Botschafter des Heils in Christo 1867
Unmöglich - möglich
Wenn wir unsere Blicke auf die vielen Erfindungen richten, die seit einem halben Jahrhundert in die Erscheinung getreten sind, und noch von Tag zu Tage durch neue vermehrt werden, so müsste man fast sagen, dass für die Welt nichts Unmögliches mehr besteht. Was noch vor drei Jahren als ein Hirngespinst erschien, das gehört jetzt schon zu den alltäglichsten Dingen; was noch vor einem halben Jahrhundert als ein Wunder betrachtet wurde, das wird jetzt bereits wieder als unvollkommen bei Seite gestellt; was ehemals als unmöglich bezeichnet wurde, das ist jetzt möglich geworden. Das Neue verdrängt im Flug das Alte. Wo irgendeine Idee auftaucht, da sind sogleich Menschenhände nahe, um sie zur Ausführung zu bringen.
Aber wie sehr es auch den Nachkommen Kains geglückt sein mag, die Welt zu verschönern und sie mit allem, was den Sinnen gefällt, zu versehen, und wie viele Denkmäler ihnen auch für die Werke ihrer Hände errichtet sein mögen, so gibt es doch eine Sache, deren Erlangung für sie eine Unmöglichkeit ist, und an welcher alle Anstrengungen der Menschen bis zu diesem Augenblick gescheitert sind. Diese Sache ist: Die Errettung der Seele. Haben sie ein Mittel ausfindig zu machen gewusst, um sich dieser Sache rühmen zu können? Die Wissenschaft, die Weisheit der Menschen brüstete sich von jeher sehr; und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit lauschten Taufende auf ihre hochklingenden Aussprüche in der sehnlichsten Erwartung, etwas unter ihren aufgeschichteten Schätzen betreffs dieser wichtigen Frage zu entdecken. Aber ach! unmöglich vermochte die Weisheit dieser Welt Gott in seiner Weisheit zu erkennen; man verwarf das Licht, das Gott vom Himmel sandte; man kreuzigte den Herrn der Herrlichkeit, man tappte umher in der tiefsten Finsternis. Zwar richtete man unzählige Systeme auf; aber keines derselben war im Stande Licht zu verbreiten über die Frage der Ewigkeit; keines derselben vermochte dem Gewissen Ruhe, wahre Ruhe zu geben in der Stunde des Todes. Nie viel Neues die Weisheit daher auch in die Erscheinung gerufen haben mag, so hat sie es doch nimmer dahin gebracht, den Boden der Unsicherheit, worauf die Füße ihrer Anhänger gestellt sind, zu zertrümmern und durch ein unerschütterliches Fundament zu ersetzen. Hätte die Frage der Jünger: „Wer kann dann selig werden?“ ihr Ohr berührt, sie würde zu allen Zeiten nur die Antwort zu geben vermocht haben: „Bei dem Menschen ist es unmöglich.“
In der Tat, der Mensch mag die überraschendsten Erscheinungen zu Tage fördern; aber eine einzige Seele in den Himmel zu bringen, das überschreitet weit die Grenzen seiner Macht. Sobald er mit seiner Weisheit dieses Gebiet betritt, wird seine Ohnmacht und Unwissenheit bloßgestellt. Ach! sowohl die klaren Zeugnisse der heiligen Schrift, als auch die tagtäglichen Erfahrungen aller derer, die selig zu werden wünschen, beweisen es unzweideutig, dass alle eigenen Anstrengungen des Menschen nutzlos und eitel, sind. Sie sind nichts als tote Werke und verraten es mit ganzer Deutlichkeit, dass der arme Mensch in seinem Stolz dem Zeugnis Gottes nicht glaubt. Und es ist nicht genug, wenn der Herr Jesus selbst betreffs der Errettung die Worte sagt: „Bei den Menschen ist es unmöglich.“ Die Jünger schenkten diesem Wort, ohne Einrede dagegen zu erheben, völligen Glauben; denn Petrus sagte: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt; was wird uns denn werden?“ O möchten doch alle, in deren Herzen ein Verlangen nach Errettung durch die Gnade geweckt worden ist, gleich diesem Jünger mit einfältigem Herzen dem Wort des Herrn glaubend
