Botschafter des Heils in Christo 1867
"Seid niemand irgend etwas schuldig" Röm 13,8
Es gibt in der heiligen Schrift keine Vorschrift, die klarer und bestimmter wäre, als diejenige in der oben angeführten Stelle. Das griechische Wort, welches hier durch „schuldig sein“ übersetzt ist, lässt keine zweifache Deutung zu. Die Stelle ist daher ebenso einfach und die Vorschrift ebenso bestimmt, als diejenige des nächstfolgenden Verses: „Du sollst nicht stehlen!“ Jeder Leser, der das geschriebene Wort ehrt und es nicht nach seinen Wünschen oder Ansichten zu deuten trachtet, wird verstehen, dass es in dieser Stelle förmlich verboten ist, Schulden zu machen.
Wenn nun jemand einwendet, dass der Schluss des angeführten Verses den Sinn der oben angeführten Worte ein wenig verändere, so gebe ich das zu, jedoch nur, indem ich hinzufüge, dass die wahre Bedeutung der Stelle nur dadurch noch verschärft wird. „Seid niemanden irgendetwas schuldig, als einander zu lieben; denn wer den anderen liebt, erfüllt das Gesetz.“ Wie könnte man dieses anders, als durch die Worte umschreiben.– „Jede Schuld ist euch verboten, mit Ausnahme einer einzigen, von der ihr euch nimmer befreien könnt, nämlich der Bruderliebe und der damit verbundenen Pflichten.“ Es ist klar, dass, solange wir hienieden sind, wir nie werden sagen können, dass mir unseren Brüdern nichts mehr schulden, und dass unsererseits keine der Bruderliebe entspringende Pflichten mehr zu erfüllen vorhanden seien. Außer dieser Ausnahme ist uns aber jede andere Schuld ausdrücklich verboten, so dass wir keine machen können, ohne eins der bestimmtesten Verbote des Wortes Gottes zu übertreten.
Es bedarf indessen einiger Erläuterungen in Betreff dessen, was unter die Rubrik des verbotenen Schuldenmachens zu bringen ist. Ein Christ, selbst ein treuer Christ, kann durch das Eintreten widerwärtiger Umstände in Schulden geraten, durch Umstände, die, obwohl sie nicht ohne die Zulassung Gottes gekommen, dennoch unabhängig von dem Willen dessen sind, der darunter leidet. Dieses war z. B. der Fall bei der Witwe eines der Söhne der Propheten, welcher, obwohl gottesfürchtig, bei seinem Tod sein armes Weib in den Händen eines grausamen und geldgierigen Schuldherrn zurückließ, der ihr alles, ja selbst ihre beiden Kinder zu nehmen drohte. Doch sie nahm ihre Zuflucht zu Gott, der der Witwen Mann zu sein verheißen hat, und ward auf wunderbare Weise befreit. Möchten wir ihr in ähnlichen Umständen gleichen! In einer solchen Lage, wo wir des Herrn Hand sehen, können wir uns völlig Ihm anvertrauen und in völligem Glauben um Errettung bitten, die nur Er bewirken kann und bewirken will; denn in diesem Fall ist diese Lage für uns eine Prüfung und nicht ein Zustand der Sünde.
Wenn ferner ein Christ irgendwelche Wertsachen besitzt, die seine Schuld mehr als decken, und wenn das gemachte Anleihen durch entsprechende Pfandverschreibungen mehr als gesichert ist, so kann man nicht sagen, dass er sich in Schulden befinde, weil er im schlimmsten Fall sein Eigentum selbst unter dem Preis losschlagen und die Schuld decken kann. Das Beste und Sicherste wäre allerdings für ihn, sich sobald als möglich frei zu machen. Doch außer diesen und etlichen ähnlichen Fällen darf ein Christ keine Schulden machen, ohne sich zu versündigen: denn – ich wiederhole es – das Gebot Gottes ist in dieser Beziehung sehr bestimmt und unzweideutig. Die Größe des Nebels eines solchen Betragens aber wird sich umso besser herausstellen, wenn wir die Ursache erforschen und die Folgen ein wenig beleuchten.
