Botschafter des Heils in Christo 1874
"Gott ist für uns."
Wie viel ist in diesen wenigen Worten enthalten! Wir sehen Gott mit uns durch das Wörtchen „für“ in Verbindung gebracht. Dieses sichert alles für Zeit und Ewigkeit. Nichts, selbst nicht das Geringste von dem, dessen der Mensch bedarf, ist zu finden, was nicht in diesen wenigen Worten mit einbegriffen wäre. Wenn Gott für uns ist, dann folgt notwendig, dass weder unsere Sünden, noch unsere Vergehungen, weder unsere verdorbene Natur, noch Satan, noch die Welt, noch endlich eine andere Kreatur uns irgendwie im Weg sein können, um unseren gegenwärtigen Frieden oder unser ewiges Glück zu stören. Gott kann sich aller bedienen; und Er hat es getan, und zwar in einer Weise, dass dadurch seine Herrlichkeit offenbart und sein Name für ewig verherrlicht worden ist.
Es könnte indes einer unserer Leser sich zu der Frage veranlasst fühlen: woraus zu schließen sei, dass er das kostbare Wörtchen „uns“ auf sich selbst anwenden dürfe? Das ist in der Tat eine sehr wichtige Frage. Unser ewiges Wohl und Wehe hängt von der Antwort ab. Wie denn können wir wissen, dass Gott für uns ist? Ist denn im Blick auf uns selbst irgendein Grund vorhanden, um dessentwillen Er für uns sein könnte? O nein; Er hat im Gegenteil Grund genug, um gegen uns zu sein. Aber trotz allem, was wir sind und was wir getan haben, wollen wir durch Gottes Gnade fünf Punkte zum Beweis aufstellen, dass Gott in all unserem Elend, in all unserer Not und Gefahr für uns ist. Der erste große Beweisgrund, den wir anführen wollen, ist die Gabe Seines Sohnes. „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass Er seinen eingeborenen Sohn gegeben, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren sei, sondern ewiges Leben habe“ (Joh 3,16). – Es gereicht uns zu großer Freude, unsere Beweise mit diesen herrlichen Worten beginnen zu können. Dieselben begegnen von vorn herein einer Ungewissheit, die sich dem ängstlichen Gemüt meines Lesers aufdrängen möchte – einer Ungewissheit, die sich auf die Tatsache gründet, dass Römer 8,31, sowie überhaupt der ganze Brief nur auf Gläubige anzuwenden ist. Gott sei gepriesen! Diese Ungewissheit muss schwinden im Blick auf diese ermunternden, alles umfassenden Worte dessen, der da sprach, wie nimmer ein Mensch gesprochen. Wenn wir von den Lippen unseres gesegneten Herrn die Worte: „Also hat Gott die Welt geliebt“, vernehmen, so haben wir keinen Grund, um gegen ihre Anwendung auf alle, welche in dem Wort „Welt“ mit einbegriffen sind, irgendeinen Zweifel aufkommen zu lassen. Wenn jemand behaupten möchte, dass die freie Liebe Gottes sich ihm nicht zuwende, so muss er vorher den Beweis liefern, dass er nicht einen Teil von der Welt ausmache, sondern sich unter eine Klasse von Wesen zähle, die einer anderen Sphäre angehört. Hätte der Herr gesagt: „Also hat Gott einen gewissen Teil der Welt geliebt“, – dann würde es allerdings absolut notwendig sein, sich als diesem Teil angehörend zu vergewissern, um jene Worte auf sich anwenden zu können. Wenn Er gesagt hätte, dass Gott die Berufenen, die Auserwählten geliebt habe, dann müssten wir unbedingt wissen, ob unser Platz unter denselben sei, bevor wir die köstliche Verheißung der Liebe Gottes bezüglich der Hingabe seines Sohnes uns zueignen dürften.
Doch – Gott sei gepriesen! – der Herr spricht nicht in einer solchen Weise. Er richtete diese Worte an jemanden, der von Jugend auf nur einen höchst beschränkten Begriff von der Gunst und Güte Gottes hatte. Nikodemus hatte durch Unterricht sich die Anschauung gebildet, dass der reiche Strom der Güte, Liebe und Barmherzigkeit Jehovas sich einzig und allein in die engen Grenzen des jüdischen Systems zu ergießen vermöge. Die Vorstellung, dass dieser Strom seine Ufer überfluten und sich selbst bis zu den Nationen ausdehnen könne, hatte nimmer die Gedanken eines Mannes beschäftigt, welcher nur unter den Einflüssen des Judentums seine Erziehung genossen hatte. Es muss daher höchst seltsam in seinen Ohren geklungen haben, von den Lippen eines „von Gott gekommenen Lehrers“ die Äußerung zu hören, dass Gott nicht bloß die jüdische Nation, auch nicht nur einen gewissen Teil der Menschheit, sondern die „Welt“ zu einen? Gegenstand seiner Liebe gemacht habe. Ohne Zweifel musste diese Äußerung das höchste Erstaunen, des „Lehrers in Israel“ hervorrufen, zumal da er hören mühte, dass es selbst für ihn, trotz seiner religiösen Vorrechte, eine Notwendigkeit sei, „von neuem geboren zu werden, um in das Reich Gottes eingehen zu können.“
