Botschafter des Heils in Christo 1874
Die Grundwahrheiten der Versammlung Gottes - Teil 3/3
6. Die Hilfsquellen des Glaubens und der Verfall des Christentums (2. Tim 2,11–12)
Wie viele höchst ernste Elemente drangen sich in diesem uns vorliegenden Gegenstand zusammen! Welch einen feierlich ernsten Anblick bietet das Christentum in seinen Trümmern, die zu augenscheinlich sind, um geleugnet werden zu können! Aber andererseits ist es ebenso feierlich, an die treue Güte Gottes zu denken, der im Voraus alles kannte und uns in dem Wort seiner Gnade mitteilte, indem Er, als das Böse, gleich einem verheerenden Strom, den Schauplatz des Namensbekenntnisses Christi auf der Erde zu überfluten im Begriff stand, uns in seiner liebenden Weisheit einen sicheren Pfad beschrieb – einen Pfad, den, obwohl dem Auge des Adlers verborgen, sein Volk erkennen, und auf welchem dasselbe in der glücklichen Gewissheit des Wohlgefallens Gottes wandeln kann.
Für solche, welche um des Herrn und der Wahrheit willen über den gegenwärtigen Lauf des Christentums trauern und sich weigern, mit demselben Gemeinschaft zu machen, ist es ein großes Bedürfnis, ein wo möglich kräftiges Zeugnis von dem mit Macht um sich greifenden Verderben zu geben, vor welchem, als es sich noch im Keim zeigte, das Wort Gottes schon im Voraus gewarnt hat. Zwar mag die Ablegung eines solchen Zeugnisses für manchen, der nicht geneigt ist, in den Wegen des Herrn entschieden zu wandeln, eine nicht geringe Versuchung sein. Aber unsere Herzen werden sich bald in das rechte Gleis gebracht sehen, wenn wir uns die Frage vorlegen: „Um was handelt es sich? und wessen Ehre suchen wir?“ – Der Herr bewahre uns, dass wir nicht an uns selbst denken; denn das ist eine Unehre für alle, die Christus angehören. Möge es unser einziger Ruhm sein, den Herrn zu verherrlichen!
Ich werde jetzt, insoweit der Herr mir Gnade gibt, zu zeigen versuchen, welches der Wille des Herrn ist. Ich hoffe vor allem den Blick derer zu erweitern, welche noch jung und unerfahren in der Wahrheit Gottes sind, indem ich ihnen zeige, wie treu der Herr und wie zuversichtlich sein Wort ist, damit sie, dadurch ermutigt, ihr ganzes Vertrauen auf Ihn und sein Wort setzen – auf Ihn, vor dessen Augen das Ende so klar wie der Anfang ist. Er ist der Weg, und nur auf diesem einen Wege kann sein Herz bezüglich derer, die Ihn lieben, völlige Befriedigung finden. Auch werden wir bei dieser Gelegenheit sehen, dass, obwohl die einstige Herrlichkeit der Kirche verschwunden, dennoch für den Glauben das kostbarste gesichert ist. Nicht als ob wir die Macht und Herrlichkeit des Herrn geringschätzten; o nein im Gegenteil; denn je höher der Platz ist, den wir den moralischen Wegen Gottes einräumen, und umso mehr wir dem, was uns die Gnade gesichert, einen höheren Wert, als der Entfaltung der Macht vor den Augen der Menschen, beilegen, desto mehr werden wir auch andererseits fühlen, welch eines Unrechts wir uns gegen den Herrn schuldig machen, wenn wir mit kalter Gleichgültigkeit auf die Schwäche unserer Tage, sowie auf die zunehmende frevelhafte Entehrung des Namens Jesu unter den auf diesen Namen Getauften herabschauen. Ich bin überzeugt, dass, wenn wir auf längst vergangene Zeiten, auf die ersten Tage der auf der Erde pilgernden Kirche, und auf die damals entfaltete Macht des Heiligen Geistes zurückblicken, wir für die Wunden, die Ihm im Haus seiner Freunde geschlagen sind, ein Gefühl haben werden. Es wird uns tief betrüben, dass das Gebühren der Kirche den Herrn genötigt hat, anstatt sie nach außen hin zu ehren, ihre Blöße aufzudecken und sie angesichts der Feinde seines Namens der Schande preiszugeben. Lasst uns dieses alles, sowie auch die noch tiefere Schmach anerkennen, dass die Gläubigen so wenig die Wahrheit schätzen und so wenig Gefühl für die Ehre der Person des Herrn in der Christenheit an den Tag legen – nicht einmal zu reden von dem fast allgemeinen Mangel an wahrem Verständnis dessen, was die Kirche in ihrer offenbar einfachsten Form ist, sowie von der totalen Vergessenheit ihrer herrlichen Einheit mit Christus und ihrer Hoffnung bezüglich der Zukunft. Wir befinden uns, wenn wir nicht nach unserem geringen Maße die Gefühle des Herrn teilen, keineswegs in einem solchen moralischen Zustand, um in den gegenwärtigen Verhältnissen richtig nach seinem Wort handeln zu können. Es ist wichtig zu verstehen, dass der Herr uns keine, eine bloße Nachahmung zulassende Andeutung in der Schrift gegeben hat. Es genügt z. B. nicht, dass wir die Briefe des Paulus zur Hand nehmen, und uns, als ob wir vollständig befähigt wären, alles Fehlende wiederherstellen zu können, ans Werk setzen und Älteste hin und wieder anstellen. Das uns von Gott gegebene Wort benutzen, und das, was zerstört und ruiniert ist, anmaßender Weise wiederherstellen wollen, sind zwei verschiedene Dinge. Wer die gefallene Kirche wieder aufzubauen trachtet, befindet sich in dieser Hinsicht nicht in Gemeinschaft mit Christus und verrät einen Mangel an geziemendem Misstrauen gegen sich