Botschafter des Heils in Christo 1872
"Friede euch!"
Welch eine große und gesegnete Sache, wenn jemand kommen und mit göttlicher Autorität sagen kann: „Friede euch!“ Nur Christus hat ein Recht dazu. Aber es ist bemerkenswert, dass Er diese Worte erst dann sagte, nachdem Er gestorben und auferstanden war; denn vor dem Tod und der Auferstehung war kein Friede gemacht.
Das Wort Frieden ist von weit größerer Tragweite, als das Wort Freude. Ich kann Freude haben, und dennoch können viele Dinge eintreffen, die mich zu gleicher Zeit beunruhigen; aber wenn ich Frieden mit Gott habe, so schließt dieses jede Unterbrechung aus. Der Herr sagte zu seinen Jüngern: „In der Welt habt ihr Trübsal;“ und sie befanden sich in großer Traurigkeit, als sie Ihn verlieren sollten, welcher sagte: „Euer Herz sei nicht bestürzt, auch nicht furchtsam!“ Er war voll von Gnade, Güte und Barmherzigkeit; aber Er konnte nicht eher von Frieden sprechen, als bis die Stunde der Trennung angebrochen war. Dann aber bei seinem Weggang hören wir die Worte: „Frieden lasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch!“ 1 und nach seiner Auferstehung aus den Toten kommt Er und verkündigt Frieden mit Gott und Frieden von Gott, als eine gegenwärtige Sache. Er war weder unbekannt mit der Forderung Gottes, noch täuschte Er sich in Betreff des Zustandes des Menschen. Er konnte sagen: „Niemand ist hinaufgestiegen in den Himmel, denn der aus dem Himmel herabgestiegen ist, der Sohn des Menschen, der im Himmel ist“ (Joh 3,13). Er konnte ebenso wohl verkündigen, was die Natur Gottes forderte, als auch dasjenige, was im Menschen war; und in dieser vollkommenen Kenntnis von allem konnte Er den armen, unwissenden Jüngern nahen mit den Worten: „Friede euch!“
Es ist eine große Sache, nicht nur Gnade und eine zärtliche Güte, sondern auch Frieden unmittelbar vom Herrn selbst zu empfangen. Viele Seelen haben die Freundlichkeit Christi gekostet und sind dadurch angezogen worden; und dennoch wagen sie nicht zu sagen: „Ich habe Frieden mit Gott.“ Gott sieht, was wir sind; Er kennt alle Ratschläge unserer Herzen; Er durchschaut uns ganz und vollkommen; und dennoch sollen wir uns in seiner Gegenwart ohne Vorhang befinden. Unter dem Gesetz war dieses nicht der Fall; dort war ein Vorhang, der Gott dem Menschen verbarg. Selbst die Priester durften nicht die Stätte der Gegenwart Gottes betreten, „wodurch der Heilige Geist dieses anzeigt, dass der Weg zum Heiligtum noch nicht offenbart sei?“ (Heb 9,8) Nur der Hohepriester ging jährlich einmal ins allerheilige.
Es gab ein von Gott ausgegangenes Gesetz, welches von dem Menschen das forderte, was er hätte sein sollen; aber Gott war hinter dem Vorhang verborgen. Das ist jetzt die Stellung eines Unbekehrten. Aber mancher bekehrte Mensch meint, dass er auf den Zustand, worin er sich befindet, zu blicken habe, und dass eine Zeit anbreche, wo er vor Gott stehen und er dann erfahren werde, was sein Laos sei. Das aber ist Gericht und nicht gegenwärtiger Friede. Gott schreibt dem Menschen keinen Wandel vor, der, wenn er zu Ihm kommt, beurteilt werden wird, sondern offenbart eine gegenwärtige Glückseligkeit, um durch das Werk Christi die Seelen in seine Gegenwart zu bringen.
