Botschafter des Heils in Christo 1864

Betrachtungen über die Opfer im dritten Buch Mose - Teil 6/6

Diese Verse enthalten die Lehre des Schuldopfers, von welchem es zwei verschiedene Arten gaben, nämlich, in Betreff der Schuld gegen Gott und in Betreff der Schuld gegen den Menschen. „Wenn sich eine Seele vergreift, und sündigt aus Unwissenheit an dem, was dem Herrn heilig ist: so soll sie ihr Schuldopfer dem Herrn bringen, einen Widder ohne Fehl von der Herde, ans deine Schätzung nach Sekelwert Silbers, nach dem Schekel des Heiligtums zum Schuldopfer“ (3. Mo 5,15). Hier haben wir einen Fall worin ein bestimmtes Unrecht an dem begangen worden, „was dem Herrn heilig war;“ und wiewohl es aus Unwissenheit getan war so konnte es doch nicht übergangen werden. Gott kann jede Art von Schuld vergeben, aber Er kann kein Pünktchen oder Titelchen übergehen. Seine Gnade ist vollkommen, und darum kann Er alles vergeben. Seine Heiligkeit ist vollkommen, und darum kann Er Nichts übergehen. Er kann nimmer der Ungerechtigkeit seine Genehmigung geben, aber Er kann sie austilgen nach der Vollkommenheit seiner Gnade und nach den vollkommenen Anforderungen seiner Heiligkeit.

Es ist ein großer Irrtum, zu denken, dass es mit einem Menschen ganz gut und sicher stehe, wenn er nur nach den Vorschriften seines Gewissens handle. Der Friede, der auf einer solchen Grundlage, wie diese, ruht, wird auf ewig vernichtet werden, wenn das Licht des Richterstuhls in das Gewissen hineinleuchtet. Gott könnte seine Anforderung nimmer zu einem solchen Standpunkte erniedrigen. Die Waagschalen des Heiligtums werden nach einem Maßstab reguliert, der ganz verschieden von dem ist, den das Gewissen verschafft. Beim Sündopfer haben wir schon Gelegenheit gehabt, bei diesem Punkt zu verweilen; aber er kann nicht zu stark hervorgehoben werden. Zwei Dinge sind darin eingeschlossen. Zuerst eine richtige Anschauung von dem, was Gottes Heiligkeit wirklich ist, und dann ein klarer Begriff von dem Grund des Friedens eines Gläubigen in der Gegenwart Gottes.

Handelt es sich um meinen Zustand oder um mein Betragen, um meine Natur oder um meine Handlungen Gott allein kann Richter über das sein, was Ihm angenehm ist und was für seine heilige Gegenwart patzt. Kann die menschliche Unwissenheit eine Entschuldigung vorbringen, wenn von göttlichen Anforderungen die Rede ist? Nimmermehr. Es war ein Unrecht an dem geschehen, „was dem Herrn heilig war;“ aber das Gewissen des Menschen hatte keine Kenntnis davon genommen. Was nun weiter? Ist von nichts anderem die Rede? Sollen die Anforderungen Gottes auf eine so leichte Weise abgefertigt werden? Gewiss nicht. Dies würde alle göttliche Verwandtschaft zerstören. Die Gerechten werden aufgefordert, zum Gedächtnis der Heiligkeit Gottes zu lobsingen (Ps 97,12). Wie können sie dieses tun? Weil ihr Friede auf dem Grund einer völligen Rechtfertigung und vollkommenen Bestätigung jener Heiligkeit gesichert ist. Daher, je höher ihr Gefühl über das Wesen jener Heiligkeit ist, desto tiefer und fester muss ihr Friede sein. Dies ist eine Wahrheit von der allerköstlichsten Art. Der nicht wiedergeborene Mensch könnte sich nie in der göttlichen Heiligkeit erfreuen. Sein Ziel würde sein, jene Heiligkeit zu erniedrigen, falls er sie nicht ganz ignorieren könnte. Ein solcher wird sich mit dem Gedanken trösten, dass Gott gut ist, dass Er gnädig und barmherzig ist; aber nie werdet ihr finden, dass er sich in dem Gedanken erfreut, dass Gott heilig ist. Er hat unheilige Gedanken in Bezug auf Gottes Güte, auf seine Gnade und seine Barmherzigkeit. Er möchte in diesen gesegneten Eigenschaften eine Entschuldigung finden, um in der Sünde zu beharren.