Die Triebfedern oder Motive, zufolge deren ein Kind Gottes auf solchem Pfad wandelt, sind denen, durch welche es sich hätte sollen leiten lassen, stets entgegengesetzt. Meistens sind Hochmuts Ehrgeiz, Habsucht und Weltförmigkeit die Ursachen solch betrübender Erscheinungen. In der Tat, mancher Christ, der unter Schulden seufzt, hat vielleicht nimmer recht seine Augen gerichtet auf die Stelle: „Der Wandel sei ohne Geldgier, begnügt euch mit dem, was vorhanden ist; denn Er hat gesagt: Ich werde dich nicht versäumen, noch dich Verlassen, so dass wir kühn sagen dürfen: Der Herr ist mein Helfer ..“ (Heb 13,5–6). Wenn ihr nun durch ein zu machendes Anleihen in Schulden geratet, beweist ihr dadurch, dass ihr euch mit dem begnügt, was vorhanden ist, und dass ihr an die Verheißung glaubt: „Ich werde dich nicht versäumen ...“? Zeigt ihr, dass ihr kühn sagen dürft, dass der Herr euer Helfer ist, und dass euer Herz in dieser köstlichen Wahrheit lebt? Ist euer Betragen nicht im Gegenteil ein Beweis, dass ihr Gott nicht vertraut und dass sich euer Herz in dem Maß von Ihm abwendet, als es sich auf den Arm des Fleisches stützt und dem Menschen vertraut?
Warum werden überhaupt so oft Anleihen oder Schulden gemacht? Welt man mit der Lage, in welcher man sich befindet, nicht zufrieden ist, und weil man heraus zu kommen bemüht ist, um – da man, anstatt sich zu dem Niedrigen zu halten, auf hohe Dinge sinnt – in bessere Verhältnisse zu gelangen. Ist das die Gesinnung die den Jünger dessen ziert, der sich selbst zu Nichts machte und sich bis zum Tod am Kreuz erniedrigt hat, und der sanftmütig und von Herzen demütig war? Heißt das in den Fußstapfen des Jesus wandeln, der arm und verachtet auf dieser Erde war, der nur eine Krippe und ein Kreuz auf derselben besaß, und der uns auffordert, zu leben und zu wandeln, wie Er selbst gelebt und gewandelt hat? Ach, für viele Christen würde jetzt noch das Wort passen, welches Jehova einst zu Baruch redete: „Und du darfst dennoch nach solchen Dingen trachten? Trachte nicht danach! Denn siehe, ich will Unglück über alles Fleisch bringen, spricht der Herr; aber dein Leben will ich dir zur Beute geben an allen Orten, wo du immer hinziehst“ (Jer 45,5). Und ebenso passend würden die an den ehrgeizigen, geldgierigen Gehasie gerichteten Worte des Propheten Elisa sein, der da sagte: „War es auch Zeit, dass du Silber nahmst und Kleider und Ölbäume, Weinberge, Schafe, Rinder, Knechte und Mägde?“ (2. Kön 5,26) O wie selten findet man es bewahrheitet, was einmal jemand durch die Worte ausdrückte: „Lieber wollte ich eine Bildsäule von Marmor im Weg des Gehorsams sein, als die größten Taten auf Kosten des kleinsten Teiles des Wortes Gottes tun.“
Wenn man einwendet, dass man doch etwas zum eigenen und zum Unterhalt der seinigen unternehmen müsse, so räume ich dieses gerne ein. Denn Gott selbst gebietet uns allen, zu arbeiten und mit unseren eigenen Händen zu tun, was gut ist – und dieses nicht allein, um für unseren Unterhalt zu sorgen, sondern auch damit wir dem Dürftigen mitzuteilen vermögen (Eph 4,28). Handelt es sich um gemeinschaftliche oder private Unternehmungen – seien sie zur Verbreitung des Evangeliums oder zu Wohltätigkeitszwecken, – oder handelt es sich um persönliche Pläne, die nur unser zeitliches Wohl zum Zweck haben, so lasst uns wohl daran denken, dass, wenn wir solches tun sollen, auch Gott die Mittel dazu darreichen wird. 1 In dieser Hinsicht sagt Er zu uns, wie einst zu