Botschafter des Heils in Christo 1864
Betrachtungen über das erste Buch Mose - Teil 3/3
Dieser Abschnitt unseres Buches zeigt uns die Auflösung der ganzen Szene, bei welcher wir bisher verweilten, und ist, weil reich an sehr wichtigen Grundsätzen, oft und mit Recht als ein fruchtbares Thema von denen benutzt worden, welche die Wahrheit in Bezug auf das Verderben des Menschen und in Betreff des Heilmittels Gottes ans Licht zu stellen suchten. Die Schlange tritt ein und zwar mit einer frechen Frage betreffs der göttlichen Offenbarung, ein Bild und Zeichen all jener, seitdem erhobenen, ungläubigen Fragen derer, die leider nur zu treu der Sache der Schlange in der Welt dienten – Fragen, denen nur durch die vollkommene und göttliche Autorität der heiligen Schrift entgegen zu wirken ist.
„Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allerlei Bäumen im Garten?“ (V 1) dieses war Satans listige Erkundigung; und hätte das Wort Gottes in dem Herzen Evas reichlich gewohnt, so würde ihre Antwort bestimmt, einfach und entschieden gewesen sein. Der wahre Weg, auf welchem wir den Fragen und Einflüsterungen Satans begegnen können, ist der, dass wir dieselben als von ihm kommend behandeln und durch das Wort zurückweisen. Lassen wir sie dem Herzen auch nur auf Augenblicke nahekommen, so verlieren wir die einzige Kraft, durch welche wir sie zurückweisen können. Der Teufel stellte sich nicht öffentlich als solcher mit den Worten dar: „Ich bin der Teufel, der Feind Gottes, und bin gekommen, Ihn zu verleumden und euch zu verderben.“ Das wäre nicht der Schlange ähnlich gewesen; und dennoch tat er dieses alles wirklich dadurch, dass er Fragen wach rief in dem Herzen des Geschöpfs. Wenn ich in dem Bewusstsein, dass Gott gesprochen hat, der Frage: „Sollte Gott gesagt haben?“ einen Platz einräume, so zeige ich positiven Unglauben und Zugleich meine gänzliche Unfähigkeit, demselben entgegentreten zu können. In dem Fall Evas nun stellte die Art ihrer Erwiderung die Tatsache fest, dass sie die listige Frage der Schlange in ihrem Herzen aufgenommen hatte. Anstatt sich strenge an die bestimmten Worte Gottes zu klammern, fügt sie in ihrer Erwiderung demselben noch etwas hinzu.
Indes sowohl ein Hinzufügen zum Wort Gottes, als auch ein Hinwegnehmen von demselben, liefert klar den Beweis, dass sein Wort weder in meinem Herzen wohnt, noch mein Gewissen leitet. Wenn ein Mensch im Gehorsam seine Freude findet und dieses seine Speise und sein Trank ist, wenn er lebt durch jedes Wort, das aus dem Mund Jehovas hervorgeht, so wird er gewiss auch mit seinem Worte bekannt sein und völlig darin leben. Unmöglich wird er gleichgültig gegen dasselbe sein können. Der Herr Jesus wendet in seinem Kampf mit Satan sorgfältig das Wort an, weil Er darin lebt, und schätzt es höher, als seine notwendige Speise. Er konnte es weder falsch anführen und falsch anwenden, noch gleichgültig gegen dasselbe sein. Nicht so Eva. Sie fügte zu dem, was Gott gesagt noch etwas hinzu. Sein Gebot war einfach genug: „Du sollst nicht davon essen.“ Aber Eva fügte ihre eigenen Worte hinzu: „Rührt es auch nicht an.“ Es waren die Worte Evas und nicht die Worte Gottes. Er hatte nichts in Betreff des Anrührens gesagt, so dass ihre falsche Anführung entweder aus ihrer Unwissenheit, oder aus ihrer Gleichgültigkeit, oder ans dem Wunsch, Gott in einem despotischen Licht darzustellen, oder endlich aus all diesem Zugleich hervorging und nur zu deutlich zeigte, dass sie von dem Grund des einfachen Vertrauens zu dem heiligen Worte Gottes und der Unterwerfung unter dasselbe weit entfernt war. „Durch das Wort deines Mundes habe ich mich bewahrt vor den Pfaden des Verderbens.“
Nichts ist von anziehenderem Interesse, als die Weise, in welcher das Wort, verbunden mit der unermesslichen Wichtigkeit eines strengen Gehorsams gegen dasselbe, überall in den kanonischen Büchern an das Licht gestellt ist. Wir sind dem Wort Gottes einfach darum Gehorsam schuldig, weil es sein Wort ist. Eine Frage zu erheben, wenn Er geredet hat, ist Gotteslästerung. Wir nehmen den Platz des Geschöpfs ein. Er ist der Schöpfer; Er kann mit Recht Gehorsam von uns fordern. Der Unglaube mag dies einen „blinden Gehorsam“ nennen; aber der Christ erblickt darin einen einsichtsvollen Gehorsam, da er weiß, dass das Wort der Gegenstand ist, dem er gehorcht. Wenn ein Mensch das Wort Gottes nicht besitzt, dann kann mit Recht gesagt werden, dass er sich in Blindheit und Finsternis befindet; denn weder in uns, noch um uns her zeigt sich ein einziger Strahl göttlichen Lichts, wenn nicht ein solcher hervorströmt aus dem reinen und ewigen Worte Gottes. Dass Gott gesprochen hat, ist alles, was wir zu wissen nötig haben; und dann ist Gehorsam die allerhöchste Regel für ein einsichtsvolles Handeln. Wenn die Seele zu Gott emporsteigt, so hat sie die höchste Quelle der Macht erreicht. Kein Mensch, noch irgendwelche Körperschaften von Menschen können hinsichtlich ihres Wortes Gehorsam fordern, weil es das Ihrige ist; vielmehr sind alle derartigen Forderungen anmaßend und gottlos. Man fordert Gehorsam und reißt dadurch das Vorrecht Gottes an sich; und alle, welche diesen Gehorsam leisten, berauben Gott seiner Rechte. Man maßt sich an, sich zwischen Gott und das Gewissen zu stellen; und wer kann dieses ungestraft tun? Wenn Gott spricht, so ist der Mensch verpflichtet, zu gehorchen. Glückselig wenn er es tut; wehe ihm, wenn er es versäumt! Der Unglaube mag fragen, ob Gott gesprochen habe; der Aberglaube mag menschliche Autorität stellen zwischen mein Gewissen und das, was Gott gesprochen hat, – in beiden Fällen bin ich tatsächlich des Wortes und, als natürliche Folge, der verborgenen Segnung des Gehorsams beraubt.
