Botschafter des Heils in Christo 1870
Unsere Rechtfertigung
Wenn wir diese und ähnliche Stellen der Schrift betrachten, so ist es bezeichnend, dass der Heilige Geist den Worten: „gerechtfertigt, versöhnt, errettet“, mit Sorgfalt den Zusatz „durch unseren Herrn Jesus Christus“ beifügt. Wenn wir der Rechtfertigung bedurften, so setzt das voraus, dass wir schuldig waren; wenn unsere Versöhnung eine Notwendigkeit war, so waren wir selbstredend unter dem Zorn. Darum verbindet die heilige Schrift die Lehre bezüglich unserer Erlösung mit der Wahrheit, dass wir von Natur verlorene Sünder sind, und dass unser Heil durch Jesus Christus ist.
Wohl wissen wir alle, die wir durch die Gnade errettet sind, dass wir Sünder waren; aber der Wunsch des Herrn ist, dass wir, nachdem wir gerettet sind, stets uns lebendig erinnern, woher wir gekommen, was wir waren, und was die Quelle unseres Heils ist. Gott sei gepriesen, dass wir gerechtfertigt sind; aber je klarer das Bewusstsein unseres früheren Zustandes in uns ist, desto größer ist die Freude und die Dankbarkeit über unsere Rechtfertigung. Eine Schuld lag auf uns und diese Schuld ist weggenommen; der Zorn Gottes ruhte auf uns, und wir sind versöhnt mit Gott. Rechtfertigung ist weit mehr als Vergebung. Der Herr Jesus, fleckenlos und göttlich rein, nahm unsere Stelle ein; und Ihn traf der Schlag der Gerechtigkeit. Wir, tot in Sünden und Vergehungen, nahmen durch die Gnade seinen Platz ein, und sind nicht nur gereinigt von allen Sünden, sondern besitzen sogar die Gerechtigkeit Gottes in Ihm. Er, der Gerechte, starb für uns, die Gottlosen. Die Gerechtigkeit Gottes ist befriedigt; sein Zorn hat sich in Liebe umgewandelt; und Er, in dessen Gegenwart wir uns nimmer hätten wagen dürfen, hat uns in Christus Jesus nahegebracht. Gott selbst hat in seiner unendlichen Gnade uns in die Stellung von Gerechten gesetzt; Er selbst ist es, der da rechtfertigt, wer könnte jetzt verdammen? – Aber wer waren wir, die wir jetzt gerechtfertigt dastehen? Wie groß muss die Liebe sein, die uns besucht und uns einen solchen Platz angewiesen hat! Welch eine Gnade, die sich mit Feinden und Gottlosen beschäftigte! Verlangten wir nach einer solchen Stellung? War die Spur eines Wunsches in uns, versöhnt zu werden? Ach! wir dachten nicht an Ihn, der solch eine Gnade offenbarte; vielmehr wichen wir seinem Gnadenarm aus. Doch, gepriesen sei sein Name! Er dachte an uns und sandte seinen Sohn, der unserer Übertretungen wegen dahingegeben, und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist.
Wir sind gerechtfertigt aus Glauben, und nicht aus Werken, die wir getan; und wir stehen in der Gnade, also auf einem Grund, zu dem wir nichts beigetragen haben, und zu dem wir nichts beitragen konnten. Wir stehen vor Gott vollkommen gerechtfertigt; aber alles ist sein Werk. Er gab seinen Sohn, und durch Ihn verherrlicht, wirkte Er in unseren Herzen, schenkte uns den Glauben, rechtfertigte uns und stellte uns in Christus auf einen Boden, auf welchem das Erbarmen Gottes, in freier Gnade immer für uns tätig ist. Wie elend waren wir, und welche Zukunft hatten wir, als wir noch Sünder waren! Sicher je klarer unser Verständnis über unseren früheren Zustand ist, desto höher schätzen wir den Reichtum seiner Gnade; und anbetend werden wir ausrufen: „O Gott, wohin hast du uns geführt, uns, die wir Sünder und Feinde waren!“
Wir haben mittelst des Glaubens Zugang zu dieser Gnade. Wir sind nicht unter Gnade gestellt, um uns jetzt selbst überlassen, zu sein, als ob wir Gott entbehren konnten, sondern wir bedürfen der Gnade, welche in Gott für uns ist, zu jeder Zeit; und Gott hat uns deshalb einen freien Zugang zu derselben eröffnet. Ohne diese Gnade vermöchten wir keinen Schritt auf dem Lebenspfad zu tun. Wir bedurften sie zu unserer Rettung; und wir bedürfen sie zu unserem Wandel. Wir sind völlig abhängig von ihr. Aber wie zart ist diese Abhängigkeit! Die Liebe hat sie geschaffen, die Liebe, die sich immer durch die Tat beweist. Es liegt nichts Knechtisches in dieser Abhängigkeit von Gott und seiner Gnade, sondern bei den Bedürfnissen, welche wir haben, und bei der persönlichen Schwachheit, in der wir uns befinden, bedürfen wir stets der Hilfe und der Stütze; und Gott eröffnet uns einen Weg zu seiner Gnade, um alles dort zu finden. Obwohl wir auf der einen Seite stets das Bewusstsein haben sollen, dass nur die Gnade uns erhalten kann, so dürfen wir auf der anderen Seite auch sagen, dass Gott uns stets in Liebe empfängt, wenn wir zu Ihm kommen, und dass es eine Freude für Ihn ist, uns zu helfen, und uns seine reiche Liebe zuteilwerden zu lassen.
