Botschafter des Heils in Christo 1869
Das Fragen nach dem bekannten Weg
Die Geschichte Bileams enthält für unser tagtägliches Leben solche wichtigen Unterweisungen, dass es wohl der Mühe wert ist, etliche Augenblicke dabei zu verweilen. Die Ursachen und Folgen eines Wandels im Nichtbefolgen der Gebote des Herrn werden uns darin deutlich vor Augen gestellt. „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre, zur Unterweisung, die nach der Gerechtigkeit ist“ (2. Tim 3,16). Lasst uns im Blick auf diese Wahrheit die bezeichnete Geschichte lesen und betrachten; und sicher, es wird uns zu reichem Segen dienen.
Die Kinder Israels waren bis zu den Grenzen des verheißenen Landes gekommen, und hatten in den Ebenen Moabs ihr Lager aufgeschlagen. Balak nun, der König der Moabiter, wurde beim Anblick der Israeliten nicht wenig besorgt und sandte daher Boten zu Bileam mit folgendem Auftrag: „Siehe, es ist ein Volk aus Ägypten gezogen, das bedeckt das Angesicht der Erde und lagert sich mir gerade gegenüber. So komm nun und verfluche mir das Volk, denn es ist mir zu mächtig, ob ich es schlagen möchte und aus dem Land vertreiben; denn ich weiß, dass, welchen du segnest, der ist gesegnet, und welchen du verfluchst, der ist verflucht“ (4. Mo 22,5–6). dieses kann mit Recht eine Botschaft des Teufels genannt werden. Der Feind des Volkes Gottes gebrauchte Balak und wollte Bileam gebrauchen, um das Volk zu verfluchen und zu vertilgen. Bileam war – das leuchtet aus der ganzen Geschichte hervor – mit dem Gott Israels bekannt. Er wusste sehr gut, mit welch großer Macht Jehova dieses Volk aus Ägypten befreit und durch das Schilfmeer geführt hatte. Wäre also wahre Furcht Gottes in seinem Herzen gewesen, so winde er wo! erkannt haben, dass der Herr es unmöglich zulassen könnte, dass dieses von Ihm so wunderbar geleitete Volk verflucht und vertilgt würde. Doch die wahre Furcht Gottes war bei Bileam nicht zu suchen – wir werden davon bald die sichersten Beweise haben – und darum sagt er: „Bleibt hier über Nacht, so will ich euch wieder sagen, wie mir der Herr sagen wird“ (V 8).
Wie mancher gleicht dem Bileam! Wie mancher kennt die List des Feindes nicht, weil er nicht mit Gott in Gemeinschaft ist! Wandeln wir mit dem Herrn, dann wandeln wir im Licht; und das Licht offenbart die Finsternis; im Licht Gottes erkennen wir die Absichten Satans. Doch oft finden wir uns in Verlegenheit und fragen, was vom Teufel und was von Gott kommt. Diese Frage wird unnötig sein, wenn wir mit Gott in Gemeinschaft wandeln. Ist unser Auge einfältig, so wird unser ganzer Leib Licht sein.