Keine Handlung des Gehorsams bleibt ungesegnet; aber jeder Augenblick, in welchem die Seele unschlüssig ist, gewährt dem Feind einen Vorteil, den er sicher benutzen wird, um die Seele weiter und weiter von Gott zu entfernen. Das vor uns liegende Kapitel liefert den Beleg dazu. Auf die Frage: „Sollte Gott gesagt haben?“ – folgte: „Ihr werdet mit Nichten des Todes sterben“ (V 4). zuerst wurde also die Frage erhoben, ob Gott gesprochen habe; und dann folgte der offenbare Widerspruch gegen das, was Er gesprochen hatte. Diese ernste Tatsache ist völlig genügend, um zu zeigen, wie gefährlich es ist, eine Frage betreffs der Fülle und Echtheit der Offenbarung Gottes dem Herzen nahe kommen zu lassen. Der raffinierte Rationalismus steht mit dem offenbaren Unglauben in naher Verwandtschaft; und der Unglaube, welcher das Wort Gottes zu richten sich erkühnt, ist nicht weit entfernt von dem Atheismus, welcher die Existenz Gottes leugnet. Eva würde den Widerspruch gegen Gott nimmer ertragen haben, wenn sie nicht vorher gefallen wäre in Schlaffheit und Gleichgültigkeit betreffs seines Wortes. Sie zeigte den Verfall ihres Glaubens, oder um bestimmter zu reden – die Wirkung ihres Unglaubens; sie ertrug den Widerspruch gegen Gott aus dem einfachen Grund, weil sein Wort die wahre Autorität über ihr Herz, über ihr Gewissen und über ihr Verständnis verloren hatte.
Dieses liefert allen, welche in Gefahr sind, von einem heillosen Rationalismus umstrickt zu werden, eine höchst ernste Warnung. Es gibt keine wahre Sicherheit, außer in dem tiefen Glauben an die vollkommene göttliche Eingebung und höchste Autorität der ganzen heiligen Schrift. Ist die Seele darin gegründet, so hat sie eine triumphierende Antwort für jeden Gegner, stamme er aus Rom oder aus Deutschland.
„Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“ Das nämliche Böse welches gegenwärtig in dem schönsten Teil des europäischen Festlandes die wirklichen Quellen religiöser Gedanken und Gefühle verdirbt, war dasselbe, welches in dem Garten Eden das Herz Evas ins Verderben führte. Der erste Schritt auf ihrer abschüssigen Bahn war ihr Horchen auf die Frage: „Sollte Gott gesagt haben?“ Und dann ging sie von Stufe zu Stufe weiter, bis sie sich endlich vor der Schlange beugte und sie als ihren Gott und als die Quelle der Wahrheit anerkannte. Ja, mein Leser, die Schlange drängte Gott, den Herrn, hinweg; die Lüge der Schlange verbannte die Wahrheit Gottes Also geschah es mit dem gefallenen Menschen und also geschieht es mit dem Nachkommen des gefallenen Menschen. In dem Herzen des nicht wiedergeborenen Menschen findet die Lüge der Schlange, nicht aber das Wort Gottes, einen Platz. Man unterwerfe das menschliche Herz einer Prüfung, und man wird entdecken, dass die Lüge Satans, nicht aber die Wahrheit Gottes, eine Stätte findet. Hierin liegt die Kraft des zu Nikodemus gesprochenen Wortes: „Es sei denn, dass jemand von neuem geboren worden sei.“
Indes ist es wichtig, die Art und Weise zu bemerken, in welcher die Schlange das Vertrauen der Eva zu der Wahrheit Gottes zu erschüttern und sie unter die Macht der ungläubigen „Vernunft“ zu bringen suchte. Es geschah durch Erschütterung ihres Vertrauens zu der Liebe Gottes. Die Schlange suchte das Vertrauen des Weibes zu dem, was Gott gesagt, wankend zu machen, indem sie erklärte, dass das Zeugnis nicht auf die Liebe gegründet sei. „Denn“ – sagte sie – „Gott weiß, dass, welches Tages ihr davon esst so werden eure Augen aufgetan und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist“ (V 5). Und dieses hieß mit anderen Worten: „Ein sicherer Vorteil ist mit dem Essen jener Frucht verbunden, die euch Gott zu entziehen sucht; warum wollt Ihr daher dem Zeugnis Gottes glauben? Ihr könnt nicht jemandem euer Vertrauen schenken, der augenscheinlich euch nicht liebt; denn wenn Er euch liebte, warum sollte Er euch den Genuss eines gewissen Vorrechts verbieten?“
Die Sicherheit Evas wider all diese Vernunftschlüsse würde einfach darin bestanden haben, dass sie ihr Vertrauen in die unendliche Güte Gottes setzte. In diesem Fall würde sie zu der Schlange gesagt haben: „Ich rechne völlig auf die Güte Gottes und erachte es daher für unmöglich, dass Er mir irgendetwas Gutes vorenthalten könnte. Wenn jene Frucht gut für mich wäre, so würde ich sie ohne Zweifel besitzen; aber das Verbot Gottes beweist, dass ich durch das Genießen derselben nicht besser, sondern weit schlechter werden würde. Ich bin von der Liebe Gottes und von der Wahrheit Gottes überzeugt; und auch glaube ich, dass du ein Böser und als solcher gekommen bist, um mein Herz von der Quelle der Güte und der Wahrheit hinwegzuziehen. Gehe hinter mich Satan!“ – das wäre eine vortreffliche Antwort gewesen. Aber sie wurde nicht gegeben: Eva ließ sich ihr Vertrauen zu der Wahrheit und der Liebe rauben; und alles war verloren. Und so finden wir, dass der Platz in dem Herzen des gefallenen Menschen für die Liebe Gottes ebenso klein ist, wie für die Wahrheit Gottes. Das Herz des Menschen ist der einen wie der anderen völlig entfremdet, bis es erneuert ist durch die Macht des Heiligen Geistes.