Gideon: „Gehe in dieser deiner Kraft“ (Ri 6,14). Mit der Kraft, mit den von Ihm dargereichten Mitteln, und mit nichts anderem dürfen wir vorwärtsgehen. Weiter gehen heißt sich in Schulden, mithin in die Sünde einlassen, indem man das Wohlergehen auf einem Weg sucht, auf dem Gott nicht mit uns sein kann und wo wir seinen Segen weder erlangen noch erwarten können – einen Segen, der, ohne irgendwelches Tun von unserer Seite, reich zu machen vermag (Spr 10,22). Ehe ihr daher, Brüder, ein Haus oder einen Garten kauft, ehe ihr irgendein Unternehmen – ob groß oder klein – beginnt, richten wir an euch die Bitte, dass ihr euch Hinsetzen und vor Gott die Ausgaben überschlagen möchtet, um zu sehen, ob ihr im Stande seid, das Unternehmen ausführen zu können, und ob euch Gott Erlaubnis dazu gegeben hat. Wohl mag es den Kindern dieser Welt auf einem entgegengesetzten Wege gelingen, sich Reichtümer und Schätze zu erwerben; sie kennen Gott nicht; sie haben ihre Güter in dieser Welt und leben in Ungewissheit und Unglauben in Betreff des Willens Gottes; und sie stehen daher in dieser Beziehung nicht auf gleichem Boden der Verantwortlichkeit mit den Kindern des Lichts. Aber ach, wie viele Christen machen auf diesem Weg der Untreue dieselben traurigen Erfahrungen, die das. Wort Gottes in den Worten bezeichnet: „Die da reich werden wollen, fallen in Versuchung und Fallstrick und in viele unvernünftige und schädliche Lüste, welche die Menschen versenken in Verderben und Untergang!“ (1. Tim 6,9) „Wie viele, die da Reichtümer suchten, sind vom Glauben abgeirrt und haben sich selbst mit vielen Schmerzen durchbohrt!“ (V 10)
Geliebte Brüder! möchte es euch in Gnaden geschenkt werden, diesen Fallstricken auszuweichen; sie enden nur zu oft mit schmählichem Ruin, durch welchen der Name des Herrn der Verachtung Preis gegeben und das Evangelium von vielen verlästert wird, welche, weil sie größere oder kleinere Verluste litten, sich um solcher Skandale willen von der Wahrheit abwenden, während ein reiner und treuer Wandel die Lehre unseres Heilands Gottes geziert haben würde. Darum – mögt ihr Arbeiter, Diener, Angestellte sein – bleibt in eurer wenn auch noch so bescheidenen Lage, in welche Gott euch gestellt hat, und verlässt sie nicht eher, als bis Gott euch die Tür öffnet, um heraustreten zu können. Wenn euch andererseits eure Stellung nötigt, Schulden machen zu müssen, so ist das wohl ein sicheres Zeichen, dass diese Stellung nicht Gott gemäß ist, und dass ihr sobald als möglich herausgehen sollt. Denn es kann nicht der Wille Gottes sein, in einer Lage zu verharren, die euch einen Anlass zur Sünde bietet. Nur wenn jemand mit Gott in seiner Stellung ist, soll er darin ausharren (1. Kor 7,24). Sobald das Gewissen die Gefahr erkennt, ist ein Ausgehen nötig, sowie Petrus weinend aus dem Hof des Hohepriesters trat. Und sollte trotz dieser Umstände eure Stellung, euer Geschäften Gegenstand sein, an dem in hohem Maß euer Herz hängt, so ist das ein Grund mehr, diesem für eure Seele so gefährlichen Fallstricke zu entfliehen und ohne Rückhalt dem Gebot des Herrn zu gehorchen: „Wenn dein Auge dich ärgert, so wirf es weg; es ist dir besser, einäugig in das Reich Gottes einzugehen, als zwei Augen zu haben und in die Hölle des Feuers geworfen zu werden.“ – Sagt ihr aber: „Ich muss warten, bis Gott mir zeigt, was ich zu tun habe“, – so antworte ich euch: „Ihr seid auf einem Weg der Sünde; Ihr bedürft nicht eines Zeichens des Willens Gottes; denn sein Wille, den ihr kennen solltet, ist, dass ihr nicht mehr sündigt.