Stellen wir denn hierdurch nicht die köstliche Wahrheit der Gnadenwahl oder der göttlichen Berufung in Frage? Das sei ferne. Wir betrachten dieselbe vielmehr als eine der Grundwahrheiten des Christentums; wir glauben an die ewigen Ratschlüsse unseres Gottes, an die Absichten seiner auswählenden Liebe, Seiner großen Barmherzigkeit. Aber verhindern denn diese die Auswahl betreffenden Dinge in gewissem Gerad nicht die gnadenreiche Tätigkeit der göttlichen Natur oder den Ausfluss der Liebe Gottes gegenüber einer verlorenen Welt? In keiner Weise. Gott ist Liebe. Das ist seine gesegnete Natur; und diese Natur muss sich gegen alle Menschen offenbaren. Der Irrtum liegt in der Annahme, dass Gott deshalb nicht alle Menschen oder die ganze Welt lieben und aller Kreatur die frohe Botschaft der freien Erlösung verkündigen lassen könne, weil Er – uneingeschränkt in seiner Gnade und Barmherzigkeit – nach seinen Vorsätzen, Ratschlüssen und Bestimmungen handelt, und weil Er von aller Ewigkeit her sich ein Volk zum Lob seiner Herrlichkeit auserwählt hat, und die Namen der Erlösten vor Anbeginn der Welt im Buch des Lammes eingeschrieben waren. Beide Wahrheiten, obwohl gänzlich voneinander verschieden, sind im Wort Gottes klar und bestimmt auf ihren Platz gestellt, die eine derselben nimmt oder schwächt nicht im Geringsten die Kraft und Bedeutung der anderen, sondern beide zusammenstellen uns die köstliche Harmonie der göttlichen Wahrheit, die herrliche Einheit der göttlichen Natur vor Augen. Der Prediger des Evangeliums hat es daher ausschließlich und allein mit der Tätigkeit der göttlichen Natur und dem Ausfluss der göttlichen Liebe zu tun. Er hat sich in seiner gesegneten Wirksamkeit nicht durch etwaige Hinweisungen auf Gottes geheime Ratschlüsse zu beschränken, obwohl er derselben vollkommen eingedenk ist. Seine Mission gilt der Welt, der ganzen Welt; der Inhalt seiner Predigt ist die Errettung – eine Errettung, so Vollkommen, wie das Herz Gottes voll Liebe ist, so dauernd, wie der Thron Gottes, so frei wie der hin und her wehende Wind – eine Errettung, die allen ohne Ausnahme und ohne irgendwelche Bedingung angeboten wird. Das Fundament seines Wirkens ist der Versöhnungstod Christi, welcher alle Hindernisse aus dem Weg geräumt und die Tore weit geöffnet hat, damit der mächtige Strom der göttlichen Liebe sich mit seinem ganzen Reichtum und in all seiner Segensfülle auf eine schuldige und verlorene Welt ergießen könne.
Hier liegt – mögen wir es wohl beachten – in Bezug auf das Evangelium Gottes die Verantwortlichkeit des Menschen. Wenn es in der Tat eine Wahrheit ist, dass Gott die Welt also liebte, dass Er seinen eingeborenen Sohn gab – wenn es sein Wille ist, dass alle Menschen errettet und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, wenn Er nicht will, dass jemand verloren gehe, sondern dass alle zur Buße kommen, dann ist sicher ein jeglicher, der dieses herrliche Evangelium hört, unter die ernsteste Verantwortlichkeit gestellt, zu glauben, um errettet zu werden. Keiner kann mit Aufrichtigkeit und Wahrheit sagen: „Ich hatte Verlangen, von dem kommenden Zorn errettet zu werden; aber ich war verhindert durch den unabänderlichen Ratschluss Gottes, welcher mich unwiderruflich für die Hölle bestimmt hatte.“ Weder in dem ganzen Worte Gottes, noch in der ganzen Tragweite seiner Tätigkeit, weder in dem Ausdruck seines Charakters, noch in der Ausübung seiner moralischen Regierung finden wir auch nur den schwächsten Schatten von einer Grundlage für einen solchen Einwand. Für niemanden ist eine Entschuldigung übriggeblieben. Gott kann allen, die sein Evangelium verworfen haben, die Worte zurufen: „Ich wollte, aber ihr habt nicht gewollt.“ Es gibt durchaus nichts im Wort Gottes, was zu der irrigen Annahme Veranlassung geben könnte, dass von Seiten Gottes ein Teil seiner Geschöpfe zu ewiger Verdammnis bestimmt sei. Ewiges Feuer ist bereitet dem Teufel und seinen Engeln (Mt 25); der Mensch aber stürzt sich mit seinem eigenen Willen hinein. Gefäße des Zorns sind nicht durch Gott, sondern durch sich selbst zum Verderben bereitet (Röm 9). Ein jeder, welcher in den Himmel geht, wird Gott dafür zu danken haben; ein jeder, der zur Hölle fährt, wird es sich selbst zuschreiben müssen.