selbst, sowie, gegenüber dem wahren Zustand der gegenwärtigen Dinge, eine Unkenntnis, die nicht um für eine schriftgemäße Wiederherstellung der Kirche ungeschickt, sondern aller Glaubensdemut, die ihr Vertrauen allein auf die gegenwärtigen Hilfsquellen in Christus setzt, gänzlich entblößt ist. Gott beharrt unwandelbar auf dem unumstößlichen Grundsatz, dass, wenn eine Abweichung von Ihm – ob vor der Sintflut, ob in Israel oder in der Kirche, kurz unter welchen Umständen, zu welchen Zeiten, an welchem Ort und unter welchem Volk es auch sein möge – stattgefunden hat, der erste Schritt zu moralischem Guten in der Anerkennung des von Gott verurteilten Bösen besteht. In diesem Fall wird man sich von der Anmaßung fernhalten, jene wunderbare Entfaltung der göttlichen Macht, Gnade und Weisheit in der Versammlung Gottes, welche nächst dem Kreuz das größte Werk Gottes auf der Erde ist, ersetzen oder wiederherstellen zu wollen. Solch arme, gebrechliche Gefäße, wie wir sind, die wir nicht einmal die Segnungen bewahren konnten, und die wir durch unsere Schwachheit und Unwachsamkeit eine Beute der List Satans geworden sind und Diebe und Räuber, die das Haus Gottes geplündert, eingelassen haben, – wie vermochten wir ein solches Werk zu tun? Sind das die Gefühle eines demütigen Glaubens? Wenn der Sündenfall Adams eine entsetzlich beklagenswerte Sache, wenn die Entehrung des Gesetzes Gottes für Israel ein Gräuel war, was muss die Verachtung Gottes, des Heiligen Geistes, für die Kirche sein? Die Kirche – der Brief Christi, die Behausung Gottes in dem Geist, der Gegenstand seiner vollkommensten Liebe, begnadigt in dem Geliebten, die Gerechtigkeit Gottes in Christus – hat praktisch die Herrlichkeit Gottes hienieden aufgegeben und das Werk ihrer Hände seinem Wort und Geist vorgezogen, um sich zu beugen vor den Götzen der Kunst und der Erfindung der Menschen. Ach! dieses ist abscheulicher als alles, was je die Schrift oder die Geschichte von weit weniger bevorzugten Zeiten und Menschen berichtet hat.
Lasst uns nun hören, was das Wort Gottes über diesen Gegenstand sagt; und wir werden alle zugeben müssen, dass der Herr die gegenwärtige Sachlage in aller Wahrheit zum Voraus angekündigt hat. Wir sehen in den Andeutungen, welche der Herr seinen Jüngern in Lukas 17 gibt, dass bis zum Kommen des Herrn zum Gericht die Welt nicht, wie etliche träumen, stufenweise aus einer Wildnis in ein Paradies umgewandelt werden wird, noch dass die Heiden ihre falschen Götter, oder die Juden ihre Feindschaft gegen den wahren Messias bei Seite legen werden, sondern wir sehen im Gegenteil, dass es sein wird wie in den Tagen Noahs und Lots, in jenen Tagen der Bequemlichkeit, der Weltlichkeit und der Erhebung der Menschen gegen Gott. „Und gleich wie es in den Tagen Noahs geschah, also wird es auch sein in von Tagen des Sohnes des Menschen: sie aßen, sie tranken, sie heirateten, sie wurden verheiratet, bis zu dem Tag, da Noah in die Arche hineinging und die Flut kam und alle umbrachte.“ Das sind die Vorbilder der Zustände zurzeit der Erscheinung des Herrn zum Gericht. Die Sorglosigkeit und die Liebe zur Bequemlichkeit wird bei den Menschen wesentlich dieselbe sein, wie vor der Sintflut. Wie damals werden auch dann die Menschen in die gewöhnlichen Dinge des tagtäglichen Lebens vertieft sein. Trotz Gesetz und Evangelium sieht man immer wieder jenen Zustand des Verderbnisses und der Gewalttätigkeit, welcher über die damals weniger Schuldigen die Sintflut hereinbrachte. Um nun gleichsam aber das düstere Gemälde der Tage des Sohnes des Menschen zu vervollständigen, liefert uns dasselbe Buch Mose die noch mehr abschreckende und entehrende Szene der Tags Lots nach der Flut. „Gleicherweise auch, wie es geschah in den Tagen Lots: sie aßen, sie tranken, sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten; an dem Tag aber, da Lot aus Sodom herausging, bedeutungsvolles (Wort!) regnete es Feuer, und Schwefel vom Himmel und brachte alle um. Auf diese Weise wird es an dem Tag sein, da der Sohn des Menschen offenbart wird.“
Dann sehen wir im Licht des Heiligen Geistes, dass der Brief das Zeugnis des Herrn in keiner Weise schwächen, sondern es im Gegenteil in jeder Beziehung bestätigen, jedoch mit dem Unterschied, dass das Zeugnis des Heiligen Geistes sich mehr auf das bekennende Christentum bezieht, während dasjenige des Herrn das Judentum zum Mittel– und Ausgangspunkt hat. So warnt z. B. der Heilige Geist in Römer 11 die aus den Nationen gesammelten Bekenner des Christentums, indem Er an das Ende desselben erinnert. „So rühme dich nicht wider die Zweige. Wenn du dich aber wider sie rühmst – du trägst nicht die Wurzel, sondern die Wurzel dich.“ – Die Juden, als die natürlichen Zweige, waren die Verwalter und Träger der Verheißungen und des Zeugnisses für Gott auf der Erde. Aber sie übertrafen das Gesetz, gingen den Götzen nach, verwarfen und töteten den Messias und wurden, nachdem sie schließlich noch die Annahme des ihnen durch das Evangelium dargebotenen letzten Rettungsmittels verweigerten, als die natürlichen Zweige des Ölbaums abgebrochen und die Nationen an ihrer statt in den alten Stamm des Bekenntnisses eingepfropft. Dann kommt die Warnung: „Du wirst nun sagen: Die Zweige sind herausgebrochen worden, auf dass ich eingepfropft würde. Recht, sie sind herausgebrochen worden durch den Unglauben; du aber stehst durch den Glauben. Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich; denn wenn Gott der natürlichen Zweige nicht verschont hat, dass er auch dich etwa nicht verschonen werde. Siehe denn die Güte und die Strenge Gottes; gegen die, die gefallen sind – Strenge, gegen dich aber, – Güte Gottes, wenn du an der Güte bleibst.“
