Botschafter des Heils in Christo 1865
Der lebendige Vogel
Das Gesetz über die Reinigung des Aussätzigen liefert uns ein höchst treffendes Vorbild von der vollkommenen Erlösung, die durch Jesus Christus für arme, verlorene Sünder geschehen ist. Wir finden darin den wahren Grund, in welchem unser Friede und die Sicherheit unserer Rechtfertigung vor Gott ihren Ruhepunkt finden. Der Herr gebe uns allen, zum Genüsse seines Friedens, durch seinen heiligen Geist ein geöffnetes Herz für seine herrliche Wahrheit!
Der Aussatz und der Aussätzige stellen uns ein entsetzliches Bild von der Sünde und dem Sünder vor Augen. „Wer nun aussätzig ist, dessen Kleider sollen zerrissen sein, und das Haupt bloß, und die Lippen verhüllt; dazu soll er rufen: Unrein, unrein! Und solange das Mal an ihm ist, soll er unrein sein, allein wohnen, und seine Wohnung soll außer dem Lager sein.“ – Welch ein bejammernswerter Zustand! Der Aussätzige war, so zu sagen, ein lebendig Toter. Ganz und gar mit Eiterbeulen bedeckt, musste er sich vor den Blicken der Menschen verbergen. Er war unrein und daher aus der Gesellschaft der Reinen verbannt; er befand sich außerhalb der Gemeinschaft mit Gott und dem Volk. Entweder allein oder in Verbindung mit anderen, die dasselbe Elend mit ihm Heilten, durchschritt sein Fuß die öde Wüste. Niemand durfte ihm nahen; und erspähte sein Auge in der Ferne eine menschliche Gestalt, dann öffneten sich die Lippen zu dem Warnruf: „Unrein, unrein!“ Auf einem dazu bestimmten Platze fand er sein karges Mahl, oder die wilden Früchte der Wüste mussten seinen Hunger stillen.
Welch eine Szene! Und welch ein passendes Bild von einem Sünder! Wie der Aussätzige mit dem Aussatz, so ist der Sünder mit der Sünde bedeckt. Vom Scheitel bis zur Fußsohle ist er unrein; er passt nicht in die Gesellschaft der Reinen; er ist aus der Gemeinschaft mit Gott verbannt. Gott verweigert die Annahme seiner Opfer, seiner Werke,– seines Dienstes. Obwohl lebend auf der Erde, ist er dennoch „tot in den Vergehungen und in den Sünden;“ er ist von dem Leben Gottes entfremdet. Und dieses ist der Zustand, worin sich ohne Unterschied alle Menschen von Natur befinden. Glaubst du dieses, mein Leser? Glaubst du, dass in dir nichts Gutes wohnt? Oder denkst du etwa, dass irgendein guter Grundsatz, ein Anknüpfungspunkt für das Leben Gottes in dir sei? Ist dieses Letztere deine Meinung, dann befindest du dich in geradem Widerspruch mit dem Wort Gottes, welches ausdrücklich sagt, dass „Keiner da ist, der Gutes tut, auch nicht einer;“ (Röm 3,12) und dass alle, sowohl Juden als Heiden, „tot sind in den Vergehungen und in den Sünden“ (Eph 2). Die erste Stelle schildert den Wandel, und die andere den Zustand des Sünders. Da gibt es keinen Raum für irgendeinen Anknüpfungspunkt. Nein, der Mensch ist verloren, ganz und gar verloren und, wenn ihn die Gnade Gottes nicht leitet, unwiderruflich getrennt von dem Leben Gottes.
Betrachten wir indessen das Gesetz über die Reinigung des Aussätzigen. „Das ist das Gesetz über den Aussätzigen, wenn er soll gereinigt werden. Er soll zum Priester kommen. Und der Priester soll aus dem Lager gehen und besehen, wie das Mal des Aussatzes an dem Aussätzigen heil geworden ist. Und soll gebieten dem, der zu reinigen ist, dass er zwei lebendige Vögel nehme, die da rein sind, und Zedernholz, und rosinfarbene Wolle, und Ysop. Und soll gebieten, den einen Vogel zu schlachten in einem irdenen Gefäß, an: fließenden Wasser. Und soll den lebendigen Vogel nehmen mit dem Zedernholz, rosinfarbner Wolle und Ysop, und in des geschlachteten Vogels Blut tunken am fließenden Wasser, und besprengen den, der von: Aussatz zu reinigen ist, siebenmal; und reinige ihn also, und lasse den lebendigen Vogel ins freie Feld fliegen“ (V 2–7).
