Botschafter des Heils in Christo 1869
Das Wort Gottes und das Priestertum Christi
Es ist hier von zwei Dingen die Rede, derer sich Gott bedient, um uns in der Wüste aufrecht zu erhalten. Das eine ist das Wort Gottes, das andere das Priestertum unseres Herrn Jesus Christus.
Das Wort Gottes dient dazu, die Gedanken und Überlegungen des Herzens aufzudecken und zu beurteilen; „es ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert ... es ist ein Richter der Überlegungen und Gesinnungen des Herzens“ (Heb 4). alles, was vom Fleisch ist, schneidet das Wort Gottes ohne Barmherzigkeit hinweg; und Gott sei gepriesen, dass es also ist, weil das Fleisch nur den Segen hindert. Bei dieser Gelegenheit weist der Apostel warnend auf die Geschichte der Kinder Israels, indem er sagt, dass ihre Leiber in der Wüste fielen. Sie sind von Ägypten ausgegangen; und danach sind ihre Leiber in der Wüste gefallen. Es lässt sich nicht leugnen, dass für uns eine ähnliche und sehr wesentliche Gefahr vorhanden ist. Gott wird ohne Zweifel die Seinigen bis ans Ende bewahren; aber die Gefahr besteht darin, zu vergessen, dass wir nur durch Glauben bewahrt werden. Das Fleisch ist die Ursache des Fallens in der Wüste; und das Wort Gottes, welches schärfer ist, als jedes zweischneidige Schwert, ist das Mittel, dessen sich Gott bedient, damit wir nicht in der Wüste fallen. Das Wort Gottes richtet jeglichen Gedanken, welcher nicht von Gott kommt; und wir wissen, dass alles im natürlichen Menschen Fleisch ist und aus dem Herzen hervorquillt. Das Fleisch geht nie aus der Wüste in das Land der Verheißung. Es kann in der Wüste sterben, aber sie nimmer verlassen. Das Fleisch gehört gewissermaßen der Wüste an, kann darin sterben, aber sich nimmer davon trennen. Für das Fleisch gibt es nur das Schwert – ein Bild dessen, was es aufdeckt, richtet und verdammt. Gott sei dafür gepriesen!
Im Blick auf unsere Annahme bei Gott können wir sagen, dass das Fleisch schon verurteilt ist. „Das dem Gesetz Unmögliche, weil es durch das Fleisch kraftlos war, tat Gott, indem Er, seinen eigenen Sohn in der Gleichheit des Fleisches der Sünde und (als Opfer) für die Sünde sendend, die Sünde im Fleisch verurteilte.“ Handelt es sich um eine Frage der Gerechtigkeit, so hat Gott am Kreuz Christi die Sünde im Fleisch verurteilt; handelt es sich hingegen um die Reise durch die Wüste, so richtet das Wort Gottes alles, was demselben nicht angemessen ist. Das Kreuz hat bereits mit dem Fleisch zu tun gehabt. Alles in Gedanken und Werken, was nicht mit dem Tod Christi im Einklänge war, hat am Kreuz sein Gericht und seine Verurteilung gefunden. Das Mittel aber, um dieses praktischer Weise zur Anwendung zu bringen, ist einesteils das Wort Gottes, und andererseits das Priestertum unseres Herrn Jesus Christus.
