Botschafter des Heils in Christo 1869
Die Liebe Christi zu seiner Versammlung
Gott ist die Liebe! Seine unumschränkte Güte ist besonders offenbart in der Gabe seines Sohnes zur Rettung der Sünder. „Also hat Gott die Welt geliebt, dass Er seinen eingeborenen Sohn gegeben hat, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren sei, sondern das ewige Leben habe.“ – das ist die göttliche Liebe, welche die ganze Bedeutung der Sünde des Menschen weit übersteigt. Aber die Liebe Gottes tritt umso mehr vor unser Auge, als wir die Art und Weise verfolgen, in welcher sie sich entfaltet. Sie offenbart sich darin, dass sie diejenigen, welche gerettet sind und das ewige Leben haben, in ein bestimmtes Verwandtschaftsverhältnis mit Gott selbst bringt. Es ist daher Gott uns nicht nur als der Gott unseres Heils bekannt, sondern Er hat sich uns als „unser Vater“ bekannt gemacht. Der Herr Jesus sagt: „Gehe hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott!“ (Joh 20,17) Und wiederum lesen wir an einer anderen Stelle: „Ich werde euch aufnehmen; und ich werde euch zum Vater sein, und ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein, spricht der Herr, der Allmächtige“ (2. Kor 6,18). das ist weit mehr als erlöst zu sein von dem gerechten Gericht, welches wir durch unsere Sünden verdient haben. Gott könnte uns gerettet und uns einen Platz fern von seinem Angesicht angewiesen haben; allein das würde nimmer seine Liebe befriedigen. Er wollte uns in seiner Gegenwart haben und zwar als Kinder, mit denen Er Gemeinschaft haben und in denen Er sich erfreuen konnte. Wenn ich von jemandem sagen kann: „Er ist mein Vater“, so ist das selbstredend weit mehr, als wenn ich nur von ihm sagen kann: „Er ist ein guter Mann.“ Meine Worte deuten in diesem Fall das besondere Verhältnis zwischen uns an; und tausendfache Zuneigungen, die nur in dem Herzen eines Kindes Platz finden, ergießen sich aus einer solchen Quelle. Ist es jetzt nicht eine bewunderungswürdige Sache, in das Verhältnis von Kindern Gottes gebracht zu sein? Ja, in der Tat. Aber um uns dieses Verhältnisses erfreuen zu können, müssen wir uns desselben bewusst sein. Sicher muss sich das Herz unglücklich fühlen, wenn wir überzeugt sind, dass ein solch zärtliches Verhältnis existiert, ohne Zugleich die Gewissheit zu haben, ob wir uns darin befinden. Wie bitter würde für ein kleines Kind, welches in einer Familie Aufnahme gefunden, der Gedanke sein, dass es dort nur ein Fremdling, und dass die Person, die ihm bisher so viele Güte erwies, nicht seine Mutter sei! Nie ganz anders ist es, wenn dieses Verwandtschaftsverhältnis außer allem Zweifel steht und die Gefühle des Wohlwollens und der Erkenntlichkeit sich gleichsam auflösen können in die weit tiefere Freude der elterlichen und kindlichen Liebe!
Jetzt ist vor allen Dingen nötig, dass jeder, der an Christus gläubig ist, diese Erkenntnis besitzt. Geboren aus Gott, ist er der Empfänger einer neuen Natur; und diese neue Natur hat Begierden und Wünsche, die ihr eigentümlich sind. Doch diese göttlichen Naturtriebe verleihen nicht aus sich selbst die Freude, von der wir sprechen. Es ist unbedingt erforderlich, unser neues Verhältnis zu Gott, als unserem Vater, zu kennen, um uns dessen erfreuen zu können. Es ist dieses keine Vermessenheit. Wir enthüllen bloß die unumschränkte Barmherzigkeit Gottes, welche in der zärtlichsten Liebe zu dem Menschen ans Licht gestellt ist. „So viele Ihn (Christus) annahmen, denen gab Er das Recht, Kinder Gottes zu werden“; und weil Kinder Gottes, so sind auch der Seele neue Gedanken, neue Gefühle und neue Interessen mitgeteilt. Wir empfangen den Geist der Kindschaft; aber wir bedürfen der bestimmten Erkenntnis, dass Gott uns in diese neue Stellung gebracht hat. Wenn wir diese Gewissheit haben, so dringen die Worte: „geliebte Kinder“ (Eph 5,1) mit Freude in unser Herz. Wir erfahren dann, dass wir geliebt sind, wie Jesus geliebt ist (Joh 17,23). Dann ist das Herz in Freiheit. Dann sind wir glücklich mit Gott. Mag dann die Seele auch auf die Probe gestellt sein, so findet sie dennoch ihre Ruhe in Gott; und je mehr sie seine unendliche Vollkommenheit und die Fülle seiner Liebe zu den Kindern, die Er sich selber auserwählt hat, versteht, desto mehr wird das Vertrauen gestärkt. Um völlig glücklich zu sein und einen heiligen Wandel führen zu können, ist ein solches Vertrauen unumgänglich nötig. Denn diese Zuneigungen haben eine heiligende Kraft; und wir bedürfen sie, um in einem Geist der Absonderung durch die Welt wandeln zu können.