Andererseits dürfen wir es nicht aus den Augen verlieren, dass der Sünder nichts mit Gottes unerforschlichen Ratschlüssen zu tun hat. Was weiß er, was kann er in Betreff derselben wissen? Durchaus nichts. Er hat es ausschließlich und allein mit der offenbarten Liebe Gottes, mit seiner ihm angebotenen Barmherzigkeit, mit seiner freien Erlösung, mit seinem herrlichen Evangelium zu tun. Wir dürfen ohne Furcht behaupten, dass, solange in dem göttlichen Buch die herrlichen Worte stehen: „Jeder, wer da will, komme und nehme das Wasser des Lebens umsonst“ (Off 22), es irgendeinem Sohn oder einer Tochter Adams unmöglich ist, zu sagen: „Ich verlangte nach Errettung, aber konnte sie nicht erlangen; ich dürstete nach dem Wasser des Lebens, konnte es aber nicht erhalten, weil der Brunnen zu tief war und ich kein Gefäß zum Schöpfen hatte.“ O nein, eine solche Sprache wird nimmer aufkommen, ein solcher Einwand wird nimmer in den Reihen der Verlorenen erhoben werden können. Wenn die Menschen die Schwelle der Ewigkeit überschritten haben, dann werden sie klar einsehen, was sie jetzt so dunkel und sich einander widersprechend finden, nämlich die vollkommene Harmonie zwischen der frei handelnden Gnade Gottes und dem freien an alle Menschen gerichteten Anerbieten der Errettung – die vollkommenste Übereinstimmung zwischen göttlicher Unumschränktheit und menschlicher Verantwortlichkeit.
Wir wünschen, dass der Leser diese Tatsachen in ihrer ganzen Wirklichkeit erkennen möge. Es ist von höchster Wichtigkeit, die Wahrheit in ihrer vollen Tragweite in der Seele festzuhalten und die Strahlen der göttlichen Offenbarung – ungeschwächt durch die trübe Atmosphäre menschlicher Theologie – auf Herz und Gewissen wirken zu lassen. Es ist gefährlich, eine gewisse Anzahl von Wahrheiten aufzunehmen und sie zur Grundlage eines Systems zu benutzen. Wir bedürfen der Kraft der ganzen Wahrheit. Das Wachstum und die praktische Heiligung der Seele werden nicht durch einzelne Wahrheiten, sondern durch die Wahrheit in ihrer ganzen Fülle hervorgebracht, wie sie in der Person Christi verkörpert und durch den ewigen Geist in der Heiligen, Schrift offenbart ist. Wir müssen unsere durch Gewohnheit eingesogenen Meinungen gänzlich fahren lassen und uns als unwissende Kindlein zu den Füßen Jesu niedersetzen, um durch seinen Geist aus seinem heiligen Worte belehrt zu werden. Nur dann werden wir Ruhe finden gegenüber allen sich widersprechenden und das aufrichtige Gemüt beängstigenden dogmatischen Anschauungen. Dann werden alle finsteren Wolken und undurchdringlichen Nebel menschlicher Meinungen verschwinden und unsere Seelen sich des klaren Sonnenlichtes einer vollen göttlichen Offenbarung erfreuen.
Doch fahren wir mit unseren Beweisen fort. Die zweite Tatsache, die wir zum Beweis, dass Gott für uns ist, anführen wollen, finden wir
in dem Tod seines Sohnes.
Zu diesem Zweck wird es nötig sein, nur einen Punkt und zwar den Hauptpunkt in dem Versöhnungstod Christi hervorzuheben. Wir richten dabei unseren Blick auf jene wunderbare Tatsache, wovon der Heilige Geist durch den Propheten Jesaja redet, welcher sagt: „Jehova gefiel es, ihn zu zerschlagen; Er hat ihn gekränkt“ (Kap 53). Unser hochgelobter Herr hätte Mensch werden und die Welt voller Sünde und Trübsal betreten können; Er hätte im Jordan getauft, durch den Heiligen Geist gesalbt, vom Teufel in der Wüste versucht werden können; Er hätte umherziehen und Gutes tun, Er hätte leben und wirken, weinen und beten und, uns in einem noch größeren Dunkel als zuvor zurücklassend, am Schluss seiner Laufbahn wieder zum Himmel zurückkehren können; Er hätte wie der Priester und Levit im Gleichnis unsere Wunden und unser Elend sehen und wie jene an der entgegengesetzten Seite vorübergehen können. Und was, mein Leser, würde für dich und mich übriggeblieben sein? Sicher, nichts anderes, als die Flammen einer ewig dauernden Hölle. Denn – beachten wir es wohl! – alles Wirken des Sohnes Gottes während seines Lebens hienieden – Sein erstaunenswerter Dienst – seine Tage voller Mühe, seine im Gebet zugebrachten Nächte – seine Tränen und Seufzer – kurz, das Ganze seines Wirkens von der Krippe bis zum Kreuz hätte nicht einen Flecken von der Schuld eines menschlichen Gewissens auslöschen können. „Ohne Blutvergießen ist keine Vergebung.“ Die Menschwerdung des Sohnes Gottes vermochte an und für sich keine Schuld zu tilgen. Das Leben Christi, als Mensch auf Erden, erhöhte nur die Schuld des Menschengeschlechts. „Wenn ich nicht gekommen wäre und zu ihnen geredet hätte, so hätten sie keine Sünde.“ Das Licht, welches seine gesegneten Pfads beschien, ließ nur umso deutlicher die moralische Finsternis des Menschen hervortreten. Wäre Er daher nur gekommen, um dreiunddreißig Jahre hienieden zu leben und zu wirken und dann zum Himmel zurückzukehren, so würde unsere Schuld und moralische Finsternis bewiesen, aber keine Versöhnung bewirkt worden sein. Nur „das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, reinigt von aller Sünde.“
Dieses ist eine große Fundamental–Wahrheit des Christentums und muss stets bestätigt und festgehalten werden. Es ist darin eine unendliche moralische Kraft enthalten. Wenn es wahr ist, dass alles Wirken in dem Leben des Sohnes Gottes – seine Tränen, seine Gebete, seine Seufzer – dass alle diese Dinge zusammen nicht einen einzigen Flecken von Sünden wegzutun vermögen, müssen wir dann nicht notwendig fragen, welch einen Wert wir unseren Werken, unseren Tränen, unseren Gebeten, unseren religiösen Diensten, Zeremonien, Sakramenten und Anordnungen beilegen können? Können diese Dinge unsere Sünden auslöschen und uns eine Gerechtigkeit vor Gott geben? Dieser Gedanke würde den höchsten Grad von Anmaßung verraten. Wenn jene Dinge ein solches Resultat bewirken konnten, wozu dann noch das Opfer und der Versöhnungstod Christi? Wozu dieses unschätzbare, unaussprechlich große Opfer, wenn irgendetwas anderes hinreichend gewesen wäre?
