Botschafter des Heils in Christo 1869
Die silberne Trompete
„Und der Herr redete mit Mose und sprach: Mache dir zwei Trompeten von getriebenem Silber, dass du ihrer brauchst, die Gemeinde zu berufen, wenn die Lager aufbrechen sollen. Wenn man in beide stößt, soll sich zu dir versammeln die ganze Gemeinde vor der Tür der Hütte des Stifts. Wenn man nur in eine stößt, so sollen sich zu dir versammeln die Fürsten, die Obersten über die Tausende in Israel. Wenn ihr aber schmetternd blast, so sollen die Lager aufbrechen, die gegen Morgen liegen. Und wenn ihr zum anderen Mal schmetternd blast, so sollen die Lager aufbrechen, die gegen Mittag liegen; denn wenn sie reisen sollen, so soll man schmetternd blasen. Wenn aber die Gemeinde zu versammeln ist, so sollt ihr nur in die Trompete stoßen und nicht schmettern. Es sollen aber solch Blasen mit den Trompeten die Söhne Aarons, die Priester, tun, und soll euer Recht sein ewiglich bei euren Nachkommen. Und wenn ihr in einen Streit zieht in eurem Land wider eure Feinde, die euch beleidigen, so sollt ihr schmettern mit den Trompeten, dass eurer gedacht werde vor dem Herrn, eurem Gott, und ihr erlöst werdet von euren Feinden. Auch in euren Freudentagen, und in euren Festen, und in euren Neumonden sollt ihr mit Trompeten blasen über eure Brandopfer und Dankopfer, dass es euch sei zum Gedächtnis vor eurem Gott. Ich bin der Herr, euer Gott“ (V 1–10).
Wir haben hier dem Leser die ganze interessante Stelle vorgeführt, damit er in der Sprache göttlicher Eingebung die bemerkenswerte Anordnung der „silbernen Trompeten“ vor Augen habe. Der Gebrauch dieser Instrumente entspricht ganz und gar den Anordnungen, die Gott bezüglich der Bewegungen der Wolke getroffen hat und steht in der bestimmtesten Weise mit der ganzen – sowohl mit der Vergangenen, als auch mit der zukünftigen – Geschichte Israels in Verbindung. Jedes Ohr der Israeliten war mit dem Ton der Trompete vertraut. Derselbe verkündigte den Willen Gottes in einer bestimmten und für jedes Glied der Versammlung verständlichen Weise, wie weit auch jemand von dem Ort, von wo das Zeugnis ausging, entfernt sein mochte. Gott trug Sorge, dass ein jeder in der großen Versammlung, wie fern er auch stehen mochte, die Töne der silbernen Trompete des Zeugnisses hören konnte.
Die beiden Trompeten waren aus einem Stück gemacht und erfüllten einen doppelten Zweck. Der Ursprung des Zeugnisses war, mit anderen Worten, ein und derselbe, wie verschieden auch der Zweck und die Wirkung sein mochte. Jede Bewegung im Lager war von dem Ton der Trompete abhängig. Sollte das Volk zur Freude des Festes und zur Anbetung versammelt werden – der Ton der Trompete gab das Zeichen dazu; sollten die Stämme zu einem Zug gegen die Feinde versammelt werden – der Ton der Trompete verkündigte es. Mit einem Wort: feierliche Zusammenkünfte und kriegerische Aufzüge – Friedensjubel und Kriegslärm – alles, alles ward geregelt durch den Ton der silbernen Trompete. Jede Bewegung – mochte sie festlicher, religiöser oder kriegerischer Natur sein – war, wenn nicht durch diesen allbekannten Klang hervorgerufen, nur die Frucht eines ruhelosen, nicht untertänigen Eigenwillens, dem Jehova nimmer seinen Segen verleihen konnte. Die in der Wüste pilgernde Schar war ebenso abhängig von dem Ton der Trompete, wie von der Bewegung der Wolke. Das in dieser bestimmten Weise mitgeteilte Zeugnis Gottes sollte jede Bewegung der vielen Tausende in Israel leiten.
