Botschafter des Heils in Christo 1874
Das fälschlich beruhigte Gewissen
Für einen wahren Gläubigen ist nichts wünschenswerter, als ein ruhiges Gewissen – nichts köstlicher, als das Bewusstsein, den Willen Gottes getan und in seinen Wegen gewandelt zu haben. Nur dann kann er mit Freimütigkeit zu Gott nahen, mit Freuden seinen Pilgerpfad durch diese Wüste verfolgen und mit einem glücklichen Herzen der Zukunft entgegenharren. Wenn dagegen das Gewissen durch irgendetwas besteckt ist, so fühlt man sich unglücklich; man entzieht sich der Gegenwart Gottes, man ist unfähig, im Kampf wider Sünde und Welt auszuharren, und es bedarf dann einer Demütigung vor Gott und eines aufrichtigen Bekennens der begangenen Fehler, damit die anklagende Stimme des Gewissens zum Schweigen gebracht und die Gemeinschaft mit Gott wiederhergestellt werde. Aber wie mancher Gläubige verschließt sein Ohr gegen die Stimme des Gewissens, oder bemüht sich, dieselbe auf jede nur mögliche Weise zum Schweigen zu bringen! „Arglistig ist des Menschen Herz, mehr denn alles“, sagt die Schrift; und ach! wie wahr ist dieses Wort! Wie viele Mittel hat man nicht schon ersonnen, um die Mahnungen des Gewissens zu überhören! Wie oft schon ist das beunruhigte Gewissen durch allerlei Ausreden fälschlich beruhigt worden! Wie viele Feigenblätter hat man zusammengeheftet, um Schürzen daraus zu machen! Ach! wie traurig ist ein solcher Zustand für das eigene Herz, für das Zeugnis in der Welt und gegenüber unserem Gott, dessen Verherrlichung unsere Freude sein sollte!
Ein treffendes Vorbild von einem solchen Zustand finden wir in der Geschichte eines Mannes vom Gebirge Ephraim, Namens Micha. Der Heilige Geist teilt uns diese Geschichte in Richter 17 mit und zwar, wie ich nicht zweifle, zu dem Zweck, um uns die trügerischen Gedanken und Urteile des menschlichen Herzens vor Augen zu stellen. Verweilen wir einige Augenblicke bei derselben. Möge der Herr die daran geknüpften Bemerkungen für das Herz des Lesers segnen und sie dienen lassen zur Verherrlichung seines Namens!
„Und Micha sprach zu seiner Mutter: Die tausend und hundert Silberlinge, die dir genommen worden, und worüber du einen Fluch getan und gesprochen hast vor meinen Ohren, siehe, das Silber ist bei mir; ich habe es genommen. Da sprach seine Mutter: Gesegnet sei mein Sohn dem Jehova!“ – (V 2) Beachten wir es, dass dieses Weib, wie auch ihr Sohn, den Jehova, den Gott Israels, kannten und Ihm, wie wir später sehen werden, zu dienen beabsichtigten; denn indem Micha der Mutter das Geld zurückgibt, sagt diese: „Ich habe das Silber Jehova gänzlich geheiligt von meiner Hand für meinen Sohn, ein geschnitztes Bild und ein gegossenes Bild zu machen; und nun gebe ich es dir zurück. Er aber gab das Silber seiner Mutter zurück; und seine Mutter nahm zweihundert Silberlinge und gab sie dem Goldschmied, und der machte daraus ein geschnitztes Bild und ein gegossenes Bild; und es war im Haus Michas. Und der Mann Micha hatte ein Gotteshaus, und er machte ein Efod und Teraphim und weihte einen von seinen Söhnen, und er ward ihm zu einem Priester“ (V 3–5).
