Botschafter des Heils in Christo 1870
Die drei Männer im Feuerofen
Die Geschichte dieser drei Männer des Glaubens ist höchst lehrreich und ermunternd. Sie malt uns in den lebhaftesten Farben nicht nur im Allgemeinen das Beispiel eines treuen und ausharrenden Glaubens vor Augen, sondern sie zeigt uns auch, wie sehr es sich der Mühe lohnt, durch den Ofen des Elends zu gehen, wenn es sich um ein reicheres Maß im Genüsse der Gemeinschaft Christi und des Mitgefühls seines liebenden Herzens handelt. Oder ist es nicht besser, Christus zu haben und mit Ketten belastet zu sein, als ohne ihn die kostbarsten Kleinodien zu besitzen?
Es ist gut, sich stets daran zu erinnern, dass die Zeit, in der wir leben, nicht die der Macht Christi, sondern die Zeit seines Mitgefühls ist. Wenn wir die tiefen Wasser der Trübsal durchwaten, dann mag das Herz wo! manchmal geneigt sein, seufzend auszurufen: „Warum wirkt der Herr nicht in seiner Macht, um mich aus meiner Lage zu befreien?“ – Aber die einzige, richtige Antwort auf diese Frage kann nur die sein, dass wir uns jetzt nicht in der Zeit seiner Macht befinden. Sicher hätte Er der Lage, in der wir eben niedergebeugt sind, vorbeugen können; und nichts steht Ihm im Weg, diese oder jene Schwierigkeit zu beseitigen und das eine oder das andere Unglück abzuwenden. Und was könnte Ihn hindern. Jemanden, den wir lieben, vor Krankheit oder gar vor dem Tod zu bewahren? Gewiss, seine Hand ist nicht verkürzt. Aber anstatt seine Macht zu offenbaren, lässt Er die Dinge ungehemmt ihren Lauf fortsetzen und träufelt sein zärtliches Mitgefühl in das niedergebeugte Herz, so dass mir wegen der Überschwänglichkeit seines Trostes uns gedrungen fühlen zu bekennen, dass wir um keinen Preis hätten verschont bleiben mögen von dieser oder jener Prüfung, die wir nach seinem Willen durchzumachen hatten.
In dieser Weise, mein teurer Leser, handelt der Herr Jesus jetzt. Die Zeit rückt heran, wo Er seine Macht offenbaren wird. Bald wird er auf dem weißen Pferd erscheinen. Sein Schwert ausziehen, den Arm seiner Gerechtigkeit entblößen, sein Volk an dessen Feinden rächen und ihm auf immer Recht schaffen; aber jetzt ist sein Schwert noch in der Scheide, und sein richtender Arm noch nicht ausgestreckt. Jetzt ist für Ihn die Zeit, die Tiefe der Liebe seines Herzens, und nicht die Schärfe seines Schwertes und die Macht seines Armes zu zeigen. Bist du zufrieden, dass es also ist? Genügt die Sympathie, das Mitgefühl Christi deinem Herzen, sogar in der größten Angst und im tiefsten Kummer?
Ach! wegen unseres verzagten Herzens, der Ungeduld unseres Geistes und unseres ungebrochenen Willens sind wir immer geneigt, den Prüfungen und den Schwierigkeiten unseres Weges durch allerlei Anstrengungen auszuweichen. Aber zum Glück lassen sich die Dornen und die Klippen auf unserem Pfad nicht verbannen; denn sicher ein nicht zu berechnender Verlust würde, wenn es geschähe, für uns daraus erwachsen. Es ist unbedingt nötig, dass wir eine jede der Schulklassen durchmachen, wenn wir Gründliches erlernen wollen; aber unser Lehrer begleitet uns, und das Licht seines Antlitzes, das zärtliche Mitgefühl seines Herzens sind unsere Stütze und unsere Kraft, wenn wir die mühsamsten Erfahrungen in der Schule des Übens zu machen haben.