“ – „Aber“ – bemerkt jemand – „wenn ich meine Stellung aufgebe, so weiß ich nicht, was anfangen.“ – Ich antworte: „Fange damit an, das Böse zu lassen. Das ist es, was der Herr zu allererst von dir fordert; und hast du diesen unvermeidlichen Schritt getan, so wird Er dir sicher beistehen, um den folgenden tun zu können. Vertraue Ihm, wandle im Glauben, d. h. ohne zu wissen, wohin du gehst. Auf diese Weise wirft du, von dir selbst befreit, von oben geführt und geleitet werden.“
Überdies begnügt euch mit eurer irdischen Lage, wenn dieselbe, wie sie sonst auch sein mag. Euch das tägliche Brot verschafft. Vielleicht könnte euer Geschäft durch Verbesserungen und Vergrößerungen, durch den Ankauf eines Gebäudes, eines geeigneten Instrumentes oder durch den Anbau einer Maschine mit größerem Vorteil und Gewinnbetrieben werden. Und sicher steht euch, so ihr anders die Mittel zur Beschaffung und Einrichtung dieser Dinge besitzt, nichts im Weg, um frei zu handeln. Wenn ihr aber zu diesem Zweck Geld aufnehmen, d. h. eine Schuld machen müsst, so seid versichert, dass euer Handeln in dieser Weise nicht nach Gottes Willen ist. Lernt es vielmehr, diese Dinge zu entbehren, stille zu sein und zu warten. Lasst euch durch die trostreichen Wahrheiten der folgenden Stellen leiten: „Hoffe auf den Herrn und tue Gutes; bleibe im Land und nähre dich redlich und habe deine Lust an dem Herrn, so wird Er dir geben, was dein Herz begehrt. Befiehl dem Herrn deinen Weg und hoffe auf Ihn; Er wird es wohl machen ... Das wenige, welches der Gerechte hat, ist besser, als der große Überfluss vieler Gottlosen ... Ich bin jung gewesen und bin alt geworden, und habe nie gesehen, dass der Fromme verlassen sei und sein Same nach Brot gehe ... Achte auf den Frommen und siehe auf den Rechtschaffenen; denn das Ende eines solchen wird Friede sein“ (Ps 37). „Die Gottseligkeit aber mit Genügsamkeit ist ein großer Gewinn; denn wir haben nichts in die Welt hereingebracht, so ist es offenbar, dass wir auch nichts hinaufbringen können. Wenn wir aber Nahrung und Kleidung, haben, so lasst uns damit begnügen“ (1. Tim 6,6–8). „Die leibliche Übung ist zu wenigem nütze; die Gottseligkeit aber ist zu allem nütze, weil sie die Verheißung hat des jetzigen und des zukünftigen Lebens“ (1. Tim 4,8). „Vertraue auf den Herrn mit deinem ganzen Herzen; auf deinen Verstand aber verlas dich nicht. Siehe in all deinen Wegen auf Ihn; denn Er wird deinen Gang richten. Halte dich selbst nicht für weise, sondern fürchte den Herrn und weiche vor dem Bösen“ (Spr 3,5–7).
Ja, glückselig der, welcher sich also seinem Gott und Vater anvertraut, und dem es am Herzen liegt. Ihm wohlgefällig zu sein und seinen Willen zu tun. Wie viele Mühen, Sorgen, Prüfungen und Schmerzen erspart er sich, wenn er mit Gott, Gott gemäß und in seiner Nähe wandelt, wenn er sich in den Schwierigkeiten nur auf Ihn stützt und in der Not seine Zuflucht nur zu Ihm nimmt. Er mag arm, von allem entblößt, krank und traurig sein, gewiss das ist das Los, welches der Herr auf dieser Erde den Treuen verheißen hat; aber in dieser Lage und trotz derselben kann er im Herrn glücklich sein. Seinen unaussprechlichen Frieden genießen und ohne Sorge sein, weil, er das Bewusstsein hat, dass sein himmlischer Vater alle seine Bedürfnisse besser kennt, als er selbst, und dass er mächtig und barmherzig ist, um ihnen nach dem Reichtum seiner