Jetzt ist es von großem Interesse, sich von des Satans Lüge hinsichtlich der Wahrheit und Liebe Gottes abzuwenden und den Blick zu der Sendung des Herrn Jesus Christus zu richten, welcher aus dem Schoß des Vaters kam, um zu offenbaren, was Er wirklich ist. – „Die Gnade und die Wahrheit“ – dieselben Dinge, die der Mensch in seinem Fall verlor – „sind durch Jesus Christus geworden“ (Joh 1,17). Er war der „treue Zeuge“ von dem, was Gott war (Off 1,5). Die Wahrheit offenbart Gott, wie Er ist; aber die Wahrheit ist mit der Offenbarung der vollkommenen Gnade verbunden; und so findet der Sünder zu seiner unaussprechlichen Freude, dass die Offenbarung dessen, was Gott ist, anstatt seine Vernichtung herbeizuführen, zur Grundlage seines ewigen Heils Wird. „Dieses aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den, welchen du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Joh 17,3). Ich kann nicht Gott erkennen, ohne das Leben zu haben. Der Verlust der Erkenntnis Gottes war der Tod; aber die Erkenntnis Gottes ist das Leben. Dieses macht notwendiger Weise das Leben zu einer Sache, die vollständig außer uns selbst besteht und von dem abhängt, was Gott ist. Zu welchem Grad von Selbsterkenntnis ich auch gelangen mag, so wird doch nirgends gesagt, dass dieses „sich selbst erkennen“ das ewige Leben ist; und obschon es keinem Zweifel unterliegt, dass die Erkenntnis Gottes und die Selbsterkenntnis sehr oft Hand in Hand gehen werden, so steht doch das „ewige Leben“ mit jener und nicht mit dieser in Verbindung. Wer Gott kennt, wie Er ist, hat das Leben, wer aber Gott nicht kennt, gehört zu denen, „welche Strafe leiden werden, ewiges Verderben von dem Angesicht des Herrn“ (2. Thes 1,9).
Es ist von der größten Wichtigkeit zu sehen, dass in der Tat die Unwissenheit oder die Erkenntnis Gottes den Charakter und den Zustand des Menschen stempelt. Dieses ist es, was seinen Charakter hienieden kennzeichnet und sein zukünftiges Schicksal feststellt. Ist er böse in seinen Gedanken, böse in seinen Worten, böse in seinen Handlungen – es ist die Folge seiner Unbekanntschaft mit Gott. Ist er im Gegenteil rein in Gedanken, heilig im Gespräch, gütig im Handeln – es ist die praktische Folge seiner Erkenntnis von Gott. Und so ist es auch in der Zukunft. Gott erkennen ist der feste Grund unendlicher Wonne, ist ewige Herrlichkeit; Ihn nicht erkennen ist „ewiges Verderben.“ So hängt also alles von der Erkenntnis Gottes ab. Sie belebt die Seele, sie reinigt das Herz, sie beruhigt das Gewissen, sie leitet die Neigungen nach oben, sie heiligt den Charakter und den Wandel.
Dürfen wir uns daher wundern, dass Satan den großartigen Plan hegte, das Geschöpf der wahren Erkenntnis des einzig wahren Gottes zu berauben? Er erlaubte sich eine falsche Darstellung des hochgelobten Gottes, indem er ihn als nicht gütig bezeichnete. Dieses war die verborgene Quelle alles Unheils. Es ist nicht von Wichtigkeit, welche Form seitdem die Sünde angenommen hat und durch welchen Kanal sie geströmt ist, auch nicht, unter Welches Haupt sie sich gestellt oder in welches Gewand sie sich gehüllt hat; denn alles hat nur eine Quelle, die Unkenntnis von Gott. Der am meisten geläuterte und ausgebildete Sittenlehrer, der andächtigste Religionsmensch, der wohltätigste Menschenfreund – alle sind, wenn unbekannt mit Gott, ebenso fern von dem Leben und der wahren Heiligkeit, wie der Zöllner und Hurer. Der verlorene Sohn war, sobald er die Türschwelle überschritten hatte, ein ebenso großer Sünder und ebenso gewiss von dem Vater entfernt, als da, wo er in einem fernen Land die Schweine hütete (Lk 15,13 15). In demselben Fall befand sich Eva. In dem Augenblick, wo sie sich aus den Händen Gottes, aus der Stellung der unbedingten Abhängigkeit von seinem Wort und der Unterwürfigkeit unter dasselbe, zurückzog, überließ sie sich der Herrschaft der Vernunft, die von Satan zu ihrem völligen Sturz benutzt wurde.
Der sechste Vers stellt drei Dinge dar: „die Lust des Fleisches die Lust der Augen und den Hochmut des Lebens“, welche drei, nach dem Zeugnis des Apostels, alles, „was in der Welt ist“, in sich begreift. Diese Dinge übernahmen selbstredend die Leitung nachdem Gott ausgeschlossen war. Wenn ich nicht in der glückseligen Gewissheit der Liebe und Wahrheit, der Gnade und Treue verbleibe, so werde ich mich selbst der Herrschaft irgendjemandes, oder, wenn es nicht weiter geht, der Herrschaft oben angeführter Grundsätze überliefern; und dieses ist nur ein anderer Name für die Herrschaft Satans. Strenggenommen, hat der Mensch keinen freien Willen. Wenn er sich selbst regiert, so geschieht dieses tatsächlich durch Satan; und wenn nicht, so wird er durch Gott regiert,
„Die Lust des Fleisches, die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens“, – dieses sind jetzt die drei mächtigen Wirkungen durch welche Satan tätig ist; und es waren dieselben Dinge, die durch Satan dem Herrn Jesus in der Versuchung dargestellt wurden. Er begann damit, den zweiten Menschen zu versuchen, sich der Stellung der unbedingten Abhängigkeit von Gott zu entziehen. „Sprich zu diesem Stein, auf dass er Brot werde.“ Er forderte Ihn zu dieser Handlung auf, nicht um, wie es bei dem ersten Menschen, sich zu etwas zu machen, was Er nicht war, sondern um zu beweisen, was Er war. Dann folgte das Anerbieten der Königreiche der Welt mit all ihrer Herrlichkeit, und schließlich, indem er Ihn auf die Zinne des Tempels führte, die Versuchung, sich plötzlich und auf wunderbare Weise der Bewunderung des unten versammelten Volkes preis zu geben (vgl. Mt 4,1–11; Lk 4,1–13). Die offenbare Absicht einer jeden Versuchung war, den Gesegneten zu bewegen, aus der Stellung der völligen Abhängigkeit von Gott und der vollkommenen Unterwerfung unter seinen Willen herauszutreten. Doch alles war vergebens. „Es steht geschrieben“, war die unveränderliche Antwort des allein abhängigen, sich selbst erniedrigenden, vollkommenen Menschen. Andere mögen es unternehmen, für sich zu handeln; für Ihn sollte niemand, als nur Gott handeln.