Und hier möchte ich an einen jeden, welcher noch eine Spur von Gottesfurcht in sich trägt, oder der noch in etwa mit dem Wort Gottes bekannt ist, die Frage richten: Ist das Christentum an der Güte Gottes geblieben? Betrachten wir die römische, wie die protestantische Kirche, durchlaufen wir alle die verschiedenen Systeme, alle die existierenden Sekten und Parteien, und wir werden überall die Bestätigung finden, dass das Christentum nicht an der Güte Gottes geblieben ist. Und nach dem Wort des Herrn: „So wirst auch du ausgehauen werden“ – wird die Christenheit wegen ihrer Untreue ebenso gewiss von demselben Los getroffen werden, wie die Juden davon getroffen sind, welche, aus ihrem Erbteil verstoßen und als ein Sprichwort und eine Schmach auf der ganzen Erde zerstreut, augenscheinlich den Stempel der Verurteilung an ihrer Stirn tragen.
Alle die Briefe in den darauf bezüglichen Einzelheiten zu untersuchen würde die mir gesteckte Grenze überschreiten. Es genüge daher die Bemerkung, dass wenn wir die ganze Reihe der apostolischen Briefe an unseren Blicken vorübergehen lassen, wir in den Besitz eines zunehmenden, immer höher anschwellenden, ehrfurchtgebietenden Zeugnisses gelangen. Je nach dem Maß, wie das Verderben zunimmt, sehen wir auch die Merkmale des Gerichts immer augenscheinlicher hervortreten. In deutlichen und vernehmbaren, in immer stärkeren Tönen lässt der Geist Gottes die Posaune erschallen, um, wo irgend noch ein Ohr ist zu hören, die Treuen aus dem Schlummer zu wecken. Es ist dem Feind Gelungen, das Fundament des Christentums von Stufe zu Stufe zu untergraben; und mit Riesenschritten naht die Zeit heran, wo es der Schauplatz des Verderbens in seiner gröbsten Form sein wird. Eingeweiht zu einem System des Unglaubens und Aberglaubens, wird das Christentum, als der Sitz aller Gräuel, bald einen Zustand, abschreckender und schuldiger, denn je vorher etwas gefunden ward, zur Schau tragen, und schließlich das Werkzeug offenbarer Empörung gegen Gott sein.
Im zweiten Thessalonicherbrief erklärt der Apostel, dass der Abfall kommen und der Mensch der Sünde offenbart werden würde. Schon in seinen Tagen war das „Geheimnis der Gesetzlosigkeit wirksam;“ jedoch wird der völlige Ausbruch derselben durch die Hand des Herrn bis zu einer bestimmten Zeit gehemmt werden. Aber in dem Moment, wo diese Hand den Zügel schießen lässt, wird die Gesetzlosigkeit nicht länger ein Geheimnis bleiben, sondern vor aller Augen in die Erscheinung treten. Sie wird dann zum „Abfall“ herangereift und der Weg zur Offenbarung des „Menschen der Sünde“ gebahnt sein. Die Aussicht, welche uns die Heilige Schrift in dieser Beziehung gewährt, ist also keine andere, als die unausbleibliche Zunahme des Bösen – ein immer höher schwellendes, an Heftigkeit und Ausdehnung zunehmendes Verderben, dessen furchtbarstes Ergebnis hervorgerufen durch die Beseitigung des einzigen, sich ihm entgegen stammenden Dammes, nicht allein der „Abfall“, sondern der „Mensch der Sünde“ ist. Welch ein Gegensatz zu dem Menschen der Gerechtigkeit ist dieser Mensch der Sünde, der sich ermisst, den Platz Gottes im Tempel einzunehmen!
Das ist bezüglich des Christentums die wahre Anschauung für den auf der Wache stehenden Christen. Das Böse zeigte sich nicht gleich am Anfang in seiner ganzen Kraft; aber man gewahrte verschiedene und zunehmende Offenbarungen desselben. Der Apostel Johannes sagt: „So sind auch jetzt viele Antichristen geworben; daher wissen wir, dass es die letzte Stunde ist.“ Dieses ist umso beachtenswerter, weil er das Kommen des Antichristen, dessen Vorläufer schon vorhanden waren, ankündigt; und dieses war der Beweis, dass es die letzte Stunde war. Der Geist Gottes wollte das Neue Testament nicht eher als vollständig schließen, als bis das Böse in seiner schlimmsten Form, wenigstens in seinem Keim, soweit entdeckt war, dass es beschrieben werden konnte; und so ist uns also die Entstehung, der Fortschritt und der endliche Ausbruch der Gesetzlosigkeit, ja – was noch mehr ist – die Offenbarung des sich wider den Herrn der Herrlichkeit erhebenden Gesetzlosen selbst mitgeteilt worden. Die letzten Kapitel des Neuen Testaments zeigen uns das tausendjährige Reich, und zwar eingeleitet durch die Zerstörung des Tiers und des falschen Propheten samt ihrem ganzen Anhang, nachdem die Zerstörung Babylons schon vorher stattgefunden hatte.