Gnade zu begegnen. Der, welcher seinen eigenen Sohn für ihn gegeben hat, wird ihm sicher auch das darreichen, dessen er in dieser Wüste bedarf. Er unterwirft sich daher ohne Zögern dem Gebot des Herrn: „So seid denn nicht besorgt und sagt: Was sollen wir essen, oder was sollen wir trinken, oder was sollen wir anziehen. Euer Vater weiß, dass ihr dessen bedürft. Trachtet aber nach dem Reich Gottes, und dieses alles wird euch dazu gegeben werden“ (Lk 12,29–31). Es gibt in der Tat in den schwierigsten Verhältnissen, denen der wahrhaft treue Christ begegnet, gar nichts, welches seine Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn trüben oder unterbrechen, nichts, was ihn hindern könnte, sich mit völliger Zuversicht an Gott zu wenden und alle Sorge auf Ihn zu werfen. O welch ein Glück, wenn das Wort zur praktischen Wahrheit wird: „Daher sollen auch die, welche nach dem Willen Gottes leiden. Ihm als treuen Schöpfer ihre Seelen befehlen im Gutestun“ (1. Pet 4,19). Darum glückselig alle, welche den Weg des Glaubens und des Gehorsams wandeln, einen Weg, der, was auch geschehen mag, stets mit Segen erfüllt ist! Welche Freude für ihr Herz, wenn sie, nachdem sie ihr Anliegen vor den Vater gebracht haben, seine Durchhilfe zurzeit der Not erfahren und in praktischer Weise mit Jesu sagen lernen: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!“ (Ps 23,1)
Doch sicher kann dieses nicht von denen gesagt werden, welche sich durch Unglauben, Ehrgeiz, Verweltlichung zur Sünde des Schuldenmachens, des Handeltreibens und des Wohllebens mit dem Geld anderer verleiten lassen. Solche sind vielmehr vom Weg des Glaubens und des Gehorsams abgewichen und können mithin nicht auf Gott rechnen und sich Ihm nicht anvertrauen, um aus einer Not herauszukommen, in welche sie sich durch das Tun ihres eigenen Willens, ohne den Rat des Herrn gesucht zu haben und im Widerspruch mit seinem Willen, hineingestürzt haben. Jeder aufrichtige Christ, dessen aufgewecktes Gewissen ihm zeigt, dass er in einem Weg der Sünde ist, wo er nicht im Licht mit Gott wandeln kann, wird – wie demütigend und mit welchen Verlusten es auch begleitet sein mag – ohne Zögern eine Stellung verlassen, die für seine Seele ein Fallstrick ist. Wenn er diesen Entschluss nicht fasst und bald zur Ausführung bringt, so werden die traurigsten Folgen unausbleiblich sein. Folgt er nicht den Mahnungen seines Gewissens, so stumpft er sich allmählich ab und wird schließlich so verhärtet sein, dass sein Gewissen alle Empfindlichkeit verliert. Ach! leider kommt es oft soweit, dass man Christen sieht, die, in der eitlen Hoffnung, sich aus ihren Verlegenheiten herauszuziehen, und ohne in Wirklichkeit ihrem bösen Weg entsagen zu wollen, nicht selten zu eben nicht ehrbaren Mitteln greifen, zu welchen selbst Weltmenschen sich scheuen würden, ihre Zuflucht zu nehmen. So z. B. bildet sich vielleicht mancher ein, dass, wenn man Brüder zu Gläubigern habe, es nicht nötig sei, ihre Forderung zurück zu zahlen; man verspricht und hält nicht Wort; man sucht sich und andere über seinen Zustand dadurch zu täuschen, dass man die Ausgaben, anstatt zu beschränken, nur noch vermehrt; man macht am Vorabend eines Bankerotts noch Einkäufe, oder man nimmt Geld auf mit der Verpflichtung, es in Kurzem zurück zu zahlen. So ruft eine Schlechtigkeit die andere hervor. Aber welch ein Leben voll Schande und Abscheu! – ein Leben, dem oft erst die menschliche Gerechtigkeit ein Ziel setzen muss.