Welch ein Beispiel der Treue in all ihren Umständen! Jesus hielt sich treu an der heiligen Schrift, und darum siegte Er; ohne irgendeine andere Waffe, als das Schwert des Geistes, stand Er in dem Streit und feierte einen herrlichen Sieg. Welch ein Gegensatz zu dem ersten Adam! Dieser besaß alles, was für Gott sprach und jener alles, was gegen Ihn sprach. Der Garten mit all seinen Kostbarkeiten in dem einen Fall, die Wüste mit all ihren Entbehrungen in dem anderen; das Vertrauen auf Satan in dem einen Fall, das Vertrauen auf Gott in dem anderen; eine vollständige Niederlage in dem einen Fall, ein vollständiger Sieg in dem anderen. Gepriesen für immer sei der Gott aller Gnade, der zu unserer Hilfe den gesandt hat, der so mächtig ist, zu überwinden – mächtig, zu erretten!
Lasst uns nun untersuchen, wie weit Adam und Eva den versprochenen Vorteil der Schlange verwirklichten. Diese Untersuchung wird uns zu einem sehr wichtigen Punkt in Verbindung mit dem Fall des Menschen leiten. Nach der Anordnung Gottes sollte der Mensch in dem Fall und durch denselben etwas erhalten, was er vorher nicht besaß, nämlich ein Gewissen, eine Erkenntnis des Guten und Bösen. Es war offenbar, dass er früher nicht in dem Besitz desselben sein konnte. Wie hätte er etwas in Betreff des Bösen wissen können, solange das Böse noch nicht vorhanden war, um erkannt zu werden? Er befand sich im Stand der Unschuld, im Stand der Unwissenheit hinsichtlich des Bösen. In seinem Fall und durch denselben gelangte er in dieser Beziehung zu einem Bewusstsein; und wir finden, dass die allererste Wirkung dieses Bewusstseins einen Feigling aus ihm schuf. Satan hatte das Weib völlig betrogen. Er hatte gesagt: „so werden eure Augen aufgetan, und werdet sein wie Gott, und wissen, was gut und böse ist“ (V 5). Aber er hatte einen wesentlichen Teil der Wahrheit ausgelassen nämlich, dass sie das Gute wissen würden, ohne die Macht zu besitzen, es tun zu können; und dass sie das Böse wissen würden, ohne die Macht zu haben, es vermeiden zu können. Gerade ihr Versuch, sich selbst auf der Leiter moralischer Existenz zu erheben, schloss den Verlust wirklicher Erhebung in sich. Sie sanken zu entehrten, machtlosen, vom Satan unterjochten, von Gewissensbissen gefolterten, erschreckten Kreaturen herab. „Da wurden ihre beiden Augen aufgetan“ (V 7), – ohne Zweifel; aber ach! für welch einen Anblick! Es war nur, um ihre eigene Nacktheit zu entdecken. Ihr geöffnetes Auge erblickte ihren eigenen Zustand, welcher war: „elend, jämmerlich, arm, blind und bloß.“ – „Sie wurden gewahr, dass sie nackend waren;“ (V 7) – traurige Frucht von dem Baum der Erkenntnis! Sie hatten nicht irgendeine neue Erkenntnis von der göttlichen Vortrefflichkeit, nicht einen neuen Strahl göttlichen Lichts aus der reinen und ewigen Quelle derselben erlangt, – ach! nein; das erste Ergebnis ihres ungehorsamen Strebens nach Erkenntnis war die Entdeckung ihrer Nacktheit.
Es ist nützlich dieses zu verstehen und vor allem zu wissen, wie das Gewissen wirkt – zu sehen, wie es uns nur zu Feiglingen machen kann, sobald wir das innere Bewusstsein von dem haben, was wir sind. Viele irren in dieser Hinsicht, indem sie meinen, dass das Gewissen uns zu Gott führen werde. Finden wir etwa eine solche Wirkung bei Adam und Eva? Keineswegs. Bei keinem Sünder werden wir dergleichen finden. Wie wäre es auch möglich? Wie könnte mich je das Gefühl von dem, was ich bin, zu Gott bringen, wenn nicht unter dem Geleit des Glaubens an das, was Gott ist? Unmöglich; es wird Scham, Selbstgericht, Gewissensangst, Schrecken hervorrufen. Wohl mag es zu gewissen Kraftanstrengungen meinerseits, um den dadurch enthüllten Zustand zu heilen. Veranlassung geben; aber gerade diese Anstrengungen – weit entfernt, uns zu Gott zu ziehen – wirken gleich einer Blende: sie verbergen Ihn vor unseren Blicken. Ebenso war bei Adam und Eva die Entdeckung ihrer Nacktheit von der Anstrengung begleitet, dieselbe nach eigener Wahl zuzudecken. „Sie flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schürzen“ (V 7). Hier haben wir die älteste Geschichte von dem Versuch des Menschen, seinen Zustand durch seine eigene Erfindung zu heilen; und die aufmerksame Betrachtung dieses Umstandes wird uns keine geringe Unterweisung gestatten in Betreff des wirklichen Charakters der menschlichen Religionen aller Zeitalter. Im Vordergrund entdecken wir, nicht nur bei Adam, sondern auch in jedem anderen Fall, dass die Anstrengung des Menschen, um seinen Zustand zu heilen, auf das Gefühl seiner Nacktheit gegründet ist. Er ist unleugbar nackt und alle seine Werke sind das Ergebnis dieses seines Zustandes. Was aber nützt diese Entdeckung? Ich muss mich bekleidet wissen, bevor ich etwas wirken kann, was angenehm ist vor dem Auge Gottes.