Verweilen wir hier einen Augenblick, um die Handlung Michas und deren praktische Anwendung beurteilen zu können. Es ist selbstredend, dass dieser von Micha eingeführte Gottesdienst ein selbstgemachter und darum ein Dienst des Fleisches war. Micha und seine Mutter kannten Jehova und wussten daher auch sicher, dass sie sich kein „geschnitztes Bild“ machen durften, noch irgend „ein Gleichnis dessen, was oben im Himmel und was unten auf Erden ist;“ und dennoch taten sie es, und zwar unter der Form der Gottseligkeit. Das ist immer die Natur des eigenwilligen Dienstes. Derselbe bringt Zwar dem Herrn Ehre dar, aber nicht nach dem Willen Gottes, sondern nach eigenem Willen. Micha hatte keineswegs die Absicht, den Dienst des Herrn ganz bei Seite zu setzen; aber er setzte seine Gedanken an die Stelle der Gedanken Gottes. Was hätte auch die menschliche Vernunft gegen die Einrichtung eines Gotteshauses und gegen die Anstellung eines Priesters einwenden können? War doch die Stiftshütte Jehovas zu weit entfernt, um jedes Mal dorthin gehen zu können. Es war vielleicht seine Absicht, Jehova täglich zu dienen, und zu diesem Ende, da der Weg zur Stiftshütte zu weit war, sich daheim einen Priester zu weihen. Die Verehrung Jehovas war ihm keineswegs eine gleichgültige Sache; und vielleicht hat er gedacht, dass er Jehova weit besser diene, als mancher der anderen Israeliten, welche nur einmal im Jahr hinaufgingen, um zu opfern. Und dennoch – wie schön dieses alles auch scheinen mochte – vergaß er eine Sache, nämlich dass alle seine Handlungen vor Gott ganz verwerflich waren, weil nach seinem Gebot nur da geopfert werden sollte, wo die Cherubim seiner Herrlichkeit ihren Platz hatten. Armer Micha! Wie nutzlos waren alle deine Bemühungen und Anstrengungen! Gott nahm keines deiner Opfer an. Er konnte es nicht tun, weil du nicht Gott, sondern dir selbst dientest.
Es erging Micha ebenso wie den Kindern Israel vor dem Berg Horeb. Mose blieb ihnen zu lange auf dem Berg, und da sie endlich an seiner Rückkehr zweifelten, machten sie sich ein goldenes Kalb. Die Ursache davon war nicht, dass sie Jehova ganz und gar verworfen hatten – o nein; – sie wollten vielmehr durch dieses Kalb Jehova verehren. Vielleicht haben sie sich einzureden gesucht, dass Gott zwar, während Mose unter ihnen gewesen, verboten habe, fremde Götter anzubeten, dass sie aber jetzt, da Mose abwesend war, nicht wissen könnten, was zu tun ihre Aufgabe sei. „Mose wird“ – haben sie sich vielleicht gesagt – „wohl nimmer zurückkehren, darum müssen wir doch etwas vor Augen haben; die Umstände haben sich geändert, darum müssen auch wir die Sache etwas anders anfangen.“
Wie ernst aber warnt uns Paulus in Kolosser 2 vor Grundsätzen, die wir in der Handlungsweise Michas und der Kinder Israel erblicken! „Wenn ihr mit Christus den Elementen der Welt gestorben seid, was unterwerft ihr euch den Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt? Berühre nicht, koste nicht, betaste nicht, (Dinge, welche alle zum Zerstören sind durch den Gebrauch) nach den Geboten und Lehren der Menschen welche (zwar einen Schein der Weisheit haben in eigenwilligem Dienst und in Niedriggesinntheit und im Nichtverschonen des Leibes, und nicht in einer gewissen Ehre) zur Befriedigung des Fleisches.“
Und wie steht es in unseren Tagen hiermit? Sind die Worte des Apostels vielleicht überflüssig? Der Herr gebe, dass dieses der Fall sei! Doch, geliebte Leser, lasst uns auf uns selbst sehen und die Frage an uns richten: „Wie verhalte ich mich in dieser Sache Gott gegenüber?“ – Es kommt hier auf den Grundsatz des Herzens an. Wir können uns von vielen Dingen, die wider das Wort Gottes streiten, getrennt haben, und dennoch kann unser Dienst, wenigstens in irgendeiner Hinsicht, ein fleischlicher sein. Solange unsere Anbetung nicht im Geist und in der Wahrheit geschieht, ist sie ein selbstgemachter, eigenwilliger Dienst. Ach, wie wenig werden die Worte des Herrn: „Gott ist ein Geist, und die Ihn anbeten, müssen Ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten“, von den Gläubigen verstanden und in Anwendung gebracht! Erläutern wir uns dieses durch ein Beispiel.
Ein Heide, der durch die Verkündigung des Evangeliums gläubig geworden, erscheint in unserer Mitte. Im Wort Gottes wenig erfahren, aber auch ohne menschliche Lehren und Erfindungen tritt er in die Umgebung einer christlichen Welt. Er kommt in ein Land, dessen Bewohner sich durchgehende Christen nennen, und er erwartet hier selbstredend eine gesegnete Offenbarung der Versammlung Christi. Aber ach! wie sieht er sich in seiner Erwartung getäuscht! In dieser christlichen Umgebung gewahrt er die schändlichsten Laster: Schwelgerei, Hurerei und Weltlichkeit in allen Schichten der menschlichen Gesellschaft; ja, er gewahrt dieses alles unter den sich nennenden Christen. Er durchwandert die Straßen einer großen Stadt; doch nirgends, nirgends findet er einen Beweis, dass sich hier Christen aufhalten. Ganz dieselben Grundsätze, welche er in seinem eigenen Land gefunden, werden auch hier in Anwendung gebracht; auch hier hat alles den Stolz, die Eigenliebe, die fleischliche Gesinnung, mit einem Wort die Feindschaft gegen Gott zur Quelle. Er spricht mit solchen Christen, findet sie aber in Betreff ihres Zustandes ebenso blind und unwissend, wie seine eigenen Landsleute; sie ehren ihren Gott nicht; sie haben keine Liebe für den Heiland der Welt; sie folgen ihren eigenen Lüsten; ja er wird sogar von ihnen verhöhnt, gelästert und verfolgt. Hierdurch kommt er zu der Folgerung, dass man sich zwar des Namens eines Christen rühme, sich aber schäme, ein Christ zu sein und als solcher zu leben, und dass er sich mithin nicht unter Christen, sondern unter Weltmenschen, nicht unter Freunden, sondern unter Feinden Gottes befinde.