Wenn mein Gewissen sich in der Gegenwart Gottes, wo alles vor Ihm bloß und aufgedeckt ist, befindet, so kommt nur das in Betracht, was ich vor Gott bin und wie ich vor Ihm bestehen kann. Ist das Gewissen in der Gegenwart Gottes, so tritt es in ganzer Klarheit vor die Seele, dass wir alle Sünder sind und den Forderungen Gottes nicht entsprochen haben. Gott durchschaut dich durch und durch, mein Leser, – willst du gefühllos in deinen Sünden vorangehen? Du Haft das Gesetz nicht gehalten; es ist für „Gesetzlose“ und „Zügellose“ gegeben und verurteilt jeden bösen Gedanken in deinem Herzen. Liebst du deinen Nächsten, wie dich selbst? Tu weißt es, dass du es nicht tust; du fühlst z. B. den Verlust des Vermögens deines Nächsten nicht so tief, wie deine eigenen Verluste. Wohlan, das Gesetz sagt, dass du unter dem Fluch bist; denn du liebst deinen Nächsten nicht wie dich selbst. Niemand tut es. Diese Welt würde eine Art von Paradies sein, wenn die Menschen ihre Nächsten liebten, wie sich selbst; aber sie tun es nicht.
Das Gesetz fordert dich auf, Gott von ganzem Herzen zu lieben; aber niemand liebt Gott von ganzem Herzen. Dieses von sich zu glauben, ist eitle Täuschung. Wir haben Begierden in unseren Herzen. Das Gesetz sagt: „Verflucht ist, wer nicht hält alles, was geschrieben ist im Buch des Gesetzes, und es tut.“ Muss ich nicht meinen Nächsten lieben, wie mich selbst? Allerdings. Das Gewissen kann das Gesetz Gottes nicht verwerfen; aber das Gesetz lässt erkennen, dass ich verwerflich bin, weil ich es nicht gehalten habe.
Je mehr wir diese Dinge und uns selbst betrachten, desto mehr erkennen wir, dass es in der Welt keine Torheit gibt, die wir nicht Christus vorziehen, wenn Er unseren Herzen dargestellt wird. Jedes nutzlose Ding in irgendeinem Laden oder auf den Straßen hat für das menschliche Herz mehr Einfluss und Anziehungskraft, als Christus. Natürlich rede ich hier vom Herzenszustand derer, die sich Christen nennen, und nicht von denen, welche Christus äußerlich verwerfen.
Wählen wir noch ein anderes Beispiel: Lassen mir einen Menschen, dessen Gewissen nicht erwacht ist, einige Stunden allein, und er wird sich mit seinen Sorgen oder mit seinen Vergnügungen beschäftigen; aber nimmer wird er an Christus denken. Christus hat durchaus keinen Platz in seinem Herzen.
Sobald Gott sich offenbart, dann erkennt der Sünder, dass es ein kommendes Gericht gibt, und er fragt: „Wie werde ich entrinnen?“ Er wird arbeiten und sich abmühen, um besser zu werden; aber bei all seiner Arbeit und Mühe findet er, dass böse Lüfte und Begierden in seinem Herzen sind. Er muss bekennen: „Das Wollen ist bei mir; aber das Wirken dessen, was recht ist, finde ich nicht“ (Röm 7,18). Wenn er Sünde hat und keine Kraft, ihr zu widerstehen, so ist das eine schlechte Aussicht für das Gericht. Die Frage ist dann nicht nur, was er ist, sondern was Gott ist. In die Gegenwart Gottes gebracht, sieht er, dass das Auge Gottes auf ihm ruht; und er hat das Bewusstsein, dass er etwas haben muss, was ihn reinigt und für Gott passend macht.
Es ist nutzlos, mich, wenn ich zu Gott komme, nach einer Hilfe umzusehen; ich bedarf der Rechtfertigung und nicht einer Hilfe. Die Menge meiner Sünden ist zu groß, als dass irgendeine Hilfe mir nützen könnte. Das ist der Platz, auf welchen Gott einen Menschen bringt. Meine Sache muss mit Gott in Ordnung gebracht sein; ich bedarf einer vollkommenen Gerechtigkeit.