Der Wiedergeborene aber, im Gegenteil, frohlockt beim Gedanken an die Heiligkeit Gottes. Er sieht ihren völligen Ausdruck in dem Kreuz des Herrn Jesus Christus. Es ist jene Heiligkeit, welche den Grund seines Friedens gelegt hat; und nicht nur das, sondern er ist zum Teilhaber derselben gemacht, und er erfreut sich darin, während er die Sünde hasst mit einem vollkommenen Hasse. Die Triebe der göttlichen Natur beben davor zurück und sehnen sich nach Heiligkeit. Es würde unmöglich sein, wahren Frieden und wahre Freiheit des Herzens zu genießen, wenn jemand nicht wüsste, dass allen Anforderungen, die mit „dem, was dem Herrn heilig ist“, verbunden sind, vollkommen durch unser göttliches Schuldopfer entsprochen worden sei. Immer würde das schmerzliche Gefühl im Herzen aufsteigen, dass jene Anforderungen durch unsere mannigfachen Schwachheiten und Mängel geringgeschätzt worden wären. Unsere allerbesten Dienste, unsere heiligsten Stunden, unsere geweihtesten Übungen können leicht etwas von Schuld in dem offenbaren, „was dem Herrn heilig ist“ – etwas, das nicht getan werden sollte. Wie oft werden die Stunden unserer öffentlichen Anbetung und unserer verborgenen Andachten durch Dürre und Zerstreutheit verletzt und gestört. Daher bedürfen wir der Versicherung, dass allen unseren Schulden durch das teure Blut Christi auf göttliche Weise begegnet worden ist. Wir finden also in dem ewig gesegneten Herrn Jesus den, der sich selbst erniedrigte, um allen unseren Bedürfnissen, als Sünder von Natur und als Schuldner durch die Tat, völlig entgegen zu kommen. In Ihm finden wir eine vollkommene Antwort auf all das Sehnen eines schuldigen Gewissens und auf alle die Anforderungen der unendlichen Heiligkeit in Bezug auf alle unsere Sünden und alle unsere Übertretungen, so dass ein Gläubiger, los vom bösen Gewissen und mit befreitem Herzen, in dem vollen Licht jener Heiligkeit stehen kann, welche zu rein ist, die Ungerechtigkeit zu sehen, oder die Sünde anzublicken.