Und dieses ist, was ich bemerken möchte, der Unterschied zwischen wahrem Christentum und menschlicher Religion. Ersteres ist auf die Tatsache des Bekleidetseins des Menschen, und die Letztere auf die Tatsache seines Nacktseins gegründet; Ersteres hat dort seinen Ausgangspunkt, wo Letztere ihr Ziel hat. Alles, was der wahre Christ wirkt, geschieht, weil er bekleidet ist; alles, was ein bloßer Religionsmensch tut, geschieht, um bekleidet zu werden. Dieses macht einen bedeutenden Unterschied. Je mehr wir den Geist der menschlichen Religion in all ihren Phasen prüfen, desto mehr werden wir ihre gänzliche Unzulänglichkeit erblicken, den Zustand des Menschen zu heilen, oder selbst seinem Gefühl davon entgegen wirken zu können. Sie mag für eine Zeit wohltuend und sogar solange nützlich sein, als man den Tod, das Gericht und den Zorn Gottes, wenn überhaupt in Betracht gezogen, nur aus der Ferne anschaut; aber gelangt ein Mensch dahin, diesen Dingen in ihrer schrecklichen Wirklichkeit gerade ins Angesicht zu sehen, dann wird er in voller Wahrheit finden, dass seine Religion für ihn ein zu kurzes Bett ist, um sich darin ausstrecken, und eine zu schmale Decke, um sich darin einwickeln zu können.
In dem Augenblick, als Adam in Eden die Stimme Gottes des Herrn vernahm, „fürchtete er sich“, weil er, wie er selbst bekannte, „nackend war“. Ja, nackend, obwohl seine Schürze ihn bedeckte. Aber es ist offenbar, dass diese Bedeckung selbst sein eigenes Gewissen nicht befriedigte. Wäre sein Gewissen göttlich befriedigt gewesen, gewiss, er würde nicht erschreckt worden sein. „Wenn uns unser Herz nicht verurteilt, so haben wir Freimütigkeit zu Gott“ (1. Joh 3,20–21). Wenn nun aber selbst das menschliche Gewissen in den religiösen Anstrengungen des Menschen keine Ruhe finden kann, wie viel weniger vermag es die Heiligkeit Gottes! Adams Schürze vermochte ihn nicht vor dem Auge Gottes zu schützen, und nackend konnte er nicht in seiner Gegenwart Stand halten; darum floh er, um sich zu verbergen. Dieses ist es, was das Gewissen zu allen Zeiten tun wird. Es wird den Menschen veranlassen, sich vor Gott zu verbergen; und überdies ist alles, was seine eigene Religiosität ihm darbietet, ein Bergungsort vor Gott. Wie erbärmlich aber ist diese Vorsorge, da er doch einmal, sei es zu der einen, oder zu der anderen Zeit, vor Gott erscheinen muss! Und wie bestürzt, ja wie unglücklich muss er sein, wenn er nichts besitzt, als das Bewusstsein seines Zustandes! Wahrlich nichts, als die Hölle selbst ist nötig, um das Elend dessen vollständig zu machen, welcher fühlt, dass er Gott begegnen muss, und welcher nichts kennt, als seine eigene Untüchtigkeit, Ihm begegnen zu können.
Hätte Adam die vollkommene Liebe Gottes erkannt, gewiss, er würde nicht erschreckt worden sein. „In der Liebe ist keine Furcht, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, ist in der Liebe nicht vollendet“ (1. Joh 4,18–19). Doch Adam erkannte dieses nicht, weil er der Lüge der Schlange geglaubt hatte. Er dachte, dass Gott alles, nur nicht die Liebe sei; und daher wäre es gewiss der letzte Gedanke seines Herzens gewesen, sich in seine Gegenwart zu wagen. Er vermochte es nicht. Die Sünde war da, und Gott kann sich mit der Sünde nimmer vereinigen; solange die Sünde auf dem Gewissen ruht, muss auch das Gefühl der Entfernung von Gott vorhanden sein. „Deine Augen sind so rein, dass du Übels nicht sehen magst; und das Unheil kannst du nicht anschauen“ (Hab 1,13). Heiligkeit und Sünde können nimmer zusammenwohnen. Die Sünde kann, wo immer sie gefunden wird, nur mit dem Zorn Gottes zusammentreffen.
Aber – Gott sei gepriesen! – es gibt etwas neben dem Bewusstsein von dem, was ich bin. Es ist die Offenbarung von dem, was Er ist; und dieses Letztere hat in der Tat der Fall des Menschen hervorgebracht. Gott hatte sich in der Schöpfung nicht völlig offenbart; Er hatte seine „ewige Kraft und Gottheit“ gezeigt; aber Er hatte all die tiefen Geheimnisse seiner Natur und seines Charakters nicht mitgeteilt. Daher war das Kommen Satans, um sich mit der Schöpfung Gottes abzugeben, ein großer Fehlgriff. Er erwies sich nur als das Werkzeug seiner eigenen ewigen Niederlage und seines Verderbens; und „seine Gewalttat“ wird für immer „auf seinen eigenen Kopf zurückkommen.“ Seine Lüge gab nur Gelegenheit für die Darstellung der vollen Wahrheit in Ansehung Gottes. Die Schöpfung konnte durchaus nicht ans Licht gebracht haben, was Gott war. Es war unendlich mehr in Ihm als Macht und Weisheit. In Ihm war Liebe, Erbarmen, Heiligkeit, Gerechtigkeit, Güte, Zärtlichkeit, Langmut. Wo anders, als in einer Welt von Sündern, konnte dieses alles ans Licht gestellt werden? Zuerst kam Gott als Schöpfer hernieder; und dann, als die Schlange sich erkühnte, sich mit der Schöpfung einzulassen, kam Er als Erretter. Dieses zeigen uns die ersten Worte, welche Gott der Herr nach dem Fall des Menschen aussprach. „Und Gott der Herr rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du?“ (V 9) Diese Frage bewies zwei Dinge. Sie bewies, dass der Mensch verloren, und dass Gott gekommen war, zu suchen. Sie bewies die Sünde des Menschen und die Gnade Gottes. „Wo bist du?“ Welch bewundernswürdige Treue und Gnade! Die Treue war es, welche, unmittelbar in der Frage selbst, die Wahrheit in Betreff des Zustandes des Menschen enthüllte; die Gnade war es, die gerade in der Tatsache, dass Gott eine solche Frage stellte, die Wahrheit hinsichtlich seines Charakters und seiner Stellung, dem gefallenen Menschen gegenüber, ans Licht brachte. Der Mensch war verloren; aber Gott war herabgekommen, um sich nach ihm umzusehen und ihn aus seinem Bergungsort hinter den Bäumen des Gartens herauszuführen, damit er in der glückseligen Zuversicht des Glaubens in Ihm selbst einen Bergungsort finden möge. Das war Gnade. Den Menschen aus dem Staub der Erde zu machen, das war Macht; aber ihn in seinem verlorenen Zustand zu suchen, das war Gnade. Doch wer vermag alles das auszudrücken, was in dem Gedanken Gottes, ein Suchender zu sein, zusammengefasst ist? Gott – suchend einen Sünder? Was konnte der Gesegnete in dem Menschen entdeckt haben, das Ihn bewegte, nach ihm zu suchen? Eben dasselbe, was der Hirte in dem verlorenen Schaf, oder was das Weib in der verlorenen Drachme, oder was der Vater in dem verlorenen Sohn entdeckte. Der Sünder ist wertvoll für Gott, warum? Die Ewigkeit allein wird es enthüllen.