Der Priester hatte den Auftrag, hinaus zu gehen außerhalb des Lagers, um den Zustand des Aussätzigen zu untersuchen. Der Unglückliche durfte nicht zu dem Priester gehen, sondern musste draußen in seiner Einöde verweilen, bis er als rein anerkannt war. Und was hatte er zu tun? Nichts. Er stand untätig vor dem Priester und schaute dessen Handlungen an. Er musste ruhig dem Augenblick entgegenharren, wo die Prüfung zu Ende war und aus des Priesters Mund die Worte drangen: „Tu bist rein!“ Er ward nicht berufen, um in irgendeiner Weise an diesem Werk behilflich zu sein; er war nur Zuschauer in dieser Szene. Der Priester tat alles, der Aussätzige tat nichts. – Ebenso ist es in Betreff des Sünders. Sowie der Priester das Lager, die Wohnstätte Gottes verließ, so hat der Herr Jesus den Schoß des Vaters verlassen, um auf dieser Erde die armen Sünder zu besuchen. Wir vermochten nicht, zu Gott zu nahen; ja, wir würden nicht einmal daran gedacht haben, dieses zu tun. Aber Er ist zu uns gekommen; Er hat uns aufgesucht in unserem Elend und das Werk unserer Erlösung und Versöhnung vollbracht. Und was haben wir zu tun? Nichts. Wie der Aussätzige, brauchen auch wir keine Hand zu rühren; wir haben nur zuzusehen, was Er tut, und an sein Wort zu glauben.
Richten wir jetzt auf die Handlung des Priesters unsere Aufmerksamkeit. Er hat das Lager verlassen und ist zu dem Aussätzigen in der Wüste gekommen. – Ein feierlicher Augenblick für den Unglücklichen! Entweder wird er verworfen und vielleicht für immer in sein Elend zurückgestoßen, oder er kann, als rein erklärt, in sein Haus zurückkehren. Mit welcher Spannung werden seine Blicke jede einzelne Bewegung des Priesters verfolgen! Jetzt legt dieser die Hand an den einen Vogel; und das Blut des getöteten Tieres strömt in ein irdenes Gefäß. Dann ergreift er den anderen Vogel, tunkt ihn in das Blut des getöteten, sprengt dasselbe siebenmal, also in vollkommener Zahl, auf den Aussätzigen und erhebt sich dann, um das Urteil Gottes auszusprechen. Der Aussätzige lauscht mit zurückgehaltenem Atem und seine Blicke heften sich in gespannter Erwartung auf den lebendigen in Blut getunkten Vogel in der Hand des Priesters. Seine Freiheit hängt von diesem Tier ab. Öffnet der Priester seine Hand und fliegt der Vogel davon, so ist für den unglücklichen Aussätzigen der Augenblick der Freiheit angebrochen. Nur noch wenige Sekunden, und Tränen der Freude rollen über die bleichen Wangen des Elenden; der Vogel flattert davon ins weite Feld und schwingt sich hoch empor zu den Wolken als ein lebender Zeuge der Reinigung und der Befreiung des Aussätzigen.
Welch ein herrliches und vortreffliches Gemälde des Werkes Christi und der Freisprechung des Sünders! Die beiden Vögel stellen uns den Tod und die Auferweckung des Herrn vorbildlich vor Augen. Freilich kann nicht ein und derselbe Vogel getötet und Zugleich in Freiheit gesetzt werden; aber um die beiden Handlungen in eine einzige zu vereinigen, wurde der lebendige Vogel erst dann befreit, nachdem er vorher in das Blut des getöteten getunkt worden war. In Christus finden wir indessen diese beiden Handlungen vereinigt; und es ist von höchster Wichtigkeit, diesen zweifachen Charakter des Werkes Christi zu verstehen. Der Friede unserer Seelen hängt davon ab. Leider verweilen gar viele stets bei dem Kreuz und ermangeln deshalb des vollkommenen Friedens und der Ruhe. Fortdauernd kämpfen sie mit ihren Zweifeln, harren von Tage zu Tage auf die Gewissheit der Vergebung ihrer Sünden und ihrer Annahme bei Gott und nahen nie mit Freimütigkeit dem Thron Gottes, weil ihnen das Bewusstsein fehlt, dass ihr Gewissen gereinigt ist. Wie kann es auch anders sein? Am Fuß des Kreuzes vernimmt das Ohr des Sünders nicht das Wort: „Du bist rein!“ Obwohl der eine Vogel getötet und der andere freigelassen war, so harrte der Aussätzige dennoch dem Ausspruch des Priesters in gespannter Erwartung entgegen.