Wie wir es schon gesehen haben, richtet das Wort Gottes die Gedanken und Überlegungen des Herzens, während das Priestertum Jesu auf Schwachheiten und Vergehungen Bezug hat. Sobald von Gedanken und Gesinnungen des Herzens die Rede ist, müssen diese, als vom Fleisch kommend, gerichtet werden; und dieses geschieht durch das Wort Gottes, welches schärfer ist, als jedes Zweischneidige Schwert. Wenn es sich andererseits um die Prüfungen und Schwachheiten handelt, so haben wir das Priestertum unseres Herrn Jesus Christus. Das Wort Gottes ist das Auge Gottes, welches in unserem Herzen alles dasjenige richtet, was Ihm nicht angemessen ist. Dann haben wir „einen großen Hohepriester, der durch die Himmel gegangen ist, Jesus, den Sohn Gottes.“ Wenn wir durch mancherlei Schwierigkeiten gehen, so haben wir diesen Hohepriester voll Mitleid und Erbarmen, „auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe.“ Diese Hilfe kann aber unmöglich in irgendeiner Weise mit dem Wort Gottes im Widerspruch stehen. Keineswegs kann das eine gegeben sein, um das Fleisch zu töten, und das andere, um seiner zu schonen. Deshalb muss uns der Priester ganz außer dem Bereich des Fleisches aufrechterhalten, gemäß des Segens, der uns mitgeteilt wird. Auf diese Weise haben wir in Christus den Hohepriester. Er ist hinaufgestiegen dahin, wohin das Fleisch nimmer gelangen kann. Dort ist der Platz, wo wir mit Gott zu tun haben; und dorthin, in die Gegenwart Gottes, wo hinein nichts Unreines dringen kann, muss unser Hohepriester alles dasjenige bringen was auf uns Bezug hat. Die Grundlage dieser Stellung und dieser Gnade ist das Opfer, kraft dessen Er dort eingehen konnte, so dass das Priestertum Christi auf unsere Annahme gegründet ist.
Die Erlösung Israels aus Ägypten, eine Tatsache, welche der ganzen Reise durch die Wüste voranging, ist hier als Vorbild gewählt. Wir sind mit Ägypten ganz fertig. Das rote Meer hatte den Tod und das Gericht zwischen die Pilger und Ägypten gestellt; und ebenso verhält es sich jetzt mit den Heiligen, Der Tod und das Gericht sind für sie der Ausgangspunkt. Zwar gibt es für sie noch Übungen des Herzens. Wenn eine Seele beginnt, diese Welt des Verderbens und der Verdammnis zu verlassen, so ergeht es ihr oft gleich den Israeliten an der Küste des roten Meeres, welche die Fluten vor sich und die Ägypter hinter sich hatten. Dort sahen sie sich gänzlich eingeschlossen in das Gericht, welchem Satan sie entgegen drängte. Sobald sie aber durch das rote Meer gegangen waren, war alles völlig beendet und zum Abschluss gebracht. Was sie verhindert hatte, auch nur einen einzigen Schritt zu tun, das lag jetzt hinter ihnen und bildete eine Schranke zwischen ihnen und Ägypten. Desgleichen ist auch für uns der Tod und das Gericht eine Sicherheitsschranke zwischen uns und allem, was gegen uns war. Das will nicht sagen, dass es nachher nicht Kämpfe geben und nicht ein Mattwerden stattfinden könne; aber von Erlösung ist keine Rede mehr. Wenn die Kinder Israel nicht treu waren, konnten sie keine Siege feiern; aber Gott war nicht mehr wider sie. Erst dann folgt die Reise durch die Wüste, das Gericht über das Fleisch durch das Wort, und schließlich das Priestertum Christi für uns. Und indem ich meinen Blick auf Christus richte, so erkenne ich in Ihm den, welcher durch Tod und Gericht, derer ich schuldig war, gegangen ist und seinen Platz in der Gegenwart Gottes genommen hat, wo Er sein Priestertum ausübt. Er hat den Platz bezeichnet, dem ich angehöre, und wo ich anzubeten habe; und dieser Platz ist in der Gegenwart Gottes. Alles, was im ersten Adam mein Teil war, ist in Folge meines Verhältnisses völlig hinweggetan, d. h. nicht hinsichtlich meines Kampfes mit dieser Natur, sondern hinsichtlich meines Platzes bei Gott. Tatsächlich ist die alte Natur fortwährend vorhanden, und das Wort richtet alle ihre Regungen, die mich in meinem Lauf aufhalten könnten. Der Platz aber, wo Christus sein Priestertum ausübt, ist ganz außer dem Bereich des Fleisches; er ist im Himmel. „Ein solcher Hohepriester geziemt uns: heilig, unschuldig, unbefleckt, abgesondert von den Sündern und höher als die Himmel geworden“ (Heb 7,26). Israel hatte einen Platz und einen Priester auf der Erde; wir haben unseren Platz und unseren Priester im Himmel. „Und vollendet ist Er allen, die Ihm gehorchen, ein Urheber ewigen Heils geworden“ (Heb 5,9). zunächst mühte Er seinerseits vollendet werden, bevor Er die, welche durch Ihn anbeten sollten, führen und für sie wirken konnte.