Erläutern wir uns diese Wahrheit durch ein Bild aus den Leben. Man betrachte ein glückliche Kind im Kreist der Familie Es wünscht nichts in der Welt, was nicht mit dem Elternhaus in Verbindung ist. Die Heimat gilt ihm mehr, als alles, was draußen ist. Es ist glücklich und begnügt sich mit den häuslichen Freuden. Und das ist ein wenn auch schwaches Gemälde von dem, was in der Seele vorgeht, welche in dem Genuss der auserwählenden Liebe des Vaters lebt; und dieses erzeugt die wahre Heiligkeit des Wandels. Ein anderer gesegneter und schöner Zug einer erneuerten Seele besteht dann, dass, da sie Gott liebt, sie auch diejenigen liebt, die von Ihm geboren sind. Neue Gefühle sind in einer solchen Seele erwacht. Neue Familienbande sind geschaffen und geknüpft, neue Triebe, die nur ihre Freude finden in dem, was auf die Brüderschaft des Glaubens, die Familie Gottes Bezug hat, sind hervorgerufen worden.
So verhält es sich in Betreff Christi. Freilich kam Er „zu suchen und zu retten, was verloren ist“; aber hier in der Stelle unserer Betrachtung wird uns ein besonderes, bestimmtes und wahres Verhältnis zwischen Ihm und denen, welche gerettet sind, vor Augen gestellt. „Er hat die Versammlung geliebt.“ Die Versammlung wird hier als der besondere Gegenstand seiner Zuneigungen dargestellt; und die Stärke seiner Liebe zu ihr besteht darin, dass Er sie mit sich selbst gesegnet wissen will, als vereinigt mit Ihm, welcher segnet. Von dem Sühnopfer für die Sünde ist hier nicht die Rede, sondern von dem Einssein mit Ihm, welcher die Versammlung – seinen Leib, seine Braut – geliebt hat (Eph 5,31–32). Dieses Einssein mit Ihm ist in verschiedenen Schriftstellen sehr schön dargestellt und enthüllt. Wenn Er uns daher Frieden schenkt, so ist es sein Frieden. „Meinen Frieden gebe ich euch.“ Er stellt uns, was das Herz, die Seele und das Gewissen betrifft, in die Gegenwart Gottes, dort wo Er selbst war. Er teilt uns nicht bloß Freude mit, sondern Er vereinigt uns mit seiner Freude. „Auf dass meine Freude völlig in ihnen sei.“ – das ist unsere besondere Stellung. Es ist unser köstlichstes Vorrecht, nicht nur durch Ihn, sondern auch mit Ihm gesegnet zu sein. Das ist der Wunsch seines und nicht nur unseres Herzens. Wenn meine Zuneigung stark ist, so werde ich wünschen, den Gegenstand meiner Liebe stets bei mir zu haben. Also ist es der Wunsch des Herrn Jesus, dass wir nicht nur glücklich, sondern bei Ihm glücklich sein sollen. Darum sagt Er beim Abschied von seinen trauernden Jüngern: „Ich komme wieder und werde euch zu mir nehmen, an dass, wo ich bin, auch ihr seid.“ Und wiederum: „Vater? Ich will, dass die du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, auf dass sie meine Herrlichkeit schauen.“ Wie sehr offenbaren diese Stellen uns das Herz Jesu! Sie sagen uns, dass seine Liebe das Überströmen einer persönlichen Zuneigung ist. Er wünscht nichts von uns, sondern Er wünscht uns selbst. Er konnte zu seinen Jüngern sagen: „Mit Sehnsucht habe ich mich gesehnt, dieses Passah mit euch zu essen.“ Er sagt nicht: „Ihr habt euch gesehnt“, sondern: „Ich habe mich gesehnt.“ Warum ein solches Verlangen seines Herzens? Er wünschte mit ihnen sich dieses letzten Ausdrucks der Liebe erfreuen zu können.