Es könnte indes behauptet werden, dass, obgleich diese Dinge ohne den Tod Christi nichts nutzen, sie dennoch hinzugefügt werden müssen. Aber zu welchem Zweck? Etwa um diesen unvergleichlichen Tod, dieses köstliche Blut, dieses unschätzbare Opfer vollgültig zu machen? Ist das der Gedanke? Müssen die nichtigen Werke menschlicher Gerechtigkeit in die Waagschale geworfen werden, um dem Opfer Christi die nötige Kraft gegen das Gericht Gottes zu verleihen? Wie verwerflich ist ein solcher Gedanke!
Aber bedürfen wir denn keiner guten Werke? Ja sicher; aber was sind diese? Sind sie die frommen Werke, die religiösen Bemühungen und die moralischen Tätigkeiten der nicht wiedergeborenen, unbekehrten und ungläubigen Natur? Nein. Aber was sind denn die guten Werke des Christen? Sie sind lebendige, nicht tote Werke. Sie sind die köstlichen Früchte eines Lebens, welches man besitzt – des Lebens Christi in dem wahren Gläubigen.
Es gibt unter der Sonne nicht irgendetwas, das Gott als ein gutes Werk annehmen kann, es sei denn die Frucht der Gnade Gottes in dem Gläubigen. Der schwächste Ausdruck des Lebens Christi in dem täglichen Leben des Gläubigen ist angenehm und köstlich vor Gott, während die ausgezeichnetste und höchste Wirksamkeit eines Ungläubigen in den Augen Gottes bloß ein „totes Werk“ ist.
Wir müssen jedoch zu unserem Thema zurückkehren. Wir haben gesagt, dass wir für unseren heutigen Zweck nur auf einen besonderen Punkt in dem Tod Christi hinweisen würden. Und dieser ist: „Jehova gefiel es, ihn zu zerschlagen.“ Hierin liegt der schlagende Beweis, dass Gott für uns ist. Er hat seines eigenen Sohnes nicht verschont, sondern Ihn für uns alle dahingegeben. Er hat Ihn nicht nur gegeben, sondern auch „zerschlagen“, und zwar für uns. Der fleckenlose Heilige und Vollkommene, der einzig vollkommene Mensch, dessen Fuß je den Erdboden betrat – der immer den Willen seines Vaters getan, dessen ganzes Leben von der Krippe bis zum Kreuz ein ununterbrochener zum Thron und zum Herzen Gottes emporsteigender Wohlgeruch war, der durch jede Bewegung, durch jedes Wort, durch jeden Blick, durch jeden Gedanken dem Wohlgefallen Gottes entsprach, und dessen einziger großer Zweck die Verherrlichung Gottes und die Vollendung seines Werkes war – ward nach dem bestimmten Ratschluss und Vorkenntnis Gottes überliefert und an das Fluchholz genagelt, um dort den gerechten Zorn Gottes gegen die Sünde zu tragen, und dieses alles, weil Gott für uns ist.
Welche bewundernswürdige und unermessliche Gnade erblicken wir hier! Der Gerechte zerschlagen für die Ungerechten – der sündenlose, fleckenlose, heilige Jesus zerschlagen durch die Hand unendlicher Gerechtigkeit, auf dass schuldige Empörer gerettet, und nicht allein gerettet, sondern in die Stellung und das Verhältnis von Söhnen des Herrn, des Allmächtigen, und von Erben Gottes und Miterben Christi gebracht werden möchten. Dieses sicherlich ist Gnade, reiche, freie, unumschränkte Gnade – eine den vornehmsten der Sünder überströmende Gnade – eine Gnade, „die da herrscht durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben, durch Jesus Christus.“ Wer möchte einer solchen Gnade nicht sein ganzes Vertrauen schenken? Wer könnte auf das Kreuz blicken und noch zweifeln, dass Gott für den Sünder, ja für jeden Sünder ist, der zu Ihm kommt. Wer möchte nicht der Liebe vertrauen, die uns vom Kreuz herab entgegen strahlt? Wer könnte das Kreuz anschauen, ohne zu sehen, dass Gott nicht den Tod des Sünders will? Warum hat Er uns in unserer Schuld nicht umkommen, warum, wie wir es reichlich durch unsere Sünden verdient, uns nicht zum ewigen Abgrund hinabsinken lassen? Warum hat Er überhaupt seinen Sohn gegeben? Warum Ihn am schmachvollen Kreuze zerschlagen? Warum sein Antlitz verborgen vor dem einzigen vollkommenen Menschen, der je gelebt, vor seinem eingeborenen Sohn? Warum dieses alles, mein Leser? Sicherlich es war, weil Gott trotz unserer Schuld und unserer Vergehungen für uns ist. Ja, gepriesen sei sein Name! Er ist für den armen, verdorbenen und verdammungswürdigen Sünder, wer und wie dieser auch sei; und ein jeder, dessen Auge diese Zeilen liest, ist eingeladen zu kommen und jener Liebe zu vertrauen, die sich für den Sünder am Kreuz zerschlagen ließ.