Wir finden also, dass Christus dieses Priestertum ausübt, weil wir einem Platz angehören, wo das Fleisch nicht hingelangen kann; denn Er hat alles bei Seite gesetzt, was uns mit dein ersten Adam verbunden hatte. Er gestattet uns einen Eintritt in die Gegenwart Gottes und erhält uns darin. Der aus den Menschen genommene Hohepriester Israels befand sich dort nicht. Er ging nicht einmal vorbildlich in das Innere des Vorhangs, außer einmal des Jahres, und auch dann nur in der Wolke des Weihrauchs, welche ihm die Herrlichkeit Gottes verhüllte. Die Israeliten waren Menschen im Fleisch und konnten folglich nicht mit dem Allerheiligsten in Verbindung stehen. Wir hingegen sind nicht im Fleisch, sondern im Geist und befinden uns daher im Allerheiligsten, wo das Fleisch durchaus keinen Platz findet. Die Juden als Nation waren im Fleisch und mussten einen im Fleisch mit Schwachheit umgebenen Hohepriester haben, weil auch sie Schwachheiten hatten, wie geschrieben steht: „Der Nachsicht zu haben vermag mit den Unwissenden und Irrenden, da auch er selbst mit Schwachheit umgeben ist.“ – Wie sie, befand auch er sich draußen; er befand sich mit ihnen auf demselben Boden. Auch wir stehen mit unserem Hohepriester auf demselben Boden, nämlich auf dem Boden des zweiten, verherrlichten Adams, welcher im Himmel ist. Wir sind mit Gott verbunden in dem neuen Platze, den Er uns in Christus bereitet hat. Aber Jesus bildet als unser Hohepriester einen völligen Gegensatz zu dem aus den Menschen genommenen jüdischen Hohepriester. Er „muss von den Sündern abgesondert und höher, denn der Himmel, sein“, weil wir es sind. Alles, was Bezug hat auf unsere Befähigung, mit Freuden, und zwar als solche, die dort ihren Platz haben, ihren Lauf fortzusetzen, hängt von der Fürbitte Christi ab.
Hinsichtlich der Eigenschaften Christi als Hohepriester sind hier drei Dinge erwähnt. Das Erste ist der Rechtstitel seiner Person. „Es nimmt nicht jemand sich selbst diese Ehre, sondern als von Gott berufen, gleich wie auch Aaron. Also hat auch der Christus sich selbst nicht verherrlicht, um Hohepriester zu werden“ (Heb 5,4–5). Er hat sich nicht erhoben als eine Person, welche durch ihre Würdigkeit sich selbst verherrlicht hat, sondern Gott sagt von Ihm: „Er ist mein Sohn.“ Und dieses genügt, um seine Person mit aller erforderlichen Fähigkeit zu bekleiden. Er ist verherrlicht worden durch den, der zu Ihm gesagt hat: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.“ In Psalm 2 lesen wir: „Habe doch ich meinen König gesalbt auf Zion, dem Berg meiner Heiligkeit! Vom Beschluss will ich erzählen: Jehova sprach zu mir: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.“ Wenn ich Christus als einen Menschen auf der Erde anschaue (und hier ist nicht die Rede von seiner ewigen Eigenschaft als Sohn) und mir die Frage vorlege: „Welches ist sein Anrecht, um ein Priestertum zu besitzen?“ Dann lautet die Antwort: „Er ist der Sohn Gottes.“ Er ist in seiner Person zu einer solchen Tätigkeit befähigt. Wir haben daher hinsichtlich seiner Einsetzung in dieses Amt den Ausspruch: „Wie Er auch an einer anderen Stelle sagt: Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks.