Botschafter des Heils in Christo 1875
Gedanken, gesammelt aus Vorträgen von George Vicesimus Wigram - Teil 3/18
Es musste das Erstaunen der Engel erregen, den Sohn Gottes als einen Menschen auf Erden wohnen zu sehen; aber in diesem Menschen war die ganze Fülle der Gottheit. Kein Mensch redete wie Er. Er war eines Sinnes mit Gott. Er hatte die Macht, das ewige Leben mitzuteilen. Er wirkte allerlei Wunderwerke. Er war ein Mensch, aber gänzlich verschieden von allen anderen Menschen. Nie zeigte sich in Ihm etwas anderes, als Vollkommenheit. Sobald wir Christus sehen, können wir nur Gott preisen, dass Er in Ihm den gefunden, der allen seinen Gedanken völlig entsprochen hat.
Die Vollkommenheit Christi ist, wenn ich sie nicht stattdessen, was ich bin, aus Gnaden besitze, meine Verdammnis; im Besitz derselben aber entfalten sich bezüglich meiner alle Gedanken Gottes. Der Christus, den Gott zu seiner Rechten gesetzt hat, ist meine Gerechtigkeit; und das verändert alles hinsichtlich dessen, was ich bin. Wenn Gott für mich in Christus Kraft, Weisheit und Gerechtigkeit, ja alles gefunden hat, so habe ich Ihm zu danken, dass eine Person wie Jesus Christus auf Erden gewesen ist. Nicht nur kann ich sagen: „Christus ist auf dem Thron des Vaters“, sondern ich kann auch hinzufügen: „Dort ist Er, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat.“ Er ist glücklich in der Liebe des Vaters: und unser durch die Erlösung befreites Herz freut sich, Ihn glücklich zu wissen. Wenn Er das ewige Leben meiner Seele ist, so kann ich nicht anders als glücklich sein. Er sagt zu mir: „Du bist mein Schuldner, und ich kann dich in die Freude einführen, die ich bei meinem Vater habe.“ Und ich kann antworten: „Ich freue mich, o Herr, dass du, ruhend bei dem Vater, im Besitz dessen bist, was die Wonne deines Herzens ausmacht; denn du weißt alles, du weiht, dass ich dich liebhabe.“
Ich kann sagen: „Meine Gemeinschaft ist mit dem Vater und dem Sohn.“ Diese Gemeinschaft ist nicht eine zukünftige Sache, sondern wir genießen sie, während wir in diesen irdenen Gefäßen sind. Wir erfreuen uns ihrer mit Christus auf dem Thron; sie kann sich nimmer verändern. Welch eine Stellung! Christus im Himmel in vollkommenem Lichts, und ich durch Ihn dort eingeführt!
Während ich mich in diesem Leib der Niedrigkeit befinde, ist die Sünde in meiner Natur, aber sie hat keine Herrschaft mehr über mich. Nachdem wir in Christus eine neue Schöpfung geworden sind, ist zwar der Leib nicht verändert; aber eine neue Natur ist uns mitgeteilt. Wir sind in das Licht gebracht; und wandelnd in diesem Licht, haben wir ein gutes Gewissen. Die Wurzel der Sünde ist immer noch vorhanden; aber das mit Christus beschäftigte Herz gibt der Sünde nicht nach. Wenn aber das Herz diesen Platz verlässt, um sich mit den Dingen dieser Welt zu beschäftigen, so büßen wir bald das Licht und die Kraft ein, die gegenüber der Sünde unsere Zuflucht sind. Wenn ich die glückselige Stellung verlasse, die mir der Vater, als Er mich auserwählte, angewiesen hat, so befinde ich mich wieder da, wo das Böse herrscht, und dann folgt die Betrübnis und die Züchtigung.