Überdies geziemte es den Söhnen Aarons, den Priestern, auf den Trompeten zu blasen; denn der Wille Gottes kann nur in priesterlicher Nähe und Gemeinschaft erkannt und mitgeteilt werden. Es war das hohe und heilige Vorrecht der Priester, sich um das Heiligtum Gottes zu versammeln, um dort zuerst die Bewegung der Wolke wahrzunehmen und dieses dann bis in die entferntesten Teile des Lagers zu verkündigen. Sie hatten die Verantwortlichkeit, einen bestimmten Ton hervorzurufen; und jedes Glied des kämpfenden Heeres war in gleicher Weise zu einem bereitwilligen, unbedingten Gehorsam verpflichtet. Es würde als ein Zeichen vollständigen Aufruhrs gegen Gott gegolten haben, wenn jemand es versucht hätte, sich, ohne den Befehl dazu– erhalten zu haben, in Bewegung zu setzen, oder wenn er sich, falls der Befehl gegeben ward, geweigert hätte, aufzubrechen. Alle mussten auf das göttliche Zeugnis warten und gerade in den: Augenblicke, wenn es gegeben wurde, im Licht desselben wandeln. Den Marsch ohne göttlichen Befehl fortsetzen, war ein Wandeln in der Finsternis, den Aufbruch weigern, wenn der Befehl gegeben worden, war nichts anderes als ein Bleiben in der Finsternis.
Dieses ist höchst einfach und in praktischer Beziehung von großer Wichtigkeit. Es wird uns nicht schwierig sein, auf die Versammlung in der Wüste eine Anwendung davon zu machen. Aber mir dürfen dabei nicht aus den Augen verlieren, dass alles dieses ein Vorbild und zu unserer Belehrung geschrieben ist, und dass wir daher verpflichtet sind, die großen praktischen Lehren, welche für uns in dieser einfach schönen Anordnung der silbernen Trompete enthalten sind, für uns zu sammeln und anzuwenden. Nichts ist in der Tat für die gegenwärtige Zeit passender und von größerer Wichtigkeit. Wir finden darin eine Unterweisung, welcher der christliche Leser seine ganze Aufmerksamkeit widmen sollte. In möglichst bestimmter Weise wird uns gezeigt, dass das Volk Gottes in all seinen Handlungen vollständig, von dem göttlichen Zeugnis abhängig sein und sich demselben unterwerfen sollte. Ein Kind wird dieses aus dem Vorbild, welches mir betrachten, herauslesen. Das Volk Israel in der Wüste durfte sich nicht zu irgendeinem Fest, oder zu irgendeiner religiösen Feierlichkeit versammeln, bevor sich der Ton der Trompete hatte vernehmen lassen; und ebenso durften die Kriegsleute erst dann ihre Rüstung anlegen, wenn sie durch das Lärmsignal berufen wurden, gegen die Unbeschnittenen in den Kampf zu ziehen. Dem Ton der Trompete gehorchend beteten und kämpften, wanderten und ruhten sie. Es handelte sich dabei keineswegs um das, was sie gern oder ungern taten; und weder ihre Gedanken, noch ihre Wünsche, noch ihr Urteil kamen dabei in Betracht; es handelte sich nur um unbedingten Gehorsam. Alle ihre Handlungen waren abhängig von dem Zeugnis Gottes, welches von den Priestern aus dem Heiligtum gegeben wurde. Der Gesang der Anbeter, der Schlachtruf der Streiter – Beides war die einfache Frucht des Gehorsams gegen das Zeugnis Gottes. – Wie lieblich, wie treffend, wie belehrend und von welch hohem praktischem Interesse ist dieses alles! Warum hebe ich dieses mit einem solchen Nachdrucke hervor? Weil ich darin für die Zeit, in welcher wir leben, eine höchst wichtige und beachtenswerte Unterweisung zu finden glaube. Wenn es einen Zug gibt, der für die Gegenwart charakteristisch ist, so erblicke ich einen solchen vor allem in dem Ungehorsam gegen die göttliche Autorität – in dem positiven Widerstand gegen die Wahrheit, wenn dieselbe unbedingten Gehorsam und Unterwürfigkeit verlangt. Alles geht gut, solange die Wahrheit unserer Versicherung, unserer Annahme, unseres Lebens, unserer Rechtfertigung und unserer ewigen Sicherheit in Christus mit göttlicher Fülle und Klarheit verkündigt wird. Wir lauschen auf diese Wahrheit und erfreuen uns derselben. Sobald es sich aber um die Gebote und um die Autorität dessen handelt, der, um uns von den Qualen der Verdammnis zu retten und uns in die ewigen Freuden des Himmels einzuführen. Sein Leben hingegeben hat, dann tauchen Schwierigkeiten aller Art auf. Die mannigfaltigsten Fragen und Vernunftschlüsse werden aufgestellt; Wolken von Vorurteilen sammeln sich um die Seele und verfinstern das Verständnis; die scharfe Schneide der Wahrheit wird abgestumpft; und auf jede nur mögliche Weise sucht man einen Weg, um auszuweichen. Man wartet nicht auf den Ton der Trompete; und ob sie auch so hell und so klar ertönt, wie nur Gott selbst sie ertönen lassen kann, so schenkt man dennoch dieser Aufforderung kein williges Ohr. Wir wandern, wenn wir ruhen, und wir ruhen, wenn wir wandern sollten.