Und Gott kam über Nacht zu Bileam und sagte zu ihm: „Gehe nicht mit ihnen; verfluche auch das Volk nicht, denn es ist gesegnet“ (V 12). das war eine verständliche Sprache, die keine Zweideutigkeit zuließ. Sie enthielt ein bestimmtes und deutliches Verbot; und das hätte für Bileam genügen sollen. Und wirklich, er gehorcht und geht nicht mit den Boten Balaks. Er unterwirft sich dein Willen des Herrn. Ob es wohl aus einem guten Beweggrund hervorgingt? War es die wahre Furcht Gottes, die ihn dazu brachte? O nein; der Verfolg der Geschichte zeigt uns dieses deutlich. Schon die Worte, welche er an die Boten richtet, verraten uns den Zustand seines Herzens. „Geht hin in euer Land; denn der Herr will mir es nicht gestatten, dass ich mit euch Ziehe“ (V 13). Man fühlt diesen Worten den Verdruss seines Herzens ab, dass er nicht mit ihnen gehen darf. „Der Herr will mir es nicht gestatten.“ Er würde gern mitgegangen sein; aber er durfte nicht. Er fürchtete die Folgen, den Zorn des Herrn. Sein Herz zog ihn nach Moab und nach den Geschenken Balaks; nur die Furcht vor der Strafe hielt ihn zurück. Ein Herz, welches mit dem Herrn in Übereinstimmung ist, führt nicht eine solche Sprache, sondern sagt mit Joseph: „Sollte ich ein so großes Übel tun und wider Gott sündigen?“ Dieses wusste Satan nur zu gut. Er wusste, dass Bileams Herz den Lohn der Ungerechtigkeit liebte; und darum kommt er zum zweiten Male mit derselben Botschaft zurück. Er hatte ganz gut erkannt, dass in Bileams Worten: „Der Herr will mir es nicht gestatten?“ – deutlich zu lesen war, dass er lieber mitgegangen wäre; und darum lässt Balak ihm sagen: „Lieber, weigere dich nicht, zu mir zukommen“ (V 16). Wie listig ist doch der Teufel! Und wie schlau versteht er auf den Zustand zu wirken, in welchem sich gerade das Herz befindet! Welch eine ernste Warnung ist dieses für uns! Wir können versichert sein, dass der Teufel von uns ablässt, wenn er merkt, dass wir nicht auf seine Stimme lauschen. Sind wir bereit, den Weg Gottes zu wandeln und seinen Willen zu tun, dann sind seine Versuchungen Zwecklos; und er stellt sie ein. Doch wenn er sieht, dass, obgleich unser Mund diese Versuchung abweist, unser Herz nach der uns vorgestellten Sache verlangt, dann kehrt er beständig wieder zurück und wiederholt seine Angriffe solange, bis wir in seinen Stricken gefangen sind. Es kommt daher immer darauf an, ob wir mit einem wahrhaftigen Herzen für den Herrn leben. Dann werden wir auch mit Freuden und keineswegs gezwungen die Versuchungen Satans abweisen können.
Als nun die Boten Balaks zum zweiten Male zum Bileam kamen, sagte Letzterer: „Wenn mir Balak sein Haus voll Silbers und Goldes gäbe, so könnte ich doch nicht übergehen das Wort des Herrn, meines Gottes, Kleines oder Großes zu tun“ (V 18). das war eine feste Sprache, wird vielleicht mancher ausrufen. O ja; aber der Schein trügt. Der Mund kann oft sehr schöne und fromme Worte aussprechen, während das Herz mit ganz anderen Dingen erfüllt ist. Wäre das Herz Bileams mit seinen Worten in Übereinstimmung gewesen, so würde er die Boten Balaks augenblicklich zurückgeschickt haben. Doch was tut er? Auf seine stolze Weigerung lässt er sofort die Worte folgen: „So bleibt nun hier auch ihr diese Nacht, dass ich erfahre, was der Herr weiter mit mir reden werde“ (V 19). Aber was hat der Herr noch weiter zu sagen? Hat Er nicht ausdrücklich gesagt: „Gehe nicht mit ihnen; verfluche das Volk auch nicht; denn es ist gesegnet?“ Kannte Bileam denn den wohlgefälligen Willen Gottes nicht? Gewiss. – Aber warum sendet er denn die Boten nicht augenblicklich zurück? Warum bleibt er nicht einfach bei den Worten, die er zu Anfang gesprochen hat? Warum lässt er sie noch eine Nacht verziehen? Ach! sein Herz zieht ihn nach Moab; es lüftet nach den Geschenken Balaks. Die Welt und ihre Schätze hatten einen so großen Wert für sein Herz, dass er nicht widerstehen konnte. Mit einem Wort, er liebte, wie der Apostel Petrus uns mitteilt, den Lohn der Ungerechtigkeit. Sein Mund sprach Zwar fromme Worte; aber sein Herz war fern von dem Herrn. Er verlangte nach Silber und Gold, wiewohl er, nach seinen Worten keinen Wert darauf legte; und darum mussten die Boten noch über Nacht bei ihm bleiben in der Hoffnung, dass der Herr ihm gestatten würde, mit nach Moab zu ziehen. Wiewohl er genau den Willen Gottes kannte, will er dennoch noch einmal nach diesem Willen fragen. Dieses ist ein Fragen nach dem bekannten Wege. Und ein solches Fragen offenbart stets die Abneigung des Herzens, den Weg zu gehen, welchen wir nach dem Willen des Herrn gehen sollen.
