Botschafter des Heils in Christo 1870
Der Versöhnungstag
Nachdem Gott für Befleckungen, die sein Volk verunreinigten, die nötigen Vorkehrungen getroffen hatte, offenbarte sich seine Vorsorge im Allgemeinen in Betreff der Reinigung des Heiligtums und in Betreff der Sühnung der Sünden des Volkes selbst. Zwei große Gedanken treten hier ins Licht. 1. Die Versöhnung war von solcher Tragweite, dass trotz seiner Sünden das Verhältnis des Volkes zu Gott fortdauerte; und 2. die Schwierigkeiten, die Aaron bei seinem Eintritt ins Heiligtum begegneten, bezeugten es, dass während jener Periode der Weg ins Allerheiligste noch nicht offenbart war.
Es ist wichtig, dieses Kapitel von diesen beiden Gesichtspunkten aus zu betrachten. Es bildet ein Ganzes für sich. An keiner anderen Stelle wird dessen erwähnt, was sich an jenem feierlichen Tage zutrug. Das Opfer Christi würde als Erlösung durch das Passah bildlich vorgestellt. Es handelt sich hier um das Nahen zu Gott, der sich auf seinem Thron offenbarte, sowie um die Austilgung der Sünden derer, die sich nahen wollten, und endlich um die Reinigung ihres Gewissens. Während uns nun die Mittel dazu vorbildlich vor Augen gestellt werden, war der Tat nach das Werk der Erlösung noch nicht vollbracht. Der Hohepriester nahte sich persönlich und füllte das Heiligtum mit Rauchwerk; dann nahm er das Blut und sprengte es gegen und vor den Gnadenstuhl. Dieses zeigt im Allgemeinen die Wirksamkeit des Opfers. Die Sünden waren nach den Anforderungen Gottes, der Majestät auf dem Thron, versöhnt, so dass die volle Befriedigung seiner Majestät den Thron der Gerechtigkeit günstig stimmte, die Gnade freien Lauf hatte, und der nahende Anbeter das Blut als Zeugnis auf dem Thron fand. Die zweite Tätigkeit des Hohepriesters war, dass er die Stiftshütte, den Altar, sowie Altes reinigte, was vorhanden war. – Ebenso wird Christus, kraft der Besprengung mit seinem Blut, alle Dinge mit sich versöhnen, nachdem Er durch das Blut seines Kreuzes Frieden gebracht hat. Es konnte keine Schuld in der Stiftshütte sein; darum reinigte sie Gott von allen Befleckungen, damit Er dieselben nicht mehr sehen müsse. – Die letzte Handlung des Hohepriesters bestand endlich darin, dass er die Missetaten der Kinder Israels bekannte, indem Er seine Hände auf das Haupt des lebendigen Bockes legte, welcher, in die Wüste geschickt, alle Sünden mit sich nahm, damit Gott sie nimmer wiederfinden möge; und hierdurch wird der Begriff der Stellvertretung in der deutlichsten Weise ausgedrückt.