Und seht! welche Ehre dem Namen des Herrn zukommt, wenn sein Volk durch seine Gnade tüchtig gemacht wird, siegreich aus der Prüfung hervorzugehen. Man lese nur als Beweis die Geschichte der drei Männer im brennenden Ofen. Sie hatten sich entschieden geweigert, das goldene Bild des Königs Nebukadnezar anzubeten. Selbst der Anblick des so sehr erhitzten Ofens, dass die Männer, die sie hinführten, davon getötet wurden, war nicht im Stande, ihren Glauben zu schwächen. Und wie verherrlichte sich Gott an seinen treuen Knechten! Der König, durch Gewissensbisse gefoltert, eilt zur Öffnung des Feuerofens und ruft entsetzt: „Siehe, ich sehe vier Männer los mitten im Feuer wandelnd, und keine Beschädigung ist an ihnen, und das Ansehen des vierten ist gleich einem Sohn der Götter ... Ihr, Schadrach, Meschach und Abed–Nego, ihr Knechte des höchsten Gottes, geht heraus und kommt hierher! Da gingen aus der Mitte des Feuers Schadrach, Meschach und Abed–Nego – diese Männer, über deren Leiber das Feuer keine Macht gehabt; und das Haar ihres Hauptes war nicht versengt, und ihre Beinkleider waren nicht verändert, ja der Geruch des Feuers war nicht an sie gekommen. Nebukadnezar antwortete und sprach: ‚Gepriesen sei der Gott Schadrachs, Meschachs und Abed–Negos, der seine Engel gesandt und seine Knechte gerettet hat, die auf Ihn vertraut und des Königs Wort verändert und ihre Leiber hingegeben haben, um keinem Gott zu dienen, als ihrem Gott!‘“
Wo könnte man reichere und schönere Früchte eines treuen Wandels finden? Der König und die Großen seines Reiches, die einen Augenblick zuvor in den Zeremonien eines falschen Gottesdienstes versunken und von den lärmenden Tönen der zur Anbetung des Bildes auffordernden Trompeten berauscht waren, sind jetzt ganz von der wunderbaren Tatsache überführt, dass das Feuer, welches jene starken Kriegsmänner getötet, auf die Anbeter des wahren Gottes keine andere Wirkung geäußert hatte, als ihre Bande zu verbrennen und sie in den Stand zu setzen, unter dem Geleit des Sohnes Gottes inmitten der lodernden Flammen wandeln zu können. Welch ein herrliches Zeugnis! Nimmer würde ein solches Zeugnis ins, Licht getreten sein, wenn der Herr durch eine Ausübung seiner Macht verhindert hätte, dass seine treuen Diener in den Feuerofen geworfen wurden. Mit einem Wort, der Feind war zu Schanden gemacht, Gott verherrlicht, und seine geliebten Diener ohne irgendwelchen Schaden aus dem glühenden Feuerofen herausgezogen worden. Welch köstliche Früchte eines treuen, ausharrenden Glaubens!
„Und Nebukadnezar sprach: Gepriesen sei der Gott Schadrachs, Meschachs und Abed–Negos!“ Welch eine Ehre genossen hier die drei Nasiräer! Ihre Namen werden mit dem Namen des Gottes Israels in Verbindung gebracht. Der Herr lohnte ihre Treue. Sie hatten sich zu Ihm, dem wahrhaftigen Gott gehalten, als es sich um den Verlust ihres Lebens handelte; darum hält sich nun auch der wahrhaftige Gott zu ihnen, um sie in eine reichere und gesegnetere Stellung zu bringen. Er stellte ihre Füße auf einen Felsen, von wo aus ihre Augen sich über ihre Feinde erheben konnten. Nie sehr bewahrheitet sich hier das Wort: „Ich ehre, die mich ehren!“ und ebenso wie wahr ist es, dass „meine Verächter geringgeachtet werden“! (1. Sam 2,30)
Wenn nun Gott alles, was zu unserer Erlösung erforderlich war, getan hat, was bleibt dann noch? Nur dieses eine: Lebe für Christus! Du bist noch für eine kurze Zeit hienieden zurückgelassen, um in seinem Dienst zu stehen und seine Wiederkunft zu erwarten. O trachte danach. Deinem hoch gepriesenen Herrn getreu zu sein! Sei nicht entmutigt durch den Zustand der Unordnung und Verwirrung, in welchem du alles siehst, was dich umgibt. – Möchte das Beispiel Daniels und seiner Genossen dein Herz aufmuntern, hienieden einen himmlischen Wandel zu führen! Es ist dein Vorrecht, in einem ebenso innigen Verhältnis mit Jesu zu stehen, wie wenn du lebtest in den siegreichen Tagen des apostolischen Bekenntnisses.
Der Heilige Geist mache den Leser und den Schreiber dieser Zeilen tüchtig, erfüllt zu sein mit dem Geist des Herrn Jesus, um in seinen Fußstapfen zu wandeln, die Tugenden, die in Ihm glänzen, zu verkündigen und sein Kommen zu erwarten.