Botschafter des Heils in Christo 1870
Der Herr als Richter
Das erste Bedürfnis eines erwachten Gewissens ist. Jemanden zu finden, der Heilung und Befreiung bringe in Betreff dessen, was die Seele beunruhigt und zu Boden drückt; und dieselbe Gnade, die das Gewissen erreichte, ist wirksam und tätig, um das Auge des niedergebeugten und zerknirschten Sünders auf die durch Jesus vollbrachte Erlösung zu lenken. Und welch eine Fülle von Freude, Ruhe und Erquickung erwacht in seinem Herzen, wenn, gewirkt durch den Heiligen Geist, der Glaube ihn in die rettenden Arme Jesu führt, welcher durch das Opfer seiner selbst eine ewige Erlösung erfunden hat! Er kann dann mit Dank und Anbetung in die Worte einstimmen: O Glück unaussprechlich! Gott zürnet nicht mehr;
Den feindlichen Sünder begnadigte Er. Ja, ein Blick auf das Kreuz, auf das vollkommene Werk Christi verscheucht alle finsteren Schatten aus der Seele. Der verlorene Sünder klammert sich an den Felsen der Errettung, und Tod und Gericht sind vorüber gerauscht und schrecken ihn nicht mehr. Er sieht durch Jesus den Lohn der Sünde getragen, den Zorn Gottes gestillt, seine Gerechtigkeit befriedigt, die Macht und die Schrecken des Todes vernichtet und die Flammen der Hölle ausgelöscht. Und obwohl sein Fuß den dornenvollen Pfad des Kreuzes betreten und, außerhalb des Lagers, die Schmach Christi, die Schwierigkeiten der Wüste, und als ein Streiter Kanaans die feurigen Pfeile Satans gefunden hat, so zieht er dennoch von Kraft zu Kraft seine Straße, weil Er, der seine Sünden trug, nun auch als treuer Freund, als guter Hirte an seiner Seite ist und ihn nicht nur nicht verlässt, noch versäumt, sondern auch in die Umstände und Schwierigkeiten der Seinen so völlig eintritt, als ob es seine eigenen seien. O seliges Vorrecht! Der Herr Jesus hat uns mit sich vereinigt, hat in Liebe und Güte alle unsere Sorgen auf sich genommen, und trägt uns mit einer Geduld und Barmherzigkeit, die jedes Verständnis übersteigt, so dass wir anbetend lobsingen können: Du hast uns lieb! Das ist genug,
Uns ewiglich zu freuen. Indes sollten wir es nimmer aus den Augen verlieren, dass Er der Heilige ist und sich stets als solcher in allen seinen Wegen mit uns offenbart. Mit Ihm zu wandeln, heißt die Sünde ausschließen. Er ist stets durch den Heiligen Geist beschäftigt, uns in der Heiligkeit wachsen zu lassen; Er züchtigt uns, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden. Nichts desto weniger hält Er uns in seiner Hand; und sein eigener Mund hat es uns versichert, dass uns niemand aus seiner und des Vaters Hand zu reißen vermöge. Nicht unsere, sondern seine Treue ist das einzige Mittel, dass wir bis jetzt nicht von Ihm gewichen und den Weg des Friedens verlassen haben. Kein Feind, welche List und Bosheit er auch anwenden mag, ist im Stande, uns von seiner Liebe zu scheiden; denn wessen Kraft könnte größer sein, als die Kraft dessen, der in das Haus des Starken eingedrungen, ihn gebunden und ihn seines Hausrats beraubt hat? Und wessen Liebe vermöchte die Liebe dessen zu erreichen, der für Gottlose und Sünder, für seine eigenen Feinde das Leben in den Tod gab? Er erfüllt inmitten dieser Wüste voller Versuchungen, Schwierigkeiten und Gefahren unser Herz mit Frieden und Freude, und macht uns fähig, die Dinge dieser Welt auszuschlagen und nach jenen unsichtbaren Dingen zu trachten, die droben sind. Er führt uns zu grünen Auen, und pflegt uns an Wassern der Ruhe. Er selbst ist während unserer Pilgerreise unsere Speise und unser Trank, unser Brot vom Himmel und der wasserreiche Fels, der uns folgt. Er wird um seines Namens willen nicht müde werden, uns bis an das Ziel unseres Weges in Liebe zu begleiten, mit Geduld zu tragen, mit Kraft zu stützen, und uns mit allem zu versorgen, was wir nach Leib und Seele bedürfen. Wir werden nicht einen einzigen Augenblick Ursache haben, sagen zu müssen: „Er hat uns versäumt!“ Nimmer wird seine Liebe erkalten, nimmer seins Treue wanken, nimmer seine Kraft erlahmen. O glückliches Volk. Gesegneter Pfad! Mag die Wüste auch öde, dürre und leer sein und nichts bieten, was das Herz befriedigen könnte, so bleibt es doch eine unerschütterliche Wahrheit: Sein reicher Segen fließt verborgen,