Wohl gewahrt er eine Form der Gottseligkeit; aber dieses hatte er auch bei seinen Landsleuten gefunden. Auch Paulus fand dergleichen in Athen. Die Form ist zwar verschieden; aber im Grund genommen ist es doch eine und dieselbe Sache. Er erblickt eine Menge kirchlicher Gebäude, wie er einst in seiner Heimat die Tempel der Götzen fand; er erblickt überall Priester, wie auch daheim die Götzendiener ihre Priester besaßen; er findet hier, wie einst dort, eine Menge Menschensatzungen, die zur Befriedigung des Fleisches dienen. Der Gott der Bibel ist hier ebenso unbekannt, wie drüben im Heidenlande. Er findet den heiligen und gerechten Gott in einen Gott nach eigenen Gedanken umgewandelt, den sie den Gott der Liebe nennen, und der, wie die Götter seines Landes, die Sünden unbeachtet lässt und durch Buße und gute Werke zu versöhnen ist. Er findet Jesus, Sohn des lebendigen Gottes, in einen Menschen verändert, der höchstens zum Vorbild dienen kann, der aber mit unserer Versöhnung nichts zu schaffen hat; und ob er auch noch die Taufe und das Abendmahl vorhanden findet, so erkennt er doch gar bald darin nur noch eine Form, mit der man noch nicht so ganz brechen will.
Nach langem Suchen findet er endlich auch wahre Gläubige; aber auch bei ihnen sieht er sich getäuscht, indem er bei ihnen wenig geistliches Leben, wohl aber viel Gesetzlichkeit und Formwesen entdeckt. Wie sehr er sich anfangs darüber wundert, wird ihm doch bald die Ursache klar. Er sieht die Gläubigen in Verbindung und Übereinstimmung mit einem weltlichen, halb heidnischen, halb jüdischen System, er sieht, dass sie sogar an einem weltlichen, ungöttlichen, so genannten Gottesdienste Teil nehmen. Sie bringen ihre Kinder dorthin zur Taufe, um später als Glieder jener Weltkirche aufgenommen zu werden, während sie selbst am Tisch der Ungläubigen das Abendmahl feiern. Wie könnte es ihn daher noch wundern, ihr geistliches Leben so schwach zu sehen? Er findet vielmehr Ursache, Gott zu loben, der trotz ihres fortwährenden Ungehorsams unermüdlich fortfährt, sie zu segnen und zu bewahren.
Ja, in der Tat, der Ungehorsam ist groß. Sagt Gott uns doch in seinem Wort: „Seid nicht in einem verschiedenen Joch mit Ungläubigen; denn welche Genossenschaft hat Gerechtigkeit mit Gesetzlosigkeit? oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis? oder welches Teil der Gläubige mit den Ungläubigen? und welchen Zusammenhang der Tempel Gottes mit Götzenbildern? Denn ihr seid der Tempel des lebendigen Gottes, wie Gott gesagt hat: Ich will unter ihnen wohnen und wandeln, und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein. Deshalb geht weg aus ihrer Mitte und sondert euch ab, spricht der Herr, und rührt Unreines nicht an; und ich werde euch aufnehmen, und ich werde euch zum Vater sein, und ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein, spricht der Herr, der Allmächtige.“ – Ach! das Herz unseres Fremdlings muss betrübt und niedergeschlagen sein, wenn er sieht, wie Gott und sein Wort durch die Namenschristen mit Füßen getreten, verachtet und gehasst wird, und wie die Gläubigen trotz des ausdrücklichen Verbotes Gottes mit denselben vereinigt sind.
