Gläubigen, wenn anders die Lieds Christi sein Herz erfüllt. Ist es sein Verlangen, dem Herrn zu dienen, so wird Er es ihm sicher an Gelegenheit nicht fehlen lassen und wird ihn in jeder Weise dazu befähigen, wenn er seine Augen auf Ihn gerichtet hält und sich stets der völligen Abhängigkeit von Ihm bewusst bleibt. Er kennt unsere Herzen und versteht unsere Gedanken von ferne. Er sah den Zachäus auf dem Maulbeerfeigenbaum und rief ihm zu: „Zachäus steige eilend hernieder! denn heute muss ich in deinem Haus bleiben“ (Lk 19,5). – Als der Herr im Begriff war, seinen Einzug in Jerusalem zu halten, sandte er zwei seiner Jünger in ein Dorf, um eine Eselin und ihr Füllen loszubinden und ihm zuzuführen. Und wenn der Besitzer derselben fragen würde: „Was macht ihr?“ so sollten sie einfach antworten: „Der Herr bedarf ihrer;“ und sogleich würde erste senden. – Wenige Tage später lässt der Herr durch seine Jünger einen Mann in der Stadt fragen: „Wo ist das Gastzimmer, da ich mit meinen Jüngern das Passah esse?“ Und dieser zeigte ihnen, wie der Herr vorhergesagt, einen mit Polstern belegten Obersaal. So kennt der Herr alle Herzen der Seinen und kommt auf alle Weise dem Verlangen, Ihm zu dienen, entgegen.
Weiter möchte ich bemerken, dass alle Gläubigen nicht nur das gesegnete Vorrecht haben, sich am Dienst in der Versammlung, sondern auch am Werk des Herrn zu beteiligen. Außer unserem persönlichen Zeugnis, wozu sich uns oft Gelegenheit bieten wird, wenn wir nur Mut und Bereitwilligkeit haben, es zu benutzen, ist es zunächst unser Gebet und unsere Fürbitte, sowohl für das Werk selbst und seine Ausbreitung, als auch für jene, die sich in besonderer Weise demselben widmen (vgl. Eph 6,18–19; Kol 4,3; 2. Thes 3,1–2). Ebenso können wir dadurch Teilnehmer des Werkes werden, dass wir die Arbeiter durch irdische Gaben unterstützen, sie auf ihren Reisen in unseren Häusern aufnehmen, sie geleiten, wenn es nötig ist, und ihnen auf allerlei Weise zum Werk behilflich und nützlich sind. Viele Ermahnungen und Ermunterungen bietet uns das Wort Gottes in dieser Beziehung dar (vgl. Phil 4,10–20; Gal 5,6; 1. Kor 9,14; 16,11; 3. Joh 1,6–8). Wo nur irgendein unterwürfiges und teilnehmendes Herz für Christus und sein Werk vorhanden ist, verbunden mit einem einfältigen Auge, da wird es nicht an Gelegenheit fehlen, dem Herrn zu dienen und seinen Namen zu verherrlichen.
Wenn wir vom Dienst aller Glieder des Leibes Christi zur Auferbauung seiner selbst reden, so ist es selbstverständlich, dass die Schwestern miteingeschlossen sind. Die Tätigkeit des öffentlichen Dienstes, alles, was zum so genannten Amt gehört, ist den Brüdern anvertraut; aber die Schwestern haben an einer sehr gesegneten Wirksamkeit in der Stille Anteil. In Bezug auf die öffentliche oder amtliche Tätigkeit sagt der Apostel: „Ich erlaube aber einem Weib nicht, zu lehren“ (1. Tim 2,12); und wiederum. „Eure Weiber sollen schweigen in den Versammlungen; denn es ist ihnen nicht erlaubt, zu reden, sondern unterworfen zu sein, ... denn es ist schändlich für ein Weib in der Versammlung zu reden“ (1. Kor 14,34–35). Anders aber liefert uns das Neue Testament schöne Zeugnisse über den gesegneten Dienst vieler gläubigen Frauen. Während der Herr selbst seinen Lauf hienieden vollendete, waren es eben Frauen, die Ihm mit ihrer Habe dienten (Lk 8,3). Dann lesen wir in Apostelgeschichte 9 von einer gewissen Jüngerin Tabita, die „voll guter Werks war und Almosen, die sie übte“, und die sich namentlich der Witwen in ihrer Trübsal annahm (V 36.39). Aquila und Priszilla nahmen Paulus in ihr Haus auf und begleiteten ihn auch nach Ephesus (Apg 18,2–3.18). Apollos, der dort in der Synagoge freimütig von Jesu redete, nahmen sie zu sich und legten ihm den Weg Gottes noch genauer aus (V 25–26). Beiden gibt der Apostel ein herrliches Zeugnis in Römer 16,3–4; wo sogar der Name der Frau zuerst genannt wird: „Grüßt Prisca und Aquila, meine Mitarbeiter in Christus Jesus, welche für mein Leben ihren eigenen Hals dargegeben haben.