O geliebter Leser! Komm, komm jetzt! Säume nicht, zweifle nicht, höre nicht auf die Stimme Satans! Lausche nicht auf die Einwendungen und Meinungen deines eigenen Herzens, sondern lausche auf das Wort, welches dir bezeugt, dass Gott für dich ist, sowie auf die Liebe, welche dir entgegen strahlt in der Hingabe und dem Tod des Sohnes Gottes. Diese beiden Tatsachen – die Gabe und der Tod des Sohnes Gottes – sind im Vorhergehenden von uns als Beweise für die Wahrheit angeführt, dass Gott für uns ist. Wir sind unserem gesegneten Herrn auf seinem wunderbaren und geheimnisvollen Wege gefolgt, welchen die Fußstapfen göttlicher und ununterbrochener Liebe kennzeichnen. Wir haben gesehen, wie der hochgelobte Gott nicht nur seinen eingeborenen Sohn hingegeben, sondern Ihn für uns auch zerschlagen, wie Er den fleckenlosen Leib desselben zu einem Opfer für die Sünde gemacht, Ihn an unserer statt gerichtet und in den Staub des Todes gelegt und dadurch den unumstößlichen Beweis geliefert hat, dass Er für uns ist. Konnte Er noch einen kräftigeren Beweis von seiner Liebe zu uns und von seinem Verlangen nach unserer Rettung geben, als die Gabe und den Tod seines viel geliebten, eingeborenen Sohnes?
Gehen wir jetzt zu dem dritten Beweis über. Wir finden ihn
in der Auferweckung des Sohnes Gottes.
Bei Betrachtung dieses herrlichen Ereignisses der Auferstehung heben wir jedoch nur einen Punkt hervor, nämlich das darin ausgesprochene Wohlwollen Gottes. Eine oder zwei Schriftstellen werden hinreichen, um diesen Punkt ins Licht zu stellen.
In Römer 4 sehen wir Gott als den, welcher den Herrn Jesus aus den Toten auferweckt hat. Der Apostel spricht hier von Abraham, „der wider Hoffnung auf Hoffnung geglaubt hat, auf dass er ein Vater vieler Nationen würde, nachdem, was gesagt ist: Also soll dein Same sein. Und nicht schwach im Glauben, sah er nicht an seinen eigenen, sogar schon erstorbenen Leib, weil er fast hundert Jahre alt war, und nicht den erstorbenen Mutterleib der Sara, und zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern ward gestärkt im Glauben, Gott die Ehre gebend, und war der vollen Gewissheit, dass er, was er verheißen, auch zu tun vermag. Deshalb ist es ihm auch zur Gerechtigkeit gerechnet worden. Es ist aber nicht allein seinetwegen geschrieben, dass es ihm zugerechnet worden, sondern auch unsertwegen, denen es zugerechnet werden soll, die wir an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, von den Toten auferweckt hat, welcher unserer Übertretung wegen dahingegeben, und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist.“ – Beachten wir es wohl! Es heißt hier nicht: „Wir glauben an den, der Seinen Sohn gab“, oder: „an den, dem es gefiel, Ihn zu zerschlagen“, sondern: „an den, der Ihn aus den Toten auferweckt hat.“
O mein teurer Leser, erwäge doch diese große Wahrheit! Was brachte den Heiland Zum Kreuz? Was führte Ihn in den Staub des Todes? Waren es nicht unsere Sünden und Vergehungen? Ja gewiss. „Er ward um unserer Sünden willen dahingegeben.“ Er ward an unserer statt an das Fluchholz geheftet. Er ward am Kreuz in der ganzen Tragweite des Wortes unser Stellvertreter. Er nahm unseren Platz ein und wurde in jeder Beziehung so behandelt, wie wir behandelt zu werden es verdient hatten. Die Hand der Gerechtigkeit traf Ihn am Kreuz wegen all unserer Sünden. Der Herr Jesus machte sich verantwortlich für alles was gegen uns war oder je gegen uns sein könnte, und – gepriesen sei sein anbetungswürdiger Name! – Er starb für uns unter dem ganzen Gewicht unserer Sünden. Er, der Gerechte starb für die Ungerechten. Und wo ist Er jetzt? Das Herz jauchzt mit unaussprechlicher Freude und heiligem Triumph bei dem Gedanken an die Antwort. Wo ist der Hochgelobte, der an jenem Kreuz hing und in jenem Grab lag? Er ist zur Rechten Gottes mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt. Wer hat Ihm diesen Platz gegeben? Er, der Ihn „gegeben“ und Ihn am Kreuz „zerschlagen“ hat – Er ist es, der Ihn aus den Toten auferweckte; und an Ihn haben wir zu glauben, wenn unser Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet werden soll. Das ist der besondere Gedanke, der den Apostel beschäftigte. Die Gerechtigkeit wird uns zugerechnet, wenn wir an den Gott glauben, der unseren Herrn Jesus aus den Toten auferweckt hat.
