Botschafter des Heils in Christo 1874
Wir sind dem Gesetz gestorben
„Ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, auf dass ich Gott lebe“ (Gal 3,19). Dieses ist vor allem in unseren Tagen ein höchst wichtiges Wort. Die Anwendung dieser hier vorgestellten Wahrheit wird uns vor zwei Irrtümern bewahren, nämlich vor Gesetzlichkeit und vor Gesetzlosigkeit. Wenn ich diese beiden Irrtümer mit einander vergleiche, oder wenn ich gezwungen wäre, einen von beiden zu wählen, so würde ich ohne Zweifel dem ersteren den Vorzug geben. Ich sehe viel lieber jemanden, der sich unter die Autorität des Gesetzes Moses beugt, als jemanden, der gesetzlos und leichtsinnig seinen Weg geht. Ich weiß wohl, dass die an den in Sünden toten Menschen gestellten Forderungen des Gesetzes nicht erfüllt werden können, und dass das Gesetz nichts als Fluch und Verdammnis in seinem Schoß birgt; ich weih wohl, dass das Gesetz mit dem Evangelium der Gnade im völligsten Widerspruch steht; nichtsdestoweniger habe ich eine größere Achtung vor jemandem, der, weil er nichts weiter als Moses sehen kann, durch die Vollbringung des Gesetzes seinen Wandel in dieser Welt zu regeln trachtet, als vor jemandem, der dieses Gesetz verachtet, um sich selbst zu leben.
Gott sei Dank! das Evangelium gibt uns ein Heilmittel gegen beide Irrtümer. Doch auf welche Weise? Wird mir gesagt, dass das Gesetz gestorben sei? Keineswegs. Das Evangelium belehrt mich, dass ich, weil ich an den Herrn Jesus glaube, gestorben bin. „Ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben.“ Und zu welchem Zweck? Um mir selbst zu leben? Um meinen eigenen Willen zu tun und meinen Vergnügungen nachzujagen? Durchaus nicht, sondern „auf dass ich Gott lebe.“
Das ist eine Hauptwahrheit des Christentums, eine Wahrheit, ohne welche wir nicht wissen, was Christentum ist. Dasselbe finden wir in Römer 7: „Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet worden durch den Leib des Christus, dass ihr eines anderen werdet, des aus den Toten Auferweckten, auf dass wir Gott Frucht bringen“ (V 4). Und wiederum: „Nun aber sind wir vom Gesetz losgemacht, weil wir dem gestorben sind, in welchem wir festgehalten wurden, so dass wir dienen in dem Neuen des Geistes, und nicht in dem Alten des Buchstabens“ (V 6). Bemerken wir es wohl, dass wir dienen, und keineswegs uns selber leben müssen. Wir sind von dem unerträglichen Joch des Gesetzes erlöst, um das „sanfte Joch“ Christi zu tragen, nicht aber um unserer Natur Folge zu leisten. Deshalb schreibt auch der Apostel an die Galater: „Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder; allein gebraucht nicht die Freiheit zu einem Anlass für das Fleisch, sondern durch die Liebe dient einander“ (Kap 5,13).
Die Art und Weise solcher Menschen, die sich auf gewisse Grundsätze des Evangeliums berufen, um dadurch für die Befriedigung des Fleisches einen scheinbaren Rechtsboden zu finden, ist für ein ernstes Gemüt höchst anstößig. Sie suchen, sich der Autorität des Gesetzes zu entziehen, jedoch nicht, um sich unter die Autorität Christi zu stellen, sondern um nach ihren eigenen Lüsten zu leben. Eitles Bemühen! Solches kann nie auf Grund der Wahrheit geschehen; denn nirgends wird in der Schrift gesagt, dass das Gesetz gestorben oder bei Seite gesetzt ist, wohl aber, dass die Gläubigen dem Gesetz und der Sünde gestorben sind, auf dass ihre „Frucht zur Heiligkeit, das Ende aber ewiges Leben“ sei.
Wir legen diesen höchst wichtigen Gegenstand auf das Herz unserer Leser. Sie werden denselben in Römer 6 und 7, sowie in Galater 3 und 4 gründlich entwickelt finden. Ein richtiges Verständnis dieser Wahrheit wird uns über tausend Schwierigkeiten hinweghelfen und vor zahllosen Irrwegen bewahren. Möge das Wort Gottes eine vollkommene Macht auf unser Herz und unser Gewissen ausüben!