Der Sünder sieht, dass das Auge Gottes auf ihm ruht; und wenn er gelernt hat, was er in sich selbst ist, so ist es ihm klar, dass er etwas nötig hat, das ihn vor Gott reinigt und welches ihm Frieden in dessen Gegenwart verleiht, und zwar ohne dass dadurch die Heiligkeit Gottes in etwa verringert wird. Unmöglich könnte er sagen: „Ich wünsche, dass Gott weniger heilig sei, um mich in den Himmel einlassen zu können.“ O nein. Er hat es mit Gott zu tun; dämm muss er für die Gegenwart des heiligen Gottes passend sein. Diese Erfahrungen und Herzensübungen werden die Wirkung haben, ihn als einen Sünder in die Gegenwart Gottes zu bringen und ihn als einen Sünder Frieden mit Gott – mit Ihm, der Sünde nicht dulden kann – finden zu lassen.
Du musst daher, mein Leser, zu Gott nahen gerade so, wie du bist. Gott sieht in deinem Herzen jede Befleckung, von welcher Art sie auch sein mag. Ebenso war es mit dem verlorenen Sohn. Als er seine Reise antrat, fühlte er sich unwürdig, als ein Sohn betrachtet zu werden; und was war die Folge? In seinen Lumpen trat er in die Gegenwart des Vaters. Er sah sich nicht nach irgendeiner Hilfe um; erwacht aus seinem Sündenschlaf, eilte er zum Vater gerade so, wie er war – in seinen Lumpen.
Das ist der Weg, den jeder Sünder einschlagen muss. Jetzt handelt es sich einfach um die Frage: Wie konnte er im Vaterhaus sein, nachdem er sein Vermögen in Ausschweifung vergeudet hatte? Antwort: Weil der Vater ihn mit dem besten Kleid bekleidete. Bist du passend für die Gegenwart Gottes? Musst du diese Frage verneinen, mein Leser, so hast du keinen Frieden. Die Sünde ist zwischen dir und Gott. Aber verlangst du nach Befreiung von der Sünde und nach Frieden, dann nahe zu Gott, wie du bist, und Gott wird dich für seine Gegenwart fähig machen.
Der Herr Jesus kannte und verstand die ganze Frage, um die es sich handelte; und Er konnte in die Mitte der Jünger treten und ihnen Frieden geben; denn Er hatte Frieden gemacht. Sie hatten Ihn als seine Genossen auf seinem Weg begleitet. „Ihr aber seid es, die mit mir ausgeharrt haben in meinen Versuchungen“ (Lk 22,28). Petrus hatte Ihn bekannt als den Christus, den Sohn des lebendigen Gottes; und der Herr hatte zu Ihm gesagt: „Das hat dir Fleisch und Blut nicht offenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist.“ Aber dennoch hatten die Jünger keinen Frieden. Bei seinem Scheiden verkündigte Er den Frieden; aber derselbe drang nicht in ihr Herz. Hätten sie Ihn nicht beim Wort fassen und sagen sollen: „Ja, nun haben wir Frieden?“ Doch jetzt lasst uns sehen, wie Er ihre Herzen für diese Segnung öffnete. Ein schrecklicher Moment war an ihnen vorübergezogen. Sie hatten sein Kreuz nicht verstanden, und alle ihre jüdischen Hoffnungen waren ins Grab gesunken. Wie ergreifend musste es daher für ihre Herzen sein, als sie ihren Herrn und Meister kurz nach seiner Auferstehung plötzlich vor sich stehen sahen, und Zwar ebenso gnadenreich, liebevoll und nahe, wie ehemals, als Er diese Welt durchschritt. Das Werk der Erlösung war vollbracht: Gott war verherrlicht, der Teufel besiegt, der Lohn der Sünde getragen und eine vollkommene Versöhnung zuwege gebracht. Der Herr Jesus konnte sagen: „Friede euch!