Hat er Ursache zu einer solchen Betrübnis, geliebter Leser? Gewiss, du wirft es nicht leugnen können; und wir haben uns wegen so vieler Untreue tief zu demütigen. Ja, bekennen wir es mit Aufrichtigkeit, dass unser Zustand so und nicht anders ist; Gottes Wort selbst hat uns verurteilt. Möchten wir es tief fühlen, dass wir das, was in den Augen Gottes böse ist, ausgeübt haben. Wir haben uns zu den Elementen der Welt zurückführen lassen; denn wenn unser Gottesdienst in Verbindung und Übereinstimmung mit der Welt ist, so ist derselbe ein eigenwilliger Dienst; bekennen wir es ohne Zögern vor dem Herrn. „Denn wenn wir uns selbst beurteilen, so werden wir nicht gerichtet.“
Es ist sicher unsere eigene Schuld, dass wir uns in diesem Zustand befinden. Wir haben nicht auf das Wort des Herrn geachtet, wir haben unsere Augen und Ohren verschlossen und trotz seines bestimmten Verbots nach den Begierden unserer eigenen Herzen gewandelt. Soll dieses, geliebte Brüder, noch länger so bleiben? Soll das Wort des Apostels noch länger wider uns zeugen, wenn er sagt: „Steht nun fest in der Freiheit, womit Christus uns freigemacht hat, und lasst euch nicht wiederum im Joch der Knechtschaft halten?“ (Gal 5,1) Sollen wir noch länger den Satzungen der Menschen gehorchen? Soll unser Herz sich noch länger mit Dingen beschäftigen, die nicht aus Gott sind? Ach! wann werden doch alle Kinder Gottes erkennen, dass der Gottesdienst, woran sich ihrer so viele beteiligen, nicht ein Dienst Gottes, sondern ein Dienst der Welt ist? Möchte doch der Herr allen seinen Kindern geöffnete Ohren und willige Herzen geben, um nach seinem Willen zu handeln und Ihm im Geist und in Wahrheit zu dienen! Das Böse, worin wir uns befinden, ist groß, sehr groß; und nur durch die Kraft Gottes können wir uns davon trennen. Das Erste, was wir zu tun haben, ist, uns vor Gott zu demütigen, und dann: „Geht wäg aus ihrer Mitte und sondert euch ab, spricht der Herr, und rührt Unreines nicht an, und ich werde euch aufnehmen, und ich werde euch zum Vater sein, und ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein, spricht der Herr, der Allmächtige.“ Dieses ist der einfache Weg für alle, welche dem Wort Gottes gemäß handeln und wandeln wollen, und die alles für Schaden und Dreck halten wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu. Und jetzt, geliebter Leser, frage ich dich: Was willst du tun? Willst du seiner Stimme gehorchen, oder willst du dein Gewissen auf fälschlichem Weg zum Schweigen bringen? – Doch, kehren wir zu dem Hauptzweck dieser Zeilen zurück, indem wir das fernere Tun Michas betrachten.
„Und es war ein Jüngling aus Bethlehem–Juda, vom Geschlecht Judas, der war ein Levit und weilte daselbst als Fremdling. Und der Mann zog aus der Stadt, aus Bethlehem–Juda, um zu weilen, wo er es treffen würde. Und er kam auf das Gebirge Ophraim bis zum Haus Michas, um seines Weges zu ziehen. Und Micha sprach zu ihm: Woher kommst du? Und er sprach zu ihm: Ein Levit bin ich von Bethlehem–Juda und gehe hin zu weilen, wo ich es treffen werde. Und Micha sprach zu ihm: Bleibe bei mir und sei mir zu einem Vater und zu einem Priester, so will ich dir jährlich zehn Silberlinge geben und Ausrüstung an Kleidern und deinen Lebensunterhalt. Und der Levit ging hin. Und der Levit willigte ein, bei dem Mann zu bleiben; und der Jüngling war ihm wie einer seiner Söhne. Und Micha weihte den Leviten, und der Jüngling ward ihm zu einem Priester und war im Haus Michas. Und Micha sprach: Nun weiß ich, dass Jehova mir wohltun wird, weil ich einen Leviten zum Priester habe“ (V 7–13).