Soweit, ach! kann der Gläubige auf diesem schlüpfrigen Abhang vorwärts gleiten, sobald er sich ohne Gewissensskrupel erlaubt, Schulden zu machen und sein Geschäft größer zu betreiben, als Gott ihm dazu Mittel darreicht. Manche mögen sagen: „Diese Worte sind hart!“ Aber Gott ist unser Zeuge, dass wir sie in einem Geist aufrichtiger Liebe zu den Brüdern niedergeschrieben haben, und zwar mit dem aufrichtigen Wunsch, dass etlicher Gewissen überführt, und dass die ehrgeizigen Neigungen des Sichhervortuns in dieser Welt, das Verlangen nach Reichtum, der Geist der Unzufriedenheit und der Ungenügsamkeit, sowie das leichtsinnige Überschreiten der Grenzen der Wahrheit und der Rechtschaffenheit, aus unserer Mitte entfernt werden möchten. Würden diese Zeilen einen einzigen Bruder, der etwa aus Unwissenheit und in guter Absicht auf diesen gefährlichen Weg geraten ist, in seinem Lauf aufhalten und ihn, ehe das Nebel den höchsten Grad einnimmt, zur Umkehr bestimmen, so werden wir den Herrn dafür preisen, sowie wir jetzt den Segen von Ihm zu diesen Ermahnungen erbitten.
Es gibt oft wohlhabende, ja reiche Christen, die es aus Gleichgültigkeit und aus Vergesslichkeit versäumen, die kleinen Forderungen ihrer Lieferanten oder Arbeiter sogleich zu entrichten. Wir finden dieses, außer wenn die Letzteren ein solches Verfahren wünschen, höchst tadelnswert. Es ist dieses der wahren Liebe völlig zuwider und zeugt von einem Mangel an Teilnahme für die, welche berufen sind, von ihrer Hände Arbeit zu leben. Diese Handlungsweise – ich scheue es nicht, sie barbarisch zu nennen – findet man leider oft bei sonst sehr freigebigen Leuten, die für wohltätige Zwecke ihren Beutel weit zu öffnen wissen. Wir würden ihnen sagen: „Das eine sollte getan und das andere nicht unterlassen werden;“ – oder: Bevor ihr schenktet, solltet ihr bezahlen, was ihr schuldig seid; denn da ihr euch nie in die Verhältnisse des armen Arbeiters hineingelebt habt, so wisst ihr nicht, wie viele Arbeit, wie viele Sorge, wie manches Murren vielleicht durch eure Nachlässigkeit im Bezahlen in sein Haus gebracht wird. Wenn er für das Brot der Seinen darauf gerechnet hatte, wenn er dadurch genötigt worden wäre, selbst eine Schuld zu machen – hättet ihr dann nicht grausam gehandelt? Könnte es nicht eine Ursache sein, sich gegen den zu erbittern, der nur in seine Tasche zu greifen oder einen Wechsel zu schreiben braucht, um ihm das zu verschaffen, was ihm von Rechtswegen zukommt? Wäre unter unseren Lesern nur ein einziger Bruder, welcher diese gottlose Gewohnheit etlicher der Reichen dieser Welt beibehalten hätte, so erinnern mir ihn daran, dass Gott, welcher von den Umständen der Armen Kenntnis nimmt, einst seinem Volk die Vorschrift gab: „Du sollst den Tagelöhner, der Not leidet und arm ist, nicht drücken, er sei von deinen Brüdern oder deinem Fremdling, der in deinem Land und in deinen Toren ist, sondern an demselben Tage sollst du ihm seinen Lohn geben, dass die Sonne nicht darüber untergehe, weil er arm ist und sich danach sehnt, dass er den Herrn nicht wider dich anrufe und es dir Sünde sei“ (5. Mo 24,14–15). Und wiederum: „Sprich nicht zu deinem Nächsten: Gehe hin und komme wieder; morgen will ich dir geben – da du es doch jetzt hast“ (Spr 3,28). Die Jünger, die Befreiten des Herrn Jesus – sollten sie weniger barmherzig sein, als die Knechte unter dem Gesetz?