“ Nach vollbrachtem Werk war es klar, dass Er in die Welt gekommen war, um verlorenen Sündern die Liebe Gottes anzukündigen. Er hatte sein Kommen nicht verzögert bis zum Tag des Gerichts; Er hatte sich nicht durch den Zustand des Menschen zurückschrecken lassen, sondern war gerade dieses Zustandes wegen zur Rettung vom Himmel gekommen. Der Mensch war aus dem Paradies, wohin Gott ihn gesetzt, vertrieben und hatte durch die Sünde jedes Band der Gemeinschaft mit Gott zerrissen; daher war Christus erschienen, um den Menschen da zu suchen, wohin die Sünde ihn gebracht hatte. Er kam zu suchen und zu erretten, was verloren war. Diesen Charakter verleugnete Er nimmer; und eben deshalb setzt Er sich der Anklage seiner Feinde aus, welche sagten: „Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen“, und welchen Er die Antwort gibt: „Ich bin nicht gekommen, um Gerechte, sondern Sünder zur Buße zu rufen.“ –
In Lukas 15, wo man diese Anklage gegen Ihn erhebt, verweilt Er triumphierend bei dem Gedanken, dass Gott selbst wider den Willen des Menschen in Gnaden handeln will; und in drei Gleichnissen stellt Er die Wahrheit ins Licht, dass es die Freude Gottes ist, den Sünder zurückkehren zu sehen. Wir sehen hier die Freude des Hirten über das Wiederfinden des Schafes, die Freude des Weibes über das Wiederfinden der Drachme, und die Freude des Vaters über die Rückkehr des Sohnes. Mag der ältere Bruder sich daran ärgern, der Vater handelt nach seinem eigenen Willen.
So gewiss die Stunde des Gerichts heranrücken wird, ebenso gewiss handelt jetzt Gott am Tag des Heils in unumschränkter Gnade gegen den Sünder. Er handelt nach seinem Willen, mag der Mensch sein, was er will. Dieses tritt uns stets vor das Auge, so oft wir das Leben Christi hienieden betrachten. Das arme Weib in Johannes 4 hatte in der Welt nichts als Mühe und Elend gefunden. Sie kommt allein, um Wasser zu schöpfen; sie ist zu Boden gedrückt durch Sünde, Elend und Sorge; aber am Brunnen findet sie jemanden, welcher in der Welt noch einsamer ist, als sie selbst. Niemand stand so allein. Niemand so ohne alle Sympathie, wie der Herr. Jesus; nirgends gab es ein Herz, welches mit Ihm in Übereinstimmung war, selbst nicht einmal unter seinen Jüngern. Dennoch waren seine Gedanken stets mit dem Heil der Sünder beschäftigt, weil seine Liebe immer bereit war, mitzufühlen und mitzuleiden. Darum sagt Er zu dem armen Weibe: „Wenn du die Gabe Gottes kanntest, und wer es ist, der zu dir spricht: Gib mir zu trinken! so würdest du Ihn gebeten haben, und Er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.“ Wunderbare Gnade! Er, der die Quellen geschaffen, erniedrigt sich bis zu einer solchen Tiefe, um sich von der Hand dieses elenden Weibes einen Trunk Wasser geben zu lassen. Dann öffnete Er, wie Er es immer tut, ihr Herz und Gewissen; und nachdem ihr Gewissen erreicht war und sie über alles dieses nachzudenken begann, hört sie das liebliche Wort: „Ich bin es, der mit dir redet.“ Glückliches Weib! Sie läuft davon und ruft ihren Nachbarn zu: „Kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe.“
So begegnet Er dem Zustand des Sünders; Er bietet sich in Gnaden an, sobald ein Herz mit Aufrichtigkeit bereit ist. Ihn aufzunehmen.