Wir sind also schnell vorangeeilt, ohne auf die Beweise des Verfalls der Christenheit näher einzugehen – auf Beweise, die wir im Allgemeinen in den Briefen, ganz besonders aber in Vers 11 der Brief Judas in scharfen Zügen verzeichnet finden. Wer vernimmt hier nicht die ernsten Töne des sicheren, wenn auch noch schlummernden Gerichts? „Wehe ihnen! denn sie sind den Weg Kains gegangen“, den Weg jenes unnatürlichen Bruders, der als ein religiöser Mann sein Opfer darbrachte, aber den Schuldlosen erschlug. Wer sollte nicht die vorbildliche Bedeutung dessen verstehen, der den Lohn der Ungerechtigkeit liebte – die Bedeutung jenes Mannes, der gegen seinen Willen die herrlichsten Dinge über ein Volk weissagte, welches er nicht liebte, sondern es vielmehr an den Verderber zu verkaufen trachtete? Welch eine feierliche Sprache redet dieser Lohn der Ungerechtigkeit, den er für die Verkündigung der herrlichen Dinge Gottes empfing, ohne jedoch ein Herz für das Volk, geschweige denn irgendwelche Achtung oder Eifer für das Wort, für den Willen, oder für die Herrlichkeit Gottes zu haben! Und endlich welch eine ernste Warnung liefert uns jene entsetzliche Empörung Korahs, der „Wiederspruch“ derer, welche den Dienst des Heiligtums hatten und sich in ihrem levitischen Stolz den Platz Moses und Aarons (des Apostels und des Hohepriesters des jüdischen Bekenntnisses) anmaßten! Und gibt es nicht heutzutage noch solche, welche sich Diener Christi nennen und dennoch behaupten, die ausschließlich von Gott eingesetzten Priester und als solche bevollmächtigt zu sein, Sünden vergeben und auf der Erde von jeder Schuld vor Gott freisprechen zu können? Überall begegnen wir solchen, nicht einmal derer zu gedenken, welche in ihrer heidnischen Finsternis für Tote wie für Lebende sogar Opfer zu bringen wähnen. Nicht mit Bitterkeit reden wir von diesen Dingen; aber sollte uns der Anblick solcher Torheiten in der Christenheit nicht mit Bestürzung und Entsetzen erfüllen?
Dieses alles wird als Beweis genügen, wie wenig die Christenheit an der Güte Gottes geblieben ist. Wollte es aber dennoch jemand wagen, diese traurigen Erscheinungen zu verteidigen oder zu rechtfertigen, so verrät ein solcher nur, wie wenig er sich fürchtet, Gott zum Lügner zu machen, und offenbart sich sogar – sei es aus Unwissenheit oder mit Absicht – all diesen unzweideutigen Aussprüchen der Schrift gegenüber, als ein Verächter der diesen Gegenstand betreffenden Belehrungen des Heiligen Geistes. Das Wort Gottes ist für alle geöffnet; und darum sind wir verantwortlich, die Dinge so zu betrachten, wie Gott sie ansieht. Der Einwand, kein Urteil über diesen Punkt zu haben, ist sicher eine eitle Entschuldigung vor dem Herrn; denn der Geist Gottes, welcher alle Dinge beurteilt und unterscheidet, wohnt in jedem Gläubigen; und ein jeder, der sich solche Einwendungen erlaubt, sagt mit anderen Worten, dass er höchst ungeistlich sei. Aber wenn wir erkannt haben, dass das Christentum in jenen vorher verkündigten Zustand des Verderbens versunken ist, und dass das damals knospende Böse jetzt die bittersten und verderblichsten Früchte trägt, können wir dann noch länger daran Teil nehmen und im Blick auf unsere Beteiligung an dieser gemeinsamen Sünde gleichgültig bleiben? Wenn der Herr uns in seiner Gnade die nachdrücklichsten Warnungen erteilt, können wir uns dann noch mit der lockern und herabwürdigenden Entschuldigung, dass der Herr bei seiner Ankunft alles in Ordnung bringen werde, zufrieden stellen? Sicher wird Er alles ordnen; aber es wird zu spät sein, meine bewusste, den Herrn entehrende Untreue in Ordnung zu bringen. Meine Gleichgültigkeit gegen sein Wort und seine Herrlichkeit, meine Rücksichtslosigkeit gegen den Heiligen Geist, den ich durch mein praktisches Verhalten betrübt habe – dieses alles wird zu meiner Beschämung dienen. Ja, der Herr wird kommen und alles in Ordnung bringen, aber unstreitig durch ein schonungsloses, göttliches Gericht. Denn was wird Er hienieden finden? Etliche arme, zerknirschte Herzen – einen gottesfürchtigen Überrest, der unaufhörlich zu Gott schreit, gleich der bedrängten Witwe inmitten jener schuldigen Stadt, bewohnt von dem ungerechten Richter, der weder Gott noch Menschen fürchtete. Das wird die Sachlage hienieden sein. Wie betrübend daher, mit einem Zustand, der solche Resultate liefert, gemeinschaftlich voran zu gehen, und zwar unter dem lahmen und sündhaften Vorwand, dass der Herr bei seiner Ankunft alles in Ordnung bringen werde.