Was aber, geliebter Leser, wird die Folge eines solchen Verhaltens sein? Entweder werden wir gar keine Fortschritte machen, oder, was noch weit schlimmer ist, wir machen Fortschritte in einer ganz falschen Richtung. Es ist ganz unmöglich, dass wir im göttlichen Leben zunehmen, wenn wir uns nicht völlig dem Wort Gottes unterwerfen. Wir mögen durch die überschwänglichen Reichtümer der göttlichen Gnade und durch die versöhnende Kraft des Blutes Christi gerettet sein; aber sollen wir uns damit begnügen, durch Ihn gerettet zu sein, und nicht danach trachten, wenn auch in Schwachheit, mit Ihm zu wandeln und Ar Ihn zu leben? Sollen wir die Erlösung durch das von Ihm vollbrachte Werk annehmen und nicht danach verlangen, mit Ihm in einem innigen Umgang zu stehen und seinem Willen in allem vollständig unterworfen zu sein? Wie würde es den Israeliten in der Wüste ergangen sein, wenn sie sich geweigert hätten, auf den Ton der Trompete zu lauschen? Die Antwort wird nicht schwierig sein. Hätten sie sich z. B. vorgenommen sich an irgendeinem Tag zu einem Fest oder zu einer religiösen Feierlichkeit zu versammeln, ohne durch die göttlich angekündigten Töne dazu aufgefordert zu sein, was wäre die Folge gewesen? Oder wenn sie es gewagt hätten, aus eigenem Antrieb ihren Marsch fortzusetzen oder in den Krieg zu ziehen, bevor die Trompete ertönte, – was würde daraus geworden sein? Oder schließlich, wenn sie sich beim Ertönen der Trompete geweigert hätten, sich zu einem Fest zu versammeln oder ihre Reise fortzusetzen oder in den Krieg zu ziehen, – wie würde es ihnen ergangen sein?
Die Antwort auf diese Fragen liegt klar am Tag. Mögen wir sie unserem Herzen tief einprägen und sie zu unserem Nutzen verwerten; denn, wie bereits gesagt, jene göttlichen Anordnungen enthalten eine beachtenswerte Unterweisung für uns. Die silberne Trompete veranlasste und leitete jede Bewegung des alten Israels; und ebenso sollte auch jetzt das Zeugnis Gottes in der Kirche oder der Versammlung alles bestimmen und regeln. Die silberne Trompete wurde von den Priestern des alten Bundes geblasen; und auch jetzt wird das Zeugnis Gottes nur in einer priesterlichen Gemeinschaft mit Ihm erkannt. Ein Christ hat kein Recht, sich zu bewegen und zu handeln, wenn nicht das Zeugnis Gottes ihn dazu auffordert. Er muss auf das Wort seines Herrn harren und solange stehen Reiben, bis dieses Wort an ihn gerichtet wird. Wenn dasselbe aber in sein Ohr dringt, dann muss er vorwärtsgehen. Gott kann und wird seinen Willen seiner Kirche mitteilen, und zwar ebenso bestimmt und genau, wie Er ihn seinem Volk Israel kundtat. Dieses geschieht natürlich jetzt nicht durch den Ton einer Trompete oder durch die Bewegung einer Wolke, sondern durch sein Wort und durch seinen Geist. Unser Vater leitet uns nicht durch etwas, welches auf unsere äußeren Sinne Einfluss hat, sondern durch etwas, welches auf das Gewissen, auf das Herz und auf das Verständnis wirkt. Nicht auf natürlichem, sondern auf geistlichem Weg teilt Er uns seinen Willen mit.