Als Er nach seiner Auferstehung in die Mitte der Jünger trat und ihnen sein: „Friede euch!“ zurief, waren sie anfangs „erschrocken und in Furcht gesetzt;“ aber Er spricht zu ihnen: „Was seid ihr bestürzt, und warum steigen Gedanken auf in euren Herzen? Seht meine Hände und meine Füße, dass ich es selbst bin; betastet mich und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr seht, dass ich habe. Und als Er dieses sagte, zeigte Er ihnen die Hände und die Füße.“ Ja, Er war noch derselbe Heiland, den sie einst gesehen – ebenso gnadenreich, wie Er es stets gewesen war. Wenn ich Christus in dieser Welt mit meinen Gedanken verfolge und seine Güte sehe, mit welcher Er die Verlorenen suchte, um sie zu erretten, dann weiß ich, dass Er noch jetzt derselbe Jesus ist, welcher dem zerknirschten Sünder sagen lässt: „Sieh meine Hände und meine Füße, dass ich es selbst bin.“ In seiner Person ist Er ganz derselbe; und da sein Werk Vollbracht ist, kann Er dem Sünder Ruhe und Frieden geben. Er sucht das Vertrauen unserer Herzen zu wecken; Er will den Menschen für Gott wiedergewinnen, gegen welchen derselbe gesündigt hat. Es ist schwer, mit Freimütigkeit vor das Auge dessen zu treten, den wir durch unsere Sünden verunehrt haben; darum ist der gnadenreiche Herr so unablässig bemüht, um die Freimütigkeit wachzurufen.
Wie steht es mit dir, mein Leser? Wagst du es, zu Gott mit voller Freimütigkeit zu nahen? Kann dein Herz sagen: „Ich habe gesündigt und den Herrn verunehrt; aber ich habe seine Gnade und Liebe erkannt und kann Ihm alles sagen, alles bekennen.“ Kannst du im Bewusstsein deiner Sünde und Ungerechtigkeit mit einem Herzen voll Vertrauen zu seiner Liebe vor Ihn hintreten?
Das Weib, wovon wir in Lukas 7 lesen, wusste nicht, als sie sich zu den Füßen Jesu warf, dass sie Vergebung gefunden habe; aber sie liebte viel. Simon, der Pharisäer, hatte den Herrn zum Abendessen in sein Haus geladen; aber er gab Ihm weder Wasser für seine Füße, noch einen Kuss, während das Weib seine Füße mit Tränen benetzte. Der Herr allein war der Gegenstand, worauf ihr Auge ruhte; alles Übrige in der Welt hatte für sie in diesem Augenblick keinen Reiz. Sie wusste nicht, dass ihre Sünde vergeben war; aber die Gnade Christi hatte das Vertrauen ihres Herzens gewonnen; und das brachte ihre Gefühle in Tätigkeit. Sie konnte nicht in das Antlitz irgendeines ehrbaren Menschen schauen; aber sie konnte in das Antlitz des Sünderheilandes schauen und sich seiner Liebe anvertrauen. Wenn das Licht Gottes das Gewissen eines Sünders erreicht, so sollte er sich über sich selbst schämen, wie dieses arme Weib es tat; aber er sollte auch gleich ihr mit demselben Vertrauen zu Ihm, dem Heiland der Sünder, eilen, der niemanden hinausstößt, der zu Ihm kommt, und welcher so gern durch das süße Wort: „Deine Sünden sind dir vergeben“, und „Geheim in Frieden“, die Tränen der Buße trocknet.
Ist auch dein Herz bis zu diesem Punkt gebracht, mein Leser? Hast auch du je einmal gesagt: „Ich bin ein schuldbeladener Sünder; aber ich kann zu Ihm, dem auferstandenen Christus, gehen, wie das Weib einst zu dem auf Erden pilgernden Christus ging.“ Wie Er einst zu den erschrockenen Jüngern sagte, so spricht Er auch jetzt: „Seht, dass ich es selbst bin.“ Ich darf in seine Gegenwart kommen und Ihm völlig vertrauen. Das ist die Wirkung, wenn Er einmal in Gnade erkannt ist.
