Botschafter des Heils in Christo 1870
Gesetz und Gnade
„Das Gesetz ist durch Mose gegeben; aber die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.“ Eine Vermengung des Gesetzes und der Gnade ist ein Übel, an welchem viele Christen unserer Tage leiden, und ein Beweis, wie wenig man den Charakter des Gesetzes und die Tragweite der Gnade kennt.
Das Gesetz stellt seine Forderungen an den Menschen, reicht ihm aber keine Kraft dar, um diesen Forderungen genügen zu können. Das Evangelium der Gnade fordert nichts, sondern gibt alles, was der Mensch bedarf, um in den Wegen Gottes wandeln zu können. Das Gesetz wendet sich an den gefallenen Menschen und zeigt, wie derselbe sein sollte, aber nicht ist; und kündigt den Tod, das Gericht und die Verdammnis als die notwendige Folge der Übertretung an. Die Gnade bietet dem gefallenen Menschen eine vollkommene Versöhnung in dem Blut Jesu, versetzt ihn in eine neue Stellung, zeigt ihm in Christus den Wandel eines himmlischen Menschen und leitet ihn durch eine Welt voller Mühsal zu den Pforten der Herrlichkeit des Himmels. Das Gesetz sagt.– Tue das, so wirft du leben! – und diese Worte stellen unzweideutig den hoffnungslosen Zustand des Menschen ins Licht. Denn der als tot betrachtete Mensch soll wirken, um das Leben zu gewinnen, während die Gnade sagt: Lebe, und du wirft tun! Erst wenn der in Sünden tote Mensch lebendig gemacht ist, besitzt er die Fähigkeit, das Gute wirken und nach dem Willen Gottes leben zu können. Alle Werke vor dem Glauben an das vollkommene Opfer Christi sind tote Werke; die Werke nach dem Glauben sind die natürlichen Früchte dieses Glaubens. Wer das Gesetz übertritt, zeigt seine Unfähigkeit in den Wegen Gottes wandeln zu können; wer die Gnade verschmäht, zeigt offenbare Abneigung, in den Wegen Gottes wandeln zu wollen. Das Gesetz zeigt dem Sünder von Ferne den in Wolken und Dunkel verhüllten Gott, den unerbittlichen gerechten Richter, dem zu nahen den augenblicklichen Tod zur Folge haben musste. Die Gnade führt den Verlorenen aus der Grube des Verderbens in die mittelbarste Nähe eines barmherzigen Gottes, dessen Gerechtigkeit in dem Opfer seines viel geliebten Sohnes eine völlige Befriedigung gefunden hat. Das Gesetz enthält die unauflösbaren Fesseln der Sünde, deren Sklave der Mensch ist, sowie das Ende des Sünders: die Hölle und die Verdammnis; die Gnade offenbart in dem auf Golgatha vollbrachten Versöhnungswerk die mächtige Hand einer ewigen Befreiung, sowie die lebendige Hoffnung des Befreiten: den Himmel und die Herrlichkeit. Das Gesetz ist eine unvollkommene Offenbarung dessen, was Gott ist, und dessen was der Mensch ist; aber die Gnade stellt den Charakter Gottes und den Zustand des Menschen ins klarste Licht.
Eine Vermengung des Gesetzes in der Gnade ist daher ebenso wenig möglich, wie eine Verschmelzung des Todes und des Lebens.