Wir sehen hier also Dreierlei: 1. das Blut auf dem Gnadenthron, 2. die Versöhnung aller Dinge, und 3. die Versöhnung unserer Sünde, als bekannt und getragen durch einen anderen. Diese Ordnung finden wir auch in dem 1. Kapitel des Kolosserbriefes. Friede, Versöhnung aller Dinge durch Christus, und bezüglich der Gläubigen lesen wir: „Euch hat Er nun versöhnt in dem Leib seines Fleisches, durch den Tod.“ – Es ist klar, dass der ledige Bock, obgleich lebendig fortgeschickt, doch dem Tod des anderen insofern (es die Wirksamkeit des Werkes betrifft) gleichgemacht ward. Der Gedanke, dass die Sünde ewiglich aus dem Gedächtnis entfernt sei, ist nur auf die Annahme des Todes gegründet. Die Herrlichkeit Gottes war festgestellt; und sein Recht war einerseits durch das Blut auf dem Gnadenthron, und andererseits durch die Stellvertretung des ledigen Bockes – des Herrn Jesus in seiner köstlichen Gnade, in Betreff der Schuldigen, deren Sache Er übernommen hatte, vollständig geschützt; und weil Er ihre Sünden trug, war ihre Befreiung vollkommen und entschieden. Der erste Bock war des Herrn Los; sein Charakter und seine Majestät erforderten dieses. Der andere Bock fiel dem Volk zu und war ohne Zweifel ein Bild seiner Sünden. Diese beiden Anschauungen des Todes Jesu müssen in dem vollbrachten Opfer sorgfältig unterschieden werden. Er hat Gott verherrlicht; und Gott handelt gegen alle nach dem Wert jenes Blutes. Er hat die Sünden seines Volkes getragen, und darum ist das Heil des letzteren vollkommen. In gewissem Sinn ist der erste Teil der wichtigste. Die Gerechtigkeit Gottes hätte den Sünder vernichten müssen; aber wo hätte man dann seine Liebe, seinen Gnadenratschluss. Seine Vergebung und selbst seine ewige Verherrlichung finden können? Ich rede hier nicht von den Personen, die gerettet werden sollten, sondern von der Herrlichkeit Gottes selbst. Aber der Tod Jesu, sein Blut auf dem Thron Gottes, hat alles ans Licht gebracht, was Gott ist: Sein? Wahrheit, seine Majestät, seine Gerechtigkeit gegen die Sünde, und seine unendliche Liebe gegen den Sünder. Gott fand Mittel, seinen Gnadenratschluss zu erfüllen und Zugleich die ganze Majestät seiner Gerechtigkeit und göttlichen Würde aufrecht zu erhalten. Denn was hätte Ihn mehr verherrlichen können, als der Tod Jesu? Die Gerechtigkeit Gottes hat darin ihr volles Genüge empfangen; und die Gnade kann sich in vollen Strömen ergießen. Der Herr Jesus sagt: „Ich habe eine Taufe, womit ich getauft werden muss; und wie bin ich beengt, bis sie vollbracht ist!“ – sein von Liebe erfülltes Herz ward in der persönlichen Offenbarung dieser Liebe von den Menschen zurückgestoßen; aber durch die Versöhnung konnte sie dem Sünder frei und ungehindert in der Erfüllung des Gnadenratschlusses Gottes zufließen; ja, der Herr Jesus hatte, so zu sagen, ein Recht auf diese Liebe, und wir sind durch die Gnade in dieselbe Stellung gebracht, die nicht ihres Gleichen hat. „Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich es wiedernehme.“ Wir sprechen mit heiliger Scheu von solchen Dingen; doch es ist gut, davon zu sprechen; denn sowohl die Herrlichkeit unseres Gottes, als auch die Herrlichkeit dessen, den Er gesandt, hat, findet sich darin offenbart und festgestellt. Da ist nicht eine Eigenschaft, nicht ein Zug des göttlichen Charakters, der nicht in aller Vollkommenheit offenbart und durch das, was zwischen Gott und Jesus vorging, völlig verherrlicht worden wäre.
Dass wir errettet und erlöst, und dass unsere Sünden durch sein Opfer, dem Ratschluss Gottes gemäß, gesühnt sind, ist, wie anbetungswürdig und höchst wichtig diese Resultate des Werkes Jesu für uns auch sein mögen, doch nur die untergeordnete Seite dieses glorreichen Werkes. Die Verherrlichung Gottes nimmt den ersten Platz ein.
Nachdem wir nun die großen Grundsätze des Erlösungswerkes in flüchtigen Umrissen bezeichnet haben, wollen wir etwas näher auf die besonderen Umstände eingehen.