Nun, geliebte Brüder, das ist der Christus, mit welchem wir zu tun haben. Es handelt sich hier nicht um unsere Liebe zu Ihm, sondern um seine Liebe zu uns: „Christus hat die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben.“ Diese Worte enthüllen ein Herz, welches sich im höchsten Gerade an einen Gegenstand klammert, der nur durch die Hingabe alles anderen erlangt werden konnte. Er gab nicht nur seinen Leib, nicht nur sein Blut, sondern sich selbst. Er gab alles, was wahre Ergebung zu geben vermochte, alles, was Er selbst einsetzen konnte. Es existierte kein Gedanke, keine Bewegung in seinem Herzen – alles wurde für die Kirche in Tätigkeit gesetzt. „Er hat sich selbst für sie hingegeben.“ Welch eine Gabe!
Von dem Augenblick an, wo ich diese bewunderungswürdige besondere Liebe Christi erkenne und glaube, kann also mein Herz auf alles rechnen, was in Ihm ist. „Er hat die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben.“ Alles, was wir an dieses Wort: „Sich selbst“, an diese Gabe, an seine Hingebung, an die Vortrefflichkeit, welche in Ihm ist, knüpfen können, ist ein Teil der Liebe Christi. Kannte Er nicht die Größe dessen, was Er zu geben im Begriff war? Kannte Er nicht die Folgen seiner Handlung? Ja sicher; und dennoch gab Er alles für die Versammlung hin. Er opferte sein Leben. Er unterwarf sich dem Zorn Gottes. Verschmäht und verworfen von den Menschen, wurde Er in der Stunde seines tiefsten Wehes von Gott verlassen, obwohl Er niemals so sehr, als in diesem schrecklichen Augenblicke, der Gegenstand der Liebe Gottes war. Niemals gab es einen solchen Gehorsam, niemals eine solch völlige Unterwerfung und Widmung. Er verzichtete auf alles, Er erduldete alles für die Kirche. Und darum besitzt die Kirche auch einen Wert gleich demjenigen, was für ihre Erlösung geschehen ist. Mit den Augen Gottes betrachtet, hat sie den Wert Christi. Der Gläubige weiß, dass er ein Teilhaber dieses Wertes ist; aber er kennt nicht dessen Unermesslichkeit. Die Liebe Christi kann nicht genossen werden. Sie ist vollkommen, weil sie göttlich ist. Wenn Er aus Nichts Welten machen, wenn Er das Größte ausführen und das Geringste beachten kann – sollte seine Liebe nicht unendlich sein? – Es gibt keine Trauer, keine Trübsal, keine Herzensangst, die Er nicht mit uns fühlt. Er liebt es, in den tagtäglichen Schwierigkeiten unsere Zufluchtsstätte zu sein. Er möchte so gern unser ganzes Vertrauen besitzen und die Seufzer unserer Herzen aus uns herauslocken. Weshalb sollten wir auch unser Herz verschließen? Gibt es denn eine Trübsal, bei welcher wir nicht auf seine Güte vertrauen können? Gewiss sowohl Maria als Marta kränkten das Herz Jesu, als sie sagten: „Herr! Wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.“ Sie dachten, dass ihre Trauer, ihre Trübsal nicht die seinige gewesen sei. Sie kannten nicht das Mitgefühl Jesu.
Die Absicht Christi, welcher so seine Kirche liebt, ist, dass Er sie für sich selbst haben möchte. Er hat sich ganz für sie hingegeben, um sie ganz als sein Eigentum zu besitzen. Aber es wird uns hier noch ein anderer Zug von der Liebe Christi vor unsere Augen gestellt. Nachdem Er sich selbst für sie hingegeben hat, um sie für sich zu besitzen, „reinigt“ Er sie. Sie sollte das Bewusstsein der Tauglichkeit für seine Verwandtschaft haben. Wenn ich sage: „Bin ich genug gereinigt?“ – so verstehe ich nicht die Macht und die Liebe Christi. Bevor Er irgendetwas anderes beginnt, macht Er sie zu seinem Eigentum. Dieses zu wissen ist für unseren praktischen Wandel von der größten Wichtigkeit. Alle Handlungen Gottes, um uns seiner Heiligkeit teilhaftig zu machen, hängen von der Tatsache ab, dass wir Christus angehören. „Er hat sich selbst für sie hingegeben, auf dass Er sie heiligte, indem Er sie durch die Waschung mit Wasser durch das Wort reinigte.“ Das heißt: Er fährt fort, die Kirche nach seinem Wohlgefallen zuzubereiten und sie nach den Wünschen seines eigenen Herzens zu bilden. Zuerst ruft Er sie ins Leben, und dann nimmt Er das Zeugnis Gottes und wirkt damit durch die Kraft des Heiligen Geistes auf das Gewissen und auf die diesem Verwandtschaftsverhältnis entsprechenden Zuneigungen.
