Botschafter des Heils in Christo 1865
"Sinnt nicht auf hohe Dinge!"
Nichts ist geziemender für den Christen, nichts ziert ihn mehr, nichts ist wohlgefälliger vor dem Herrn, als ein demütiges Herz; aber nichts widerstrebt der menschlichen Natur mehr, als demütig, niedrig und gering zu sein. Der erste Fall des Menschen entsprang aus Überhebung. Wir lesen in 1. Mose 3,4: „Da sprach die Schlange zum Weib: Ihr werdet mit Nichten des Todes sterben, sondern Gott weiß, dass, welches Tages ihr davon esst, so werden eure Augen aufgetan, und ihr wirbt sein wie Gott, und wissen, was gut und böse ist.“ Der Mensch wünschte zu sein, wie Gott, und darum aß er. Er wusste jetzt aus eigener Erfahrung, was gut und böse war; aber dieses Bewusstsein machte ihm die Gegenwart Gottes schrecklich, und er verbarg sich vor Ihm hinter den Bäumen des Gartens. In diesem traurigen Zustand befindet sich der Mensch noch, und Satan fährt fort, ihn durch allerlei Vorspiegelungen und Lügen zum Hochmut zu verleiten. Selbst der Christ, der Jünger des Herrn, bleibt vor seinen Nachstellungen nicht verschont; und ach! wie oft wird er betört, wie oft wendet er sein Herz ab von dem einfachen Worte Gottes, und vergisst auf den zu schauen, der „Knechtsgestalt annahm, der sich selbst zu nichts machte und gehorsam war bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz.“
Die Geschichte der Heiligen ist in dieser Beziehung reich an traurigen Erfahrungen, besonders auch in unseren Tagen. Man ist so geneigt, jene ernsten Worte des Apostels: „Sinnt nicht auf hohe Dinge, sondern haltet euch zu den Niedrigen“, unbeachtet zu lassen. Ja, wenn wir bei der Mehrzahl der Christen in das Innere des Herzens zu schauen vermöchten, so würden wir ganz erstaunt sein, in einem solch hohen Maße ein Trachten nach einer höheren Stellung, nachbesseren Verhältnissen, nach größerem Ansehen, nach schöneren Möbeln, Kleidern usw. zu finden, und wie das Herz durch alle diese Dinge so viele Stunden des Tages mit Gedanken, Unruhe und Sorge erfüllt ist. Ist es da zu verwundern, wenn so viele klagen, dass sie wenig Freude haben, dass das Wort des Herrn und seine Gegenwart sie so wenig erquicke und beglücke, dass sie so viel Lauheit bei sich verspüren, ohne dass gerade besondere Sünden auf ihrem Gewissen liegen? Die Beschäftigung mit jenen eitlen und nichtigen Dingen schließt Gott aus. Der Apostel sagt: „Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit Ihm haben, und in der Finsternis wandeln, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. Wenn wir aber in dem Licht wandeln, wie Er in dem Licht ist, so haben wir Gemeinschaft mit einander, und das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde“ (1. Joh 1,6 7). Wir können nur wahrhaft glücklich sein, wenn wir die Gemeinschaft Gottes genießen und in seinen Geboten wandeln. „Wer da sagt: Ich kenne Ihn, und hält seine Gebote nicht, ist ein Lügner, und in diesem ist die Wahrheit nicht“ (1. Joh 3,4). Wie ernst und bestimmt sind diese Worte! Der Herr möge sie unseren Herzen tief einprägen!
Es ist nötig, dass wir stets mit Aufrichtigkeit des Herzens in die Gegenwart Gottes kommen und mit dem Psalmisten stehen: „Erforsche mich, o Gott, und erkenne mein Herz! Prüfe mich und erkenne meine Gedanken! Und siehe, ob ein Weg der Mühsal bei mir ist, und leite mich ans dem Weg der Ewigkeit“ (Ps 139,23–24). Nur im Licht Gottes können wir ein wahres Urteil über uns selbst haben; außer diesem Licht aber werden wir stets durch Eigenliebe geleitet werden. Wenn es uns also wirklich darum geht, zu seines Namens Ehre durch diese Welt zu gehen, so lasst uns die Gegenwart des Herrn suchen, damit wir erfahren, wie unser Weg vor Ihm ist. Es ist nicht wichtig, welch eine Stellung wir in dieser Welt bekleiden, sondern wie wir sie bekleiden; ob unser Verhalten darin zur Verherrlichung des Herrn ist. Aber ach! wie viele Gläubige sind mehr mit Ersterem, als mit Letzterem beschäftigt. Anstatt geduldig in einer Stellung auszuharren und die Schwierigkeiten um des Herrn willen zu ertragen, sind sie mit Unruhe bemüht, herauszukommen, und etwas Besseres oder Höheres zu erlangen. Sie verstehen nicht die Worte des Apostels: „Das Leben für mich ist Christus.