Es ist bereits bemerkt worden, dass zwei Opfer vorhanden waren, das eine für Aaron und seine Familie, und das andere für das Volk. Aaron und seine Söhne stellen immer die Kirche dar, nicht im Sinn eines Leibes, sondern im Sinn einer Gesamtheit als Priester. So haben wir, selbst am Versöhnungstag, den Unterschied zwischen denen, welche die Kirche ausmachen, und dem irdischen Volk, welches das Lager Gottes auf Erden bildet. Die Gläubigen der Jetztzeit haben ihren Platz außerhalb des Lagers, wo ihr Haupt als Sündopfer gelitten hat, folglich ist ihre Stellung in der Gegenwart Gottes im Himmel, wohin ihr Haupt gegangen ist. Die Stellung außerhalb des Lagers hienieden, entspricht einem himmlischen Anteil; dieses sind die beiden Stellungen des in Ewigkeit gesegneten Christus. Wenn auch die bekennende Kirche die Stellung des Lagers hienieden einnimmt, so ist doch die Stellung des Gläubigen stets außerhalb des Lagers. Erstere hat in der Tat den Platz des Lagers eingenommen und rühmt sich dessen sogar; aber es ist eine jüdische Stellung. Israel muss sich zuletzt wirklich außerhalb des Lagers erkennen, um durch die Gnade gerettet und wieder hereingebracht zu werden, weil der Erlöser, den sie am Tag ihrer Blindheit verachteten, alle ihre Sünden auf sich genommen hat. Wir nehmen diese Stellung zum Voraus ein, während Christus im Himmel ist. Der Überrest Israels wird, von Herzen gedemütigt, wieder zurückgebracht werden, und dann erst die Kraft des Opfers verstehen, wenn sie Ihn schauen, in welchen sie gestochen haben. Deshalb wurde ein Tag verordnet, an welchem die Demütigung stattfinden sollte; und jeder, der sich weigerte, sollte ausgerottet werden.
Der Versöhnungstag lässt ferner, dem Zustand der Dinge in der Wüste zufolge voraussetzen, dass das Volk unfähig war, ihr völlig offenbartes Verhältnis zu Gott genießen zu können. Gott hatte sie erlöst, hatte mit ihnen geredet. Aber das Herz der Kinder Israel, wie begünstigt sie auch als Menschen sein mochten, war nicht im Stande, sich des Herrn zu erfreuen. Sie hatten sich ein goldenes Kalb gemacht; Moses verhüllte sein Angesicht; und Nadab und Abihuh hatten fremdes Feuer auf dem Altar geopfert – Feuer, welches nicht vom Altar des Brandopfers genommen war. Der Eingang Mm Allerheiligsten war verschlossen; Aaron selbst durfte nicht zu allen Zeiten hineintreten; und wenn er hineinging, so geschah es nicht, um Gemeinschaft zu pflegen, sondern um die Befleckungen eines Volkes Hinwegzutun, in dessen Mitte Gott wohnte. Der Tag der Versöhnung ward mit dem Verbot, zu jeder Zeit das Heiligtum zu betreten, eröffnet: und Aaron opferte in einer Wolke von Weihrauch, damit er nicht starb. Sicher war dieses alles eine gnädige Vorsorge, damit das Volk nicht wegen seiner Verunreinigungen zu Grund gehe; aber der Heilige Geist macht uns Zugleich kund, dass der Weg zum Heiligtum noch nicht offenbart war.