Man verstehe mich indessen recht. Es versteht sich ganz von selbst, dass ohne das Werk des Kreuzes keine Vergebung, keine Reinigung von Sünden denkbar ist; denn „ohne Blutvergießung ist keine Vergebung.“ Der Herr Jesus musste mit Sünden beladen und zur Sünde gemacht werden. Von Gott verlassen, musste Er in den Tod gehen, um uns mit Gott versöhnen und uns erlösen zu können. Aber wäre außer dem Werk des Kreuzes nichts weiter geschehen, so würde niemand der Vergebung seiner Sünden und seiner Annahme bei Gott versichert sein können. Wir müssen mehr wissen, als dass Christus unsere Sünden trug und für uns zur Sünde gemacht, und dass über Ihn das Urteil des Todes ausgesprochen und vollzogen worden ist. Wir müssen wissen, dass wir von der Sünde, dem Tod und dem Gericht freigemacht sind. Unsere Ruhe hängt nur von dem Bewusstsein ab, dass Er unsere Sünden hinweggenommen, und dass Gott das durch Ihn dargebrachte Opfer angenommen hat. Wir bedürfen der Freisprechung, des Zeugnisses Gottes selbst, dass Er in Betreff unserer Sünden und unseres Zustandes völlig befriedigt ist und wir von allem gerechtfertigt sind. Und, mein teurer Leser, diese Freisprechung, dieses Zeugnis findest du nimmer am Kreuz. Aber eile hin zum offenen Grab Jesu und lausche hier auf die Zusage Gottes, dass Er deine Sünden vergeben hat; hier findest du deine Freisprechung und deine Rechtfertigung. Er, der beladen mit unseren Sünden am Kreuz hing und wegen dieser Bürde von Gott Verlassen war, ward durch Gott aus den Toten auferweckt. Hier liefert Gott selbst den Beweis, dass das durch Jesus dargebrachte Opfer genügend und Er durch dieses Werk völlig befriedigt ist. Wäre nur eine einzige Sünde zurückgeblieben, so hätte Gott Ihn nicht auferwecken und Ihm nicht einen Platz zu seiner Rechten einräumen können. Aber die Schrift sagt, „dass Er, Einmal geopfert, um vieler Sünden zu tragen, zum zweiten Male ohne Sünde denen erscheinen wird, die Ihn erwarten zur Seligkeit“ (Heb 9,28). Herrliche Wahrheit! Die Auferstehung des Herrn ist der sichere Beweis, dass die Gerechtigkeit und die Heiligkeit Gottes durch das Werk Christi ihre völlige Befriedigung gefunden haben.
Hätte man den Aussätzigen nach dem Beweis seiner Reinheit und Freiheit gefragt, so würde er geantwortet haben: „Der Vogel dort in der Luft ist für mich der Beweis.“ Ebenso ist es mit uns. Richtet jemand die Frage an mich, woher ich wisse, dass ich von den Sünden gereinigt und freigesprochen sei, dann antworte ich: „Der auferstandene Christus ist für mich der Beweis.“ Ja, teure Brüder, die Auferstehung des Herrn ist der Beweis, dass die Sünden vergeben und wir freigesprochen sind. Der Herr Jesus trug unsere Sünden ans Kreuz; Er wurde für uns zur Sünde gemacht. Mit unseren Sünden beladen, hauchte Er sein Leben aus. Doch am dritten Tage stand Er auf aus den Toten. Wo sind nun unsere Sünden? Sie sind verschwunden; sie blieben im Grab zurück. Wo ist die Macht der Sünde? Sie ist vernichtet. Als neuer Mensch, als der zweite Adam, als der Sieger über Sünde, Tod und Teufel hat der Herr Jesus das Grab verlassen. Wir hatten ewiges Verderben verdient und gingen dem gerechten Gerichte Gottes entgegen; aber Christus ging für uns ins Gericht; und seine Auferstehung ist der Beweis, das Gott befriedigt ist. Unsere Erwartung war der Tod; aber Christus starb an unserer statt; und Gott weckte Ihn auf aus den Toten, so dass der Tod vernichtet ist. Drum schreckt uns Tod und Gericht nicht mehr. Christus, sitzend zur Rechten Gottes, ist der Beweis unserer Freisprechung.