Glaubst du, mein teurer Leser, dass es „bei dem Menschen unmöglich ist?“ Glaubst du, dass alle deine Arbeit ohne Frucht bleibt, und dass alles, was du zur Erlangung deiner Seele anwendest, dich um keinen einzigen Schritt näherbringt? Ja, das Wort: „Bei den Menschen ist dieses unmöglich“, ist sicher nicht geeignet, um den Menschen in seinem Wahn und in seinem Hochmut zu stärken; denn wie weit er es auch in seinen Künsten und Wissenschaften im Reich der Natur gebracht haben mag, so zeigt er doch in dieser Beziehung nichts als Ohnmacht und Unwissenheit. Hier wird er seines ganzen Ruhmes entkleidet; und während er in fieberhafter Anstrengung bemüht ist, sich durch sein Tun ein Anrecht auf den Himmel zu erwerben, ruft ihm eine Stimme zu: „Halt! Alle deine Werke nützen nichts; alle deine Bestrebungen, Anstrengungen und Spendungen sind eitel und wertlos in den Augen Gottes!“ – O wie manchem, dessen Gewissen durch diese Worte erschüttert wird, entsinkt die Stütze, auf welche er sich lehnte und die er als untrüglich erachtete! – wie mancher sieht sein Gebäude, an dem er seither mit so vieler Mühe gearbeitet hat, in Trümmer stürzen! – wie mancher, der bisher Trost fand in dem Gedanken, nicht mehr ferne vom Reich Gottes zu sein, sieht sich auf einmal zurückgesetzt – ohne Hoffnung, ohne Gott!
Der reiche Jüngling im Evangelium, der in der Meinung zu Jesu gekommen, dass noch irgendetwas, um das ewige Leben zu erlangen, getan werden könnte, ging betrübt hinweg, als er vernahm, dass er trotz all seinem Tun und Beobachten der Gebote nicht vollkommen sei. Er hatte in der Tat vieles getan. Er konnte sagen: „Alles dieses habe ich beobachtet von meiner Jugend an.“ Und hätte es für ihn noch etwas zu tun gegeben, um für sein Herz mehr Sicherheit und Gewissheit betreffs des ewigen Lebens zu erlangen, so würde er es willig ausgeführt und den an ihn gestellten Anforderungen mit eigener Aufopferung genügt haben. Die Jünger selbst waren höchlichst darüber verwundert, dass jemand, der so vieles getan hatte, noch nicht sagen konnte, dass er selig sei. Das zeigt uns unzweideutig die Frage: „Wer kann dann selig werden?“ Ach! „bei den Menschen ist dieses unmöglich.“ Und ist dieses eine Wahrheit in Bezug auf jemand, der so brav und tugendhaft war, der sich so kühn seiner Treue betreffs der Beobachtung der Gebote rühmen konnte, ach! wie viel mehr findet es dann seine Anwendung auf die, welche sich nicht dieser Dinge rühmen können, sondern sich vielmehr den Sündern und Übertretern beizählen müssen, auf solche, die sich, hinschauend auf ihr Leben, schuldig fühlen, gegenüber den Geboten Gottes, und die bei dem Gedanken an das gerechte Gericht zitternd zurückschrecken.
Es ist wahr, dass es in dem äußeren Leben und Wandel einen Unterschied gibt, dass der eine Mensch sittlicher und ehrbarer wandelt, als der andere; und sicher ist dieses, insoweit es sich auf das Leben hienieden bezieht, beachtenswert. Aber in Bezug auf das ewige Leben fällt unter den Menschen jeder Unterschied hinweg. Alle stehen vor derselben geschlossenen Tür. Hunderte und Tausende mögen es versuchen, sie zu öffnen – und sie wird geschlossen bleiben. Für alle heißt es: „Bei den Menschen ist dieses unmöglich.“ – Kein Gebet, keine Träne, keine Reue, keine Tugend, nein, nicht der höchste Grad der Sittlichkeit vermag sie zu öffnen. Schrecklich aber wahr! Pharao mit seinem Heer hinter ihm, das rote Meer vor ihm – das ist die traurige Lage der Menschen. Und so unmöglich es für den Israeliten war, das rote Meer durchwaten zu können, ebenso unmöglich ist es für den Sünder, sich die Tür des Himmels zu öffnen.