„Dazu, was er gesündigt hat an dem Geheiligten, soll er erstatten, und das fünfte Teil darüber geben, und soll es dem Priester geben; der soll ihn versöhnen mit dem Widder des Schuldopfers, so wird es ihm vergeben“ (Kap 5,16). In der Hinzufügung des „fünften Teils“, wie hier vorgestellt ist, haben wir einen Zug des wahren Schuldopfers, welcher, wie zu befürchten ist, wenig gewürdigt wird. Wenn wir an all das Unrecht und an all die Schuld denken, die wir gegen den Herrn begangen haben, und wenn wir uns ferner erinnern, wie Gott in dieser bösen Welt seiner Rechte beraubt wurde, mit welchem Interesse können wir dann das Werk des Kreuzes betrachten, als das, wodurch Gott nicht nur wieder empfangen, was Er verloren, sondern wodurch Er in Wirklichkeit Gewinn gemacht hat. Er hat durch die Erlösung mehr gewonnen, als Er je durch den Sündenfall verlor. Er erntet von den Feldern der Erlösung eine reichere Ernte der Herrlichkeit, der Ehre und des Lobes, als Er je von den Feldern der Schöpfung hätte ernten können. Die „Söhne Gottes“ konnten an der leeren Gruft Jesu einen erhabeneren Lobgesang anstimmen, als sie es je angesichts des vollendeten Werkes des Schöpfers hätten tun können. Das Unrecht ist durch das Werk des Kreuzes nicht nur völlig versöhnt, sondern auch ein ewiger Vorteil gewonnen worden. Dies ist eine erstaunliche Wahrheit. Durch das Werk auf Golgatha hat Gott Gewinn gemacht. Wer hätte dies je denken können? Wenn wir sehen, wie der Mensch und die Schöpfung, über welche er Herr war, in Trümmer zu den Füßen des Feindes gelegt wurden, wie könnten wir denken, dass Gott unter diesen Trümmern reichere und edlere Beute sammeln würde, als die, welche eine nicht gefallene Welt hätte liefern können. Der Name Jesu sei gelobt für alles dieses! Ihm allein verdanken wir alles. Nur durch sein teures Kreuz konnte je eine so wunderbare, göttliche Wahrheit ausgedrückt werden. Sicher schließt jenes Kreuz eine geheimnisvolle Weisheit in sich, „welche keiner von den Fürsten dieses Zeitlaufs erkannt hat; denn wenn sie diese erkannt hatten, so würden sie wohl den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt haben“ (1. Kor 2,8). Kein Wunder daher, dass sich die Zuneigungen der Patriarchen, Propheten, Apostel, Märtyrer und Heiligen immer um jenes Kreuz und um den wanden, der darauf gekreuzigt wurde. Kein Wunder, dass der Heilige Geist jenes feierliche, aber gerechte Urteil bekannt machte: „Wenn jemand den Herrn Jesus Christus nicht liebhat, der sei Anathema: Maran Atha!“ (1. Kor 16,22) Ja, Himmel und Erde werden zu diesem Anathema ein lautes und ewiges Amen wiederhallen lassen. Kein Wunder, dass es der feste und unwandelbare Vorsatz des göttlichen Sinnes war, „dass in dem Namen Jesu sich jedes Knie der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen beuge und dass jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes des Vaters“ (Phil 2,10–11).

Dasselbe Gesetz in Bezug auf „das fünfte Teil“ bestand im Fall einer Schuld, die an einem Menschen begangen wurde, wie wir lesen: „Wenn eine Seele sündigen würde, und sich an dem Herrn 1 vergreifen, dass er seinem Nächsten verleugnet, was der ihm befohlen, hat, oder das ihm zu Händen vertraut ist, oder das er geraubt oder seinem Nächsten Unrecht getan hat, oder, das verloren ist, gefunden hat, und leugnet solches mit einem falschen Eide, was es irgend sei, darinnen ein Mensch Sünde tun mag; wenn es nun geschieht, dass er also sündigt und sich verschuldet: so soll er wiedergeben, den Raub, den er geraubt, oder das unrechte Gut, das er mit Unrecht an sich gebracht, oder was ihm befohlen ist, oder das Verlorene, das er gefunden hat, oder alles, worüber er den falschen Eid getan hat; das soll er ganz erstatten, dazu das fünfte Teil darüber geben dem, dessen es gewesen ist, des Tages, wann er sein Schuldopfer gibt“ (3. Mo 6,2–5).

Der Mensch sowohl als Gott macht wirklichen Gewinn durch das Kreuz. Der Gläubige kann, indem er das Kreuz anblickt, sagen: „Nun, es tut nichts, wie mir Unrecht geschehen ist, wie gegen mich gesündigt worden ist, wie ich hintergangen worden bin, welche Übel mir zugefügt sind ich habe durch das Kreuz nur gewonnen. Ich habe nicht nur wiedererhalten, was verloren war, sondern weit darüber hinaus.“

Ob wir nun in irgendeinem Fall an den Beleidigten oder an den Beleidiger denken, immer begegnen uns die herrlichen Triumphe der Erlösung, sowie die mächtigen, praktischen Resultate, die von jenem Evangelium stießen, welches die Seele mit der glücklichen Zuversicht erfüllt, dass „alle Übertretungen“ vergeben sind, und dass die Wurzel, aus welcher jene Übertretungen hervorsprossten, gerichtet worden ist. „Das Evangelium der Herrlichkeit des hochgelobten Gottes“ ist es allein, das einen Menschen zu einem Schauplatz hinsenden kann, der Zeuge seiner Sünden, seiner Übertretungen, seiner bösen Wege war das ihn zu allen denen zurückschicken kann, die auf irgendeine Weise durch seine bösen Taten gelitten haben, und zwar ausgerüstet mit der Gnade, nicht nur das Unrecht wieder gut zu machen, sondern vielmehr die volle Flut des praktischen Wohlwollens in seinen Wegen ausströmen zu lassen, ja, seine Feinde zu lieben, Gutes zu tun denen, die ihn hassen, und zu bitten für die, die ihn beeinträchtigen und verfolgen. Das ist die köstliche Gnade Gottes, die in Verbindung mit unserem großen Schuldopfer wirkt das sind ihre reichen, seltenen und erfrischenden Früchte!