Lasst uns jetzt sehen, welche Vorsorge der Herr für die Seinen während dieser finsteren Tage getroffen hat. Zunächst wenden wir uns zu der bereits öfters angeführten Stelle in Matthäus 18,20: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte“, Welch eine zärtliche Sorgfalt und erhabene Weisheit offenbart der Herr in diesen Worten, im Blick auf die bösen Zeiten, für die Seinen! Selbst wenn die einst so stattliche Herde – jene Versammlung von Tausenden in der sichtbaren Fülle seiner Gnade, sich bis zu der Zahl von zweien oder dreien vermindern mochte, so sollte dennoch die Verheißung seiner Gegenwart nicht fehlen. Wir sind leider nur zu sehr geneigt, das Geringe zu verachten und nach dem, was in den Augen der Welt groß ist, zu trachten. Allein wer kein Herz für zwei oder drei hat, wird es auch nicht in der rechten Weise für zehntausend haben, und kann höchstens durch den alles überwältigenden Strom der Freude einer glücklichen Menge mit fortgerissen werden, wie es ohne Zweifel in jenen glänzenden Tagen der Fall gewesen sein mag, wo der Heilige Geist hernieder kam, und die Wogen des geistlichen Lebens so hochgingen, dass alle jene später ans Licht getretenen bösen Elemente überflutet wurden.
Welch eins Gnade, dass, gemäß dieser herrlichen Verheißung, die Gedanken des Herrn, in der Voraussicht des kommenden Verderbens, schon auf etliche wenige gerichtet waren, die sich vielleicht in irgendeinem abgelegenen Dorf, oder in einem einsam den Ozean durchkreuzenden Schiffe, oder in einer öden Gegend, oder auch in einer großen, volkreichen Stadt, wo die Jünger des Herrn oft vereinzelter als sonst irgendwo stehen, in seinem Namen versammeln würden. Überall und zu allen Zeiten hat der Herr die in seinem Namen versammelten seinen mit der Macht seiner eigenen Autorität gestempelt. Nie und nimmer werden seine Segnungen fehlen. Denn seit Er segnend von den Seinen geschieden, ist Er stets derselbe für sie geblieben; und keine Gefahr, kein Verderben in der Christenheit vermag den unendlichen Wert seines kostbaren Blutes zu beschränken, sowie nimmer die Erlösung, gleich dem ersten Bunde, veralten und verschwinden kann. Aber hier ist mehr als dieses; hier ist die Macht seiner Autorität, welche selbst der unscheinbarsten, geringsten Vertretung seiner Versammlung gewährt ist. Sowohl zwei und drei haben über die Aufrechthaltung eines mit dem Charakter Christi übereinstimmenden Wandels mit demselben Eifer zu wachen, als wenn ihrer dreitausend wären. Aber dieses kann nur durch die Ausübung der Zucht geschehen. Die Verpflichtung eines reinen Wandels steht mit dem Dasein und der Unversehrtheit der Versammlung Gottes in Verbindung; denn diese hört auf, die Versammlung Gottes zu sein, wenn nicht die heilige, ernste und feierliche Ausübung der Anordnungen Gottes stattfindet. „Fegt den alten Sauerteig aus, – auf dass ihr eine neue Masse werdet, gleich wie ihr ungesäuert seid.“ Diese Verantwortlichkeit kann durch den Verfall ebenso wenig angetastet werden, wie auch nicht die Segnungen der Gnade und Fürsorge des Herrn dadurch verhindert werden können. Welch ein sicherer und unschätzbarer Trost ist dieses!
Deshalb sollte jeder Gläubige bedenken, dass es nicht seine Stellung ist, Anhänger irgendeines kirchlichen Systems oder einer besonderen Ansicht zu sein, sondern sich im Gegenteil nur für das eine zu entscheiden, was er dem Herrn schuldig und was seiner würdig ist, nämlich – und wir können sicher nicht zu entschieden und zu gründlich in dieser Beziehung sein – jedes Band, welches ihn nicht mit Christus verbindet, zu verleugnen und zu zerreißen. Nur da, wo wir Christus in der Mitte der Seinen nach jeder Richtung hin gehorchen können, und wo dem Heiligen Geist Raum gelassen wird, unumschränkt nach dem Wort Gottes zu wirken, ist die Versammlung. Gottes, und sonst nirgendwo. Die freie Wirksamkeit des Geistes aber besteht allein und ausschließlich darin: Christus zu verherrlichen und das Ansehen seines Namens zu wahren. Daher sollten alle, welche überzeugt sind, dem Herrn anzugehören, nicht mehr Anhänger von menschlichen Religionssystemen sein, sondern sich vielmehr um das eine vollkommene Banner scharen, welches Gott nicht allein hinsichtlich des Glaubens, sondern der kirchlichen Gemeinschaft aufgepflanzt hat. Ein entgegengesetztes Verhalten ist nur eine Entehrung des Wortes Gottes und des Heiligen Geistes. Keiner, selbst der weiseste unter den Menschen vermöchte ein Banner aufzurichten, welches für alle Zeiten paffend wäre, wie Gott dieses getan hat und durch den Glauben anerkannt und verwirklicht wird.