„Auf dass Er sie heiligte.“ Welch eine Quelle von Segnungen! Sein Wille ist, unsere Herzen vom Bösen abzusondern und sie zu erfüllen und zu bilden durch den Genuss der Gnade, in welcher wir stehen, sowie durch den Vorschmack der Herrlichkeit, welche offenbart werden soll. Das Mittel der Reinigung ist „die Waschung mit Wasser durch das Wort.“ In derselben Weise beschreibt der Apostel in seinem Brief an die Kolosser das Werkzeug und die Wirkung des Dienstes des Wortes. Indem er von Christus spricht, sagt er: „Den wir verkündigen, ermahnend jeden Menschen und lehrend jeden Menschen in aller Weisheit, auf dass wir jeden Menschen vollkommen in Christus darstellen.“ Der Zweck seiner Predigt war, dass Christus dem Herzen nach seiner Fülle offenbart und das Herz nach dieser vollen Offenbarung alles dessen, was Er ist, geistlich gebildet werden möchte. Wenn du sagst: „Ich habe diese oder jene Sünde oder Begierde, die mich zu Boden drückt“, so verstehe ich dich; aber ist deine Sünde stärker als Christus? Christus wirkt durch den Geist und offenbart sich dir. Und findest du Ihn, der sich also in Macht und in Liebe offenbart, nicht anziehender, als alles, was du, getrieben durch deine Begierden, wünschen kannst. – Wenn ich als Mensch habsüchtig bin und meinen Blick auf Geld richte, dann, obgleich ich es für die erste Zeit bei Seite schieben möchte, wird meine Hand, getrieben durch die Begierde meines Herzens, doch immer wieder danach greifen; wenn ich aber durch die Gnade Christus in seiner Fülle und Kostbarkeit betrachte, so kann ich Ihn nur lieben. Dann verbannt meine Liebe zu Ihm meine Begierden; und ich vergesse das Geld ohne Anstrengung. Ich bin dann nicht bloß damit beschäftigt, es bei Seite zu schieben. Nein, dann hat das Geld keinen Wert für mich. Mein Herz hat einen besseren, mir völlig genügenden Gegenstand gefunden. Was hat Christus getan, um seine Versammlung zu heiligen und ihre Neigungen zu reinigen? Er hat sie geliebt; Er hat sich selbst für sie hingegeben; und jetzt möchte Er ihre Zuneigungen hervorlocken, damit sie auf Ihm ruhen. Wir sind berufen, unsere Wonne da zu finden, wo Gott seine Wonne findet. Und sich mit Gott in der Liebe zu demselben Gegenstand vereinigt zu finden, und dieselben Zuneigungen wie Er zu haben – welch ein glückseliger und heiligender Gedanke! In der Tat, auf diesem Weg wird ein aufrichtiges Verlangen nach einem reicheren Maß persönlicher Heiligkeit geweckt.
