Botschafter des Heils in Christo 1870
Die Fürsorge Jesu für die Seinen
Der Herr Jesus stand im Begriff, dem Kreuzestod entgegen zu gehen. Seine Stunde war gekommen. Die Nacht, in der Er verraten wurde, war angebrochen. Aber gerade in diesen ernsten Augenblicken war es, wo Er sich, wie uns das Evangelium Johannes so ausführlich mitteilt, mit seinen Jüngern beschäftigte. Er war in dem vollsten Bewusstsein dessen, was Ihm bevorstand; Er konnte an Judas die Worte richten: „Was du tust, das tue bald;“ und dennoch hatte Er Ruhe und Zeit, seine Jünger zu unterweisen, zu trösten, und ihnen gegenüber in der zärtlichsten Weise sein Mitgefühl für sie an den Tag zu legen. Er, der selbst den größten Leiden entgegenging, wollte, dass seine Jünger nicht bestürzt sein, sondern sich freuen sollten. Auf sich selbst lud Er alle Schmerzen, damit ihre Freude eine völlige sein könnte. Dieser Charakter leuchtet uns aus allen seinen Handlungen in den letzten Augenblicken seines Lebens in einer so besonders lieblichen Weise entgegen. Sein ganzes Tun stellte es ins Licht, dass Er in die Welt gekommen war, um alles für uns zu tun, auf dass ewige Freude unser Teil sein möchte.
Die Stunde des Scheidens war gekommen. Die kalte Hand des Todes sollte bald das zarte Band zwischen dem Herrn und seinen Jüngern durchbrechen, aber nur um ein festeres, unauflösliches, ewiges Band herzustellen; und es war eine Freude für sein Herz, ihnen sagen zu können, dass sie Ihn über ein kleines wiedersehen würden. Ja, es ist das Bedürfnis seines Herzens, jede Wolke der Trauer zu zerstreuen und unsere Herzen für den Genuss seiner Liebe zu öffnen. Er tröstet sie mit seiner baldigen Wiederkehr; und wie ein Weib nach der Geburt ihres Kindes sich freut und all ihre Schmerzen vergisst, so würden, versichert Er ihnen, auch ihre Herzen frohlocken, wenn er nach kurzer Abwesenheit in ihre Mitte zurückkehren werde. Ihre Traurigkeit sollte in Freude verwandelt werden. Und in der Tat, welch eine Freude gebiert doch die Traurigkeit! Nimmer hatten die Jünger einen solchen Augenblick der Freude erlebt, der jenem glich, als Jesus nach seiner Auferstehung wieder in ihre Mitte trat. Das Wiedersehen ließ sie frohlocken; aber sicher wäre diese Freude nicht ihr Teil gewesen, wenn nicht der trübe Augenblick der Trennung vorangegangen wäre.
In gewissem Sinn sind die Wege Gottes immer schmerzlich, aber gut und gesegnet für uns. Und so war es auch bei dem Heimgang des Herrn zum Vater. Traurigkeit erfüllte das Herz der Jünger; aber der Herr konnte sagen: „Es ist euch gut, dass ich hingehe.“ Er weiß, was gut ist; und seine Weisheit lässt uns Wege der Trübsal gehen, um dann die Freude zu finden, und zwar eine Freude, die uns niemand rauben kann.
Die Freude ist unser Teil und bleibt unser Teil. Es ist sein Wille, dass die Freude, die Er gibt, nicht von uns genommen werde. Jetzt schon ist die Freude, die himmlische Freude unser Teil Sowie die Jünger sich freuten, als sie den Herrn wiedersahen, als sie erfuhren, dass weder Tod noch Grab ihren Herrn zu halten vermochten, und als die Hoffnung in ihren Herzen erwachte, dass nichts im Himmel und auf Erden sie von Ihm zu scheiden vermöge, ebenso freuen auch wir uns, dass Er unser Teil ist, dass kein Feind Ihn uns nehmen kann, und dass nichts im Stande ist, uns von seiner Liebe zu scheiden.