Christus auf Erden war das vollkommene Licht; und alles ward durch dasselbe offenbar. „In Ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.“ Wir sind seines Lebens teilhaftig gemacht. Dem Geist nach sind wir droben, dem Leib nach hienieden. Der Leib muss durch die Kraft dieses Lebens in Knechtschaft geführt werden. In der Ausführung werden sich Mängel zeigen; aber nimmer dürfen wir die Sünde entschuldigen. Es heißt nicht: „So oft jemand gesündigt hat“, sondern: „Wenn jemand gesündigt hat, so haben wir einen Sachwalter bei dem Vater.“ Vielleicht hat man keine richtige Vorstellung von dem Dienst des Herrn Jesus als Sachwalter. Es handelt sich hier nicht um das Opfer für die Sünde; denn dieses ist ein für alle Mal vollbracht. Auch gehen wir nicht zu Christus, als unserem Sachwalter, sondern zum Vater, bei welchem wir einen Sachwalter finden. Es gibt nicht einen Flecken, nicht einen Fehltritt, welcher nicht schon im Licht offenbar ist. Das Auge Christi durchschaut alles.
Die Heiligen vergessen oft, dass Christus mit einer viel größeren Sorgfalt über sie wacht, als sie es selbst tun. Er sagte zu Petrus, noch vor dessen Verleugnung: „Ich habe für dich gebetet.“ Sobald der Gläubige eine Sünde bei sich entdeckt, sollte er innewerden, dass Christus für ihn betet. Christus stellt nicht nur unsere Seelen wieder her, sondern erhält auch den Strom der Liebe zwischen dem Vater und seinen Kindern in einer ununterbrochenen Tätigkeit.
Der Vater findet seine ganze Wonne in Christus, als in dem, welcher der vollkommene Ausdruck seiner Liebe, ja seines ganzen Wesens ist; und wir treten in diese seine Wonne ein. Welch ein Gott! Es genügte Ihm nicht, Licht und Liebe in seiner eigenen Herrlichkeit zu sein, sondern Er hat uns das Licht, die Liebe und die Herrlichkeit in seinem Sohn nahegebracht. Ist uns durch die Wonne und durch den Segen der Gemeinschaft mit Ihm droben die Armut alles dessen, was hienieden ist, aufgedeckt worden? Sind wir ein himmlisches Volk? Haben wir einen himmlischen Schatz, welcher in Christus aufbewahrt wird? Warum wollen wir die Freude des Himmels für einen kommenden Tag aufschieben? Warum beginnen wir nicht schon jetzt im Himmel zu leben? Gott hat uns berufen, schon jetzt in Christus unseren Genuss und unsere Freude zu haben.
Kann ich alle meine Kümmernisse in der Wüste mit der Herrlichkeit Christi verknüpfen? Habe ich auf mein Banner geschrieben: „Das Leben für mich ist Christus?“ Habe ich mich mit allem, was ich besitze, Christus gewidmet, indem ich alles zu einem Anlass dienen lasse, Ihn zu verherrlichen?
Wenn mein Herz auch brechen sollte – was schadet es, wenn ich Christus habe? Er ist nahe denen, die gebrochenen Herzens sind. Er trägt Sorge für uns, mehr wie eine Mutter für ihr Kind; jeder Pulsschlag unseres Herzens ist Ihm bekannt. Es ist lieblich zu sehen, wie Er es uns zu zeigen versteht, dass Er allvermögend ist, uns Ruhe und jenen Frieden zu geben, der alle Vernunft übersteigt. Wenn unser Herz gänzlich zerknirscht ist, so hat Er es nur zugelassen, um uns für die Stätte geschickt zu machen, die Er für uns bereitet hat. Es gibt für das Herz, welches in der Liebe Christi seine Zufluchtsstätte hat, eine vollkommene Ruhe und einen göttlichen Frieden, den Satan nicht erschüttern kann. Man wird im Genuss dieses Friedens mit Bewunderung erfüllt und angesichts dessen, was unsere süßesten Hoffnungen zerstört, zu sagen fähig sein: „Ich danke Gott!“
Gibt es in meinem Herzen irgendeine verborgene Falte, die Christus nicht von Grund aus erforscht hat, so bin ich verloren. Möchte ich einen Christus mit geschlossenen Augen haben – einen Christus, der mit irgendeinem Winkel meines Herzens unbekannt wäre? O ich begehre tausendmal lieber einen Christus, der mir das Böse zeigt, als Freunde, die mich loben. Ich bete Gott an, der mir Christus gegeben hat. Wer bin ich, dass mein Herr sich so tief herablässt, meine Seele zu erforschen? Dort, wo das Böse entdeckt wird, gerade dort lässt Gott das reinigende Wasser seines Wortes in mich hineinströmen. Er sieht alles, was hindert und hemmt – sollte ich seine Hand zurückhalten?