Wir ersehen aus dieser Mitteilung, dass das Gewissen Michas unter dem selbstgemachten Gottesdienst durchaus keine Ruhe gefunden hatte. Er wusste sehr wohl, dass er nicht nach dem Willen Jehovas gehandelt habe; denn es war ihm keine unbekannte Sache, dass nur für Jehova in seiner Stiftshütte Opfer dargebracht wurden, und dass es der Stamm Levi war, den Jehova sich zu diesem Zweck auserwählt hatte. Doch anstatt sich über seine Sünde zu demütigen und so dem Gebot Jehovas nachzufolgen, sucht er sein Gewissen dadurch zu beruhigen, dass er einen Leviten zum Priester erwählt und auf diese Weise seinem Ungehorsam einen Schein von Gehorsam zu geben versucht. „Nun weiß ich“, – sagt er – „dass Jehova mir wohltun wird, weil ich einen Leviten zum Priester habe.“ – Micha war mit sich nicht ganz zufrieden, solange die Übertretung der Gebote Gottes zu augenscheinlich und zu offenkundig war; und darum freut er sich über die sich ihm darbietende Gelegenheit, einen Priester aus dem Stamm zu bekommen, welchen Jehova sich zu seinem Dienst auserwählt hatte. Jetzt glaubte er überzeugt zu sein, dass Jehova ihn segnen werde, jetzt glaubte er sich vollkommen beruhigen zu dürfen, da er ja alles, was er tun konnte, getan hatte und, soweit es ihm möglich war, dem Gesetz Jehovas nachgekommen war. Was konnte er noch weiter tun? Jehova sah ja seinen guten Willen, und das musste doch wohl genügen. Armer Micha! Wie sehr täuschest du dich! Wusstest du denn nicht, dass Gehorsam besser ist, denn Opfer, und Aufmerken besser, als das Fett der Widder? Wusstest du nicht, dass der Herr gesagt hatte: „Verflucht sei, wer nicht tun wird die Worte meines Gesetzes?“ Was nützt dir dein ganzer Gottesdienst, wenn du dich darum ungehorsam gegen deinen Gott erweisest? Dein Tun ist und bleibt ein eigenwilliges mit einem Schein von Gottseligkeit vor den Augen eines heiligen und gerechten Gottes; welchen Nutzen könnte es dir bringen? Er will Aufrichtigkeit und Wahrheit in deinem Herzen und nicht Schein.
Micha war zwar ein Hörer des Wortes Gottes; aber sein Wandel stand nicht damit im Einklänge. Er kannte zwar das Gesetz Jehovas; aber er unterwarf sich den Forderungen desselben nicht. Und dieses ist stets höchst beklagenswert; denn Paulus sagt: „Nicht die Hörer des Gesetzes sind gerecht vor Gott, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden“ (Röm 2,13). Das ist sehr ernst und sollte bei uns die Frage hervorrufen: „Wie steht es bei mir in Bezug auf diese Sache?“ Muss ich mich nicht selbst verurteilen, sehr oft der Stimme meines Gewissens nicht gehorcht zu haben? Bedarf ich nicht des Öfteren der Ermahnung des Apostels Jakobus: „Seid Täter des Wortes, und nicht allein Hörer, die sich selbst betrügen?“ Ach, leider werden die Meisten von uns dieses bejahen müssen. Wir hören zwar den Mann vom Gebirge Ephraim sagen: „Nun weiß ich, dass Jehova mir wohltun wird;“ aber lasst uns mit Ernst daran denken, dass das Gebilde der Gedanken des Herzens trügerisch ist, und dass der Teufel uns immer durch einen Schein von Wahrheit zu täuschen bemüht ist, damit wir doch keineswegs zum richtigen Verständnis unseres Zustandes gelangen und uns vor Gott demütigen mögen. Das ist stets der Zweck und die Absicht des Feindes. Jedoch ans der anderen Seite ist es ebenso wahr, dass die Wahrheit Gottes, wenn sie uns mit der ganzen Kraft der christlichen Liebe und mit dem vollen Ernst des Geistes vor Augen gestellt wird, unmöglich ohne Wirkung bleiben kann. Es ist dann immer eine Stimme in uns, welche uns zuflüstert: „Das ist die Wahrheit.“ Wohl dem Herzen, welches dann nicht zu verschlossen ist, um dieses zu erkennen, sondern nach der Wahrheit hört! Wohl einem jeglichen, der kein „vergesslicher Hörer, sondern ein Täter des Wortes ist, dieser wird glückselig sein in seinem Tun.“ – Doch ach! wie oft sind wir bloß Hörer und nicht Täter des Wortes! Und dann gleichen wir „einem Mann, der sein natürliches Angesicht in einem Spiegel beschaut; denn er hat sich selbst beschaut und ist weggegangen und hat sogleich vergessen, wie er war.“ – Sollte nicht irgendeiner unserer Leser sein Bild in dem Spiegel, den wir ihm vorhielten, geschaut und sich in dem Zustand, den wir soeben beschrieben, entdeckt haben? Dann sind wir überzeugt, dass, was er auch dagegen einwenden mag, sein Gewissen nicht ganz ruhig ist. Freilich gibt es auch für ihn unendlich viele Mittel, um das Gewissen zum Schweigen bringen zu können. Aber möge er bedenken, dass es nur „eitle Überlegungen des Herzens“ sind.