“ Er ist nicht gleich einem anderen aus den Menschen genommenen Hohepriester, welcher stirbt und seinen Dienst einem anderen überlässt, sondern Er ist Priester in Ewigkeit. Die Ausübung des Priestertums Christi im Himmel ist, was die Blutvergießung und Gerechtigkeit betrifft, auf ein schon vollbrachtes Heil gegründet. Wenn die Gerechtigkeit nicht schon vollkommen wäre, so würde jeder Fehltritt notwendigerweise das Gericht, nicht aber die Fürbitte hervorrufen. Wenn die Versöhnung für die Sünden nicht geschehen ist, so hat die Sünde das Gericht zur Folge; weil aber die Gerechtigkeit in Christus ganz und zwar für uns vollbracht ist, so sitzt Er jetzt im Himmel und bittet zu Gunsten derer, für welche die Versöhnung durch sein Blut geschehen ist. Die Versöhnung ist ganz vollbracht, die Sünde hinweggetan; und wir selbst sind Gerechtigkeit Gottes in Christus. Jetzt handelt es sich nur noch um unsere Verbindung mit Gott, als Gesegnete im Heiligtum, um unser Verhältnis im vollen Genuss der Stellung, in welche Er uns mittelst des an Christus vollzogenen Todes und Gerichts eingeführt hat. Und das ist die Wirkung der Fürbitte. „Wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten“ (1. Joh 2,1). So haben wir also den Herrn Jesus Christus in der Würde seiner Person als Sohn Gottes, und mit seinem Amtstitel als Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks. Soll Er unser Priester vor Gott sein, so ist Er es in jener vollkommenen Würde, in der Er seinen ganzen Dienst verrichten kann.
Es gibt aber noch eine andere Schwierigkeit. Wenn Er den erhabenen Titel als Sohn besitzt, wie kann Er dann Teil nehmen an all den Nöten und Prüfungen armer Kreaturen, wie wir sind? Wäre Er ein Priester wie andere Menschen, so könnte Er die Schwachheiten derselben verstehen. – Ich antworte darauf: Das Priestertum wird da ausgeübt, wo nicht einmal der Gedanke einer Schwierigkeit hingelangt, wo der Genuss ein geistlicher ist, ja, wo durchaus keine Gemeinschaft mit Gott sein könnte, wenn irgendein Gedanke des Fleisches oder der Sünde dort existieren würde. Darum ist der Platz Christi, als des Hohepriesters, notwendigerweise außer dem Bereich jeglicher Schwachheit. Ein anderer Priester konnte sich zu den Sündern gesellen und ihre Schwachheiten fühlen, als jemand, „der selbst mit Schwachheit umgeben“ ist. Nie nun aber ist der Herr Jesus im vollsten Sinne des Wortes befähigt worden, unser Hohepriester zu sein? Hat Er jetzt während Er dieses Priestertum besitzt, die Fähigkeit zu diesem Amt erlangt? Gewiss nicht. Nicht was Er jetzt als Priester ist, sondern was Er auf Erden war, hat Ihn zu einem solchen Werke bereitet. „Ein solcher Hohepriester geziemte uns usw.“ Er ging durch die Prüfungen und Schwierigkeiten eines gottseligen und vollkommenen Menschen auf der Erde. Er hat alle die Schwierigkeiten erfahren, die einem gottesfürchtigen Menschen auf seinem Weg durch die Welt begegnen können. Er hat auch alle Prüfungen eines solchen kennen gelernt. Er hat gelitten; „Er ist in allem, gleich wie wir, versucht worden, ausgenommen die Sünde.“ Das ist es nun gerade, was wir nötig haben. Wir bedürfen keiner Teilnahme für unsere Sünde; wir haben das Wort Gottes, um sie ohne Mitleid hinwegzutun. Christus bittet nicht für das Fleisch. Wir bedürfen der Hilfe Christi für den neuen Menschen gegen das Fleisch. Als Gläubige, die durch diese Welt gehen, haben wir nötig, dass uns gegen uns selbst geholfen werde, insofern das Fleisch vorhanden ist.