Hast du wohl einmal mit Ernst über diese Dinge nachgedacht, mein teurer Leser? Ist dieses der Fall, dann wirst du auch sicher, angesichts deines trostlosen Zustandes von Natur, mit Angst und Schmerz an deine Brust geschlagen haben. Alle Hoffnung auf Rettung, sobald es sich um das Tun des Menschen handelt, ist verschwunden. Vergeblich sucht er einen Ausweg, vergeblich strengt er sich an, seine Füße aus dem Schlamm der Sünde herauszuziehen; von allen Seiten tönt ihm das Wort entgegen: „Bei dem Menschen ist es unmöglich.“
Aber siehe! für Israel durchbrach ein Lichtstrahl die Finsternis. Gott, der den Notschrei des armen Volkes vernommen hatte, kam hernieder und spaltete die Fluten des roten Meeres. Ein Pfad ward gebahnt, um der Macht des gewaltigen Feindes entrinnen zu können; und die Fliehenden, die soeben noch vergeblich einen Ausweg gesucht und geschrien hatten: „Unmöglich! Unmöglich!“ – mussten jetzt die Botschaft erkennen: „Aber bei Gott sind alle Dinge möglich.“ Das was unmöglich war, ist möglich geworden. Welch kostbare Wahrheit!
Es ist wahr, jeder natürliche Mensch ist in der Gewalt des Fürsten dieser Welt, und zu seinen Füßen wälzen sich die Wellen des Todes. Was kann er tun, um der Macht eines solch schrecklichen Feindes und dem Zorn eines gerechten Gottes zu entfliehen? Nichts. „Bei den Menschen ist dieses unmöglich.“ Aber Gott in seiner Gnade konnte etwas tun; denn „bei Ihm sind alle Dinge möglich.“ Und Er hat für den Sünder einen Weg zum Entrinnen bereitet; Er hat das Unmögliche möglich gemacht, Er gab seinen Sohn. Jesus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben; Er kam auf die Erde, starb am Kreuz, verließ das Grab, fuhr auf gen Himmel und rief den Seinen zu: „Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten.“ Durch Ihn ist der Himmel zugänglich gemacht; Er hat die Tür geöffnet. Jetzt kann niemand sagen: „Es ist unmöglich.“ Aber es ist nur möglich durch Jesus. Für die Kinder Israel gab es nur einen Weg zum Entrinnen; es war der Weg, den Gott gebahnt hatte. Jeder Unterschied war zu Boden gefallen. Und ebenso verhält es sich jetzt mit den Sündern. Vor Gott stehen sie alle auf gleichem Boden, sowohl der Mörder am Kreuz, der sein Leben in Sünden zugebracht hatte, als auch der reiche Jüngling, der da sagen konnte: „Alles dieses habe ich gehalten von meiner Jugend an.“ Für beide galt das Wort: „Bei den Menschen ist dieses unmöglich.“ – Und dennoch entdecken wir in ihnen einen bedeutenden Unterschied. Der Mörder am Kreuz erkannte, dass es ihm unmöglich sei, selig zu werden; und darum wandte er sich an Jesus, der ihm mit den Worten entgegenkam: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ Der reiche Jüngling kam Zwar ebenfalls zu Jesu, aber nicht mit dem Bedürfnis, um Gnade zu empfangen, und nicht mit der Überzeugung, dass es ihm unmöglich sei, selig zu werden; – und darum ging er betrübt hinweg.
Mit einem Wort, mein teurer Leser: Solange der Mensch denkt, es sei ihm Rettung „möglich“, sagt Gott: „Unmöglich;“ aber sobald der Mensch im Gefühl seines Unvermögens sagt: „Unmöglich;“ ruft ihm Gott mit Macht zu: „Möglich.“ Ja, bis zu diesem Punkt der Hoffnungslosigkeit muss es mit dem Menschen kommen; erst dann öffnen sich die Arme Jesu, um den Verlorenen aufzunehmen, um ihm zu zeigen, dass das bei den „Menschen Unmögliche“ bei „Gott möglich“ ist.