Botschafter des Heils in Christo 1864
"Mein Herz ist so hart!"
Vor mehreren Jahren gefiel es Gott, die Stadt H. und die umliegenden Ortschaften mit seiner Gnade zu besuchen. Es war nicht eine äußere, vorübergehende Aufregung der Gemüter, die man in unseren Tagen so gern als „große Erweckung“ bezeichnet, sondern es war eine Zeit, in welcher die erweckende und umwandelnde Kraft des Heiligen Geistes „wie ein Tau vom Herrn war, und wie die Tröpflein auf das Gras, das auf niemand harrt, noch auf Menschen wartet“ (Mi 5,6). Die Predigt des Evangeliums geschah durch geringe und ungelehrte Leute, die man gewöhnlich für einen solchen Dienst unfähig hält. Eine große Menge hörte zu, und auf allen Gesichtern lag ein großer Ernst; Alt und Jung, Männer Weiber und Kinder hatten einen tiefen Eindruck von der Wichtigkeit der ewigen Dinge; und viele „wurden von der Finsternis zum Licht und von der Gewalt Satans zu Gott bekehrt.“
Eine der Bekehrten in dieser gesegneten Zeit war Sarah A., eine verheiratete Frau von mittleren Jahren. Sie lebte in niedrigen Umständen und hatte keine Erziehung gehabt; aber sie war einsichtsvoller als viele, die größere Vorzüge genossen hatten, als sie. Wie lange sie vorher ihren verlorenen Zustand gefühlt und beim Gedanken an die Ewigkeit darüber geseufzt und geklagt hatte, weiß ich nicht; aber so viel weiß ich, dass die Überführung von demselben und ihr Elend tief und anhaltend war. Mit großer Aufmerksamkeit horchte sie auf das gepredigte Wort, forschte fleißig in der heiligen Schrift und schrie ernstlich zu Gott um Gnade. Sie hatte es sehr gern, wenn sich ein Gläubiger mit ihr über ihren Zustand unterhielt, und sie war ganz einfach und offen in ihrem Bekenntnis. Monate lang aber dauerte ihre Not und steigerte sich oft bis zu völliger Seelenangst; und nichts, was auch gesagt und angewandt werden mochte, verschaffte ihr die geringste Linderung. Ihr Zustand war oft der Gegenstand einer sorgenvollen Besprechung derer, die im Werk des Herrn arbeiteten; sie vereinigten sich ihretwegen auch mehrere Male zum Gebet; aber ihre Befreiung wurde immer noch hinausgeschoben.
Die beständige Bürde, worüber Sarah A. klagte, war die Härtigkeit ihres Herzens. „Mein Herz ist so hart“, sagte sie oft; „ich sehe wohl, welch eine Sünderin ich gewesen bin; aber ich fühle es nicht. Ich glaube alles, was Sie mir sagen; aber obgleich meine Sünden mir auf dem Gesicht zu lesen sind, so kann ich doch nicht eine einzige Träne vergießen; mein Herz ist so hart wie ein Stein. Was soll aus mir, einer armen, nichtswürdigen, verhärteten Sünderin, endlich werden!“ Wiederholt wurde ihr gesagt, dass wir nicht durch Gefühle, sondern durch Glauben gerechtfertigt werden, und dass sogar der Glaube nur rechtfertige, wenn er Christus annehme und auf Ihn vertraue, in welchem alle errettende Kraft wohne, während sie aus den rührenden und empfindlichen Gefühlen, wonach sie so sehnlichst verlange, einen Heiland zu machen suche. Ich sagte zu ihr: „Der Herr Jesus ist gerade für solche gestorben, die so hartherzig sind, wie Sie. Bringen Sie Ihm ihr hartes Herz. Blicken Sie auf das Lamm Gottes und nicht länger auf sich selbst. Im Glauben auf Jesus schauen, wird in einem Augenblick ihr Herz mehr erweichen, als wenn Sie ein ganzes Jahr auf ihre Sünden und ihre Unbußfertigkeit blicken. Sie trachten nach bußfertigen Gefühlen, und meinen darin eine Berechtigung zu finden, auf Jesus zu blicken und auf sein kostbares Blut zu vertrauen; aber wenn Sie in Wahrheit solche Gefühle haben, wie sie wünschen, so werden Sie dadurch bewirkt worden sein, dass Sie im Glauben auf Ihn geschaut, und dem Zeugnis Gottes über seinen Sohn geglaubt haben.“