Wie manchmal geschieht aber etwas Ähnliches unter den Christen! Wie oft fragt man nach dem bekannten Wege! Man kennt den Willen des Herrn oft ganz gut; jedoch man hat keine Lust, diesen Willen zu tun, weil das Herz angezogen ist durch die Welt und ihre Lust. Und was tut man? Es würde allerdings zu stark sein, wenn man sagen wollte, dass man keine Lust habe, den Willen Gottes zu tun. Darum sucht das arglistige Herz stets nach einem Ausweg. „Für kein Geld in der Welt möchte ich gegen den Willen des Herrn handeln“, ruft man uns; – „wenn ich nur wüsste, was der Herr wollte, dann schlüge ich sicher diesen Weg ein.“ Solche Worte klingen allerdings ganz gottesfürchtig; aber ach! sie verbergen nur Zu oft die Abneigung des Herzens. Man sucht sich selbst zu überreden, dass man bereit sei, den Willen des Herrn zu tun; und dennoch beweist das beständige Fragen um Rat nur zu deutlich, dass man in Wahrheit keine Lust hat, den Weg zu gehen, den uns der Wille Gottes vorzeichnet. Wählen wir ein Beispiel. Ein Christ hat eine starke Zuneigung für eine unbekehrte Person in sich aufkommen lassen. Er weiß sehr gut, dass es gegen den Willen des Herrn ist, mit einer Unbekehrten in den Ehebund zu treten. „Seid nicht in einem ungleichen Joch mit den Ungläubigen“, hat der Herr gesagt. Das ist ein bestimmtes Gebot, dass keine Zweideutigkeit zulässt. Wohnte nun die Furcht Gottes in seinem Herzen, und wäre es feine Lust, den Willen des Herrn zu tun, so würde er eine solche Neigung als unerlaubt sofort verurteilen. Doch er tut dieses nicht, sondern sucht auf allerlei Weise diesen Schritt zu rechtfertigen. Er fragt beständig um Rat, und wenn ihm dieser nach der heiligen Schrift erteilt wird, so ist er unzufrieden. Er bittet vielleicht den Herrn, dass Er der Ausführung der Verehelichung ein Hindernis in den Weg legen möge, falls dieselbe nicht nach Seinem wohlgefälligen Willen sei. Doch wie fromm solche Worte auch sein mögen, so geschieht doch Alles nur, um das Gewissen zum Schweigen zu bringen und dann der Lust des Herzens zu folgen.