Beachten wir hier das lebendige Verbindungsglied! Derselbe, der, mit unseren Sünden beladen, am Kreuz hing, befindet sich jetzt ohne dieselben auf dem Thron. Wie ist Er dahin gekommen? War es durch die Kraft seiner ewigen Gottheit? Nein, denn von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, war Er immer da. Er war Gott über alles, gepriesen für immer! War es Kraft seiner ewigen Sohnschaft? Keineswegs; denn auch in dieser Eigenschaft war droben stets sein Platz. Sicher, die Tatsache, dass Er als der ewige Sohn des Vaters seinen Platz zur Rechten der Majestät in den Himmeln eingenommen habe, würde nimmer den Bedürfnissen eines schuldigen Sünders zu begegnen im Stande sein, indem Ihm als einem solchen der innigste und zärtlichste Platz im Schoß des Vaters von Ewigkeit her angehörte. Aber nahm Er denn – möchte man fragen – diesen Platz auf dem Thron des Vaters nicht ein, weil Er der reine, sündenlose und vollkommene Mensch war? Nein; denn als solcher hätte Er zu jeder beliebigen Zeit zwischen der Krippe und dem Kreuz diesen Platz einnehmen können.
Welchen Schluss können wir daraus ziehen? Den köstlichen, friedengebenden Schluss, dass Er, der unserer Übertretungen wegen dahingegeben, unserer Sünden wegen geschlagen, an unserer statt gerichtet ward, im Himmel auf dem Thron des Vaters mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt ist, und so umfassend und vollkommen die ganze Frage unserer Sünden beantwortet hat, dass eine unendliche Gerechtigkeit Ihn aus den Toten auferweckte und das Diadem der Herrlichkeit auf seine heilige Stirn drückte. Begreifst du dieses, mein Leser? Erkennst du die Tragweite dieser Tatsache in Bezug auf dich selbst? Glaubst du an den, der Jesus aus den Toten auferweckte? Erkennst du, dass in diesem Fall Er sich selbst als dir zugetan erklärt hat? Und glaubst du, dass Er durch die Auferweckung Jesu aus den Toten dem großen Versöhnungswerkeden Stempel seiner völligen Anerkennung aufgedrückt und dadurch dir für alle deine Schulden – für die „zehntausend Talente“ – eine Quittung ausgestellt hat?
Das ist die Deutung des herrlichen Beweises in Römer 4. Wenn Er, der unserer Übertretungen wegen dahin gegeben worden, jetzt, und zwar in Folge der Tätigkeit von Seiten Gottes selbst, im Himmel ist, dann sind sicher unsere Sünden beseitigt, und wir stehen da gerechtfertigt von allen Dingen und so frei von jeder Anklage und Schuld, von jedem Hauch der Verdammnis, wie der Herr selbst es ist. Das ist eine unabänderliche Tatsache, wenn wir an den glauben, der unseren Herrn Jesus Christus aus den Toten auferweckt hat. Es ist durchaus unmöglich, dass Gott irgendeine Anklage gegen den Gläubigen annehmen kann, und zwar aus dem einfachen Grund, weil derjenige, den Er aus den Toten auferweckte, derselbe ist, den Er um unserer Sünden willen zerschlagen hat.
Warum hat Er Ihn auferweckt? Weil die Sünden, um derentwillen Er zerschlagen wurde, für immer beseitigt waren. Der Herr Jesus könnte nicht sein, wo Er jetzt ist, wenn ein einziger Flecken unserer Schuld zurückgeblieben wäre; denn Er hatte unsere Sache auf sich genommen und sich für alles verantwortlich gemacht. Da Er nun aber, und zwar durch Gott selbst bewirkt, droben ist, so ist es unmöglich, gänzlich unmöglich, dass irgendeine Frage bezüglich der vollkommenen Rechtfertigung und der vollkommenen Gerechtigkeit einer an Ihn glaubenden Seele erhoben werden könnte. Deshalb in dem Augenblick, wo jemand an Gott in dem besonderen Charakter eines Auferweckers Jesu glaubt, steht Er vollkommen gerechtfertigt vor Ihm. Das ist höchst wunderbar, aber eine göttliche, ewige Wahrheit. Möchte der Leser die Kraft, die Köstlichkeit und friedengebende Verwirklichung davon empfinden? Ja, möchte der ewige Geist das gesegnete Bewusstsein davon seiner Seele tief einprägen! Dann wahrlich wird er vollkommenen Frieden in seiner Seele haben und zugleich erfahren, dass Gott sowohl durch die Auferweckung, als auch durch die Gabe und den Tod seines Sohnes laut bekundet hat, dass Er für uns ist.
Wenden wir uns jetzt zu unserem vierten Beweis, dass Gott für uns ist. Wir finden ihn
in der Sendung des Heiligen Geistes.