Wie nun aber beantwortete der Sünder die treue und gnädige Nachfrage des liebenden Gottes? Ach! die Antwort offenbart um die furchtbare Tiefe des Bösen, in welches er gefallen ist. „Und er sprach: Ich hörte deine Stimme im Garten und fürchtete mich, denn ich bin nackend; darum versteckte ich mich. Und Er sprach: Wer hat dir es gesagt, dass du nackend bist? Hast du gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot, du solltest nicht davon essen? Da sprach Adam: Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß“ (V 10–12). Hier finden wir, wie er jetzt die Schuld seines schmachvollen Falles auf die Umstände, in welche ihn Gott gestellt, und mithin indirekt auf Gott selbst wirft. Dieses ist stets die Weise des gefallenen Menschen gewesen. Jedermann und jedes Ding ist schuldig, ausgenommen er selbst. In dem Fall aufrichtiger Schuldig – Erklärung zeigt sich gerade das Gegenteil. „Bin ich es nicht, der gesündigt hat?“ – fragt eine wahrhaft gedemütigte Seele. Hätte Adam sich selbst gekannt, wie ganz anders würde sein Verhalten gewesen sein! Allein er kannte weder sich noch Gott; und anstatt daher die Schuld völlig auf sich zu werfen, warf er sie auf Gott.
Hier zeigte sich nun die schreckliche Lage des Menschen. Er hatte alles verloren. Alles – seine Herrschaft, seine Würde, sein Glück, seine Unschuld, seine Reinheit, seine Ruhe, sein Friede – alles hatte ihn verlassen; und, was noch schlimmer war, er beschuldigte Gott, die Ursache davon zu sein. {Der Mensch klagt Gott nicht nur als den Urheber seines Falles an, sondern tadelt Ihn auch wegen seiner Nicht–Wiederherstellung. Wie oft hören wir Personen sagen, dass sie nicht glauben können, wenn ihnen nicht Gott die Kraft zu glauben gebe, und dass, wenn sie nicht Gegenstände des ewigen Ratschlusses Gottes seien, sie nicht errettet werden würden.
Nun ist es freilich vollkommen wahr, dass kein Mensch dem Evangelium glauben kann, als nur durch die Kraft des Heiligen Geistes; und auch ist es wahr, dass alle, welche dem Evangelium wirklich glauben, die glückseligen Gegenstände der ewigen Ratschlüsse Gottes sind. Aber setzt dieses alles die Verantwortlichkeit des Menschen bei Seite, einem vollkommenen Zeugnis zu glauben, welches ihm im Wort Gottes vor Augen gestellt wird? Gewiss nicht. Vielmehr zeigt es das traurige Böse des Menschenherzens, welches ihn verleitet, das vollkommen offenbarte Zeugnis Gottes zu verwerfen und als Grund für eine solche Handlungsweise den Ratschluss Gottes, jenes tiefe und nur von Ihm selbst gekannte Geheimnis, zu bezeichnen. Es wird indessen nichts nützen; denn wir lesen in 2. Thessalonicher 1,8–9, dass jene, „die nicht dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus gehorchen, Strafe leiden werden, ewiges Verderben.“
Die Menschen sind verantwortlich, dem Evangelium zu glauben, und sie werden bestraft werden, wenn sie nicht glauben. Sie sind nicht verantwortlich, irgendetwas hinsichtlich der Ratschlüsse Gottes, insofern diese nicht offenbart sind, zu kennen; und deswegen kann der Unwissenheit in Betreff derselben keine Schuld beigemessen werden. Der Apostel konnte zu den Thessalonichern sagen: „wissend, von Gott geliebte Brüder, eure Auserwählung.“ Wie wusste er dieselbe? Hatte er etwa Zutritt zu den Büchern der geheimen und ewigen Ratschlüsse Gottes? Keineswegs. Wie denn? Er sagt: „denn unser Evangelium kam nicht allein im Wort zu euch, sondern auch in Kraft“ (1. Thes 1,4–5). dieses ist der Weg, jemandes Erwählung zu erkennen. Kommt das Evangelium in Kraft, so ist das ein klarer Beweis der Erwählung Gottes.
Doch ich zweifle nicht, dass diejenigen, welche aus den göttlichen Ratschlüssen einen Rechtsgrund für die Verwerfung des göttlichen Zeugnisses schöpfen, nur eine nichtige Entschuldigung anwenden, um in der Sünde fortfahren zu können. Sie bedürfen in der Tat Gott nicht; und es würde weit ehrlicher von ihnen sein, dieses klar auszusprechen, als ihre Zuflucht zu einer Ausrede zu nehmen, die zwar eine eitle, aber bestimmte Gotteslästerung ist. Solch eine Ausrede wird ihnen nichts nützen inmitten der Schrecken an dem jetzt schon nahe gerückten Tag des Gerichts.} Da stand er, ein verlorener, zu Grund gerichteter, schuldiger, aber dennoch sich selbst rechtfertigender, und darum ein – Gott anklagender Sünder.
Aber gerade bei diesem Punkt begann Gott, sich selbst und die Absichten der rettenden Liebe zu offenbaren; und darin ruht die wahre Grundlage des Friedens und Segens des Menschen. Wenn der Mensch mit sich zu Ende gekommen ist, dann, und nicht früher kann Gott zeigen, was Er ist. Der Schauplatz muss von dem Menschen und all seinen eitlen Anmaßungen, nichtigen Prahlereien und gotteslästerlichen Urteilen gänzlich befreit sein, bevor Gott selbst sich offenbaren kann oder will. Als der Mensch hinter den Bäumen des Gartens verborgen war, entfaltete Gott seinen wunderbaren Plan der Erlösung mittels des zertretenen Samens des Weibes. Hier werden wir über einen kostbaren Grundsatz der Wahrheit in Betreff dessen belehrt, was allein den Menschen friedevoll und vertraulich in die Gegenwart Gottes führen wird.