Jetzt kommen wir zu einer anderen Wahrheit. Er starb auf dem Kreuz; Er ist für uns zur Sünde gemacht, bevor Er Frieden verkündigte; Er starb, um Frieden zu machen, Er lebte und offenbarte Gott den Sündern; Er starb vor Gott für Sünder. Wenn Er kommt, um das Vertrauen unserer Herzen zu gewinnen, so geschieht es, weil Er zuerst unsere Sünden von uns genommen und Gerechtigkeit erworben hat.
Nirgends tritt uns der Hass Gottes gegen die Sünde in solcher Größe und solchem Ernst vor das Auge, als auf dem Kreuz. Selbst nicht in dem gerechten Gericht der Gottlosen wird sich derselbe in einer solchen Fülle zeigen, wie in dem Augenblick, wo Christus den Kelch des Zornes trank und ihn so völlig leerte, dass wir nimmer einen Tropfen davon kosten können. Am Kreuz wurden alle Dinge mit Gott in Ordnung gebracht. „Er ist einmal in der Vollendung der Zeitalter offenbart worden zum Wegtun der Sünde durch das Schlachtopfer seiner selbst“ (Heb 9,26). Er trug die Sünde am Kreuz; Er kann sie jetzt nicht tragen. An diese Wahrheit muss das Herz des Gläubigen sich klammern. Kein Christ kann sagen, dass Christus jetzt noch mit der Wegnahme der Sünde zu tun habe; Er hat „Frieden gemacht durch das Blut seines Kreuzes;“ kein Wunder daher, dass der Gläubige Frieden hat. Ein jeder, der durch den Glauben mit Christus vereinigt ist, hat nicht nötig, seine Sünde zu verbergen, zu verdecken, oder zu verheimlichen, sondern steht vor Gott kraft des vollbrachten Werkes Christi und ist so weiß wie Schnee.
Der Gläubige hat nicht den Tag des Gerichts abzuwarten, um sein Los zu erfahren; denn in diesem Fall würde er rufen müssen: „Herr, gehe nicht mit mir ins Gericht!“ Er hat die Schrecken des Gerichts zum Voraus kennen gelernt und die Liebe Christi, wovon das Kreuz den Beweis geliefert, gesehen und erkannt. Die höchste Handlung der Gnade Gottes, nämlich die Hingabe seines Sohnes, hat den Grund zu einer ganz neuen Stellung gelegt. War nicht das Gericht Gottes gegen die Sünde das glänzendste Zeugnis, dass Gott die Sünde nicht dulden kann? Er hat gehandelt in Betreff der Sünde und sie hinweggetan. Am Kreuz zeigte sich kein Hingehenlassen, kein Verbergen der Sünde, im Gegenteil ist das Gericht Gottes gegen die Sünde offenbart worden. Gott verbarg die Sünde nicht, sondern richtete sie am Kreuz. Die ganze Frage in Betreff der Sünde ist dort zwischen Christus und Gott erledigt worden, und zwar gemäß der Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes. Nun kann Christus allen heilsbegierigen Seelen zurufen: „Friede euch!“ Er hat Frieden gemacht; denn Er hat die Sünde getragen und sie hinweggetan. Gott hat Ihn aus den Toten auferweckt; und das ist das Zeugnis und Siegel, dass Er das Werk Christi angenommen hat. Jetzt kann Christus sagen: „Ich war tot; aber siehe ich lebe!“ und: „Seht meine Hände und Füße, dass ich es selbst bin.“ Er aß und trank nach seiner Auferstehung mit seinen Jüngern in der gnadenreichen Absicht, um ihnen zu zeigen, dass Er derselbe Jesus sei, nur mit dem Unterschied, dass, seitdem sie Ihn verloren hatten, Er Frieden mit Gott gemacht hatte. „Da öffnete Er ihnen das Verständnis, dass sie die Schriften verstanden, und sprach zu ihnen: Also ist es geschrieben, und also musste der Christus leiden und am dritten Tage auferstehen aus den Toten, und in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden verkündigt werden an alle die Nationen, anfangend von Jerusalem“ (V 45–46). – Er sandte sie zur Verkündigung des Evangeliums aus, weil Frieden gemacht war.