Würde einfach Heiligkeit von uns gefordert, so würde nichts erreicht werden. Unter dem Gesetz würden wir sicher Nichts, was Gott wohlgefällig ist, vollbracht haben; denn das Gesetz zeigt bloß die Grundsätze, nach denen der Mensch hätte sein sollen, ohne jedoch die Zuneigungen mitzuteilen, welche ihn fähig machen, um das Vorgeschriebene vollbringen zu können. Durch die Zuneigungen eignen mir uns das zu, welches die Quelle unseres Betragens wird. Wenn Jesus ihr Gegenstand ist, so haben wir denselben Gegenstand, den Gott selbst hat; und dann natürlich trachten wir, Ihm gleich zu sein. Der Herr sei gepriesen! Er hat uns berufen dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein. „Treu ist Er, welcher uns berufen hat, welcher es auch tun wird.“ – Wenn ich alles, was Christus gelitten und alles, was Er getan hat, anschaue, – sollte das keine Wirkung auf mein Herz hervorbringen? Wenn wir die Worte erwägen: „Wenn Er erscheinen wird, werden wir Ihm gleich sein; denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist“, – ist dieses eine kraftlose Hoffnung? Nein, weit davon entfernt. Aber die praktische Wichtigkeit dieser Wahrheiten ist nicht unseren eigenen Meinungen und Folgerungen anheimgegeben; denn wir lesen: „Jeder, der diese Hoffnung hat, reinigt sich selbst, wie Er rein ist.“ Der Blick auf Ihn, der so vortrefflich ist, ruft unsere ganze Zuneigung hervor; und dann wünschen wir zu verwirklichen, was wir in Jesu sehen. Unmöglich können wir seine Vollkommenheiten in seinem Wandel hienieden betrachten, ohne dass der Gedanke in unserem Herzen aussteigt: „O möchte auch ich also sein!“
„Ich heilige mich selbst für sie, auf dass auch sie Geheiligte seien durch die Wahrheit“, sagt der Herr. Das will sagen: Christus sondert sich für sie ab, damit der Heilige Geist Ihn in Kraft ihren Seelen darstellen und sie nach dem Bild seiner Vollkommenheit bilden möchte. Er sagt: „Ich bin nicht von der Welt“, und daher auch: „Sie sind nicht von der Welt.“ Sie sind eins mit Ihm – Eins mit Ihm, als einem himmlischen Menschen. Die Kirche ist die Braut Christi. Welche Wirkungen führt ein solches Verhältnis herbei? Christus wird Verantwortlich für alle ihre Schulden – für alles, was sie getan hat und tun wird; und durch diese Verbindung mit Ihm verliert sie ihre frühere Stellung. Sie verliert auch ihre irdische Bürgerschaft und erlangt dafür eine himmlische (Phil 3,20). Christus ist von der Welt verworfen worden. Durch sie ist Er ausgestoßen und gekreuzigt. Sie ist stets in Feindschaft gegen Ihn. Ihre Sprache ist immer: „Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche;“ allem die Zeit wird kommen, wo „Er seine Engel senden wird; und sie werden aus seinem Reich zusammenlesen alle Ärgernisse, und welche das Gesetzlose tun“, und „dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne im Reich ihres Vaters.“ – Dann wird Christus von der Welt Besitz nehmen. Aber bevor alle Ärgernisse niedergetreten und alles Ihm Missfällige aus dem Weg geräumt ist, können seine Zuneigungen nicht in der Welt ruhen. Die Versammlung ist der Gegenstand seiner Liebe; und wie Er ist, so ist sie jetzt. Ihre Neigungen richten sich nach den Dingen, die droben sind, und nicht nach den Dingen, die auf der Erde sind (Kol 3,2).
Wir müssen aus „Wasser“, dem Sinnbild der Reinigung, „geboren“ sein. Es ist dieses eine Anspielung auf die jüdische Reinigung durch Waschung in reinem Wasser. Während der Geist Gottes göttliches Leben mitteilt, ein Leben, welches früher nicht existierte, wird das Wort der Wahrheit auf das Herz und Gewissen des Gläubigen angewandt, so dass er praktisch gerichtet und dem Charakter Christi gemäß gebildet wird. Dieses ist die reinigende Kraft des Wortes – „die Waschung mit Wasser durch das Wort.“ In Johannes 17 spricht Christus als Sohn des Menschen – als Mensch, an welchem Gott seine Wonne haben konnte. Und „wer da sagt, dass er in Ihm bleibe, der ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie Er gewandelt hat.“ Christus gibt uns Licht. Er ist das Licht sowohl der moralischen Vollkommenheit, als auch der rettenden Gnade; und Christus selbst ist unser alleiniges Vorbild. Gott will, dass wir wandeln wie Christus, dass wir Ihm gleich sind; und um dieses zu bewirken, stellt Er uns Christus als die Standarte der Vollkommenheit nach den Gedanken Gottes vor unser Auge.