Und nimmer geh ich kärglich aus. Ja in der Tat, wir haben Ursache, uns allezeit zu freuen, weil wir in allem, was uns begegnet, sagen dürfen: „Es ist der Herr!“ Freud und Leid, Sonnenschein und Sturm – alles empfangen wir aus seiner Hand; und alles muss denen, die Gott lieben, zum Guten mitwirken. Und dennoch – hofften wir bloß in diesem Leben auf Christus, und hätte nicht die Auferstehung des Herrn uns die Pforten einer glänzenden, ungetrübten Zukunft erschlossen, so würden wir wirklich, wie der Apostel sagt, die „elendesten unter allen Menschen“ sein. Doch wir sind nicht allein Gefäße seines Erbarmens, sondern auch Gegenstände seiner Liebe, – einer Liebe, die nicht ruht, bis wir dort sind, wo Er ist, in seiner Freude, in seiner Herrlichkeit. Wir sind auf dem Weg zu Ihm; und noch einmal wird Er den Thron des Vaters verlassen, um uns seine mit Blut Erkauften aufzunehmen, damit wir Ihm gleich seien und Ihn sehen, wie Er ist. Er kennt uns jetzt durch und durch, und nichts in und in uns ist Ihm verborgen, während unsere Erkenntnis nur Stückwerk ist; aber wir eilen dem wundervollen Augenblicke entgegen, wo wir sein Bild tragen und Ihn völlig erkennen werden, wo alles Stückwerk hinweggetan und jedes Herz Ihn nach einer vollkommenen Erkenntnis seiner Wege und Ratschlüsse würdigen, ehren und preisen wird. Dann berührt der Fuß nicht mehr den Boden einer öden, dürren Wüste, wo Sünde, Kummer und Tränen ihre Heimat haben; nein, dann durchschreitet er eine Stätte, wo nicht der leiseste Zweifel in Betreff seiner unendlichen Liebe die Freude trüben und das Lob und die Anbetung hemmen kann, sondern wo die Seele im Vollgenuss seiner Liebe ihrer überschwänglichen Wonne einen vollkommenen Ausdruck zu verleihen fähig gemacht ist. Nicht Satan, nicht die Welt, nicht das Fleisch, diese unermüdlichen, wenn auch überwundenen Feinde des Wüstenpilgers werden sich je dort einzudringen vermögen, wo die Liebe uns eine ewige Ruhestätte bereitet hat. Dort werden wir ruhen am Herzen unseres teuren Herrn, der uns für sich erkauft und uns nach hartem Kampf den Sieg gegeben hat. O welch eine Hoffnung! Welch eine Zukunft!
Aber alles, was ich bis jetzt gesagt habe, bezieht sich nur auf das, was der Herr für uns getan hat, was Er für uns tut, und was Er für uns tun wird; und sicher ist es von unschätzbarem Wert, unsere Seelen an den Strahlen dieser unendlichen Liebe zu erwärmen. Aber würden wir uns mit dem Erkennen dieser allerdings äußerst köstlichen Dinge begnügen und damit die Geschichte des Erlösungswerkes gleichsam als abgeschlossen betrachten, so würde das allerköstlichste für uns ein vergrabener Schatz bleiben. Wenn wir sagen: „Wir sind erkauft, um ein ewiges Glück im Himmel zu genießen!“ so ist das ohne Zweifel eine unumstößliche Wahrheit. Aber ist das die ganze Wahrheit? Birgt sich nicht in diesen Worten ein reiches Maß von Selbstsucht und Eigenliebe? Ganz sicher. Ich habe nur von mir geredet und mein Glück, meine Freude und meine Ruhe als die Triebfeder alles dessen bezeichnet, was der Herr Jesus getan hat. Hat Er mich – denn auch nicht für sich erkauft? Allerdings; und das sollte stets den Vordergrund in meinen Gedanken bilden. Er hat mich erkauft, um mich für sich zu besitzen in Zeit und Ewigkeit. Dieses Bewusstsein macht mich los von mir selbst, leitet meine Gedanken ab von meinem Ich und lenkt mein Auge auf die gesegnete Person dessen, dem ich alles verdanke und dessen Eigentum ich bin. Dann erkenne ich es als meine Aufgabe, als mein ungeschmälertes Vorrecht, Ihn, der so erniedrigt, so verachtet und so gehasst war, zu verherrlichen, und zwar auf demselben Schauplatz, wo seine gänzliche Verunehrung stattgefunden hat; ja dann ist es meine größte Wonne zu wissen, dass Er, der von der Welt Verworfene, zu seiner Zeit von aller Kreatur im Himmel und auf der Erde anerkannt, geehrt und verherrlicht werden, und „dass in dem Namen Jesu sich jedes Knie der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen beugen und jede Zunge bekennen wird, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters.“