Wie gesegnet für uns, wenn wir diese herrliche Wahrheit verstehen. Sie allein kann uns wahre Ruhe und vollkommenen Frieden geben. Mein Herz bedarf eines Zeugnisses von Seiten Gottes, dass Er in Betreff meiner befriedigt ist. Und dieses Zeugnis finde ich in der Auferstehung. Gott bezeugt mir darin, dass Er das Werk Christi als ein vollkommen vollbrachtes anerkannt, dass Er das Opfer angenommen und dass mein Stellvertreter genug getan und für mich alles beseitigt hat, was Ihn verhindern konnte, Gemeinschaft mit mir zu machen und noch in den Himmel zu nehmen. Mit der völligsten Freimütigkeit darf ich jetzt vor Gott erscheinen. „Wenn aber Christus“, sagt der Apostel, „nicht auferweckt worden ist, so ist euer Glaube eitel, so seid ihr noch in euren Sünden“ (1. Kor 15,17). Weil Er nun aber in der Tat auferweckt worden ist, so bin ich selbstredend nicht mehr in meinen Sünden; ich bin von den Sünden freigesprochen; sie liegen hinter mir in dem Grab Jesu.
Verstehst du, teurer Leser, diese kostbare Wahrheit? Genießt dein Herz diesen festen, unwandelbaren Frieden? Hast du die Gewissheit, dass deine Sünden für immer verschwunden und ausgelöscht sind? Darfst du mit völliger Freimütigkeit in der Gegenwart Gottes erscheinen? O wenn du noch in etwa zweifelst, so kommt dieses einfach daher, dass du die Kraft der Auferstehung Jesu nicht begreifst. Du verstehst die Sprache Gottes nicht, die Er ans dem offenen Grab zu dir redet. Du stehst noch an dieser Seite des Grabes; du erblickst am Kreuz das Urteil Gottes über deine Sünden; aber du hast den Freispruch darüber noch nicht vernommen. O ich bitte dich, verweile nicht länger auf diesem Platz; tue einen Schritt weiter. Richte deine Blicke nicht nur auf den gestorbenen, sondern auch aus den auferstandenen Christus. Glaube dem Wort Gottes, welches sagt: „Er ist unserer Sünden wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt“ (Röm 4,25). Glaubst du, dass Jesus am Kreuz starb, indem Er unsere Sünden an seinem eigenen Leib an dem Holz trug? Wohlan so glaube auch, dass deine Sünden vergeben sind und du selbst gerechtfertigt bist, weil Er auferstand aus den Toten. Paulus sagte zu den Juden: „So sei es euch denn kund, Männer, Brüder! dass durch diesen euch die Vergebung der Sünden verkündigt wird. Und von allem, worin ihr in dem Gesetz Moses nicht gerechtfertigt werden konntet, ist in diesem jeder Glaubende gerechtfertigt“ (Apg 13,38–39). In Folge der Auferweckung unseres Stellvertreters erklärt Gott, dass jeder Glaubende von allem gerechtfertigt sei. Glaubst du, dass das kostbare Blut Jesu vergossen ist? Glaubst du, dass Gott Ihn aus den Toten auferweckt hat? Dann gibt Gott dir die Versicherung, dass alle deine Sünden durch Jesus vergeben sind; ja. Er bezeugt dir, was noch mehr ist, dass jeder Glaubende von allem gerechtfertigt ist. Der Aussätzige wusste, dass er gereinigt war, weil der lebende Vogel sich in die Lust geschwungen und der Priester ihm gesagt hatte: „Du bist rein.“ Ich weiß, dass meine Sünden vergeben sind und ich von allem gerechtfertigt bin, weil Gott es sagt, und weil Jesus Christus auferstanden ist und zur Rechten Gottes sitzt. Gott kann keinen großen: Beweis von der Sicherheit meiner Rechtfertigung geben, als die Auferweckung Jesu aus den Toten. Glaube diesem Zeugnis, mein teurer Leser, und du wirst einen Frieden genießen, den die Welt dir nicht zu rauben vermag, und der dich in den Stand setzt, Gott verherrlichen zu können.