Die Ursache des so geringen Wachstums in der Heiligung und in dem himmlischen Leben ist, dass das Herz nicht in dem Licht des alles durchforschenden Auges Christi weilt. Es kann keine Segenskraft geben, außer derjenigen, welche von Christus ausgeht und uns ins Licht zu seinem Herzen und zu der Liebe Gottes in Christus Jesus zurückführt. Hier strahlt die ganze göttliche Herrlichkeit im Angesicht Jesu Christi auf uns nieder; wir befinden uns in Ihm und erfreuen uns einer solchen Gemeinschaft mit Ihm, dass, wie Er das Haupt, so auch wir, die Glieder, Gegenstände der Wonne Gottes sind. Das Einzige, was unseren Herzen Freimütigkeit gibt, vor Gott zu treten, ist die Erkenntnis unserer Verbindung mit dem auferstandenen und verherrlichten Christus, indem wir rechnen auf die Liebe Gottes in Ihm. Denn in dem Herzen Jesu ist der volle Pulsschlag dieser Liebe, wenn Er auf uns, die der Vater Ihm gegeben, herniederblickt – einer Liebe, die sich nimmer verändert, und von welcher nichts im Himmel und auf Erden uns zu scheiden vermögen wird.
Christus lässt unsere Herzen verstehen, dass in Ihm das Ja und das Amen aller Verheißungen Gottes ist. Es ist dieses eine große Stärkung für uns in den schwierigen und düsteren Tagen der Jetztzeit, in welcher die Welt von allen Seiten unseren Glauben zu beunruhigen und zu stören sucht: denn sobald wir uns zu Christus wenden, so finden wir, dass alles in Ihm „Ja und Amen“ ist. Alle Verheißungen haben ihre Erfüllung in Ihm. Das Hervorströmen des Lichts aus einer Verheißung, das Eindringen irgendeines Teiles der Wahrheit in das Herz mit Macht und Frische – alles ist sein Werk.
Woher kommt es, dass so viele die Frage erheben: „Wo ist die Kirche des lebendigen Gottes?“ Antwort: weil Christus sie nicht vergessen hat. Woher kommt es, dass der Gedanke an die Wiederkunft Christi so vieler Herzen erfüllt? Antwort: weil Christus daran denkt.
Kein Heiliger findet im Blick auf die Herrlichkeit und auf den Himmel wahre Ruhe, außer wenn sein Glaube es als eine Wirklichkeit erfasst, dass alles seinen Mittelpunkt in Christus hat. Wenn ich im Himmel, welche Pracht und Schönheit mein Auge dort auch treffen möchte, Christus nicht finden sollte, so würde ich sagen: „Ohne Christus kann mich nichts befriedigen.“ Der Herr selbst muss in der Seele für sie ein lebendiger Gegenstand, eine Wirklichkeit sein, wenn die erneuerten Neigungen Befriedigung finden sollen.
Wie kann ich wissen, dass Er, der geschlagene Felsen, aus welchem der Strom des Lebens hervorquillt, und der die Geheimnisse des Vaterherzens kennt, mich liebt? Nun, ist Er denn nicht für mich gestorben? Als Er mich anblickte, besaß ich nichts als meine Sünden. War sein Blut hinreichend, um alle ihre Spuren auszulöschen? Und ist Gott befriedigt? Betrachtet Er das Opfer seines Sohnes als vollkommen genügend? O gewiss. Christus hat auf mich, den vornehmsten der Sünder, den Blick seiner Gnade geworfen und aus mir ein Beispiel der reinigenden Kraft seines Blutes gemacht. Welch ein süßer Gedanke! Wie unendlich groß ist die Liebe Christi! Wie gewaltig, wenn sie sich in das Herz eines Heiligen ergießt, ist ihre Macht wider alles, was sich ihr entgegenstellt! Welche Zuversicht verleiht sie, empor zu schauen und auszurufen: „Ich kenne dich, Herr Jesu, im Himmel; ich kenne dich als den, welcher mich, ungeachtet meines Elends, geliebt; ich kenne dich, der du zwischen mich und meine Sünde getreten bist, mir das Recht, König und Priester deinem Gott und Vater zu sein, erworben und geschenkt und mir jetzt dieses offenbart hast!“ (Fortsetzung folgt)