In der oben angeführten Schriftstelle (Off 1,12–18) erblickt Johannes Ihn als den, dem der Vater alle Gewalt gegeben hat, – als den Richter des Erdkreises. „Seine Augen wie eine Feuerflamme“; – welcher Feind wäre im Stande, seinen Blick zu ertragen? „Seine Füße gleich glänzendem Kupfer, als glühten sie im Ofen, und seine Stimme wie die Stimme vieler Wasser;“ – wer könnte Ihm widerstehen? „Und aus. Seinem Mund ging hervor ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht war, wie die Sonne leuchtet in ihrer Kraft;“ – wer könnte seiner Macht Trotz bieten? Selbst Johannes sagt: „Als ich ihn sah, fiel ich wie tot zu seinen Füßen.“ – Wie gänzlich umgewandelt wird am Tag des Gerichts die Gestalt dessen sein, der einst in Knechtsgestalt, „sanftmütig und von Herzen demütig“, durch eine Welt schritt, deren Bürger, weil ihre Werke böse waren, die Finsternis mehr liebten, als das Licht! Doch – o unaussprechliche Gnade! – weder Johannes, noch irgendein Gläubiger soll den Herrn als Richter erblicken, um zu sterben. Der Herr legte seine Rechte auf seinen Jünger und rief ihm die ermutigenden Worte zu: „Fürchte dich nicht!“ Nein, die Seinen, durch sein Blut von allem befreit, was dem Gericht anheimfallen musste, haben nichts zu fürchten; sie werden „nicht gerichtet, sondern sind vom Tod in das Leben hinübergegangen.“ Er, dem der Vater das ganze Gericht gegeben, auf dass alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren, (Joh 5) Er ist auf dem Kreuz mit den Seinen zusammengetroffen; sein Tod ist ihr Tod; sein Gericht ihr Gericht. Gott hat Ihn, der Sünde nicht kannte, für sie zur Sünde gemacht, auf dass sie würden Gottes Gerechtigkeit in Ihm (2. Kor 5,21). „Hierin ist die Liebe mit uns vollendet, auf dass wir am Tag des Gerichts Freimütigkeit haben; dass, wie Er ist, auch wir sind in dieser Welt“ (1. Joh 4,17). Wie könnten wir etwas fürchten, da die unendliche Gnade uns dem Richter gleichförmig gemacht hat? Wir sind sein Werk; kann Er sein eigenes Werk richten?
„Früchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte, und der Lebendige; und ich war tot, und siehe, ich lebe in die Zeitalter der Zeitalter, und habe die Schlüssel des Todes und des Hades.“ Ach, wie viele werden den Tod finden bei der Erscheinung des Richters! Und seine Stimme, wie die Stimme vieler Wasser – welche Schrecken wird ihr Schall unter seine Feinde bringen! Die Worte des Herrn: „Ich war tot, und siehe, ich lebe in die Zeitalter der Zeitalter!“ zeigen dem Johannes und allen Jüngern des Herrn das Mittel ihrer ewigen Errettung von Tod und Gericht, aber auch, dass Er kommen wird, um die Welt, in der Er seinen Tod gefunden hat, zur Rechenschaft aufzufordern. Nur Er, in dessen Hand die Schlüssel des Todes und des Hades sind, hat dazu die Macht und das Recht. Er hat die Macht zu gebieten, zu töten; und nichts ist im Stande seinem Arm zu widerstehen. Wo werden alle seine Feinde bleiben, wenn Er sagen kann: „Ich bin der Letzte; und ich lebe in die Zeitalter der Zeitalter?“ Alle, alle werden zum Schemel seiner Füße gelegt werden; Er wird sie weiden mit einer eisernen Rute. Wenn das Echo dieser Schreckensszene auf der Erde erschallt, dann wird für immer der Mund der Spötter geschlossen sein, und Töne ewigen Wehes und ununterbrochener Drangsal und schauerliche Ausbrüche der Verzweiflung werden die Räume der Erde durchzittern. Ach, der Mensch, der heute noch hohnlächelnd und mit Geringschätzung auf jeden herabschaut, der den Namen Jesu auf seine Fahne geschrieben, wird dann im Gefühl seines gänzlichen Nichts sich mit Zerknirschung vor der Majestät dessen niederbeugen, dessen Gnade und Liebe er einst verwarf, und wird, zitternd vor dem Zorn des Lammes, sich in den Höhlen und Felsen, mit dem Angstrufe zu verbergen suchen: „Fallt über uns und verbergt uns vor dem Angesicht dessen, der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes!“