Wenn das Herz nicht geneigt ist, den Willen Gottes zu tun, weil es an diese Erde gefesselt ist und durchaus keine Neigung hat, alle Dinge für Verlust zu achten wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, dann versteht es sich fast von selbst, dass es etwas nötig hat, um sich darauf stützen zu können. Was wir eben über den eigenwilligen Gottesdienst gesagt, mag vielleicht – wir hoffen es sehr – das Gewissen des einen oder des anderen Lesers getroffen und den Ernst der Wahrheit: „Sondert euch ab!“ und „seid nicht in verschiedenem Joch mit Ungläubigen!“ seinem Herzen nahegebracht haben. Allein er verhehle es sich auch nicht, dass die Absonderung eine nicht leichte Sache ist, dass sich Fleisch und Blut dagegen sträuben und dass ein solcher Weg ein Weg der Verleugnung und der Schmach ist; und um das Gewissen zu beruhigen, hat er vielleicht in diesem Augenblick, anstatt sich der Wahrheit zu unterwerfen, nichts Eiligeres zu tun, als nach Entschuldigungen aller Art sich umzusehen. „Ich kann“ – sagt er vielleicht – „doch die Welt nicht räumen? und dahin würde es schließlich kommen müssen, wenn ich einen solchen Pfad wandeln wollte. Und wie kann ich die Herzen beurteilen? Nein, das überlasse ich Gott, der Herzen und Nieren zu prüfen vermag. Und wo sollte ich eine vollkommene Versammlung auf Erden finden können?“ – Vielleicht werden das seine Gedanken und Einwürfe sein, durch welche er sich zu beruhigen sucht, gerade als ob er keine persönliche Verantwortlichkeit habe, dem Willen Gottes nachzufolgen. Aber ach! wie viele Einwendungen und Entschuldigungen er auch hervorzubringen im Stande sein mag, so werden doch die oben angeführten Worte in 2. Korinther 6,16 stets gegen ihn und sein Tun ein lautes Zeugnis ablegen. Er folgt einer Weise, durch welche der natürliche Mensch sich in ein ewiges Elend stürzt. Er versucht das Wort, welches sein Gewissen getroffen, unter einer Menge menschlicher Worte und Überlegungen zu vergraben, um auf diese Weise jenes ihn verwundende Wort aus dem Weg zu schaffen. Eitle Mühe! Es wird ihm nicht gelingen; immer wieder und mit erneuerter Kraft wird der Stachel jenes Wortes zum Vorschein kommen und das Gewissen treffen, um es dem Schlaf zu entreißen. Er wird die Erfahrung machen, dass das Schwert des Geistes eine zweischneidige und eine gar lästige Waffe ist gegenüber denen, welche nicht dem Wort Gottes gehorchen wollen.
„Aber“ – sagt vielleicht jemand – „ich muss doch zuerst den Weg wissen, den ich einzuschlagen habe; denn ich kann doch nicht einen Pfad betreten, ohne vorher zu wissen, wohin er führt.“ – Aber, mein Freund, der du diesen Einwand machst, beantworte mir die Frage: Möchtest du nicht lieber diesen Weg gar nicht einschlagen? und ist nicht deine Abneigung gegen diesen Weg unausbleiblicher Verleugnung die hauptsächlichste Ursache, dass du, bevor du diesen Weg betreten willst, vorher die Folgen und den Ausgang eines solchen Schrittes prüfst? Willst du damit dein Gewissen beruhigen, oder gedenkst du dadurch Zeit zu gewinnen? Wenn die Kinder Israel, als Mose ihnen, befahl, aufzubrechen, um nach den Worten Jehovas trockenen Fußes durch das Schilfmeer zu ziehen, etwa gesagt hätten: „Wir wollen zwar deinem Befehl gehorchen; aber wohin führt unser Weg und wie wirst du uns, wenn wir das Ziel erreicht haben, weiterführen?“ – was würdest du dabei gedacht haben? Würdest du nicht gesagt haben: „Sie haben keine Neigung, sich durch das rote Meer führen zu lassen, und darum machen sie, um das Aufbrechen zu verzögern, alle diese Einwendungen?“ Sicher, das würden deine Gedanken gewesen sein. Aber gerade so verhält es sich mit dir, mein geliebter Leser. Du sträubst dich, gerade heraus zu sagen: „Ich glaube wohl, dass Gott dieses will; aber ich habe keine Neigung, in dieser Beziehung seinen Willen zu tun.“ Und darum suchst du allerhand Entschuldigungen auf. Auf die Aufforderung Jesu: „Folge mir nach!“ hast du die Antwort: „Herr erlaube mir, dass ich zuerst hingehe und meinen Vater begrabe.“ Aber sei versichert, das ist nicht die richtige Art und Weise eines Nachfolgers Christi. Du hast einfach ohne Widerrede zu folgen; und dann erst wird der Herr dir sagen, was du weiter zu tun Haft. Du kannst völlig überzeugt sein, dass wenn du einfach den Worten des Herrn folgst, dir alles leicht werden wird; denn der Herr wird dir fortwährend zur Seite stehen. Aber solange du nicht wandelst nach dem Licht, das Er dir verliehen hat, und auf welches Er dich durch diese Zeilen wieder aufmerksam machen lässt, kann Gott dir unmöglich weiter seinen Willen offenbaren. Ach! möchtest du doch nicht nur ein Hörer, sondern auch ein Täter seines Wortes sein!