„Der in den Tagen seines Fleisches, da Er Bitten und Flehen zu dem, der Ihn aus dem Tod zu erretten vermochte, mit starkem Geschrei und Tränen geopfert hat und um seiner Furcht willen erhört ward, obwohl Er Sohn war, an dem, das Er litt, den Gehorsam lernte.“ – das ist es, was ich zu lernen habe. Wenn es sich aber um Ihn handelt, so höre ich die Worte: „Obwohl Er Sohn war usw.“ Christus musste den Gehorsam lernen. Warum? Weil Er von Ewigkeit her allem gebot. Ich soll Gehorsam lernen, weil mein Herz und mein Wille böse sind; Christus musste ihn lernen, weil Er Gott war über alles und darum der Gehorsam etwas Neues für Ihn war. Der Gehorsam ist für mich neu, weil ich ein ungehorsames Geschöpf bin; er war neu für Ihn, weil Er gar kein Geschöpf war. Christus ist in alle die Schwierigkeiten und Prüfungen gestellt worden, durch welche wir zu gehen haben; und überdies ist Er selbst unter den Zorn Gottes gestellt worden, damit uns dieser Zorn nimmer treffen könnte. An diesen Leiden können wir nimmer Teil haben, während wir an seinen Leiden, denen Er als gerechter Mensch auf Erden ausgesetzt war, in geringem Maß unseren Anteil haben können. Wenn ich ein gottseliges Leben in dieser Welt zu führen trachte, so muss ich mein Kreuz auf mich nehmen und Ihm nachfolgen. „Alle, welche gottselig leben wollen in Christus Jesu, werden verfolgt werden.“ Wenn die Bequemlichkeiten dieses Lebens unser Teil sind, so ist Gefahr vorhanden. Wir sind berufen zu leiden. Wenn wir in unseren Wegen gottselig sind, oder in der Macht der Liebe Christi wandeln, werden wir Leiden finden. Mögen wir indes um der Gerechtigkeit und um der Liebe Christi willen leiden, so finden wir doch auf dem Weg durch die Welt den Herrn selbst als den, der vor uns hergeht und der zuerst und vor allen litt. In den Leiden für unsere Sünden war Christus ganz allein; aber es gibt eine andere Art Leiden, die Christus kennen gelernt hat, und von denen wir zwar nicht sagen können, dass die Seinen mit Ihm leiden, aber in welchen Er mit den Seinen leiden kann. Wir finden diese Leiden am Ende seines Lebens. Der spezielle, aber nicht ausschließliche Charakter derselben wird das Leiden des jüdischen Überrestes in den letzten Tagen sein. Diese Auserwählten sind unter dem Gesetz, sie kennen nicht die Versöhnung mit Gott und treten in den schrecklichen Kampf mit Satan, dem Antichristen und allen Schrecknissen jener Zeit. Sie werden in der Trübsal sein, welche aus der gänzlichen Entfesselung der Macht Satans gegen sie erwächst, und sie werden darin sein, ohne zu wissen, dass das Wohlgefallen Gottes auf ihnen ruht. Dieses ist nichts weniger als ein Leiden mit Christus; aber sie, die Auserwählten, werden des Mitleidens Christi teilhaftig sein. Auch durch diese Leiden ist Christus hindurchgegangen. Und darum kann Er Teil nehmen an den Leiden des Überrestes Israels, durch welches dasselbe wird gehen müssen. Überall, wo wir diesem Charakter der Leiden begegnen, finden wir, dass von den Leidenden das Gericht über den Menschen gefordert wird; daher der beständige Ruf zu Gott, dass Er sich erhebe und sie an ihren Widersachern räche, ein Ruf, den wir vom Anfang bis zum Ende in den Psalmen finden. Wenn hingegen die Versöhnung geschehen ist, wird die Barmherzigkeit angerufen. In dem einen Fall wird das Gericht über die Menschen verlangt, weil sie Christus als Werkzeuge Satans Leiden bereiten; aber von dem Augenblick an, wo Er von Seiten Gottes für die Versöhnung unserer Sünde leidet, zeigt sich das Gegenteil. Dann lesen wir: „Ich will verkündigen deinen Namen meinen Brüdern; inmitten der Versammlung werde ich dich loben.“ – alles ist Gnade, nichts als Gnade.