Wie war es, dass Christus ein vollkommener Mensch nach den Gedanken Gottes war? Weil Er außer Gott kein anderes Ziel in der Welt hatte. Er aß und trank und unterhielt sich mit den Menschen; aber Gott war sein einziger Gegenstand. Er kam, um den Willen seines Vaters zu tun. Das war sein alleiniger Zweck. Seine Freude war, den Willen seines Vaters zu tun. Er konnte, als Er auf der Erde war, von sich sagen: „Der Sohn des Menschen, der vom Himmel ist.“ Jedenfalls ist dieses von Ihm als einer göttlichen Person gesagt. Auf Erden war Er stets der himmlische Mensch; und dadurch, dass wir droben in Ihm, dem himmlischen Haupt seines Leibes, der Kirche, bleiben, werden wir Ihm hienieden gleich sein. Und unsere Freude und unser Glück ist, dass wir das Bewusstsein haben, in Christus zu sein, und dass wir Ihn im Himmel als unser Haupt und Vorbild haben, so dass wir, gleich Ihm, keinen anderen Gegenstand haben, als Gott. Also auf Ihn blickend – also „mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden wir in dasselbe Bild verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist.“ Der Apostel sagt von sich.– „Eins aber tue ich: Das, was hinter mir liegt, vergessend, und nach dem, was vor mir liegt, mich ausstreckend, strebe ich, das vorgesteckte Ziel immer anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus.“ – das will mit anderen Worten sagen: „Gott ruft mich nach oben von der Erde. Ich habe noch nicht mein himmlisches Teil empfangen; aber ich will nicht irgendetwas tun, welches mit solch einer Berufung im Widerspruch steht.“ Der Heilige kann nicht sagen, dass er es schon „ergriffen“ habe; denn der auferstandene verherrlichte Christus ist das Bild, dem Er gleichförmig sein soll; mittlerweile hat er nur „eins“ zu tun, nämlich: Christus im Himmel stets vor sich zu haben. Er „strebt danach, ob er es ergreifen möge, wozu er auch von Christus Jesus ergriffen ist.“ In diesem Sinn werden wir also die Herrlichkeit nicht eher besitzen, als bis wir dort sind, während wir sie in einem anderen Sinne jetzt haben und sie jetzt sehen. Sie ist unser Teil durch Glauben. Wir besitzen sie in Hoffnung. Vorausgesetzt, dort in einiger Entfernung wäre eine Lampe, durch deren Hilfe ich wandeln und meinen Weg verfolgen könnte. Ihr Licht, obgleich noch fern, wird natürlich zunehmen, je mehr ich mich der Lampe nähere. Aber obwohl ich im Licht dieser Lampe wandle, so besitze ich im anderen Sinne sie doch nicht eher, als bis ich sie erreicht habe. So verhält es sich mit dein Christen; mit jedem Schritt nähert er sich der himmlischen Herrlichkeit. „Geliebte! Jetzt sind wir Gottes Kinder; und es ist noch nicht offenbart worden, was wir sein werden; wir wissen aber, dass, wenn Er offenbart ist, wir Ihm gleich sein werden; denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist. Und jeder, der diese Hoffnung auf Ihn hat, der reinigt sich selbst, gleich wie Er rein ist.“ Ein jeder, welcher weiß, dass er Christus in der Herrlichkeit gleich sein wird, sollte auch wissen, dass er jetzt Ihm gleich sein müsse. Er ist der Gegenstand, welcher stets vor dem Herzen sein sollte und welcher jede unreine Neigung verurteilen muss. Das ist die „Waschung mit Wasser durch das Wort.“ Die Wirkung wird uns gezeigt in dem Vers: „Auf dass Er sich selbst die Versammlung verherrlicht darstellte, die weder Flecken noch Runzel, noch etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und tadellos wäre.“ – das ist es, was Christus im Auge hat. Das ist die hohe Berufung und das Maß der Heiligung und der Herrlichkeit, in der wir, als der Kirche Gottes angehörend, erscheinen sollen. Nachdem der Herr Jesus sich selbst geheiligt hat, heiligt Er auch die Versammlung. Er wirkt nicht um, dass sie herrlich und ohne Flecken sei, sondern auch, dass sie es selbst darzustellen vermag.
Diese Liebe Christi und sein Ratschluss bezüglich der Kirche bilden das Fundament unserer Segnung und unserer Hoffnung. Welche Wirkung muss nun diese Erkenntnis auf unser Herz haben? Wenn ich weiß, dass Christus uns selbst für sich zu haben wünscht, – eine verherrlichte Versammlung ohne Flecken und Runzel, – werde ich dann Ruhe in meinem Geist haben, wenn ich bezüglich meiner Zuneigungen nicht dasjenige erwidere, was Christus in Macht zu vollbringen im Begriff ist? Nach dieser Weise wirkt der Heilige Geist in der Seele; und in dem Maß, als wir genießen, was Christus ist und was Er tut, wird sich unser geistlicher Wachstum, sowie unser Verständnis vermehren, so dass wir über die Dinge um uns her ganz anders urteilen, wie wir es vorher getan haben. Da das Gewissen durch den Glauben an das Werk Christi völlig in Ruhe ist, beginnen wir zu verstehen, dass wir von Ihm geliebt und seine Liebe zu erwidern schuldig sind; und dass zwischen Ihm und unseren Seelen nichts sein darf, als der ungehinderte Genuss seiner Liebe. Wenn die Seele in dieser friedlichen und glücklichen Ruhe des Glaubens ruht, so kann sie sich von sich selbst und ihren eigenen Interessen abwenden und sich mit den Angelegenheiten Christi beschäftigen.