alle Kinder Gottes erkennen an, dass das Wort Gottes bezüglich der Seelenrettung vollkommen weise ist; und niemand von ihnen wird, wenn es sich um den ewigen Ausgang handelt, seine Seele den Lehren der Menschen anvertrauen. Aber ist es nicht vermessen, das Wort, wenn es sich um die Kirche, den Kultus, den Dienst, das Abendmahl und die Anbetung handelt, bei Seite zu legen? Wie kommt es doch, dass die Menschen so selten daran denken, sich allein durch das Wort leiten zu lassen, und dass fast jede Partei, wenn ihr etwa ein Prediger fehlt, nichts Eiligeres zu tun weiß, als sich einen solchen zu wählen, obwohl ihnen die Schrift keineswegs die Erlaubnis dazu erteilt und auch die Versammlungen der ersten Tage dieses nimmer getan haben? Ach! man fragt Gott in seinem Wort nicht um Rat. Was aber würden in einem solchen Fall die im Namen Jesu Versammelten tun? Ihnen genügt in dem Gefühl ihres Mangels und ihrer Schwachheit das Wort ihres Herrn: „Wo zwei und drei versammelt – sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte.“ Nicht, als ob ich den Wert der Gaben geringschätzte. Das sei fern. Allein einfach dem Herrn unterworfen zu sein und auf Ihn zu warten, bis Er jemanden sendet, wird vor allem das Beste sein. Und in der Tat, da wir nicht dazu beauftragt sind, so haben wir auch nicht nötig jemanden zu wählen; denn alles ist unser, „es sei Paulus, oder Apollos, oder Kephas.“ Es ist Gottes Sache zu wählen und zu geben. Er hat alle seine Diener mit der Versammlung verbunden; sie sind Glieder des Leibes Christi und seine Gaben für die Versammlung. Wie sehr betrügen sich daher solche, die, indem sie sich ihren Prediger wählen, sich dadurch auf das persönliche Maß seiner Gabe beschränken müssen, es sei denn, dass er alle Gaben in seiner Person vereinigte.
Nehmen wir einen anderen Fall. Die Gläubigen befinden sich wegen einer gewissen Sache – etwa wegen einer Irrlehre, oder wegen eines in Sünden gefallenen Bruders – in einer schwierigen Lage, indem sie aus Mangel an klarem Urteil nicht wissen, welchen Weg sie in dieser Angelegenheit einzuschlagen haben; was werden sie tun? Sie werden auf den Herrn warten – eine für uns umso heilsamere Sache, weil man fühlen muss, dass Er allein helfen kann. Und Er, der, seine Heiligen liebend und für sie sorgend, in ihrer Mitte ist, wird die Angelegenheit durch irgendein Mittel in einer Weise klaren, dass ihre Gewissen auf den Ruf des Herrn antworten und handeln konnten. Solche Entscheidungen sind, wenn der Wille der Heiligen wirksam ist, eine Prüfung für das Herz; aber sie zeigen Zugleich, dass nicht ihre Weisheit oder ihre Erfahrungen richtig zu leiten vermögen, sondern dass allein der in ihrer Mitte weilende Herr dazu im Stande ist.
Wir müssen uns jedoch stets erinnern, dass unser Zusammenkommen im „Namen Jesu“ ebenso wenig für unsere Engherzigkeit und Sektiererei, wie für die gröbere Form der Gemeinschaft mit der Welt oder dem offenbaren Bösen Raum lässt. Wie könnten zwei und drei im Namen Jesu Versammelten zusammen glücklich sein und zu gleicher Zeit einen außerhalb ihrer Gemeinschaft stehenden Bruder, mit argwöhnischen Blicken betrachten? Ein solches Verhalten würde nur zu augenscheinlich den Beweis liefern, dass solche ihr Vorrecht nicht verstehen und sich in einer falschen Stellung befinden. Der Herr sieht die Seinen nie mit argwöhnischen Blicken an, noch prüft Er sie, als misstraue Er ihrem zweifelhaften Charakter, sondern heißt sie alle (ich rede hier natürlich nicht von solchen, die wegen einer Irrlehre oder wegen eines unlauteren Wandels verdächtig sind) von Herzen willkommen; und darum wird man auch da, wo man den Wert seines Namens kennt, ein Herz für alle Gläubigen haben. Dagegen wird man sich entschieden fernhalten von jemandem, der, mag er auch in gutem Ruf stehen, in der Welt geachtet und auch wohl in irgendeiner Weise im Werk des Herrn tätig gewesen sein, einen Mangel an Herz und Gewissen für Christus verrät. Also ist der Name Jesu der Prüfstein, um einerseits selbst den Schwächsten, der Ihn liebt, aufzunehmen, und andererseits uns von jeglichem, der nicht den Herrn Jesus Christus in Unverderblichkeit liebt, entfernt zu halten. Welche Macht ist in diesem Namen! Er verbindet Herzen, die sich völlig fremd waren, und enthüllt und schließt alles aus, was nicht aus Gott ist. Mag es sich um eine Wahrheit, mag es sich um die Zucht, mag es sich um Personen oder Grundsätze handeln – alle dazu nötige Weisheit und Macht wird allein in diesem kostbaren Namen gefunden.
