Botschafter des Heils in Christo 1869
Du bist bei mir
Diese Erde ist der Schauplatz der Traurigkeit und des Elends. Überall begegnet unser Auge der Mühsal, dein Kummer, dein Kampf und der Sünde. Der Schimmer der Welt kann den Blicken des Gläubigen selbst das verborgenste Elend nicht verdecken. Ja, je mehr er in Gemeinschaft mit seinem Gott lebt, desto mehr fühlt er die Eitelkeit und Sünde von allein, was ihn umgibt; und er ruft mit Moses aus: „Der Stolz der Jahre ist Mühsal und Nichtigkeit“ (Ps 90). Und wie viele Gefahren umringen ihn! Wie viele Versuchungen stürmen auf ihn los! Wie viele vergiftete Pfeile werden auf ihn abgedrückt! Jede Stunde ist er in Gefahr. Jeden Augenblick kann er durch den Feind überwunden werden. Tausend und aber taufend Widerwärtigkeiten begegnen ihm. Wahrlich, alles dieses ist geeignet, den Mut zu rauben. – Aber nein; der Mut des Gläubigen sinkt nicht; denn mit dem Auge des Glaubens schaut er durch die finsteren Nebel, die die Welt bedecken; und er erblickt über den Wolken Ihn, in dessen Namen seine Kraft und seine Stärke liegt, und mit heiliger Freude ruft er aus: „Und wenn ich wandle im Tal des Todesschattens, fürchte ich nichts Übels; denn du bist bei mir; dein Stecken und dein Stab – sie trösten mich.“
Ach! warum wird diese Glaubenssprache so wenig gesprochen? Warum lebt sie so wenig in unseren Herzen? Weil wir so wenig aus Erfahrung sagen können: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ – Und doch kann inmitten der schwersten Kämpfe und der größten Mühsale uns nichts mehr trösten, als das Bewusstsein: „Der Herr ist bei mir.“ Ich brauche also mein Leiden nicht allein zu tragen, meine Kämpfe nicht allein zu kämpfen und die Schwierigkeiten nicht allein zu bestehen. Ich habe einen Freund, der mit mir leidet und kämpft, einen Begleiter, der mir zum Stecken und zum Stab dient. Und dieser Freund, dieser Begleiter ist der Herr selbst, der gute Hirte. Er besitzt alle Macht im Himmel und auf Erden. Nur ein einziges Wort von seinen Lippen – und der Kampf schwindet, das Leiden endet, und der Feind flieht. Ist es gut für mich, dann verwandelt sich das Tal des Todesschattens in einen Ort der Freude und des Jubels. Und dauert selbst die Versuchung fort – „ich fürchte nichts Übels; denn du bist bei mir.“ Wo der Unglaube nichts als Jammer und Elend erblickt, da sieht der Glaube den guten Hirten, der sein Leben ließ für seine Schafe. Überall wo wir sind, da ist auch Er. Er wandelt uns zur Seite; Er ist bei uns Tag und Nacht, im Sonnenschein und im Regen, im Sturm und in der Stille. Er ist da, zu leiten, zu helfen, zu trösten und zu beschirmen.
Vor wem sollten mir uns fürchten? Ist, Jesus nicht der Allmächtige? Ist seine Liebe nicht unendlich? Sollte Er uns auf dem Weg umkommen lassen? Unmöglich. Er gab sein Leben für uns; und sein kostbares Blut hat uns freigemacht von der Sünde, der Welt und dem Teufel. Sollte Er uns nicht bewahren auf dem Weg? Und kämen auch die Wasser der Trübsal bis an die Lippen, und heulten die Stürme auch noch so heftig, so wird dennoch unser Schifflein nicht untergehen, sondern durch seine Hand in den sicheren Hafen geführt werden. Und der gute Hirte, was ruft Er uns zu: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie gehen nicht verloren ewiglich, und niemand wird sie mir aus meiner Hand rauben. Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus der Hand meines Vaters rauben. Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,27–30). Welch kräftige Worte! Das Einssein Jesu mit dem Vater – dieses Einssein in Bezug auf den Willen und die Kraft dient uns zur Bürgschaft, dass wir sicher das Ziel unserer Pilgerschaft erreichen werden. „Niemand wird sie aus meiner Hand rauben;“ – „Niemand kann sie aus der Hand meines Vaters rauben!“
Welch eine Sicherheit! Welch ein unaussprechlich seliges Bewusstsein! Geliebter Leser! Kennst auch du diesen guten Hirten, der sein Leben für seine Schafe gelassen hat? Hast auch du Ihn zu deinem Freund, zu deinem Begleiter, zu deinem Stecken und Stab gewählt? Folgst du mit willigem Herzen seinen Schritten? Hörst du gern auf seine lockende Hirtenstimme? – Nun, wenn dieses der Fall ist, dann wirst du trotz der jähen und steilen Pfade, die Er dich führen mag, mit fröhlichem Herzen vorwärts pilgern und den stürmischen Wogen und Wellen, ja selbst dem Tod mit ruhigem Vertrauen ins Auge schauen, während deine Lippen zuversichtlich ausrufen: „Du bist bei mir!“ Ja wahrlich, dann wirst du selbst da, wo das menschliche Auge und Ohr nichts als Elend erblickt und nichts als Seufzer und Klagen vernimmt, „grüne Auen“ und „Wasser der Ruhe“ finden.
O möchte dieses unser aller Teil sein! Möchte unsere Seele sich stets erfreuen in dem Herrn, unserem Gott, dessen Nähe allein uns zu trösten und zu befestigen vermag? Nur der fühlt sich sicher, welcher in jeder Lage in vollem Vertrauen zu sagen versteht: „Du bist bei mir!“