Die Erkenntnis der untrüglichen Liebe Christi zu seinem Volk setzt uns in den Stand, die Segnung jedes wahren, wenn auch noch so schwachen Gläubigen voraussetzen zu dürfen. Wenn er gefallen ist, wie können wir zweifeln an der Macht der Gnade, die ihn wiederaufzurichten vermag, da wir doch wissen, dass er ein ergänzender Teil der Versammlung ist, die Christus sich selbst verherrlicht darzustellen auf dem Punkt steht? Nein, wir können nicht daran zweifeln. Der Glaube rechnet auf die Macht und Liebe in Christus und bewahrt uns, dass wir nicht ermüden und in unseren Seelen ermatten (Heb 12,12). So hören wir den Apostel, der wegen der Galater in Verlegenheit war, (Gal 4,20) im Blick auf die Liebe Christi die Worte sagen: „Ich habe Vertrauen zu euch im Herrn, dass ihr nicht anders gesinnt sein werdet.“ Wenn daher unsere Sympathien für gewisse Christen schwinden wollen, so lasst uns daran erinnert sein, dass sie gesegnet werden können, weil sie Christus angehören.
„Er hat uns geliebt und sich selbst für uns gegeben.“ Anstatt seiner Braut die Sünde zuzurechnen, hat Er ihre Sünden auf sich genommen. Weil wir Sünder waren und die Sünde nach dem gerechten Urteile Gottes den Tod zum Lohn hat, darum gab Er sich für uns in den Tod; aber sein Erlösungswerk ist jetzt beendet; und die Wirkung desselben ist gegenwärtig vor Gott. Wenn nun Christus die Versammlung so sehr geliebt hat, so sollte sicher ihr Herz auch ganz für Ihn sein. Wenn ihre Zuneigungen geteilt sind und teils Ihm, teils der Welt, die Ihn gekreuzigt hat und Ihn noch immer verwirft, gewidmet sind, dann ist sie in der Tat eine untreue Braut. Geliebte Brüder in Christus! Sind wir nicht in seiner Abwesenheit durch die stärksten und zärtlichsten Bande mit Ihm verbunden? Haben wir nicht alle Ursache, unsere Herzen treu zu bewahren, uns in Bereitschaft zu halten und auf seine Wiederkehr zu harren? Sollte darüber ein einziger Zweifel herrschen, dass mir Ihm angehören? Sollte man uns nicht stets auf seiner Seite sehen? Sollten wir für irgendeinen anderen Gegenstand, als seine Herrlichkeit leben? Unsere Pfade und die Gewohnheiten sollten in der Tat nie denen der Welt gleichen. Die glatte Höflichkeit der Welt verbirgt die schreckliche Tatsache ihrer eingewurzelten Feindschaft gegen Christus, während ihre kalte Verehrung und ihre zeremoniösen Formen eine schlechte Nachahmung von Liebe sind. Die Heiligkeit, zu der wir berufen sind, wird das Teil derer, welche mit Christus gestorben und auferstanden sind; und unsere Kraft in der Überwindung des Bösen erlangen wir nicht dadurch, dass wir daran denken, sondern durch Gemeinschaft mit Christus. Wir sollen Ihm ganz gleich sein; aber je mehr wir seine Liebe und was Er für uns ist verwirklichen, desto tiefer werden wir fühlen, wie wenig wir in Wirklichkeit Ihm gleich sind.
Wie bewundernswürdig ist das Los, zu welchem wir berufen sind! Das Herz Christi würde nicht befriedigt sein, wenn seine Braut, die Teilhaberin seiner ganzen Herrlichkeit, nicht bei Ihm sein sollte. Und wir sollen bei Ihm sein, gerade sowie Er es angeordnet hat. Wir sollen wohnen in der nämlichen Gegenwart Gottes; und sein Auge will an denen, die durch das Blut des Lammes von jedem Flecken gereinigt sind, nicht den geringsten Mangel erblicken. Je glänzender und klarer das Licht ist, in welches die Versammlung gebracht werden wird, desto mehr wird es offenbar sein, dass weder Flecken noch Runzel ihre Herrlichkeit besudelt.