Wenn ich von meiner Sünde überzeugt bin, dann sehe ich, welch ein böses Herz ich habe, und dass in meinem Fleisch nichts Gutes wohnt. Wohl mir aber, wenn ich dann durch die Gnade erkenne, dass das Blut Christi für mich geflossen ist und Er Frieden gemacht hat. Würde diese Ruhe in meiner Seele fehlen, so wäre das ein Beweis, dass ich Zweifel setzte in die Wirksamkeit des Werkes Christi. Wie aber könnte ich es wagen zu sagen, dass Gott dieses vollkommene Opfer nicht angenommen habe, und dass meine Sünden größer seien, als der Wert des Blutes Christi?
Vielleicht könnte jemand sagen: „Ich zweifle nicht daran, dass das Werk Christi ein höchst gesegnetes ist; aber ich bin nicht gewiss, ob ich es angenommen habe.“ Es ist doch klar, dass eine Seele, welche eine solche Sprache führt, das Werk angenommen hat; aber ihr Missverständnis hindert sie am Genüsse des Friedens. Die Liebe Gottes, welche Christus gab, gewinnt das Herz; die Gerechtigkeit Gottes, welche das Werk Christi angenommen hat, gibt den Frieden. Wählen wir ein Beispiel. Vorausgesetzt, ich hätte jemanden beleidigt. Später fühle ich Reue darüber, und um ein gutes Verhältnis wiederherzustellen, suche ich dem Beleidigten irgendeine Genugtuung zu verschaffen. Nimmt er diese an, so ist das ein Beweis, dass er zufrieden gestellt ist. Wohlan denn – hat Gott die von Christus dargebotene Genugtuung angenommen? Ich frage nicht: Hast du sie angenommen? Gott war der beleidigte, verunehrte Teil; aber das Opfer Christi für unsere Sünde genügte Ihm völlig, um die heilbringende Gnade allen Menschen anzubieten. Der Grund, auf dem der Friede ruht, ist, dass Gott das Opfer Christi als eine gänzlich zufriedenstellende Genugtuung angenommen hat; und der Beweis dieser Annahme ist, dass Er Christus zu seiner Rechten erhöht hat. Ist das nicht genug? Eine einfältige Seele ergreift diese köstliche Wahrheit mit dankbarem Herzen.
Der Apostel macht in Hebräer 10 darauf aufmerksam, dass unter dem Gesetz der Hohepriester das Opfer für die Sünde stehend darbrachte und, weil die Sünde immer noch da war, alle Jahre diesen Dienst wiederholte, während Christus, „nachdem Er ein Schlachtopfer für die Sünde dargebracht, sich für immerdar gesetzt hat zur Rechten Gottes.“ Also „für immerdar“, beständig, ununterbrochen hat Er, weil die Versöhnung eine vollkommene ist, diesen Platz eingenommen; um dort immer für uns zu erscheinen und beständig unsere Gerechtigkeit in der Gegenwart Gottes zu sein, so dass wir kein Gewissen von Sünden mehr haben. Ich sehe also jede Frage in Betreff der Sünde, die auf mir lag, gelöst, wenn ich zu Gott emporblicke und Christus zu seiner Rechten sitzen sehe. Ich kann nicht zu Gott gehen, ohne Christus dort zu sehen; ich kann Christus nicht begegnen, ohne zu erkennen, dass ich von Sünden gereinigt und „in Ihm die Gerechtigkeit Gottes“ geworden bin. Ich sage: „Ich bin von Natur ein schrecklicher Sünder, ein Feind Gottes.“ Gott sagt: „Das Blut Christi reinigt von aller Sünde; Du bist weiß, wie Schnee. Gesegnete Wahrheit! Was wird die Wirkung sein? Mein Herz voll Frieden und Freude wird sich dankbar zu seinen Füßen werfen; und Ihn durch einen gottseligen Wandel zu verherrlichen, wird meine Lust und Wonne sein. Sind wir im Licht, so lasst uns wandeln nach dem Licht, in welches wir durch die Gnade gebracht sind. Möge die Welt Christus in uns erblicken! Wir sind nicht berufen, ein Brief des unschuldigen Adams, oder des verlorenen Adams zu sein; nein, wir sind „ein Brief Christi.“ Christus ist sowohl unser Leben, als auch die Richtschnur für unseren täglichen Wandel.