Dass das Gewissen dieses nimmer bewirken wird, ist bereits bemerkt worden. Das Gewissen trieb Adam hinter die Bäume des Gartens; die Offenbarung brachte ihn in die Gegenwart Gottes. Das Bewusstsein dessen, was er war, erschreckte ihn; die Offenbarung dessen, was Gott war, beruhigte ihn. Das ist der wahre Trost für ein armes, mit Sünden beladenes Herz. Die Wirklichkeit dessen, was ich bin, ist der Wirklichkeit dessen, was Gott ist, begegnet; und das ist die Errettung.
Es gibt einen Punkt, wo Gott und der Mensch – sei es in Gnade, sei es im Gericht – sich begegnen müssen; und dieser Punkt ist da, wo offenbart wird, wie sie sind. Glückselig die, welche diesen Punkt in Gnade, wehe denen, welche ihn im Gericht erreichen! Gott beschäftigt sich mit dem, was wir sind; und Er beschäftigt sich mit uns gemäß dem, was Er ist. Am Kreuz sehe ich Gott in Gnade in die niedrigsten Tiefen herabsteigen, und zwar als zur Sünde gemacht. Das gibt völligen Frieden. Wenn Gott mir in meinem gegenwärtigen Zustand begegnet ist und Er selbst ein angemessenes Heilmittel verordnet hat, so ist alles für ewig in Ordnung gebracht. Aber alle, welche Gott nicht auf diese Weise durch den Glauben am Kreuz erblicken: werden ihm bald im Gericht begegnen müssen, wo Er gemäß dem, was Er ist, sich mit dem, was sie sind, beschäftigen wird.
Von dem Augenblick an, in welchem der Mensch zur Erkenntnis seines wirklichen Zustandes gebracht ist, kann er keine Ruhe finden, bis er Gott am Kreuz gefunden hat; und dann ruht er in Gott selbst. Er – gepriesen sei sein Name! – ist die Ruhe und der Bergungsort der gläubigen Seele. Das stellt auf einmal die menschlichen Werke und die menschliche Gerechtigkeit an ihren passenden Platz. Man kann in Wahrheit sagen, dass die, welche in solchen Dingen ruhen, unmöglich zur wahren Erkenntnis ihrer selbst gelangt sein können. Es ist ganz unglaublich, dass ein göttlich angeregtes Gewissen in irgendetwas ruhen kann, außer in dem vollkommenen Opfer des Sohnes Gottes. Jede Anstrengung, die eigene Gerechtigkeit aufzurichten, muss aus der Unkenntnis betreffs der Gerechtigkeit Gottes hervorgehen. Adam konnte im Licht des göttlichen Zeugnisses aus dem „Samen des Weibes“ die Wertlosigkeit seiner Schürze aus Feigenblättern erkennen. Die Größe dessen, was vollbracht werden musste, erwies die völlige Untüchtigkeit des Sünders, es vollbringen zu können. Die Sünde musste hinweggetan werden. Vermochte dieses der Mensch? Nein – sie war durch ihn hereingekommen. Der Kopf der Schlange musste zertreten werben. Vermochte dieses der Mensch? Nein – er war ein Sklave der Schlange geworden. Die Ansprüche Gottes mussten befriedigt werden. Vermochte dieses der Mensch? Nein – er hatte sie bereits mit Füßen getreten. Der Tod musste abgeschafft werden. Vermochte dieses der Mensch? Nein – er hatte ihn durch die Sünde eingeführt und war seinem schrecklichen Stachel preisgegeben.
Wir sehen also, von welcher Seite wir auch den Gegenstand betrachten mögen, das völlige Unvermögen des Sünders und folglich die törichte Anmaßung aller derer, welche versuchen, Gott in dem staunenswerten Erlösungswerk behilflich zu sein; und gewiss sind in dieser Weise alle tätig, die auf einem anderen Wege, als nur „durch die Gnade mittelst des Glaubens“ gerettet zu werden meinen.
Obschon indessen Adam, durch die Gnade geleitet, sah und fühlte, dass er nimmer alles, was geschehen musste, erfüllen konnte, so offenbarte dennoch Gott sich selbst, um jedes Jota und Titelchen davon durch den Samen des Weibes zu vollbringen. Wir sehen, mit einem Wort, dass Er huldreich die ganze Sache in seine eigene Hand nahm und sie ganz zu einer Frage zwischen Ihm selbst und der Schlange machte. Denn obschon der Mann und das Weib persönlich berufen waren, auf verschiedenen Wegen die bitteren Früchte ihrer Sünden zu ernten, so war es dennoch die Schlange, zu welcher Gott der Herr sagte: „Weil du solches getan hast“ (V 14). Die Schlange war die Quelle des Verderbens; und der Same des Weibes sollte die Quelle der Erlösung werden. Adam hörte dieses alles und glaubte es; und in der Kraft dieses Glaubens nannte er „sein Weib Eva, darum, dass sie eine Mutter ist aller Lebendigen“ (V 20). das war die köstliche Frucht des Glaubens an die Offenbarung Gottes. Betrachtet man diese Sache aus einem natürlichen Gesichtspunkte, so müsste Eva die „Mutter aller Sterblichen“ genannt werden. Aber nach dem Urteil des Glaubens war sie die Mutter aller Lebendigen. – „Seine Mutter hieß ihn Benoni (Sohn meiner Schmerzen), aber sein Vater nannte ihn Benjamin (Sohn meiner rechten Hand)“ (1. Mo 35,18).