Auch hier müssen wir uns im Blick auf dieses herrliche Ereignis auf einen Punkt beschränken, nämlich auf die Art und Weise, in welcher der ewige Geist, dieser herrliche Zeuge, herniederkam. Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf Apostelgeschichte 2, wo wir lesen: „Und als der Tag der Pfingsten erfüllt wurde, waren sie alle an einem Ort beisammen. Und plötzlich geschah aus dem Himmel ein Brausen, wie eines rauschenden, gewaltigen Windes, und erfüllte das ganze Haus, wo sie saßen. Und es erschienen ihnen zerteilte Zungen wie von Feuer, und sie setzten sich auf einen jeglichen von ihnen. Und sie wurden alle mit dem Heiligen Geist erfüllt und singen an, mit anderen Zungen zu reden, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, gottesfürchtige Männer, von jeder Nation derer, die unter dem Himmel sind. Als aber diese Stimme geschah, kam die Menge zusammen und ward bestürzt, weil sie ein jeglicher in seiner eigenen Mundart sie reden hörten. Sie entsetzten sich aber alle und verwunderten sich und sagten: Siehe, sind nicht alle diese, die da reden, Galiläer? Und wie hören wir sie, ein jeglicher in unserer eigenen Mundart, in der wir geboren sind: Parther und Meder und Elamiter, und die Bewohner von Mesopotamien und von Judäa und Kappadozien, Pontius und Asien, und Phrygien und Pamphylien, Ägypten und den Gegenden von Libyen, das an Kyrene grenzt, und die hier weilenden Römer, Juden und auch Proselyten, Kreter und Araber, – wie hören wir sie die großen Taten Gottes in unseren Sprachen reden.“ Es ist in der Tat eine Wahrheit von höchstem Interesse, dass der Heilige Geist auf jeglichen herniederkam, und dass ein jeglicher „in der eigenen Mundart“ eines jeden Hörenden redete, und zwar nicht in der Mundart, in welcher dieser erzogen, sondern in welcher er „geboren war“ – in jener Mundart, in welcher die Mutter zu ihrem Kind redet. Von solcher Art war das Mittel und Werkzeug, dessen sich der göttliche Bote bediente, um den Menschen mitzuteilen, dass Gott für uns ist. Er redete nicht zu den Hebräern griechisch, oder zu den Griechen lateinisch; Er redete zu einem jeglichen in der Sprache, die derselbe verstand – in dessen Muttersprache; und zwar zu dem Zweck, um das Herz mit der süßen Botschaft der Gnade zu erreichen.
Vergleichen wir mit dieser Tatsache diejenige der Gesetzgebung auf dem Berg Sinai. Dort redete Jehova nur in einer Sprache. Wären dort Personen „aus jeder Nation derer, die unter dem Himmel sind“, versammelt gewesen, so würden sie keine Silbe verstanden haben. Das Gesetz – die Darstellung der Pflichten des Menschen gegen Gott und den Nächsten – war nur in eine Sprache gehüllt. Als aber die großen Taten Gottes verkündigt wurden – als die herrliche Botschaft der Liebe zu bringen war – als das Herz Gottes gegen arme, schuldige Sünder offenbart werden sollte – war da eine Sprache genug? Nein, „jede Nation derer, die unter dem Himmel sind“, musste es hören, und zwar in ihrer „eigenen Mundart.“ –
Es könnte vielleicht eingewendet werden, dass die damaligen Ohrenzeugen der Apostel Juden gewesen seien. Aber selbst in diesem Fall würde unser Gegenstand seiner Bewunderungswürdigkeit, seiner Lieblichkeit und Kraft nicht im Mindesten beraubt sein. Es ist eine unumstößliche Tatsache, dass, als der Heilige Geist vom Himmel herniederkam, um von der Auferstehung Christi, von der vollbrachten Erlösung zu zeugen und Buße und Vergebung der Sünden zu predigen, Er sich nicht auf eine Sprache beschränkte, sondern in jeder Mundart unter dem Himmel sprach. Und warum? Weil es sein Verlangen war, den Menschen das, was Er ihnen mitzuteilen hatte, verständlich zu machen und das Herz mit der angenehmen Botschaft einer erlösenden Liebe, mit der seelenerweckenden Botschaft einer Völligen Sündenvergebung zu erreichen. Als es sich um das Gesetz handelte – als Jehova mit den Menschen über ihre Pflichten zu reden hatte und ihnen zurief: „Du sollst dieses tun und jenes lassen!“ – beschränkte Er sich auf eine einzige Sprache. Als Er aber die köstlichen Geheimnisse seiner Liebe zu verkündigen im Begriff war – als Er dem Menschen beweisen wollte, dass Er für ihn war, da trug Er Sorge, dass – gepriesen sei sein herrlicher Name! – in allen Sprachen unter dem Himmel geredet wurde und jeglicher „in seiner eigenen Mundart, in welcher er geboren“, die „großen Taten Gottes“ hören konnte. 1
So sind wir nun im Lauf unserer Beweise Christus von der Krippe bis zum Kreuz, vom Kreuz bis zum Thron gefolgt. Wir haben gesehen, wie das Herz Gottes in der Gabe, dem Tod und der Auferweckung des Sohnes sich in tiefer, bewundernswürdiger Liebe und zärtlichem Mitleiden gegen schuldige und verlorene Sünder offenbart hat, und wie der Heilige Geist vom Himmel auf die Erde herniederstieg, um jeder Kreatur unter dem Himmel die frohe Botschaft einer vollen, freien und ewigen Erlösung durch das Blut des Lammes zu verkündigen, und zwar nicht in einer unbekannten, sondern in der Sprache, in welcher ein jeder geboren ist. Was bleibt uns nun noch übrig? Ist der Kette der Beweise noch irgendein Glied beizufügen? O ja; wir finden schließlich noch einen fünften Beweis
in dem Besitz der Heiligen Schrift.
Man könnte sagen, dass dieser letzte Beweis schon in dem vorhergehenden enthalten sei, insofern der Besitz einer Bibel in der Muttersprache in Wirklichkeit dasselbe ist, als ob der Heilige Geist in der Sprache, worin wir geboren, zu uns redete. Das ist wahr; aber nichts desto weniger ist für den Leser die Tatsache, dass Gott in seine Hände das unschätzbare Geschenk der Heiligen Schrift gelegt hat, ein neuer Beweis, dass Er für ihn ist. Denn warum sind wir nicht in Ungewissheit und völliger Dunkelheit gelassen? Warum ist das göttliche Buch unseren Händen anvertraut? Warum wurden gerade wir so begünstigt? Warum teilen wir nicht mit vielen Tausenden das Geschick, in heidnischer Blindheit zu leben und zu sterben? Warum wirft dieses himmlische Licht gerade auf uns seine hellen Strahlen?