Man erlaube uns, hier noch die Worte eines teuren englischen Bruders anzuführen – Worte, die er in Betreff der Schuldenfrage an zwei seiner Freunde schreibt:
„Meine Meinung ist“ – sagt er – „dass in der Regel die Christen gar keine Schulden machen sollten. Die Worte: ‚Seid niemanden irgendetwas schuldig‘ enthalten eine so klare Vorschrift, dass selbst ein Tor sich nicht darüber täuschen könnte. Wir wollen hier nicht untersuchen, in wie weit die Geschäftsleute dieser heiligen Regel nachkommen können. Es gibt Termine, an welchen der Fabrikant dem Großhändler und dieser dem Kleinhändler verkauft und ihm einen Kredit von bestimmten Monaten bewilligt. Solange diese Termine gewissenhaft beobachtet werden, ist es schwer zu beurteilen, ob und in welchem Grad jemand jetzt in Schulden ist. Jedoch wäre es nach unserer Meinung für den Geschäftsmann weit besser und sicherer, wenn er bar bezahlen würde. Jedenfalls aber liegt es außer jedem Zweifel, dass derjenige in Schulden ist, dessen Handelsfond und das, was man ihm schuldet, nicht genügen, um die eingegangenen Verbindlichkeiten hinreichend decken zu können. Es ist ein elendes, falsches, sittenloses und verabscheuungswürdiges Ding, mit einem scheinbaren Kapital Handel zu treiben, nach allen möglichen Auskunftsmitteln zu haschen und auf Unkosten seiner Gläubiger groß zu fahren.“
„Dagegen haben Personen, die sich nicht mit dem Handel beschäftigen, keinerlei Ausrede, um ihre Schulden zu rechtfertigen. Habe ich vor Gott und Menschen das Recht, einen Rock oder einen Hut zu tragen, den ich nicht bezahlen kann? Habe ich das Recht, einen Klafter Holz, einen Scheffel Kohlen, ein Pfund Kaffee oder Tee, oder ein Stück Fleisch zu bestellen, welches zu bezahlen ich nicht im Stande bin? Man fragt vielleicht: ‚Was dann machen?‘ Für einen geraden Sinn und ein zartes Gewissen ist die Antwort einfach. Es ist viel besser, dessen zu entbehren, als Schulden zu machen. Es ist viel besser, ein Stück trockenes Brot, welches mein Eigentum ist, als einen Braten, den ich schuldig bin, zum Mahl zu haben. Aber ach! wie wenig Gewissenhaftigkeit und welch einen Mangel an gesunden Grundsätzen findet man in dieser Beziehung! Wie viele gehen von Woche zu Woche ihren Weg, nehmen Platz am Tisch des Herrn, legen mit ihren Lippen ein lautes Bekenntnis von ihrem Christentum ab, prahlen mit schönen und heiligen Grundsätzen und sind dabei bis über ihre Ohren in Schulden, machen Einkäufe, die ihr Einkommen weit übersteigen, kaufen Nahrung und Kleidung auf Kredit bei Leuten, die zutrauen zu ihnen haben, und dieses alles, obwohl sie sehr gut wissen, dass sie keine gegründete Hoffnung haben, ihre Schulden früher oder später abtragen zu können. Ist solch ein Leben nicht schändlich und strafbar? In der Tat, wir nehmen keinen Anstand, ein solches Betragen für eine praktische Gottlosigkeit zu erklären. Wir warnen daher unsere christlichen Leser vor einem nachlässigen Wandel in dieser Beziehung, dessen Folgen viele Schmach auf das Evangelium bringen.“
„Der Mangel an Gewissenhaftigkeit in Bezug auf diesen ernsten Gegenstand ist in der Tat verabscheuungswürdig; ohne Zweifel muss dadurch der Geist Gottes betrübt und in der Seele Schwachheit, Furchtlosigkeit und Siechtum hervorgerufen werden. Wir glauben nicht, dass das Wort des Christus in jemand wohne, der sich über seine Schulden kein Gewissen macht, und wir würden uns berufen fühlen, einen solchen anzuzeichnen und keinen Umgang mit ihm zu haben (2. Thes 3,14). Nach unserer Meinung würde in solchen Fällen eine treue, persönliche Zucht gute Wirkung haben. Alle diejenigen, welche falliert oder mit ihren Gläubigern akkordiert haben, halten wir für moralisch verpflichtet, die ganze Summe ihrer Schuld zurück zu zahlen; nach unserer Meinung haben sie Schulden, bis alles gedeckt ist. Keinerlei gerichtliche Ausnahme kann je einen wirklich rechtlichen Mann von der gerechten Verantwortlichkeit, alles zu bezahlen, entbinden. Wir fühlen uns gedrungen, uns so bestimmt über