“ Noch andere herrliche Zeugnisse finden wir in demselben Kapitel von Frauen, die dem Herrn ergeben und für viele gesegnet waren: „Ich empfehle euch aber Phöbe, unsere Schwester, welche eine Dienerin der Versammlung zu Kenchreä ist ... denn sie hat vielen Beistand geleistet, auch mir selbst“ (V 1–2). „Grüßt Maria, die sehr für euch gearbeitet hat“ (V 6). „Grüßt Tryphäna und Tryphosa, die im Herrn arbeiten. Grüßt Persis, die Geliebte, die viel gearbeitet hat im Herrn“ (V 12). Wir lesen in Philipper 4 von Evodia und Syntiche, dass sie mit Paulus am Evangelium gekämpft haben, auch mit Clemens und den übrigen Mitarbeitern des Apostels (V 2–3). Es hat dem Heiligen Geist Wohlgefallen, diese und andere Zeugnisse eines treuen Dienstes für den Herrn zur Ermunterung und Nachahmung aufzeichnen zu lassen. Auch sehen wir, welch einen Wert Er darauf legt, indem der Apostel dem Timotheus in Bezug auf die Aufnahme gläubiger Witwen zur Versorgung seitens der Versammlung schreibt: „Wenn sie ein Zeugnis hat in guten Werken ... wenn sie Fremde beherbergt, wenn sie der Heiligen Füße gewaschen, wenn sie Bedrängten Hilfe geleistet hat, wenn sie jedem guten Werke nachgegangen ist“ (1. Tim 5,10). Es gibt in der Tat ein weites Arbeitsfeld für die Schwestern, wenn anders eine persönliche und liebevolle Hingabe an den Herrn vorhanden ist. Um aber, wie Maria, fähig zu sein, das „gute Werk“ zu tun, müssen wir, wie sie, zuerst das „gute Teil“ erwählen – uns fleißig niederlassen zu den Füßen dessen, der stets bereit ist, uns aus seiner Fülle darzureichen. So viele christliche Tätigkeit wird ausgeübt, die nicht der Ausfluss der Gemeinschaft mit Ihm ist. Es ist die Geschäftigkeit der Marta, die das „gute Teil“ nicht erwählte und sogar ihre Schwester anklagte, weil sie ihr nicht nachfolgte.
Möchte der gnadenreiche Herr durch seinen Geist in den seinen wirken und ihre Herzen zu seinem Dienst zur Verherrlichung seines Namens beleben! Selbst da, wo die Seinen sich in seinem Namen versammeln, ist dieser Dienst höchst mangelhaft. Allerlei kann die Ursache davon sein: Trägheit, Weltsinn und auch die allgemein eingerissene Gewohnheit, den ganzen Dienst in und außer der Versammlung in einzelne Hände zu legen. Und gewiss zeigt diese Nachlässigkeit überall ihre traurigen Folgen. Manche sehen, dass der Zustand in ihrer Mitte kein gesegneter und Gott wohlgefälliger ist, und seufzen darüber; aber was ist zu tun? Gewiss ist vor allem zunächst nötig, zum Herrn zu gehen, der allein helfen kann, und uns vor Ihm zu demütigen und uns selber zu richten: aber dann ist es auch nötig, zu erkennen, dass der Dienst zur Auferbauung der Versammlung in die Hände all ihrer Glieder gelegt ist, und dass dieser Dienst nicht vernachlässigt werden darf. Sind besondere Gaben zum Dienst, wie wir in Epheser 4 gesehen haben, in unserer Mitte tätig, so haben wir dieselben zu ehren und mit Dank gegen den Herrn anzuerkennen und zu benutzen, jedoch sind dieselben nicht gegeben, um unseren eigenen Dienst zu beseitigen.
Der Herr, dessen Ankunft nahe gerückt ist, möge in seiner Gnade unserer gedenken, unsere Herzen mit seiner Liebe erfüllen und sie durch die Kraft seines Geistes Ihm ergeben und unterwürfig machen, damit wir die wenigen, noch vor uns liegenden Tage zu seiner Verherrlichung und in seinem gesegneten Dienst vollbringen!