Aber wir können überzeugt sein, dass unser Gott unsere Herzen über das, was wir tun oder lassen, und wohin wir gehen und nicht gehen sollen, ganz gewiss machen kann und es auch tun wird. Das sollte jeder Christ wissen; und es ist höchst sonderbar, dass dieses von vielen bezweifelt oder gar geleugnet wird. Ja, wie oft befinden wir uns in Zweifel und Verwirrung. Und leider kennen wir Christen, die keinen Anstand nehmen zu leugnen, dass wir bezüglich der Dinge des täglichen Lebens und Handelns immer den Willen Gottes bestimmt erkennen können. Welch ein Irrtum! Kann nicht ein irdischer Vater seinem Kind auch in den kleinsten und unbedeutendsten Dingen seinen Willen kundtun? Wer wird dieses leugnen? Und sollte nicht unser himmlischer Vater uns in allen unseren Wegen seinen Willen von Tag zu Tage mitteilen können? Ja, ohne Zweifel, Er vermag es. Darum sollte sich kein Christ das Vorrecht, den Willen seines Vaters in allen Umständen des täglichen Lebens erkennen zu lernen, rauben lassen.
Dürfen wir einen Augenblick dem Gedanken Raum lassen, dass die Kirche Gottes, in Bezug auf ihre Führung und Leitung von Oben, den Kindern Israel in der Wüste nachstehe? Unmöglich. Woher kommt es beten, dass man so viele Christen findet, die über ihr Tun und Lassen in Zweifel und Ungewissheit sind? Sicher, nur der Mangel eines beschnittenen Ohres wird die Ursache sein, dass man den Ton der Trompete, nicht hört, sowie auch ein völlig unterworfener Wille erforderlich ist, um diesem Ton zu folgen. Freilich sind wir nicht berufen, eine Stimme aus dem Himmel zu erwarten, die uns sagt, ob wir dieses oder jenes tun, und ob wir hierhin oder dorthin gehen sollen, oder eine Schriftstelle ausfindig zu machen, die uns buchstäbliche Anweisungen betreffs unseres Verhaltens in den kleinen Umständen des täglichen Lebens gibt. Wie könnte es z. B. Jemand erfahren, ob es der Wille des Herrn sei, in diese oder jene Stadt zu gehen und dort eine Zeitlang zu bleiben? Wir antworten: Wenn dein Ohr beschnitten ist, wirst du sicher den Ton der silbernen Trompete hören. Halte dich ganz ruhig, bis sie ertönt; aber sobald du den Ton vernimmst, dann zögere nicht länger. Ein solches Verhalten wird alles klar, einfach und sicher machen. Es ist das beste Mittel gegen Zweifel, gegen Zögern und Schwanken. Es wird uns der Mühe überheben, bei diesem oder jenem Rat zu erholen über unser Tun und Lassen. Überdies lernen wir hieraus, dass es unsere Aufgabe nicht ist, die Handlungen und Bewegungen anderer zu verhindern. Möge jeder ein offenes Ohr und ein unterwürfiges Herz haben, dann wird er von Tag zu Tag in allem, was er tut, eine so völlige Gewissheit haben, wie nur Gott sie zu geben vermag. Unser gütiger und gnädiger Herr kann in allen Dingen Klarheit und Sicherheit geben. Wenn Er es nicht tut, so vermag es niemand. Wenn Er es tut, so bedürfen wir nicht des Rats eines anderen.
So viel über die herrliche Anordnung der silbernen Trompete, die wir hier nicht weiterverfolgen wollen, obwohl sie in ihrer Anwendung auf Israel in der Wüste nicht beschränkt werden darf, sondern mit der ganzen Geschichte dieses Volkes innig verbunden ist. Es ist die Rede von dem Fest der Trompeten, von der Trompete des Jubels, von dem Blasen der Trompete beim Opfer; – auf alles dieses können wir jetzt nicht näher eingehen, da wir es hier als unsere einzige Aufgabe betrachten, dem Leser behilflich zu sein, die große und herrliche Idee zu erfassen, welche in dem uns vorliegenden Kapitel enthalten ist. Möge der Heilige Geist die köstliche und für alle beachtenswerte Lehre der „silbernen Trompete“ unseren Herzen tief einprägen! O Ton, so schön und herrlich.
Wie klingst du klar und laut
Dem Ohr jedes Gläub'gen,
Der auf den Herrn vertraut! Du rufst ihn zum Gebete,
zum Fest hin, zur Freud,
Stärkst ihn auf schweren Wegen,
Ermunterst ihn im Streit. Du wirst auch einmal tönen.
Wenn alles ist vollbracht.
Wenn vor dem Morgenstern
Entflieht die finst're Nacht. Dann wird der Kummer enden.
Verscheucht sein jeder Schmerz:
Wir werden selig ruhen
An Gottes Vaterherz.