Ein anderer möchte vielleicht vorher die Kosten überschlagen wollen, indem er sich auf das Wort des Herrn beruft: „Wer unter euch, der einen Turm bauen will, setzt sich nicht zuvor nieder und berechnet die Kosten, ob er das Nötige habe, ihn zu vollenden?“ (Lk 14,28) Ohne Zweifel ist dieses eine gute Sache, jedoch nur, wenn die Berechnung eine richtige ist und man nichts dabei übersieht oder vergisst. Wenn es aber, wie es leider meistens der Fall ist, nur zur Entschuldigung dienen soll, um dem Willen Gottes nicht nachzufolgen, dann kann man Jahr aus Jahr ein rechnen und berechnen, ohne – zu einem richtigen Resultat zu kommen, und Zwar einfach aus dem Grund, weil man immer eine Sache vergisst, nämlich die Hilfe und Unterstützung dessen, der gesagt hat: „Die Haare eures Hauptes sind alle gezählt;“ und: „Ich bin der Gott des Himmels und der Erde, der Gott und Vater eures Herrn Jesus Christus.“ – Ein guter Rechner beginnt damit, dass er an den einen Rand seiner Berechnung die Worte setzt: „Ein jeglicher von euch, der nicht allem absagt, was er hat, kann nicht mein Jünger sein;“ und „wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, kann nicht mein Jünger sein“ (Lk 14,27–33); und an die entgegengesetzte Seite: „Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht; ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen“ (Mt 11,30).
Wieder ein anderer erhebt vielleicht einen Einwand, indem er sagt: „Es mag viel Wahres an der hier vorgestellten Sache sein; aber woher kommt es doch, dass so viele fromme Christen, und unter ihnen Männer von großer Bedeutung – Christen, die wegen ihrer Gelehrsamkeit und ihrer Liebe zur Wahrheit bekannt sind, einen ganz anderen Weg einschlagen? Und wenn sie bleiben, wo sie sind, weshalb soll ich denn anders handeln?“ – Weshalb? Weil dein Gewissen und das Wort Gottes zu dir sagen: „Sei nicht in einem verschiedenen Joch mit Ungläubigen.“ Würdest du die Gedanken und Handlungen eines Israeliten gebilligt haben, wenn er während des Aufenthalts Jesu auf dieser Erde etwa gesagt hatte: „Dieser Jesus von Nazareth tut zwar große Zeichen und Wunder; Er spricht zwar wie einer, der Gewalt hat, und es ist augenscheinlich, dass Er ein Prophet ist, so dass ich Ihm sogleich folgen würde, wenn Ihm nur die Hohepriester und Schriftgelehrten – diese in den Schriften erfahrenen Männer – nachfolgten. Aber weil diese nichts von Ihm wissen wollen, warum soll ich es denn tun?“ – Gewiss, du würdest sehen und fühlen, dass jener Israelit eine falsche Folgerung gemacht hätte; aber ich frage dich: Tust du nicht gerade dasselbe? Wo ist der Unterschied zwischen deinen und seinen Worten, zwischen deiner und der Entschuldigung eines solchen Juden? Ich finde keinen. Er klammerte sich an das Urteil der Menschen, und dasselbe tust auch du; während doch Gott in seinem Wort sagt, dass nur Er wahrhaftig, jeder Mensch aber Lügner sei. Du handelst, um dein Gewissen zum Schweigen zu bringen, gerade wie Micha; du versteckst dich hinter einen Leviten, hinter einen Menschen, der, wie du meinst, den Willen des Herrn doch wohl kennen müsse. Würde es nicht besser und dem Herrn wohlgefälliger sein, mit dem Blindgeborenen zu sagen: „Eins weiß ich, dass ich blind war und jetzt sehe?“ Dann kann man es ruhig anderen überlassen, zu erforschen, wer uns sehend gemacht hat und wie unsere Augen geöffnet sind; und während sie nichts zu sagen wissen und vielleicht hoffen, dass unser Zustand nicht von langer Dauer sein werde, erfreuen wir uns selbst des uns geschenkten Lichtes und der köstlichen Gemeinschaft mit Ihm, der gesagt hat: „Hört auf mich!“