Wie ist nun dieses auf uns anzuwenden? Betrachten wir die Seelen unter dem Gesetz, welche etwas von der Tiefe und dem Umfang ihrer Sünden entdecken und deren Geist, wenn auch nicht ganz in dem Zustand der Verzweiflung, den Schrecknissen des Gesetzes preisgegeben ist. Christus kann mit ihnen leiden. Weil Er durch alle diese Schrecknisse, sowie durch jene Bedrängnis, welche die Macht Satans gewirkt hat, hindurchgegangen ist, so ist seine Gnade da, um die Seele zu erhalten, und zu verhindern, dass sie nicht völlig unterliege. Die Leiden für die Versöhnung sind etwas ganz anderes. Christus allein hat diesen Kelch getrunken, weil Er von Seiten Gottes litt; und nichts ist übriggeblieben als die Gnade. Nachdem Er gesagt hat: „Ja, du hast mich erhört von den Hörnern der Einhörner“, finden wir durchaus nichts mehr als Gnade. Dieses war der Zorn Gottes, den Er für andere trug. In den beiden ersten Arten von Leiden kann Christus mit uns leiden; es sind die Prüfungen und Leiden einer gerechten Seele. Er kann für uns bitten und uns helfen, voran zu gehen. Ich zweifle auch nicht daran, dass die Anwesenheit Christi im Himmel Israel als besonderes Volk unterstützt. „Und vollendet ward Er allen, die Ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils.“ Er ist von Grund aus zu einem Hohepriester bereitet worden, indem Er durch das, wodurch Er hienieden gegangen, fähig gemacht ward, mit uns leiden zu können. Er hat alle Schwierigkeiten eines gottseligen Lebens auf der Erde durchgemacht; und darum ist Er jetzt, nachdem Er uns einen Platz im Himmel gegeben hat, in den Stand gesetzt, mit uns, während unseres Wandels durch diese Welt Mitleiden haben zu können.
Unser Platz ist im Himmel; und unser Weg auf der Erde ist in Übereinstimmung mit dem Platz, den wir im Himmel haben, wovon dieser Wandel der Ausdruck sein soll. Welches war der Weg Christi in dieser Welt? Selbst als Sohn des Menschen auf Erden war Er stets der „Sohn des Menschen, der im Himmel ist.“ Jedes Atom seines Lebens war der Ausdruck dieses himmlischen und gesegneten Wesens; und also ist es mit uns, insofern wir praktischer Weise in Ihm bleiben. Der Christus, der im Himmel ist und uns diesen Platz im Licht der Gegenwart Gottes gibt, ist derselbe Christus, der in uns ist. Auch sagt der Apostel: „Allezeit das Sterben des Jesus am Leib umhertragend, auf dass auch das Leben des Jesus an unserem Leib offenbart werde.“ – Das Leben des Gläubigen auf der Erde ist die Offenbarung dieses Lebens in Jesu, mit welchem Er im Himmel ist. Es ist der Ausdruck dieses Christus auf Erden. Da wo wir fehlen, wo unser Leben nicht der Ausdruck des Lebens in Jesu ist, wird das Wort Gottes, welches als der Ausdruck desselben uns richtet, angewandt. Auf diese Weise geschieht die Heiligung durch die Wahrheit. Das Wort stellt Christus, wenn ich Ihn nicht offenbare, vor mich hin und richtet diesen Zustand. Was geschieht aber, wenn ich Schwierigkeiten und Prüfungen auf dem Weg begegne? Dann habe ich die Fürbitte Christi. Ja habe Christus, der für mich bittet, als den, der den ganzen Trost der Gnade Gottes kennt, einer Gnade, welche aus Ihm hervorquillt und bis auf das Leben auf der Erde herabströmt. Er hat es erfahren, wie eine Seele in der Prüfung aufrechterhalten wird; Er gebraucht dieses alles für mich und verwendet sich zu meinen Gunsten vor Gott nach seiner eigenen Kenntnis meiner Bedürfnisse. Dort finde ich