Es war die aufrecht haltende Kraft des Glaubens, die Adam fähig machte, die schrecklichen Folgen von dem, was er getan, ertragen zu können. Es war das bewundernswürdige Erbarmen Gottes, welches ihm erlaubte. Das, was er zur Schlange sagte, anhören zu dürfen, bevor er berufen wurde auf das zu lauschen, was Er ihm selbst zu sagen hatte. Wäre dieses nicht geschehen, so hätte er in Verzweiflung versinken müssen. Es führt zur Verzweiflung, aufgefordert zu sein, auf mich selbst zu sehen, ohne die Fähigkeit zu besitzen, auf Gott zu sehen, wie Er am Kreuz zu meiner Erlösung offenbart ist. Kein Nachkomme des gefallenen Adams würde es, ohne in Verzweiflung zu versinken, ertragen können, dass seine Augen über die Wirklichkeit dessen, was er ist und was er getan hat, geöffnet wären, wenn er nicht zu dem Kreuz seine Zuflucht nehmen könnte. Daher kann bis zu jenem Ort, wohin endlich alle, die Christus verwerfen, überliefert werden, die Hoffnung nimmer hinbringen. Dort werden der Menschen Augen über die Wirklichkeit dessen, was sie sind, und was sie getan haben, geöffnet werden; aber sie werden nicht fähig sein, Befreiung und Zuflucht in Gott zu finden. Was Gott ist, wird dann hoffnungslose Verdammnis ebenso gewiss einschließen, wie das, was Gott ist, jetzt die ewige Seligkeit in sich fasst. Die Heiligkeit Gottes wird dann ewig wider sie sein, wie dieselbe jetzt die ist, deren sich zu freuen alle Gläubigen berufen sind. Je mehr ich die Heiligkeit Gottes jetzt verwirkliche, desto mehr erkenne ich meine Sicherheit; aber im Fall des Verlorenen wird gerade jene Heiligkeit die Bestätigung seines Urteils sein. Ernste – unaussprechlich ernste Betrachtung!
Wir werden jetzt einen flüchtigen Blick auf die Wahrheit werfen, die uns in der für Adam und Eva verordneten Bekleidung Gottes dargestellt wird. „Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weib Röcke von Fellen und bekleidete sie“ (V 21). Hier wird uns vorbildlich die wichtige Lehre von der göttlichen Gerechtigkeit vor Augen gestellt. Das von Gott verordnete Kleid war eine wirkliche Bedeckung, weil Er sie verordnete, während die Schürze eine ungenügende Bedeckung war, weil der Mensch sie verordnete. Überdies war die Bekleidung Gottes auf Blutvergießung gegründet. Nicht so die Schürze Adams. Ebenso ist nun die Gerechtigkeit Gottes in dem Kreuz, die Gerechtigkeit des Menschen aber in den Werken, den von Sünden befleckten Werken seiner eigenen Hände, dargestellt. Wenn Adam mit dem Rock von Fellen bekleidet war, so konnte er weder sagen: „ich bin nackend“, noch hatte er irgendeine Ursache, sich zu verbergen. Der Mensch kann sich vollkommen in Ruhe fühlen, wenn er durch Glauben erkennt, dass Gott ihn bekleidet hat; aber eine Ruhe vor dieser Zeit ist nur das Resultat der Anmaßung und der Unwissenheit. Das Bewusstsein, dass das Kleid, welches ich trage und in welchem ich vor Gott erscheine, gemäß seiner eigenen Verordnung ist, muss mein Herz in vollkommene Ruhe versetzen. In sonst etwas kann keine wahre, beständige Ruhe sein.
Die Schlussverse dieses Kapitels sind voller Unterweisungen. Dem gefallenen Menschen war es in seinem gefallenen Zustand nicht erlaubt, von den Früchten des Baumes des Lebens zu essen, denn das würde ihm ein nie endendes Elend in dieser Welt als Erbteil zurückgelassen haben. Von dem Baum des Lebens in unserem gegenwärtigen Zustand zu nehmen und zu essen, würde unvermischte Trübsal zur Folge haben. Der Baum des Lebens kann nur in der Auferstehung gekostet werden. Für immer in einer zerbrechlichen Hütte, in einem Leib der Sünde und des Todes zu leben, würde unerträglich sein. Deshalb „trieb Gott den Menschen aus“ (V 24). Er trieb ihn aus einer Welt, welche überall die beklagenswerten Resultate seines Falles in ihrem Schoß barg. Auch die Cherubim mit der Flamme des zuckenden Schwertes untersagten dem gefallenen Menschen das Pflücken der Früchte von dem Baum des Lebens während die Offenbarung Gottes seinen Blick richtete auf den Tod und die Auferstehung des Samens des Weibes, als auf dasjenige, worin, jenseits der Macht des Todes, das Leben gefunden werden konnte.
Auf diese Weise war Adam glücklicher und weniger in Gefahr außerhalb der Grenzen des Paradieses, als er es innerhalb derselben gewesen war, und zwar deshalb, weil innerhalb der Grenzen sein Leben von ihm selbst abhing, während dieses außerhalb derselben von einem anderen, von dem verheißenen Christus abhängig gemacht war. Und als er aufschaute und „die Cherubim mit der Flamme des zuckenden Schwertes“ erblickte, da konnte er die Hand preisen, welche dieselben dahingestellt hatte, um „zu bewahren den Weg zu dem Baum des Lebens“; (V 24) und dieses umso mehr, da dieselbe Hand einen besseren, sicheren und glücklicheren Weg zu jenem Baum aufgeschlossen hatte. Wenn die Cherubim mit der Flamme des zuckenden Schwertes den Weg zum Paradies versperrten, so hat der Herr Jesus Christus „einen neuen und lebendigen Weg“ in das Allerheiligste geöffnet. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater, als nur durch mich“ (vgl. Joh 14,6; Heb 10,20). In dieser Erkenntnis pilgert jetzt der Gläubige durch eine Welt, die unter dem Fluch liegt, und wo die Merkmale der Sünde überall sichtbar sind. Er hat seinen Weg durch Glauben zum Schoß des Vaters gefunden; und während er dort verborgen ruhen kann, ist er durch die gesegnete Gewissheit erfreut, dass der eine, welcher ihn bis hierhergeführt, vorangegangen ist, um in den vielen Wohnungen des Hauses seines Vaters eine Stätte zu bereiten, und dass Er bald wiederkommen wird, um ihn, inmitten der Herrlichkeit des Königtums des Vaters, zu sich aufzunehmen. So findet also der Gläubige in dem Schoß, dem Haus und dem Königtum des Vaters sein gegenwärtiges Teil, seine zukünftige Heimat und Belohnung. 1
Fußnoten
- 1 Diese Betrachtungen über das erste Buch Mose sind zu ausgedehnt, und der Raum dieses Blattes ist zu beschränkt, um darin mit denselben weiter fortzufahren. Doch wird es, im Blick auf die Wichtigkeit und das höchst Lehrreiche dieser Betrachtungen, den Lesern dieses Blattes sehr willkommen sein, zu hören, dass dieselben, so der Herr will, recht bald in einem besonderen Bande vollständig erscheinen werden.