Ach, geliebter Leser! Die Antwort ist: Gott ist für dich. Ja, für dich trotz deiner vielen Sünden – für dich trotz all deiner Trägheit, Gleichgültigkeit und Widersetzlichkeit, wie wohl du nicht einen einzigen Grund angeben kannst, warum Er nicht gegen dich sein sollte. Er gab seinen Sohn aus seinem Schoß, verwundete Ihn auf dem Kreuz, erweckte Ihn aus den Toten, sandte den Heiligen Geist hernieder und legte in deine Hände das gesegnete Buch – alles, um dir zu zeigen, dass Er für dich ist, dass sein Herz dir entgegenschlägt und Er alles Ernstes deine Errettung will.
Und – o beachte es wohl! – Du kannst nicht sagen und wirst es auch nimmer zu sagen wagen: „Ich konnte die Bibel nicht verstehen, sie war mir zu hoch, voll dunkler, unerklärlicher Geheimnisse, voller Schwierigkeiten, die ich nicht zu übersteigen vermochte, und voller Widersprüche, die ich nicht lösen konnte. Und wenn ich mich zu denen wandte, die Christen zu sein bekannten, so fand ich sie in unzählige Parteien zersplittert mit verschiedenen Lehren und Formen. Dazu entdeckte ich eine solche Oberflächlichkeit, eine solche Unzuverlässigkeit und solche Widersprüche zwischen Bekenntnis und Wandel, dass ich gezwungen war, den ganzen Gegenstand der Religion mit den gemischten Gefühlen von Erstaunen, Verachtung und Widerwillen fahren zu lassen.“
Solche Einwendungen werden sich am Tag des Gerichts nicht stichhaltig erweisen und dich nicht vor dem See, der mit Feuer und Schwefel brennt, zu schützen vermögen. Erwäge dieses mit dem tiefsten Ernste. Lass dich nicht durch den Teufel, lass dich nicht durch dein eigenes Herz betrügen. Was sagt Abraham zu dem reichen Mann in Lukas 16? „Sie haben Mose und die Propheten, lass sie die hören.“ Warum sagt der reiche Mann nicht, dass jene dieselben nicht verstehen würden? Er darf nicht. Nein, mein Leser; ein Kind kann die heiligen Schriften verstehen, denn sie sind „vermögend, dich weise zu machen zur Seligkeit durch den Glauben, der in Christus Jesus ist“ (2. Tim 3,15). Jeder Besitzer dieses heiligen Buches ist verantwortlich vor Gott für den Gebrauch, den er damit macht. Wenn das bekennende Christentum sich noch tausendmal mehr in Spaltungen aufgelöst hätte, so bliebe dennoch für jeden Besitzer der Bibel die Mahnung: „Sie haben Mose, die Propheten und das Neue Testament, lass sie diese hören.“
O könnten wir doch jeden unbekehrten, zweifelnden Leser überreden, über diese Dinge ernstlich nachzudenken und den verborgensten Tiefen seines inneren Wesens die ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, ehe es zu spät ist. Wie schrecklich muss doch der Zustand eines Verlorenen sein, der in der Hölle, diesem endlosen Orte ewiger Pein, zu dem Bewusstsein erwacht, dass Gott für immer gegen ihn ist, dass alle Hoffnung vernichtet und nichts im Stande ist, jene große Kluft zu überbrücken, welche die Region der Verlorenen von der der Erlösten für immer trennt.
Wir können nicht weitergehen. Der Gedanke ist in der Tat zu überwältigend; unser Herz bebt zurück vor den Schrecken eines solchen Zustands. Teurer Leser! Wenn du noch nicht Frieden gefunden hast, so lass dich, ehe du deine Blicke von diesen Zeilen abwendest, erbitten, noch in dieser Stunde zu dem liebenden, gnadenreichen Heiland zu eilen, der bereit ist, dich mit offenen Armen zu empfangen, und der in seinem Wort sagt: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinauswerfen.“ So komm denn und vertraue dem glaubwürdigen Worte Gottes und dem vollbrachten Werke Christi!
Hier liegt das köstliche Geheimnis der ganzen Sache. Schaue von dir hinweg, schaue auf Jesus. Vertraue auf das, was Er am Kreuz für dich getan hat, und alle deine Sünden werden ausgelöscht, göttliche Gerechtigkeit, ewiges Leben, Kindschaft, die Innewohnung des Heiligen Geistes, ein Sachwalter droben beim Vater, eine Wohnung im Himmel und die Herrlichkeit Christi werden dein gesegnetes Teil sein. Ja, mein Leser, wenn du an Ihn glaubst, wird alles – ja Er selbst wird dein Teil sein.
Möge der Heilige Geist dich leiten, noch in diesem Augenblick zu den Füßen Jesu zu fliehen, um triumphierend ausrufen zu können: „Wenn Gott für uns ist, wer wider uns!“ Gott gebe es um Jesu willen!
Fußnoten
- 1 In 1. Mose 11 sehen wir verschiedene Sprachen wegen des menschlichen Hochmuts als ein Gericht gegeben. In Apostelgeschichte 2 aber sind die verschiedenen Sprachen eine Gabe der Gnade, um den Bedürfnissen der Menschen zu begegnen. In Offenbarung 7 endlich finden wir die verschiedenen Sprachen vereinigt zu einem Lied des Lobes Gottes und des Lammes. Welch große Taten Gottes? Wie anbetungswürdig ist sein Name!