die Schätze der Gnade, deren ich bedarf, und zwar durch eine Person, welche die Gnade auf ein Herz, das durch diese Schwierigkeiten geht, anzuwenden versteht. Er selbst hat diese Schwierigkeiten durchgemacht, bevor Er in seiner Stellung als Priester war. Sein Wandel auf Erden war allezeit derjenige eines abhängigen Menschen; und jetzt bittet Er für uns abhängige Wesen und hält dadurch unsere Gemeinschaft mit dem Gott aller Segnungen aufrecht, und zwar an dem Ort selbst, zu welchem wir ein Recht haben. Ihr könnt das Bewusstsein vieler Schwachheiten haben; wenn ihr aber sagt: „Ich bin schwach“, so habt ihr Zugleich das Recht zu sagen: „Hierin ist Gott für mich.“ Wenn ich des Lichts, wenn ich der Leitung auf meinem Weg bedarf, so ist Gott hierin für mich. Ich habe alles, was Gott für meine Bedürfnisse ist; und dieses ist die Wirkung der Fürbitte Christi. Auf dem ganzen Prüfungswege hienieden gibt es nicht eine einzige Schwierigkeit, in welche nicht Gott in Gnaden eintritt. Ich tue nicht einen einzigen Schritt auf meiner Laufbahn, wo Gott nicht an mich denkt. Es können Dinge in mir sein, die es erfordern, dass Gott sich damit beschäftigt, wie es z. B. bei Hiob der Fall war. Er sieht, dass bei Hiob nicht alles richtig ist und sagt: „Ich muss mich mit ihm beschäftigen.“ Er erlaubt Satan, die Pfeile seiner Bosheit auf Hiob abzuschießen, bis dieser in seinen eigenen Augen zunichte geworden ist; und das war es gerade, was ihm mangelte. – Der Herr sagt zu Petrus: „Simon, Simon! siehe, der Satan hat eurer begehrt, euch zu sichten, wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ – Hier betete Er, bevor die Sünde geschehen war. Der Herr gedachte des Petrus; und als der passende Moment gekommen war, schaute Er ihn an, und Petrus weinte bitterlich. Es war gut für ihn, gesichtet zu werden. Er war ein treuer und aufrichtiger Mensch; aber er setzte ein zu großes Vertrauen in sich selbst und in seine Liebe zum Herrn. Hernach, um seine Seele wieder völlig herzustellen, bedient sich der Herr des Wortes und sagt zu ihm: „Liebst du mich mehr als diese?“ Und Petrus, im Bewusstsein der geringen Liebe, die er gezeigt, ist genötigt, sich hierin auf die göttliche Kenntnis zu berufen, indem er sagt: „Du weißt alle Dinge; du weißt, dass ich dich liebhabe.“ Ja du weißt es, wenn auch niemand Anders es wissen kann. Dann spricht der Herr zu ihm: „Weide meine Schafe.“ Das ist die Anwendung der Worte: „Und bist du einst zurückgekehrt, so stärke deine Brüder.“
Christus, der den „Gehorsam lernte, an dem, das er litt“, verbindet unsere Herzen mit sich in der Vollkommenheit, in welcher Gott ist, und wendet diese Vollkommenheit in Gnaden auf alle Bedürfnisse unserer Seele an. Straucheln wir, so tritt die Fürbitte ein und stellt die Seele wieder her, indem sie dieselbe fortwährend in dem Vertrauen zur göttlichen Liebe erhält. Der Herr bittet für uns selbst ohne dass wir Ihn darum angehen. Wir erlangen seine Fürbitte nicht durch unsere Reue oder durch unsere Gebete. Nicht erst dann, als Petrus Neue fühlte, sondern sogar, ehe er gesündigt hatte, hat der Herr für ihn gebeten. Er betete für ihn, weil Petrus es bedurfte. „Wenn jemand gesündigt hat, so haben wir einen Sachwalter bei dem Vater.“ Es heißt nicht: „Wenn jemand seine Sünde bereut“, sondern: „Wenn jemand gesündigt hat.“ Das ist die Wirksamkeit der Gnade im Herzen Jesu zur Wiederherstellung unserer Seelen.