Was wird es sein, wenn wir Ihn sehen, wie Er ist! Die Jünger frohlockten, als sie den Herrn wiedersahen; und wie viel größer wird unsere Freude sein, wenn wir Ihn schauen, an welchen wir geglaubt, ohne Ihn gesehen zu haben. Die Jünger hatten, als Er zum Vater ging, noch einmal eine Stunde der Trennung durchzumachen; aber wenn wir Ihn sehen, wie Er ist, werden wir uns nimmer wieder von Ihm trennen. Wie glücklich sind doch alle, die Jesu angehören! Eine ewige Freude soll nach dem Willen des Herrn ihr Teil sein. Jetzt schon bereitet der Herr inmitten der Trübsale und sogar mittels der Trübsale eine himmlische Freude in unseren Herzen, wie aber wird es sein, wenn Er droben uns ohne jegliche Trübsal Teil nehmen lässt an dem Vollgenuss einer ewigen Freude! Jetzt schon kann niemand unsere Freude von uns nehmen. Man kann uns hassen; aber das vermehrt nur unsere Freude an Ihm, der uns liebt; man kann uns Böses tun; aber es wird nur zur Folge haben, dass wir uns naher an Jesus klammern, der nur Liebe und Güte für uns in seinem Herzen birgt; man kann uns sogar töten; aber dann tut man im Grund nichts anders, als dass man uns dahin bringt, wo die Freude ohne Störung unser Teil ist. Die Welt mag tun, was sie will; aber unveränderlich bleibt das Wort: „Niemand wird eure Freude von euch nehmen.“
Wenn unsere Herzen Ihn kennen, so gibt es keinen Zweifel, keine Frage mehr; alle Zweifel sind gehoben, alle Fragen sind in Ihm beantwortet. Hat das Herz verstanden, sich auf Ihn zu stützen, dann ist alle Furcht beseitigt; ich vertraue mich Ihm an, ich stütze mich auf Ihn, ich weiß, dass Er für alles sorgen wird. Der, dessen Wille es ist, dass niemand meine Freude von mir nimmt, der ist mir auch genug für alles, was in dieser Welt mir begegnen kann.
Doch dem Herrn ist es nicht genug, mit Ihm in einem so gesegneten Verhältnis zu sein. Durch Ihn treten wir auch mit dem Vater in ein neues Verhältnis seine erste Botschaft, die Er nach seiner Auferstehung an seine Jünger richtete, war: „Ich gehe Hin zu meinem Gott und zu eurem Gott, zu meinem Vater und zu eurem Vater.“ Er hatte den Weg zum Vaterherzen Gottes geöffnet; und schon in unserem Kapitel ermuntert Er die Jünger, in seinem Namen zum Vater zu beten. Bis dahin hatten sie noch nicht im Namen Jesu gebetet; der Herr hatte sie gelehrt, wie sie beten sollten. Jetzt gab Er ihnen eine neue Unterweisung in Betreff des Gebetes. Er hatte von dem Heiligen Geist gesprochen, der sie in alle Wahrheit leiten sollte; und jetzt gab Er ihnen das Recht, in seinem Namen, d. h. in seinem Auftrag sich an den Vater mit ihren Bitten zu wenden.
Es ist bemerkenswert, dass der Herr hier hinzufügt: „Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde.“ Ohne Zweifel wollte Er hier die Jünger verhindern, von Ihm eine Fürbitte bei dem Vater zu erbitten; denn dieses würde ihre Herzen mehr oder weniger in eine gewisse Entfernung von Gott gebracht haben. Jedenfalls bittet der Herr Jesus stets für uns; aber wir haben einen freien Zugang zu dem Vaterherzen Gottes, und es ist der Wille des Herrn, dass wir diesen Weg freimütig im Namen Jesu betreten, indem Er uns Mut macht durch die Worte: „Denn der Vater selbst liebt euch.“
Welche stille, glückliche Freude liegt darin, dem Vater nahen zu können, während wir eine böse Welt durchschreiten, und zwar in dem Bewusstsein, dass Er uns liebhat! Welch eine Freude, Ihm alles sagen zu können, und dieses im Namen Jesu, gleichsam in seinem Auftrag, nach seinem Wunsch. Der Herr wollte, dass die Jünger das Vaterherz selbst kennen lernen sollten; Er zog sich deshalb, so zu sagen, in den Hintergrund zurück, um ihnen – freilich durch Ihn – den Weg zum Vater zu öffnen. Welch eine Fürsorge! O möchten doch unsere Herzen stets mit Freude erfüllt sein, sowie mit Vertrauen zu Jesu und dem Vaterherzen Gottes!