Wählen wir noch ein anderes Beispiel. Ein Christ will sein bisheriges Geschäft aufgeben und Handel treiben. Sein Gewissen sagt ihm, dass die Beweggründe, die ihn dazu leiten, verkehrt sind. Hochmut, Habsucht und Weltsinn sind die Quelle; er lässt sich an seinem tagtäglichen Brot nicht genügen und will mehr verdienen. Er weiß wohl, dass das Wort Gottes solche Grundsätze verurteilt; doch sein Herz ist von seinem Vorhaben so sehr erfüllt, dass es ihm unmöglich ist, damit zu brechen. Und was tut er? Er geht zu den Brüdern und fragt um Rat. Er sagt, dass ihm die Sache nicht ganz klar sei, dass er nicht recht wisse, was er tun solle, und darum den Rat anderer einhole. Und wenn die Brüder ihm von seinem Vorhaben abraten, ist er dann zufrieden gestellt? Keineswegs. In seinem Herzen lebt das Verlangen, sein Vorhaben in Ausführung zu bringen; nur wagt er es nicht, solange nicht auch andere seinen Schritt billigen. Er geht darum gerade zu denen, von welchen er hofft, dass sie ihm nach dem Wunsch seines Herzens ihre Ratschläge erteilen. Und erreicht er auf diesem Weg seinen Zweck, so ist er aufs höchste erfreut und sucht sich selbst zu überreden, dass jetzt alles in Ordnung sei. Unglücklicher Zustand! Man kennt den Willen des Herrn, und dennoch fragt man um Rat. Ist das kein Fragen nach einem bekannten Wege? Und verrät ein solches Fragen nicht die Abneigung unseres Herzens, zu tun, was dem Herrn wohlgefällig ist? Ja, in diesem Fall gebraucht man wohl schöne und fromme Worte; aber hinter denselben verbirgt man nur den eigenen Willen und die Hurtigkeit des Herzens. Wie bedauernswürdig sind solche Zustände! Möchten wir doch alle solche Wege vor Gott verurteilen lernen, damit wir bei Zeiten noch bewahrt bleiben vor unausbleiblich traurigen Folgen!
Sicher, die Folgen eines solchen Zustandes sind höchst traurig. Dieses sehen wir bei Bileam. Sein Herz sehnte sich nach Moab; und darum ging er nochmals zu Gott und fragte nach dem bekannten Wege. Und was tut der Herr? „Da kam Gott des Nachts zu Bileam und sprach zu ihm: Sind die Männer gekommen, dich zu rufen, so mache dich auf und ziehe mit ihnen; doch was ich dir sagen werde, sollst du tun“ (V 20). Oberflächlich betrachtet, ist dieses Verfahren ein höchst seltsames. Zuerst sagt der Herr: „Gehe nicht mit ihnen;“ und nun sagt Er: „Mache dich auf und ziehe mit ihnen.“ Wenn wir jedoch bedenken, was in dieser Zwischenzeit offenbart geworden war, dann wird uns die Handlungsweise des Herrn durchaus nicht befremden. Die Worte und Werke Bileams hatten unzweideutig bewiesen, dass er nur gezwungen zu Haus geblieben war. Sein Herz verlangte nach den Geschenken Balaks. Ungeachtet Gott gesagt hatte, dass er nicht gehen sollte, ließ er die Boten zum zweiten Male in seinem Haus übernachten, um nochmals den Herrn zu fragen. Darauf sagt ihm der Herr: „Geh!“ War ein anderer Weg möglich? Nein; denn Gott will keinen gezwungenen Dienst; Er will ein vollkommenes und ungeteiltes Herz. Der Herr sagt mit anderen Worten: „Wenn du durchaus gehen willst, so mache dich auf; und du wirst früh genug die Folgen davontragen.“ Ebenso ist es mit uns. Haben wir keine Lust, den Willen des Herrn zu tun; bleiben wir nur aus Furcht vor der Strafe äußerlich auf dem guten Weg, und kehren wir immer wieder zurück, um nach dem Willen des Herrn zu fragen, dann sagt der Herr endlich: „Tue, was du willst; gehe deinen eigenen Weg!“ – du willst dich mit einer unbekehrten Person verehelichen. Du weißt, dass dieses gegen den Willen Gottes ist. Doch du hast allerlei Entschuldigungen; du überredest dich, dass es doch vielleicht noch gut sein möchte, und dass du wohl gar noch das Mittel zur Bekehrung dieser Person sein könntest. Wohlan denn, Gott lässt es dir endlich zu, damit du dann durch die traurigen Folgen deiner Torheit zu einer wirklichen Demütigung kommen möchtest. – Oder du willst irgendein Geschäft beginnen. Man hat dich aus guten Gründen davor gewarnt. Dein eigenes Gewissen sagt dir, dass es nicht gut ist. Doch dein Herz ist davon ganz und gar erfüllt; du willst nicht davon abstehen. Wohlan, der Herr lässt vielleicht die Umstände so zusammentreffen, dass du seine Anerkennung deines Vorhabens darin zu erkennen meinst. Er lässt dir gleichsam sagen: „Beginne, gehe deinen Weg!