Freilich sollte der Gedanke an den Richterstuhl Christi bei uns dieselben Gefühle und denselben Eifer erwecken, wie dieses bei dem Apostel Paulus der Fall war. „Das Schrecken des Herrn kennend“, sagt er, „überreden wir die Menschen.“ – allein dieses ist nicht der Zweck, den ich bei diesen Zeilen verfolge; was ich vorzustellen wünsche, ist die Verherrlichung des Herrn. Er ist verworfen worden; Er wird Verherrlicht werden. Seine Erniedrigung war eine so tiefe, dass nie ein Mensch Ihm darin gleich gewesen ist; die Liebe, die einen solchen Pfad wandelte, übersteigt alle menschlichen Vorstellungen. Niemand hat je gefühlt, und niemand vermag zu fühlen, was der Herr, der Gerechte, gefühlt hat, und zwar mitten unter den Sündern, deren Ungerechtigkeit soweit ging, dass selbst am Kreuz sich von ihrer Seite nichts von Mitleid zeigte (Ich rede hier nicht von dem, was Er, beladen mit unseren Sünden und zur Sünde gemacht, von Seiten Gottes zu erdulden hatte). Und so tief Er herabstieg und sich erniedrigte, und so tief seine Schmach und Verachtung war, ebenso hoch ist jetzt als Mensch seine Erhöhung, seine Herrlichkeit und Majestät; und Er wird einmal völlig von allen Kreaturen anerkannt werden als der König aller Könige, und als der Herr aller Herren. Jetzt noch begegnen wir seinen Hassern und Verächtern, aber dann nur denen, die Ihm freiwillig oder gezwungen unterworfen sein werden. Jetzt findet man eine unzählige Menge, die Ihn nicht kennt; aber in jener Zeit wird niemand vorhanden sein, dem der Herr unbekannt ist; jetzt noch, wie vor achtzehnhundert Jahren, verachtet man Ihn; aber dann wird der verwegenste Spötter nur mit Zittern seinen heiligen Namen über die Lippen bringen. Alle Knie werden sich vor Ihm beugen, jede Zunge Ihn als den Herrn bekennen.
Ich will hier nicht davon reden, dass wir mit Ihm verherrlicht werden, sondern ich wünsche nur das Auge des Lesers auf den Gedanken zu lenken, dass unser geliebter Herr einmal den Platz einnehmen wird, der Ihm gebührt. Welche Geduld ist doch bei Ihm! Wie lange hat Er gewartet, bevor Er diesen Platz einnimmt! Wie lange erträgt Er die Bösen! Wahrlich, Er ist anbetungswürdig in allen seinen Wegen. Welch eine Freude wird es für uns sein. Ihn Verherrlicht zu sehen! Wie ganz anders werden dann die Menschen sich gegen Ihn verhalten. Nie gesegnet, wenn Er den ersten Platz auf dieser Erde einnehmen und sein Zepter über sein Volk Israel, das Ihn kennen, Ihn lieben und Ihm dienen wird, sowie über die ganze Ihm unterworfene Erde schwingen wird! Satan, jetzt der Fürst dieser Welt, wird dann vom Schauplatz seiner Tätigkeit verbannt sein; und Jesus, als der Erste und Letzte, wird herrschen und Ehre empfangen; und nur sein Wort, sein Wille wird Geltung haben. Wenn wir Ihn lieben, und je mehr wir Ihn lieben, desto mehr werden wir uns freuen, dass unsere Geschichte mit unserer Aufnahme nicht zum Abschluss kommt, sondern dass wir dann die Verherrlichung dessen sehen werden, Her würdig ist, gepriesen zu werden von der ganzen Schöpfung.
„Und alle Kreatur, die in den Himmeln und auf der Erde und unter der Erde, und was auf dem Meer ist, und alle Dinge, die in ihnen sind, hörte ich sagen: Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm die Segnung und die Ehre und die Herrlichkeit und die Kraft in die Zeitalter der Zeitalter! Und die vier Tiere sprachen: Amen. – Und die Nettesten fielen nieder und beteten an“ (Off 3,51.14).