Diese und viele andere Entschuldigungen und Einwendungen werden nicht selten gegen die Wahrheit Gottes erhoben; und in allen denselben ist der Grundsatz Michas deutlich zu erkennen. Er hatte das Bewusstsein, dass er den Willen Gottes nicht tat; und das weißt du auch von dir. Er weihte einen von seinen Söhnen zum Priester, und im Grund tust du dasselbe. Das weltliche System willst du nicht verlassen; jedoch zur Beruhigung deines Gewissens beschäftigst du dich vielleicht so wenig als möglich damit, weil du dir mit anderen einen zum Priester geweiht hast. Du sagst: „Ich vermag doch nicht die Kirche in einen besseren Zustand zu bringen und muss mich daher den Umständen fügen; dazu gehe ich ja stets bei einem gläubigen Pastor zur Kirche und zum Abendmahl.“ – Wohlan, das ist dein Sohn, den du zum Priester geweiht hast. Ach! du vergisst, dass auch jener gläubige Prediger sich gleich dir unter die Gewalt der Ungläubigen gebeugt und sich mit ihnen vermengt hat, und dass er, da er sich sonst anders in seiner Stellung nicht behaupten kann, sich in diesem „verschiedenen Joch“ befindet und sich an diesem Weltdienst beteiligt. Unglückseliger Selbstbetrug! Möge doch der Herr allen seinen Kindern die Augen öffnen, um diesen Irrtum zu erkennen!
Nichtsdestoweniger gibt es viele Christen, die sich in der Tat von den sogenannten Landeskirchen trennen, da sie einsehen, dass ein Kind Gottes dort nicht länger bleiben kann, ohne gegenüber den Worten: „Geht aus ihrer Mitte!“ ungehorsam zu sein. Aber – schlagen denn sie den rechten Weg ein? Ach nein! denn es gibt viele, welche die Landeskirche verlassen, um selbst wieder ein Kirchlein zu bilden. Das System, welches sie aufrichten, ist völlig nach dem Muster dessen, welches sie verlassen haben, vielleicht nur mit dem einen Unterschied, dass nur Gläubige darin zu finden sind. Ach! ihr alle, die ihr also handelt, bedenkt wohl, dass euer Gottesdienst ebenso wie früher ein eigenwilliger ist. Ihr überlegt und handelt wie Micha, der einen Priester einsetzte, indem er sagte: „Jetzt weiß ich, dass der Herr mir wohltun wird, weil ich einen Leviten zum Priester habe.“ O lasst euch doch von der Wahrheit überzeugen, damit der Herr nicht nur, weil ihr euch von den Ungläubigen getrennt, sondern auch weil ihr alle menschliche Satzungen und Überlieferungen bei Seite gesetzt habt, mit Wohlgefallen auf euch herabblicken kann.
Doch kehren wir zu unserem früheren Beispiel zurück. Gesetzt der aus dem Heidenlands kommende Bruder träte in eure Versammlung; und da er vernommen hat, dass hier nur Gläubige versammelt sind, so erwartet er selbstredend dort auch nicht die Verwirrung zu finden, die ihm sonst überall in der bekennenden Kirche vor Augen getreten ist. Er setzt voraus, dass man hier dem Wort Gottes gemäß versammelt sei, wie es in 1. Korinther 14,26 geschrieben steht, wo er gelesen hat: „Wenn ihr zusammenkommt, Brüder, so hat ein jeglicher von euch einen Psalm, hat eine Lehre, hat eine Sprache, hat eine Offenbarung, hat eine Auslegung: alles geschehe zur Erbauung.“ Doch nein, er findet von diesem allen nichts. Statt eines brüderlichen zusammenkommend sieht er eine Versammlung von Menschen, die gekommen sind, um eine Predigt von einer damit beauftragten Person halten zu hören. Dieser Person ist die Leitung der ganzen Versammlung aufgetragen; er spricht, er betet, kurz er tut alles, während seine Brüder, zu denen er spricht, gezwungen sind zu schweigen, selbst auch wenn jemand in ihrer Mitte sein sollte, der in diesem Augenblick viel geeigneter gewesen war, ein Wort zur Erbauung zu reden. Selbstredend wird die freie Wirksamkeit des Heiligen Geistes in einer solchen Versammlung nicht anerkannt; an ihre Stelle sind menschliche Satzungen und Gebräuche getreten. Er findet also dort keine Gemeinschaft der Heiligen; denn man geht aus einander, ohne einen einzigen Beweis, dass man zu einem Leib gehöre, geliefert zu haben (Schluss folgt).