diesen Punkt auszusprechen, wegen der bedauernswerten Nachlässigkeit, welche in dieser Beziehung nur zu sehr unter vielen bekennenden Christen vorherrscht. Wir wünschen daher, dass der Herr all den Seinen ein waches Gewissen verleihen möge. Allerdings kann jemand ohne seine Schuld in Schulden geraten; hat er aber einen geraden Sinn und ein gesundes, geübtes Gewissen, so wird er sich sicher anstrengen, um heraus zu kommen; er wird so viel als möglich seine Ausgaben beschränken und sich allerlei Entbehrungen auferlegen, um seine Schuld bis auf den letzten Heller zurückzahlen zu können, indem er alles, was er dazu ersparen kann – und wäre es auch nur ein Zehngroschenstück per Woche – bei Seite legt.“
„Der Herr gebe uns Gnade, diese wichtige Frage mit allem Ernst, den sie verdient, zu betrachten. Sicher wird die Sache Christi auf eine bedauernswürdige Weise verunehrt, und das Zeugnis der Christen geschwächt durch einen so scharf hervortretenden Mangel an Gewissenhaftigkeit und Rechtlichkeitsgefühl bezüglich des leichtfertigen Schuldenmachens und des Verharrens auf diesem Weg. Wie sehr ist es zu wünschen, dass wir alle ein gutes Gewissen haben.“
So lauten die Worte jenes Bruders. Bevor wir jedoch unseren Gegenstand verlassen, möchten wir noch gern einige Worte an eine andere Klasse von Christen richten. Man wird sagen und man hat auch schon gesagt: „Wenn es aber einem Bruder untersagt ist, Geld aufzunehmen oder zu entlehnen, wird es aus diesem Grund nicht auch anderen Brüdern untersagt sein, an jene Gelder auszuleihen?“ Dieser Einwurf, obwohl der menschlichen Logik völlig entsprechend, ist nichtsdestoweniger, wie dieses gewöhnlich der Fall ist, im Widerspruch mit den deutlichsten Belehrungen des Wortes Gottes. Selbst die uns vorliegende Stelle: „Seid niemand irgendetwas schuldig“, – enthält die Beifügung: „als dass ihr einander liebt.“ Diese Schuld der Liebe nun, von der wir uns nie werden freimachen können, besteht offenbar auch darin, dass wir unseren Brüdern in der Not mit dem Unsrigen Handreichung tun sollen, sei es durch Geschenktes oder durch Geliehenes. Dieses bestätigen eine Menge biblische Unterweisungen, von denen wir hier etliche anführen werden. Wir lesen ausdrücklich: „Es borgt der Gesetzlose und gibt nicht wieder; der Gerechte aber ist gnädig und gibt ... Den ganzen Tag ist er gnädig und leiht, und sein Samen ist zum Segen“ (Ps 37,21.26). „Wohl dem Mann, der gnädig ist und leiht! Er wird seine Sachen durchführen im Gericht“ (Ps 112,5). Und was sagt der Herr Jesus selbst in Bezug auf diesen speziellen Punkt der brüderlichen Liebe? Wir lesen: „Gib dem, der dich bittet, und weise den nicht ab, der von dir borgen will“ (Mt 5,42). Und wiederum: „Und wenn ihr leiht denen, von welchen ihr wieder zu empfangen hofft, was für Dank ist es euch? Denn auch die Sünder leihen Sündern, um das Gleiche wieder zu empfangen. Doch liebt eure Feinde, und tut Gutes und leiht, ohne etwas wieder zu hoffen, und euer Lohn wird groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn Er ist gütig über die Undankbaren und Bösen. Seid also barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ (Lk 6,34–36). dieses alles bedarf wohl keiner Erklärung, um es dem Gewissen eines aufrichtigen Jüngers nahe zu, bringen.
Und auf welch mächtigeren Beweggrund zur christlichen Freigebigkeit kann man endlich hinweisen, als auf den, welchen Paulus den Gläubigen zu Korinth vor Augen stellt, und zwar bei Anlass einer Kollekte für die Heiligen in Jerusalem, für welche nach Vermögen und über Vermögen beigesteuert worden war. Er sagt: „Denn ihr wisst die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, dass Er, da Er reich war, um unsertwillen arm wurde, auf dass ihr durch seine Armut reich würdet“ (2. Kor 8,9).
Der Herr gebe uns allen ein zartes Gewissen und einen geraden Sinn! – Messager évangelique
Fußnoten
- 1 Der Christ sollte stets verstehen, dass alles, was in Sachen dieses Lebens nicht möglich ist, auch nicht nötig ist.