„Und wir werden also allezeit bei dem Herrn sein“ (1. Thes 4,17). Geliebte Prüder! Ist dieses die Freude eurer Herzen? Macht der Gedanke, allezeit bei Ihm zu sein. Euch glücklich? Habt ihr geschmeckt wie gnadenreich und gütig Er ist, so dass ihr sagen könnt: „Mein einziger Wunsch ist, allezeit bei dem Herrn zu sein?“ Wenn dieser oder jener Gegenstand eure Herzen erfüllt, ist es der Mühe wert. Euch damit aufzuhalten? Blickt auf Jesus, schaut seine Lieblichkeit und Herrlichkeit an, und ihr werdet fähig sein, jedes andere Ding fahren zu lassen. Ihr werdet dann lernen, dass nur eine Sache eurer Liebe würdig ist. Von Christi Seite ist das Verlangen, uns bei sich zu haben, völlig vorhanden. „Vater! Ich will, dass die du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin“ (Joh 17,24). O möchte doch die Wonne, die wir dann bei Ihm genießen werden, schon jetzt in unseren Neigungen verwirklicht sein; und möchte doch die Kraft des Glaubens uns den Sieg in jedem Kampf geben!
Geliebte Brüder! Glaubt ihr, dass die Gedanken Christi in dieser Weise in Betreff eurer beschäftigt sind? – dass Er unaufhörlich euer Bestes im Auge hat? – dass es nie eine Regung in seinem Herzen gibt, die nicht eure Segnung zum Zweck hat? – Ist dieses eure Überzeugung, dann lasst es auch euer Verlangen sein. Ihn zu verherrlichen! Bleibt in Ihm ruhig, getrost und glücklich; vertraut Ihm zu allen Zeiten, was euch auch begegnen mag; und seid versichert, dass „Güte und Barmherzigkeit euch folgen werden alle Tage eures Lebens, und dass ihr wohnen werdet im Haus des Herrn in Länge der Tage“ (Ps 23).
Das ist der nach Christus gebildete moralische Charakter des Christen. Mit Vorsatz des Herzens hängt er an dem Herrn. In einem der Psalmen lesen wir: „Nachfolgend hängt meine Seele an dir!“ (Ps 63,8) Hier ist die Energie des Verlangens; aber nichts ist im Stande, eine tiefere Sehnsucht nach Gemeinschaft mit dem Herrn zu erwecken, als die Macht eines erkannten Verhältnisses mit Ihm. Wo dieses Verhältnis besteht und erkannt wird, da gibt es viel mehr Liebe, Vertrauen, Freude und Ergebenheit des Herzens.
Erinnern wir uns, Geliebte, dass Christus dasselbe Ziel vor uns hingestellt hat, welches auch das seinige war. Dieses Ziel ist: die verherrlichte Darstellung der Versammlung ohne Flecken und Runzel für sich selbst. Er wünscht von uns eben jetzt, während wir hier sind, dass wir als seine liebende Braut vorwärtsschauen sollen auf die Vollendung unserer Freude. Und wenn Er also der Gegenstand ist, an dem unsere Herzen hängen, so ist das der Weg, Ihm, ohne dass wir es merken, immer mehr gleich zu werden. Die Gemeinschaft mit Ihm wird es bewirken, dass sein Bild immer mehr von uns ausstrahlt. Moses trug den Abglanz der Herrlichkeit Gottes. Das war nicht durch ihn selbst bewirkt. Nein, sein Angesicht strahlte, ohne dass er daran dachte, weil er in der Gegenwart Gottes gewesen war. Und wenn wir, Geliebte, Gott, offenbart in der Fülle der Gnade und Liebe in der Person Jesu, anschauen und in seiner Gegenwart verweilen, so wird auch sicher sein Bild von uns ausstrahlen. Diese Gemeinschaft ist die Quelle aller persönlichen Heiligkeit. Er wird dann der Seele den Frieden bewahren inmitten aller Versuchungen und Prüfungen. Wenn wir uns seiner Gegenwart erfreuen, so werden uns die schweren Dinge leicht und die bitteren süß erscheinen. Seien wir versichert, dass Er, der unsere Seelen zu sich gezogen und uns in den Genuss dieses zarten Verwandtschaftsverhältnisses gebracht hat, nach den ewigen Ratschlüssen seiner Liebe und nach der Energie seiner allmächtigen Kraft wirken wird, bis Er uns für sich selbst in der Fülle der Freude darstellt. Der Herr gebe, dass sich unsere Herzen beständig dieser Ruhe in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes erfreuen mögen!