“ – Und du beginnst – doch, ach! um bald einzusehen, wie sehr du dich getäuscht hast. Der Herr kann unmöglich anders handeln. Durch das wiederholte Fragen nach dem bekannten Wege verrät man nur seine Abneigung, den Willen Gottes zu tun; mithin ist kein anderer Weg zur Heilung möglich. Darum gibt der Herr schließlich deinem Verlangen nach, damit du durch die Umstände deine Torheit einsehen lernst. Neun der Herr sieht, dass zwar unsere Füße auf dem rechten Pfade wandeln, aber unser Herz weit davon entfernt ist, dann lässt Er es zu, dass unsere Füße dahin schreiten, wo sich bereits unser Herz befindet. Sind unsere Füße bei den Kindern Gottes, während unser Herz mit der Welt buhlt, dann lasst es der Herr zu, dass auch unsere Füße in die Welt kommen. Was nützt es auch, ob du äußerlich mit dem Herrn wandelst, aber innerlich in der Welt bist? Nein; dann ist es besser, dass du auch äußerlich in der Welt lebst, denn dann kannst du dich und andere nicht mehr täuschen, und dann ist noch Aussicht vorhanden, dass du zur Erkenntnis deines schlechten Zustandes kommst.
Beachten wir es jedoch, dass eine solche Zulassung von Seiten Gottes ein über uns verhängtes Gericht ist. Du hast auf seine Stimme nicht lauschen wollen; du hast deinen eigenen Willen durchgesetzt, – wohlan, wer nicht hören will, muss fühlen. Es ist kein anderes Mittel vorhanden, um dich zur Einsicht zu bringen, als dich die traurigen Folgen deiner Verkehrtheit, fühlen zu lassen. – In der Freude seines Herzens wegen der Gewährung seines Wunsches hatte Bileam seine Eselin gesattelt und sich ans den Weg begeben. Doch kaum ist er ausgezogen, so entbrennt der Zorn des Herrn wegen seines Ausziehens; der Engel des Herrn vertritt ihm den Pfad. Dasselbe wirft auch du erfahren. Kaum bist du in den Bund der Ehe getreten, oder kaum hast du dein Geschäft begonnen, so tritt der Herr dir mit seiner züchtigenden Hand entgegen. Allerlei Widerwärtigkeiten dringen auf dich ein. Deine Ehe ist keine glückliche; in deinem Geschäft will es nicht vorwärts. Und wie bei Bileam werden die Umstände je länger je schwieriger. Erst trat ihm der Engel auf offenem Weg entgegen, dann zwischen zwei Mauern, so dass sein Fuß gegen die Mauer geklemmt wurde, und endlich an einem engen Orte, wo er weder zur Rechten noch zur Linken auszuweichen vermochte. Aber, fragst du vielleicht, wozu dieses alles? Antwort: Der Herr will dir die Augen öffnen. Er will dich erkennen lassen, wie töricht und verkehrt du gehandelt hast; wie du unter dem Schein von Frömmigkeit deinem eigenen Willen gefolgt bist und nach deinen eigenen Gedanken gehandelt hast. Aber ach! welche Mühe kostet dieses Ihm oft! Wie blind sind wir oft in Bezug auf uns selbst! Haben wir endlich unsere Absicht erreicht, dann überwältigt uns die Freude darüber oft so sehr, dass wir die Schwierigkeiten, die uns auf dem Weg begegnen, keineswegs als von der Hand des Herrn kommend betrachten, sondern sie den verschiedensten Umständen zuschreiben. Bileam dachte nicht daran, dass der Zorn des Herrn über ihn entbrannt sein könnte; er war über seinen Gang nach Moab so sehr erfreut, dass jedes Hindernis ans dem Weg seinen höchsten Unwillen wachrief. Ach, wie oft handeln wir in einer ähnlichen Weise! Wir werfen die Schuld auf andere Menschen – der Mann auf seine Frau, die Frau auf ihren Mann; der Kaufmann auf die Zeitverhältnisse oder auf die Betrügerei der Menschen; und die Hand des Herrn wird nicht gesehen. Sowie Bileam seine Eselin schlug, so eifern wir über die Umstände; sowie er das arme Tier erwürgen wollte, so sind nur beschäftigt, die Umstände und die Menschen, wenn möglich, aus dem Weg zu räumen. Ach, wie blind ist unser Auge, wie verkehrt unser Herz!