Indem wir uns jetzt zu 2. Timotheus 2 wenden, sehen wir ein durch den Heiligen Geist entworfenes Bild der bekennenden Kirche, des Hauses Gottes. In dem ersten Brief trägt der Apostel Sorge für die Aufrechthaltung der Ordnung und einer guten Regierung im Haus Gottes, während er in der zweiten die Zunahme des Bösen in einer Ausdehnung voraussetzt, dass er nur auf das Haus als ein – Gleichnis anspielt. „Doch der feste Grund steht – und hat dieses Siegel: Der Herr kennt, die sein sind, und: Ein jeglicher, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit.“ Hier haben wir die beiden großen Grundsätze, denen wir überall begegnen, nämlich einerseits die Souveränität des Herrn, und andererseits die Verantwortlichkeit. Dann folgt eine mehr ausführliche Anwendung. „In einem großen Haus aber sind nicht allein goldene und silberne Gefäße, sondern auch hölzerne und irdene; und die einen zur Ehre, die anderen zur Unehre.“ Timotheus musste auf die Entwicklung des Bösen unter denen, welche Christus nicht „zur Ehre“, sondern „zur Unehre“ bekennen, vorbereitet werden. „Wenn sich nun jemand von diesen reinigt, der wird ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werke bereitet.“ Trennung vom Bösen ist der unwandelbare Grundsatz Gottes, und zwar bestimmt je nach dem Charakter der verschiedenen Haushaltungen. „Tut den Bösen von euch selbst hinaus“, heißt es in 1. Korinther 5; wenn dieses aber nicht länger möglich war, so müsste man sich selbst von den Bösen reinigen. Es gibt nichts, was der Mensch mehr fühlt und fürchtet. Und kein Wunder; denn sobald jemand in dieser Beziehung nach seiner Überzeugung handelt, muss er erfahren, dass sich honigsüße Freundschaft in gallenbittere Feindschaft umwandelt; und der Wunsch, um jeden Preis Gott zu gefallen, wird als pharisäischer Stolz und hochmütige Absonderung betrachtet. Mit welcher Sanftmut und Höflichkeit man sich auch von den Gefäßen der Unehre trennen mag, so kann doch nichts den Groll und den Ärger derselben besänftigen; immer bleibt es in ihren Augen eine verwerfliche Sache und eine unverzeihliche Beleidigung. Und dieses tritt umso mehr zu Tage, je bescheidener man dabei zu Werke geht, vorausgesetzt, dass die Sache gründlich ist, und dass nicht täuschende Gefühle dabei leiten, sondern nur der Wunsch vorhanden ist, Christus mit einem glücklichen Herzen ganz unterworfen zu sein. Bemerken wir indes, dass es sich in 2. Timotheus 2 um die Trennung von der religiösen oder christlichen Welt handelt. Die christliche Welt – welch ein Ausdruckt Welch ein Widerspruch! Als wenn auch nur die entfernteste Möglichkeit einer Verbindung zwischen dem vom Himmel, von Christus stammenden Christentum und der Welt, welche Ihn gekreuzigt hat, stattfinden könnte. Kein Wunder, dass wir – in diesem Brief von schweren Zeiten in den letzten Tagen lesen. Und diese Zeiten sind umso schwerer, weil die Menschen, nachdem sie die Wahrheit erkannt haben, wieder zu dem wesentlichen Zustand des Bösen, in welchem sich die heidnische Welt vor der Zeit des Christentums befand, zurückgekehrt sind. Vgl. 2. Timotheus 3 mit Römer 1. Wie schmerzlich und belehrend ist dieser Vergleich! Das christliche Bekenntnis ist in diesem Zustand der Dinge fürwahr ein großes Haus, in welchem alles das gefunden wird, was sowohl für die gemeinsten, als auch für die besten Zwecke bestimmt ist. Es ist das große Haus, welches den Namen Christi trägt – oder, wenn man will, die „christliche Welt“ genannt werden kann.
Was hat der Gläubige unter solchen Verhältnissen zu tun? Etliche sagen: „Man darf über das große Haus nicht zu streng urteilen; denn da das christliche Bekenntnis noch vorhanden ist und Christus gepredigt wird, so ist doch noch etwas Gutes da.“ Aber – erwidere ich – könnte man wohl etwas Böses in der Welt finden, das nicht mit irgendeinem schönen Namen geschmückt wäre? Die wichtige Frage in diesen Umständen ist nicht, ob hier und da noch etwas Gutes vorhanden sei, sondern einfach: Was ist der Wille des Herrn? Wir haben nicht darüber Sorge zu tragen, dass andere in unserem Licht, sondern darüber, dass wir nicht in ihrer Finsternis wandeln. Der wesentliche Punkt ist nicht, dass wir uns mit anderen beschäftigen und ihnen bezüglich dessen, was sie zu tun haben, Vorschriften machen, sondern dass wir unsere eigene und unsere gemeinsame Sünde fühlen und durch die Gnade entschlossen sind, den Herrn um jeden Preis zu ehren und Ihm zu gehorchen. Dieses ist die klare und gebieterische Pflicht eines jeden Gläubigen, der unbeugsame, unserem Geist sich empfehlende Grundsatz der Schrift. Es ist möglich, dass irgendeines meiner Leser nicht demgemäß handelt; aber nichtsdestoweniger kann er nicht leugnen, dass er also handeln sollte. Ich gebe zu, dass es Schwierigkeiten und Verbindlichkeiten gibt. Mancher hat Familienglieder oder Freunde, die er nicht betrüben möchte, oder Hoffnungen, wenn auch nicht für sich selbst, so doch für seine Kinder. Aber kann ein durch Glauben gereinigtes Herz also des Herrn Wort bei Seite setzen? Dürfen wir dem Gedanken – Raum geben, dass der Herr unsere Bedürfnisse nicht kenne und kein Gefühl für unsere Familie habe? Wenn wir wissen, dass Er uns liebt, können wir Ihm denn nicht bezüglich eines Bissen Brotes Vertrauen schenken? Wenn wir Ihm in Bezug auf das ewige Leben und den Himmel vertrauen, so sollten wir sicherlich auch voraussetzen, dass Er hinsichtlich der Prüfungen und Schwierigkeiten des täglichen Lebens Sorge für uns trägt. Wir dürfen uns nicht einbilden, dass wir mehr Weisheit, Liebe und Fürsorge für unsere Familie haben, als der Herr. Lasst uns nicht für den nächsten Schritt sorgen; denn es ist nicht die Weise des Herrn, uns alles auf einmal zu zeigen; sondern lasst uns für den Augenblick nach seinem Wort handeln und Ihm die Folgen anheimstellen. Er ist unseres Vertrauens würdig und wird mehr geben, als wir für den ersten Schritt bedürfen. Jedoch müssen wir für immer verlassen, was durch das Wort Gottes verurteilt ist. „Gedenkt an Lots Weib“, und schaut nicht zurück, sondern folgt seinem Wort, wohin es auch führen mag, und ihr werdet stets das Wort: „Wer da hat, dem wird gegeben werden“, bestätigt finden. Freilich macht es in unseren Augen einen großen Unterschied, ob der Weg rau oder eben, dunkel oder hell ist, und ob die Schwierigkeiten groß oder klein sind, allein die größten Schwierigkeiten bieten nur eine Gelegenheit, um ans Licht zu stellen, wer der Gott ist, welchen wir gefunden haben.