“ Bei Paulus kam die Frage nicht in Betracht, ob er eine hervorragende oder eine untergeordnete Stellung hatte, ob er Herr oder Knecht, Meister oder Geselle, angesehen oder verachtet, reich oder arm, frei oder gefangen war, wenn nur der Name des Herrn durch ihn verherrlicht wurde. Er war glücklich, ein Sklave Christi zu sein, und wünschte nichts mehr, als sein Wohlgefallen zu haben. Wenn aber ein Herz an sich denkt und seine eigene Ehre sucht, so haben alle jene Dinge ein großes Gewicht, und immer ist das Bestreben vorhanden, etwas höher zu steigen. Deshalb möge der Herr unsere Herzen erforschen, und uns Gnade darreichen. Alles zu richten, was nicht der Gesinnung Christi gemäß ist. Er widersteht allem hoffärtigen Wesen, und gibt nur dem Demütigen Gnade. Deshalb ermahnt auch der Apostel so nachdrücklich: „Seid mit Demut fest umhüllt.“
Gott hat in seiner Gnade dafür gesorgt, dass wir selbst in den verschiedenen Verhältnissen dieses Lebens sein Wort zu unseres Fußes Leuchte und zu einem Licht auf unserem Weg haben. So lesen wir z. B. in Kolosser 3,18 usw.: „Ihr Weiber seid euren Männern unterworfen, wie es sich geziemt, in dem Herrn. Ihr Männer, liebt eure Weiber und seid nicht bitter gegen sie. Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern in allem; denn dies ist wohlgefällig in dem Herrn. Ihr Väter, reizt eure Kinder nicht, dass sie nicht mutlos werden. Ihr Knechte, gehorcht in allem euren Herren nach dem Fleisch, nicht in Augendienst, als menschengefällig, sondern in Einfalt des Herzens, den Herrn fürchtend. Und alles, was ihr irgend tut, arbeitet von Herzen, als dem Herrn und nicht den Menschen, da ihr wisst, dass ihr vom Herrn empfangen werdet die Vergeltung des Erbes; denn ihr dient dem Herrn Christus. Wer aber Unrecht tut, wird empfangen das Unrecht, das er getan hat; und da ist kein Ansehen der Person. Ihr Herren, das Recht und die Gleichheit gewährt den Knechten, da ihr wisst, dass auch ihr einen Herrn in den Himmeln habt.“ Wie einfach und klar offenbaren uns diese Worte den wohlgefälligen Willen Gottes in all unseren Verhältnissen! Sicher kann niemand darin irren, dem es in Wahrheit um die Verherrlichung Gottes zu tun ist; und sicher wird der Herr einem demütigen Herzen Gnade und Kraft genug darreichen, um seinen Willen zu erfüllen. Doch dem Trachten eines selbstsüchtigen und hochmütigen Herzens muss Gott immer entgegen sein. Er ist gegen uns, wenn wir unsere eigennützigen Pläne verfolgen, wenn wir etwas zu sein wünschen, wenn wir mehr geehrt, mehr beachtet, mehr berücksichtigt zu werden begehren. Ja, Er ist gegen uns, weil Er heilig ist und uns liebhat. Jenes Trachten verunehrt Ihn und bringt nur Unsegen auf uns. Unser Friede und unsere Freude ist allein in Ihm, und kann nur von einem demütigen Herzen genossen werden. O möchten wir uns darum von allem abwenden zu dieser einzigen Quelle hin! Der reiche Strom seiner Liebe ist gegen uns geöffnet; denn Er hat seinen eingeborenen Sohn für uns dahingegeben. Er ist auch unser Licht und unsere Kraft in dieser versuchungsreichen Wüste. Lasst uns Ihm nur völlig vertrauen und mit gläubigem Herzen unsere Blicke stets auf Jesus richten und in seinen Fußstapfen wandeln. Das allein ist ein gesegneter Weg – ein Weg, auf dem wir nicht irren und auf dem der Name des Herrn verherrlicht wird. Auf diesem Weg werden wir bewahrt bleiben und in der Erkenntnis des Herrn wachsen. Jeder andere Weg bringt nur Verderben und Herzeleid. Wie mancher Gläubige hat am Ende seines Lebens hienieden viele bittere Tränen geweint, wenn er auf sein vergangenes Leben zurückblickte und erkannte, dass er seine größte Zeit mit dem Trachten nach eitlen und nichtigen Dingen zugebracht, und nicht zur Verherrlichung des Herrn gelebt hatte; ja. Mancher ist sogar darüber in Not und Zweifel in Betreff seiner Errettung gekommen. „Deshalb, Brüder“, ermahnt der Apostel Petrus, „befleißigt euch, eure Berufung und Auserwählung fest zu machen; denn wenn ihr dieses tut, werdet ihr niemals straucheln. Denn also wird der Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Heilands Jesu Christi euch reichlich dargereicht werden“ (2. Pet 1,10–11). dieser reichliche Eingang wird also nur für solche sein, die durch einen ernsten und würdigen Wandel ihre Berufung und Auserwählung festgemacht haben. Deshalb möge der Herr uns durch seinen Geist fähig machen, allezeit in einem Gott wohlgefälligen Wandel einherzugehen!