Doch, ein Glück für uns, der Herr hört nicht ans. Nein; er hat sein Ziel; und dieses Ziel muss erreicht werden. Wollen wir der ersten Ermahnung nicht das Ohr leihen, dann folgen mehrere. Bringen uns kleinere Schwierigkeiten nicht zum Nachdenken, dann folgen größere. Gott lässt nicht von uns ab. Welch eine Gnade! Er hat uns lieb; und mögen wir noch so verkehrt und halsstarrig sein, so bringt Er uns dennoch dahin, wo wir sein müssen. Zwar ist es traurig, dass dieses auf solch schwierigen Wegen geschehen muss. Wandelten wir in Einfalt mit Ihm, und würden wir uns seiner Leitung übergeben, dann würden solche Wege nicht nötig sein. Hüten wir uns vor dem Gedanken, als ob nur auf solch schwierigen Wegen unsere Heiligung zu bewirken sei. O nein; es ist eine große Betrübnis für Gott, wenn Er solche Wege mit uns gehen muss. Zeigte sich bei uns Unterwürfigkeit und wahre Abhängigkeit von Ihm, dann würde Er uns mit ganz anderen Dingen bekannt machen. Er würde mit uns, wie einst mit Abraham, sprechen können, sowie ein Freund spricht mit seinem Freund; Er würde uns seine Gedanken mitteilen können. Dieses alles verhindern wir durch unsere Verkehrtheit; und sicher, die in einem solchen Zustand verlebte Zeit, ist eine verlorene Zeit – eine Zeit, von welcher wir in der Ewigkeit keine Früchte ernten werden. Wie beklagenswert indes solche Zustände, die Gott zu solchen Wegen Zwingen, auch sein mögen, so liefert Er doch dadurch, dass Er uns dennoch uns selbst nicht überlässt, immer neue Beweise seiner unendlichen Liebe. Er wird uns dahin bringen, wohin Er auch den Bileam gebracht hat, der schließlich ausrufen musste: „Ich habe gesündigt!“ (V 34) Ja, der Herr lässt es soweit kommen, dass wir endlich keinen Ausweg mehr sehen, dass die Mühsale so groß und ihrer so viele werden, dass wir weder zur Rechten noch zur Linken auszuweichen vermögen. Dann beginnen die Umstände zu uns zu reden, bis wir dahin gebracht sind, nicht mehr die Hand des Menschen, sondern die Hand des Herrn in allem zu sehen. Es wird uns dann klar, dass Gott seine Zuchtrute über uns erhoben hat, und dass darum alles verkehrt gegangen ist. Dann beugen wir unser Haupt; und unsere Lippen öffnen sich zu dem Ausruf: „Ich habe gesündigt!“ Dahin muss es kommen. Gott will, dass wir unsere Sünden erkennen und vor Ihm bekennen und uns selber richten. O möchte es doch mit allen dahin kommen! Geliebter Leser! Diese ernste Geschichte Bileams ist uns zur Warnung und Belehrung durch den Heiligen Geist mitgeteilt worden. Möchte sie doch in Wahrheit für unsere Seelen gesegnet sein! Bist du auf einem verkehrten Wege, bist du deinem eigenen Willen gefolgt, hast du deinen eigenen Weg eingeschlagen, und bist du dadurch in allerlei schwierige Umstände geraten, ach! dann, ich bitte dich, suche die Schuld bei dir und nicht bei anderen Menschen oder in den Umständen. Bedenke, dass der Herr dir entgegen ist, und dass du darum solche Erfahrungen machen musst. Wirf dich vor Ihm nieder und rufe: „Ich habe gesündigt!“