Noch wandeln wir in einer Wüste, wo es keinen Ruhepunkt und keine Güter für uns gibt; denn alles, was uns umgibt, ist den Leiden und der Vergänglichkeit unterworfen; aber wie könnte die Liebe, die uns in Christus Jesus besucht hat, uns für immer in diesem Zustand lassen! Gott weih viel besser noch als wir, dass, wenn wir ohne Hoffnung wären, wir die elendsten unter allen Kreaturen sein würden. Und wie treu hat die Liebe für uns gesorgt! Wir sind Erben Gottes und Miterben Christi. Die Herrlichkeit Gottes ist unser Teil; und dieser Herrlichkeit dürfen wir uns rühmen. Als himmlische Menschen haben wir unser Teil im Himmel; die Dinge dieser Erde haben keinen Wert und befriedigen nicht das Herz eines Bürgers des Himmels; es ist die Herrlichkeit Gottes, die für uns in sicherer Aussicht ist; und wir rühmen uns in Hoffnung dieser Herrlichkeit Gottes.
Aber die Trübsale? Ach! sie haben auf der armen Erde ihre Heimat. Aber wie nützlich sind sie für die Gläubigen! Sie sind uns behilflich, die eigene Ohnmacht und die Macht und Liebe Gottes zu erkennen und, gestützt auf diese Liebe und Macht, den Weg mit Ausharren zu laufen. Anstatt sie daher zu fürchten, haben wir im Gegenteil Ursache, uns ihrer als einer Sache zu rühmen, die uns den trostlosen Zustand dieser Erde erkennen lässt und uns hinweist auf das unverwelkliche, unbefleckte und unverwesliche Erbteil droben im Himmel, so dass uns am Ende nichts übrigbleibt, als uns dessen zu rühmen, der in seiner Weisheit, Liebe und Gnade alles so vortrefflich für uns geordnet hat. Ja, „wir rühmen uns Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus, durch welchen wir nun die Versöhnung empfangen haben.“ Wir richten mit glücklichem Herzen unseren Blick auf die Gnade, in welcher wir stehen, wir rühmen uns ihrer Resultate; aber wir erkennen in Ihm die Quelle all dieser herrlichen Dinge. In seinem Herzen entsprang der erste Gedanke in Betreff unseres Heils.
Manche Brüder finden es zu gewagt, solche Gefühle von Sicherheit in ihren Herzen aufkommen zu lassen und den Platz einzunehmen, den sie nach den Aussprüchen Gottes in seinem Herzen und unter seiner Gnade haben; sie betrachten es als Anmaßung, die ganze Tragweite des Werkes Christi auf sich anzuwenden; sie sind unzufrieden, wenn jemand die von Gott bewirkte vollkommene Versöhnung und Rechtfertigung als den einzigen Grund seines Friedens mit Gott bezeichnet und sich dessen mit dankbarem Herzen erfreut; und sie halten es für geziemender und Gott wohlgefällig, stets mit den Gefühlen eines armen Sünders zu erscheinen. Ach! solche Brüder vergessen, dass wir uns nicht anders betrachten sollen, wie Gott uns betrachtet, und dass es zur Verherrlichung des Werkes Christi dient, wenn mir die ganze Tragweite dieses Werkes für uns in Anspruch nehmen, ja, dass es ganz nach dem Willen Gottes ist, uns völlig dessen zu erfreuen und zu rühmen, was unser Herr und Heiland in seiner unendlichen Liebe für uns getan hat.
Freilich ist nichts verabscheuungswürdiger, als sich dieser herrlichen Dinge zu rühmen und dabei im Wandel eine Leichtfertigkeit zur Schau zu tragen, die um zu deutlich verrät, dass die Erkenntnis dieser Wahrheit nicht in einem demütigen Herzen wurzelt. Ach! solche Seelen haben nimmer die Worte beachtet: „Wer eine solche Hoffnung hat, der reinigt sich, gleich wie Er rein ist.“ Entweder sie haben vergessen oder nimmer die Wahrheit mit ihrem Herzen verstanden, was sie von Natur sind, und welch einen Preis es gekostet hat, sie fähig zu machen, um sagen zu können: „Da wir nun sind gerechtfertigt worden aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.“ Die wahre Erkenntnis meiner Stellung und die wahre Erkenntnis dessen, was mich dem. Verderben entrissen und in diese glückselige Stellung gebracht hat, wird ohne Zweifel auch einen Wandel hervorbringen, der für eine solche Stellung geziemend ist. Eine tote Erkenntnis lässt das Herz leer, und ruft weder Anbetung und Dank gegen Gott, noch den nötigen Ernst in der Seele hervor, einen solchen Gott durch einen heiligen Wandel zu ehren. In einem solchen Zustand genießt das Herz keinen wahren Frieden und ist unfähig, sich in Wahrheit von der Welt und der Sünde trennen zu können.
Geliebte Brüder! Es ist dem Herrn wohlgefällig, den Wunsch zu haben, die Wahrheit Gottes kennen zu lernen und zu diesem Zweck unter Gebet die heilige Schrift zu erforschen. Er selbst hat uns gerechtfertigt und unter seine Gnade gestellt, und Er will, dass wir diesen Platz durch den Glauben von ganzem Herzen einnehmen. Aber unterschätzen wir es nicht, wenn der Herr uns in seinem Wort daran erinnert, dass wir elende, verdammungswürdige Sünder waren, dass der Zorn eines gerechten und heiligen Gottes auf uns ruhte, und dass diesen Zorn der geliebte Sohn Gottes, der Heilige und Gerechte, für uns tragen musste, um uns diesen Platz der Ruhe in der Gnade geben zu können. Nur dann wird die Erkenntnis, unserer neuen Stellung mit dem Gefühl der tiefsten Dankbarkeit und der Anbetung vermischt sein und Früchte tragen zur Ehre und Verherrlichung Gottes.