Inwiefern ist jetzt unsere Stellung verändert? – Der Vorhang ist zerrissen, und wir treten als Priester mit Freimütigkeit in das Heiligtum „auf einem neuen und lebendigen Wege, den Er uns eingeweiht hat, durch den Vorhang, das ist sein Fleisch“ (Heb 10,20). Ohne Gewissen von Sünden gehen wir hinein, weil der Schlag, der den Vorhang zerriss, und der sowohl die ganze Herrlichkeit und Majestät des Thrones, als auch die Heiligkeit des darauf Sitzenden erblicken ließ, die Sünde völlig ausgetilgt hat, welche uns unfähig machte. Ihm nahen, oder auch nur ins Heiligtum schauen zu können. Wir sind sogar hinein versetzt in Christus, unserem Haupt – dem Haupt seines Leibes, der Kirche. Während dieser Zeit befindet sich Israel draußen. Die Kirche ist in der Person Christi, dem Hohepriester, deutlich dargestellt durch den Versöhnungstag, an welchem der Hohepriester Israels hinter dem Vorhang verborgen war. Der Vorhang, der die Bedeutung all jener Vorbilder verbarg, ist durch Christus für uns hinweggetan, so dass wir durch den Heiligen Geist völlige Freiheit genießen; aber auf dem Herzen der Kinder Israel liegt noch eine Decke. Er spricht Zwar im Heiligtum für sie durch das dargebrachte Blut; aber die außerhalb des Vorhanges Stehenden wissen nichts davon; und folglich wird ihr Gewissen noch nicht durch das Bewusstsein befreit, dass ihre Sünden hinweggetan sind. Unsere Stellung ist eigentlich, so zu sagen, in der Person Aarons, weil das Blut auf dem Gnadenthron ist. Wir sind nicht nur durch den ledigen Bock gerechtfertigt, (dieses ist ein für alle Mal vollbracht; und der Vorhang oder die Decke ist nicht mehr zwischen uns und Gott, sondern auf dem Herzen Israels) sondern wir sind auch, eins mit dem Hohepriester, mit Ihm ins Heiligtum gegangen. Wir harren nicht auf Versöhnung, bis Er wieder heraustritt. Israel wird, obwohl es gleiche Vergebung hat, diese Dinge erst dann empfangen, wenn der wahrhaftige Aaron aus dem Heiligtum herauskommt. Darum ward das Opfer Aarons und seiner Söhne durch das Blut auf den; Gnadenthrone, sowie durch den Eingang Aarons in Person charakterisiert. Und auch unsere Stellung ist innerhalb kraft des Wertes seines Blutes und der Annahme seiner Person.
Wenn ich mich nun als einen auf der Erde verantwortlichen Menschen betrachte, so erwarte ich den Herrn zur Befreiung aller Dinge, zur Beseitigung aller Leiden und der ganzen Macht des Übels, und mache mich selbst, als Knecht, darauf gefasst, bei seinem Erscheinen, als Herrn, das Zeugnis seiner Genehmigung vor der Welt zu empfangen. Neun ich aber als Glied seines Leidens an meine Vorrechte denke, dann erinnere ich mich an mein Einssein mit Ihm droben, und dass ich mit Ihm zurückkehren werde, wenn Er in seiner Herrlichkeit erscheint. Es ist gut, dass wir diesen Unterschied zu machen wissen; denn das wird das einzige Mittel sein, uns vor Verwirrung in Gedanken oder in der Anwendung der darauf bezüglichen Stellen zu sicheren. Ich darf mich als mit Christus vereint, und als versetzt in himmlische Örter betrachten; und in diesem Fall sehe ich mich in dem Genuss all der Vorrechte, die Er als Haupt des Leibes vor Gott, seinem Vater, genießt. Auch darf ich auf mich blicken, als auf ein armes, schwaches Geschöpf, das noch in der Wüste pilgert, das Bedürfnisse fühlt und Versuchungen zu überwinden hat; und in diesem Fall sehe ich Christus droben, während ich hier bin, vor dem Thron Gottes für mich beschäftigt; und ich bin glücklich, Ihn, den Vollkommenen, in der Gegenwart Gottes zu wissen – Ihn, der durch alle meine Schwierigkeiten gegangen ist, nun aber nicht mehr in den Umständen hienieden, sondern droben beim Vater weilt, und zwar für mich. Diese letztere Stellung finden wir als Lehre in dem Hebräerbrief, während die erstere – die Einheit der Kirche mit Christus – ganz besonders in dem Brief an die Epheser gelehrt wird.
Der Herr aber gebe, dass wir in jeder uns durch die Gnade angewiesenen Stellung das mit derselben verknüpfte Glück, den Frieden und die Freude des Herzens, in reichem Maß genießen, um in praktischer Weise fähig zu sein, hinaus zu gehen außerhalb des Lagers, um seine Schmach zu tragen.