„Und dann?“ wirft du vielleicht fragen. Dann wird der Herr dir zeigen, welchen Weg du einschlagen musst. Vielleicht ist es sein Wille, dass du den bisher verfolgten Weg verlassen sollst, vielleicht auch, dass es nicht geschehen soll. Beides ist möglich. Elias floh aus Unglauben vor Isebel und ging vierzig Tage und vierzig Nächte durch die Wüste, bis er an den Berg Horeb kam. Und als er dort durch Gott zur Erkenntnis seines Irrtums gekommen war, musste er vierzig Tage und vierzig Nächte durch die Wüste zurück, um nach Samaria zu kommen. – Bileam hingegen wurde nicht zurückgesandt, sondern der Herr sagt zu ihm: „Ziehe hin mit den Männern; aber nichts anders, als was ich dir sagen werde, sollst du reden“ (V 35). Der Herr wollte Bileam gebrauchen, um dem heidnischen Könige seine Gedanken über Israel mitzuteilen und die herrliche Prophezeiung in Bezug auf den Messias zu offenbaren. So wurde also Bileam zur Verherrlichung Gottes nach Moab gesandt. Ebenso geht es mit uns. Oft sendet der Herr uns zurück, wenn wir einen verkehrten Weg eingeschlagen haben. In diesem Fall gebietet er uns, unseren Handel wieder aufzugeben und unsere Geschäfte abzubrechen. Jedoch oft geschieht es auch, dass wir den eingeschlagenen Weg fortsetzen sollen, um inmitten der Schwierigkeiten den Herrn zu verherrlichen. Wie nötig ist es daher, in völliger Abhängigkeit den Herrn zu fragen: „Herr, was willst du, dass ich tun soll?“ – Wir sind oft der Meinung, dass wir den eingeschlagenen verkehrten Weg, sobald die Schwierigkeiten uns zum Nachdenken gebracht haben, sogleich verlassen müssten. Und dieses ist auch oft weit bequemer, als darin auszuharren. Doch unsere Gedanken sind nicht die Gedanken des Herrn. Er allein weiß, was gut und nötig für uns ist. Und sind wir wirklich abhängig von Ihm, dann wird Er uns schon den rechten Weg zeigen. Es ist daher nicht nur nötig, dass wir uns demütigen, und, wenn wir verkehrte Wege gegangen sind, unsere Sünden zu bekennen, sondern wir müssen uns auch ganz dem Herrn übergeben, damit Er uns aus seinen Weg geleite. Der Herr schenke uns dazu seine Gnade! Aber vor allem möge Er uns bewahren vor Eigenwillen und vor dem Fragen nach dem bekannten Wege, damit Er nicht gezwungen sei, uns durch schwierige Wege dahin bringen zu müssen, wo Er uns haben will.
O möchte diese Geschichte uns zur Warnung dienen und uns anspornen, mit einem ungeteilten Herzen für den Herrn zu leben und in seiner Gemeinschaft zu wandeln! Dann wird der Herr auch uns, wie ehedem den Abraham, zu seinen Vertrauten machen; und wir werden reichlich genießen alle die geistlichen Segnungen, die Gott in Christus für uns bereitet hat.