Doch alles schien vergeblich zu sein. Wenn die Liebe Gottes in der Gabe Jesu und die Liebe Jesu im Sterben am Kreuz für seine Feinde ihr vorgestellt wurde, so war ihre ganze Aufmerksamkeit darauf gerichtet, und man hätte denken sollen, dass sie die gute Botschaft in sich aufnähme; aber kaum war der Schall des Wortes verhallt, so rief sie mit einem Blick der größten Verzagtheit aus: „Es ist alles wahr; aber ich fühle Nichts davon; mein Herz ist so hart, wie ein Stein!“
Eines Tages, nachdem wir uns beinahe an ihre verzweifelnde Blicke und Ausrufungen gewöhnt hatten, wurden wir alle durch die angenehme Nachricht überrascht, dass Sarah A. sich jetzt in dem Herrn erfreuen könne. Ohne Verzug eilten wir zu ihr, um von ihr selbst zu erfahren, wie diese Veränderung stattgefunden habe. Dass es wirklich so war, sah man gleich in ihrem Gesicht und in ihrem ganzen Betragen. Ihre Mitteilung war nun folgende:
„Die letzte Nacht war eine schreckliche. Indem ich wach lag und an meine Sünden dachte, und mich wunderte, woher es komme, dass ich sie weder fühlen, noch loswerden könne, schien es mir, dass Gott mich ganz meiner Herzenshärtigkeit übergeben habe; und da blieb mir nichts anders übrig, als der Wurm, der nicht stirbt und das Feuer, das nicht erlischt. Welch eine Nacht habe ich durchlebt! Gegen Morgen fiel ich auf meine Knie und fing an, zu Gott zu schreien. Wie lange ich dieses tat, weiß ich nicht; aber da kam mir auf einmal in den Sinn, was die Bibel von Gott sagt, dass Er also die Welt geliebt, dass Er seinen eingeborenen Sohn gegeben habe, und von Jesu, dass Er an dem Kreuz gestorben sei; und ich begann über seine große Liebe zu denken, und konnte an nichts anderes mehr denken. Ehe ich es merkte, zerschmolz mein Herz, und beim Gedanken an das, was der Herr Jesus für meine Sünden gelitten hatte, musste ich weinen. Meine Tränen flössen reichlich; aber es waren mehr Tränen der Freude als des Schmerzes. Meine Last war weg; ich konnte nur meinen Heiland preisen und vor Ihm weinen, dass Er für solch ein elendes Geschöpf, wie ich, gestorben war. O welch eine Liebe, für solch ein elendes Geschöpf, wie ich bin, auf dem Kreuz zu sterben!“
So lautete ihre Mitteilung; und sie, die nimmer eine Träne vergossen hatte, als sie über die Härtigkeit ihres Herzens seufzte, weinte sehr, als sie auf der Liebe Christi ruhte, und rief, während sie darüber sprach, immer aufs Neue aus: „O das kostbare Blut Christi! Das kostbare Blut! Es ist ganz und gar genug für mich!“
Die Veränderung war so fortdauernd, als augenscheinlich. So oft ich später Gelegenheit gehabt habe, sie zu beobachten, oder von ihr zu hören, erfreute sie sich in Christus Jesus, und war fähig, inmitten vieler äußeren Trübsale, die Lehre Gottes, ihres Heilands, zu zieren.
Und nun, geliebter Leser, wie steht es mit dir? Blickst du auch, wie dieses arme Weib, auf dich selbst, um dein Herz zu erweichen und ein tieferes Sündengefühl hervorzubringen, ehe du es wagst, deine Seele Jesu anzuvertrauen? O möchtest du durch ihre Erfahrung lernen, dass der einzige Weg zur Erweichung deines harten Herzens der ist, auf Jesus zu schauen, wie du bist! „Siehe das Lamm Gottes!“ Es war für Sünder, für solche wie du einer bist, dass es sein kostbares Blut vergossen hat, und dieses „Blut reinigt uns von aller Sünde.“ Nur Jesu Blut kann lindern
Des Sünders tiefsten Schmerz;
Sonst nichts die Schuld vermindern,
Nichts schmelzen je dein Herz. Auch wirst du nichts erreichen
Beim Schuldgefühl allein;
Nur Gnade kann erweichen,
Ein Herz, so hart wie Stein. Nur Liebe kann es heilen,
Die Jesu Kreuz enthüllt;
Drum musst zu Ihm du eilen,
So ist dein Schmerz gestillt. Und Ihm bist du willkommen,
Wie groß die Schuld auch ist;
Wirst huldvoll aufgenommen,
Kommst du nur, wie du bist. Hast du auch nichts als Sünden,
Ein Herz, so hart wie Stein,
Wirst völlig Gnade finden,
Und ewig glücklich sein.