In Hebräer 5,12 lesen wir: „Denn da ihr, was die Zeit betrifft, sogar Lehrer sein solltet, bedürft ihr wiederum, dass man euch lehre, welches die Elemente des Anfangs der Aussprüche Gottes sind; und ihr seid solche geworden, die der Milch bedürfen und nicht der festen Speise.“ Man ist geneigt, die „feste Speise“ als etwas sehr Großes anzusehen. Die einfache Wahrheit aber, welche hier gelehrt wird, ist, dass den Kindern die Milch, und den Erwachsenen die feste Speise gehört. Wer mithin nicht fähig ist, feste Speise zu genießen, der befindet sich in einem schlechten Zustand. Ich gebe die Milch nicht einem Erwachsenen, weil für ihn das Fleisch da ist. Wenn wir die feste Speise nicht genießen können, so ist das ein Beweis, dass wir uns begnügt haben, Kinder zu bleiben, weil wir nicht in Christus gewachsen sind. Die Gedanken und Überlegungen des Herzens sind demnach nicht lauter. Wir sind berufen, geübte Sinne zur Unterscheidung des Guten und Bösen zu haben; und dieses ist unmöglich, wenn wir nicht wirklich mit Gott wandeln. Der Platz aber, wo Christus unsere Herzen bewahrt, ist das Allerheiligste. Er hat sich selbst in der Gegenwart Gottes für uns geheiligt und dort bewahrt Er uns. Wir können Jesus vergessen – wir können die Stellung, in welche Er uns gebracht, durchaus nicht nach ihrem Weiche schätzen, und es darum vernachlässigen, dieser Stellung gemäß zu wandeln; aber immer bleibt es wahr, dass Er uns im Allerheiligsten bewahrt, in dem vollen und immer frischen Genüsse dessen, was dort ist – in der vollkommenen Liebe und im Licht, wie Gott im Licht ist, weil die Sünde getilgt ist und wir selbst die Gerechtigkeit Gottes in Ihm sind. Ich habe gar nicht mehr an meine Fähigkeit, dort zu sein, zu denken. Ich bin dort und ich habe nicht anders als vollkommen gereinigt dorthin gelangen können. Weil jede Sünde getilgt ist, und ich folglich als ein Gereinigter dort bin, so genieße ich auch die Gunst Gottes vollkommen. Ich bin wirklich dort eingeführt, von wo aus das vollkommene Wohlgefallen Gottes hervorströmt – ein Wohlgefallen, welches mir mittelst des Todes Christi, der mich gereinigt, zu Teil geworden ist. Jetzt soll ich auf Erden Christus offenbaren. Jedoch finden wir inmitten all der Prüfungen und Schwierigkeiten des Weges das Wort Gottes, welches, schärfer als jedes zweischneidige Schwert, alles richtet, was Gott zuwider ist, und die Fürbitte Christi, welche allen unseren Schwachheiten und Fehltritten entspricht, als die beiden Mittel, deren sich Gott bedient, um uns voran zu führen. Er ist denselben Weg gegangen, den wir zu gehen haben, und ist denselben Versuchungen begegnet, denen wir zu begegnen haben. Und jetzt ist unsere Schwachheit, wenn wir in der Abhängigkeit Christi bewahrt werden, für Ihn nur eine beständige Ausübung der Liebe, und für uns das Mittel, um aus den Schätzen seiner Liebe beständig zu schöpfen. J. N. D.