Dann sehen wir in dem weiteren Verlauf unseres Kapitels, dass wir uns nicht allein von den Gefäßen der Unehre zu trennen haben, sondern es heißt auch: „Die jugendlichen Lüste aber fliehe; strebe aber nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe, Frieden mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen.“ Es gibt also keine Entschuldigung für solche, welche sagen: „Ich lasse mich mit nichts ein und bleibe für mich.“ Wir müssen allem, was der Schrift entgegen ist, den Rücken wenden. Es bedarf sicherlich keines Beweises für irgendeinen Christen, dass das, was schriftwidrig, auch unheilig ist. Es ist aber höchst betrübend, wenn man Christen mit den Worten drängen muss: „Wer da weiß, Gutes zu tun, und tut es nicht, dem ist es Sünde.“ Wenn du das, was die Schrift nicht gestattet, sondern im Gegenteil verurteilt, verlassen hast, dann achte auf das Wort: „Strebe aber nach! Gerechtigkeit, Glauben, Liebe, Frieden.“ „Strebe danach, und zwar nicht gleich einem Einsiedler, sondern in Verbindung mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen“, – und wäre dieses auch in Verbindung mit nur „zweien und dreien“. O welch ein Trost! Schrecken wir nicht zurück vor einer so geringen Zahl, die Gott – aber das ist seine Sache – ohne Zweifel zu Hunderten und taufenden anwachsen lassen kann. Unsere Aufgabe ist, dem Pfad des Herrn mit Freude und Dankbarkeit und mit einem lauteren und demütigen Herzen nach seinem Wort zu folgen, auch wenn wir nur wenige finden, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen. Der Glaube hat die göttliche Bürgschaft auf seinem Pfad, obgleich derselbe zwischen den Trümmern des christlichen Bekenntnisses hindurchführt, Gefährten zu finden. Schrecken wir vor keinem Hindernis, vor keiner Gefahr zurück, sondern lasst uns stets daran denken, dass der Herr es ist, der so gnädig an uns gedacht hat. O möchten wir doch alle, die wir seinen gesegneten Namen lieben, ein unbegrenztes Vertrauen auf ihn setzen! Er selbst wendet sich an die Herzen derer, die inmitten der Verunehrung seiner Gnade und Wahrheit betrübt sind, um ihnen auf die deutlichste Weise den Pfad, nicht allein der Trennung, sondern auch der Verbindung zu bezeichnenden Pfad, de? nicht nur vom Bösen absondern auch zum Guten hinführt.
Wie klar ist der große moralische Grundsatz Gottes trotz aller Unordnung geblieben! Die Wirkungen seiner Gnade überdauern den ganzen Verfall. Wenn auch tausende von Christen sich zu irgendeiner Partei vereinigen, so vermögen sie doch nicht das Grundübel ihres Systems zu heilen; denn obwohl sie Glieder Christi sein mögen, so haben sie doch den Grundsatz der Versammlung in ihrer wahren Verfassung verlassen. Wenn hingegen „zwei und drei“, oder wie viele und wenige ihrer auch sein mögen, nach dem Wort des Herrn seinen Namen zu ihrem Mittelpunkt machen, die Gegenwart des Geistes Gottes anerkennen und seiner Leitung unterworfen sind – diese und nur diese führen die Gedanken Gottes nach der wahren Einsicht des Heiligen Geistes aus. Mögen auch zehntausend wahre Christen sich vereinigen, so bilden sie dennoch nur dann die Versammlung Gottes, wenn sie im Namen des Herrn versammelt sind. Der Unterschied ist, dass wir uns nicht versammeln im Namen von Christen, sondern im Namen Christi. Der erste Fall gestattet uns nicht, einen unlauteren Christen zurück zu weisen, während in letzterem Fall die entscheidende Frage gilt: „Ruft er den Herrn an aus reinem Herzen?“
Der Herr wolle uns geben, mit Ausdauer und mit einem demütigen Herzen da zu stehen, wo Er uns haben will, und im Vertrauen auf Ihn alle Befürchtungen und Besorgnisse schwinden zu lassen. Denn wenn der Herr unser Helfer ist, was hätten wir dann noch zu fürchten? Er, der allein würdig ist, der angemessene und rechtmäßige Mittelpunkt aller Heiligen auf der Erde zu sein, hat in seiner unendlichen Gnade verheißen, selbst dann in der Mitte zu sein, wenn auch nur „zwei und drei versammelt sind in seinem Namen“.