Betrachten wir nun noch zum Schluss, wo und wie Er uns zurückgelassen hat, nachdem Er gen Himmel gefahren ist. Er hatte nach seiner Auferstehung seinen Jüngern gezeigt, dass Er derselbe gnadenreiche Heiland war, wie vorher; dann hatte Er ihnen berichtet, dass „in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden verkündigt werden sollte an alle die Nationen, anfangend von Jerusalem;“ und endlich schloss Er mit den Worten: „Und siehe, ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch. Ihr aber bleibt in der Stadt, bis ihr angetan werdet mit Kraft aus der Höhe“ (V 49).
Diese Verheißung ist erfüllt. Der Heilige Geist ist gekommen und hat in uns, die wir an den Namen Jesu glauben, Wohnung gemacht. Unsere Leiber sind die Tempel des Heiligen Geistes; wir sind Söhne Gottes. Die Gegenwart des Heiligen Geistes gibt Kraft und Weisheit. Er ist gekommen, nachdem Christus gen Himmel gefahren war. Früher hatte Er seine Wohnung nicht auf der Erde. „Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“
„Er führte sie aber hinaus bis gen Bethanien und hob seine Hände auf und segnete sie. Und es geschah, indem Er sie segnete, verschied Er von ihnen und ward hinaufgetragen in den Himmel“ (V 50–51). Welch eine innige Verbindung der Gläubigen mit Christus! Der erhabene Mensch, dessen Hände und Füße die Jünger betastet haben, ist zum Himmel gegangen. Wie, ein Mensch im Himmel? Sicher, Er ist Gott über alles, hochgelobt in Ewigkeit. Aber auch als Mensch hat Er seinen Platz im Himmel genommen. Ich schaue zu Jesu empor, und was sehe ich? Seine Hände sind segnend über mich ausgebreitet. Ja, ich sehe durch den Glauben jemanden im Himmel, welcher Frieden gemacht hat – eine göttliche Person; aber auch ein Mensch, der mich mit seinen Segnungen überschüttet. Noch bin ich ein Pilger auf Erden; Er hat mich dort zurückgelassen, wo Er einst war. Ich freue mich, dass Er zum Vater gegangen ist; aber ich sehne mich, Ihn zu schauen. Der sterbende Heiland hat Frieden gemacht; der lebende Heiland betet für mich und segnet mich. Gepriesen sei sein herrlicher Name!
Nun, mein Leser, glaubst auch du, dass Er Frieden gemacht hat? Vertraut dein Herz seiner Liebe? Schaust du Ihn durch den Glauben, wie Er droben ist und dich segnet? Sehnst du dich gleich Ihm dem herrlichen Augenblicke entgegen, wo Er wiederkommen und dich in seine Herrlichkeit einführen will? –
Der Herr möge dein Auge leiten, um Ihn zu schauen, und dein Verständnis mehren, um seine Wege in Segnung und Gnade zu verstehen!
Fußnoten
- 1 In dem 13. bis zum 17. Kapitel des Evangeliums Johannes blickt der Herr über das Kreuz hinaus.