Welch eine triumphierende Antwort für den Sophisten, der sagen könnte: „Sollen wir in der Sünde verharren, auf dass die Gnade überströme?“ Die Gnade rottet nicht nur die Sünde an der Wurzel aus, sondern sie verwandelt den Sünder von einem Fluch zu einem Segen, von einer moralischen Plage zu einem Kanal göttlicher Barmherzigkeit, von einem Abgesandten des Satans zu einem Boten Gottes, von einem Kind der Finsternis zu einem Sohn des Lichtes, von einem selbstsüchtigen Vergnügungsmenschen zu einem sich selbstverleugnenden Liebhaber Gottes, von einem Sklaven hässlicher selbstsüchtiger Lüste zu einem willigen Diener Christi, von einem kalten, engherzigen Geizhals zu einem wohlwollenden Diener der Notdurft seiner Mitmenschen. Hinweg denn mit den oft wiederholten Schmähworten: „Wir haben also nichts zu tun!“ „Das ist ein wunderbar leichter Weg, um errettet zu werden!“ „Bei einem solchen Evangelium können wir leben, wie wir wollen.“ Mögen alle, die eine solche Sprache führen, jenen, in einen freiwilligen Geber verwandelten Dieb anblicken (Eph 4,28), und für immer schweigen. Sie wissen nicht, was die Gnade bedeutet. Sie haben nie ihre heiligenden und erhebenden Einflüsse erfahren. Sie vergessen, dass, während das Blut des Schuldopfers das Gewissen reinigt, das Gesetz jenes Opfers den Schuldner zu dem zurückschickt, dem er Unrecht getan nicht nur mit „dem, was er gesündigt“, sondern auch mit dem „fünften Teil“ in seiner Hand. Ein edles Zeugnis von der Gnade und Gerechtigkeit des Gottes Israels! Eine schöne Darstellung der Resultate jenes wunderbaren Vorbildes der Erlösung, wodurch dem Beleidiger vergeben wird und der Beleidigte einen wesentlichen Gewinn erlangt! Wenn das Gewissen durch das Blut des Kreuzes in Bezug auf die Anforderungen Gottes in Ordnung gebracht ist, so muss das Betragen durch die Heiligkeit des Kreuzes in Bezug auf die Anforderungen der praktischen Gerechtigkeit in Ordnung gebracht werden. Diesem Ding sollten nie getrennt werden; Gott hat sie zusammengefügt, und der Mensch soll sie nicht scheiden. Und diese geweihte Verbindung wird nimmer durch ein Gemüt aufgelöst werden, das durch die Moralität des Evangeliums beherrscht wird. Ach! es ist leicht die Grundsätze der Gnade zu bekennen, während die Ausübung und die Kraft derselben völlig verleugnet werden. Es ist leicht, vom Ruhen auf dem Blut des Schuldopfers reden, während „das, was man gesündigt hat“, und „der fünfte Teil“ nicht geliefert werden. Dies ist eitel, und schlimmer als eitel. „Jeder der nicht Gerechtigkeit tut, ist nicht aus Gott“ (1. Joh 3,10).

Nichts kann für die reine Gnade des Evangeliums entehrender sein, als leichtfertig zu behaupten, dass ein Mensch Gott angehören könne, wenn auch sein Betragen und sein Charakter durchaus nicht die schönen Spuren der praktischen Heiligkeit an sich tragen. Ohne Zweifel sind „Gott alle seine Werke bekannt;“ aber in seinem heiligen Worte hat Er uns die Beweise gegeben, durch welche wir die, welche Ihm angehören, unterscheiden können. „Der feste Grund Gottes steht, und hat dieses Siegel: Der Herr kennt die, welche sein sind, und: Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit!“ (2. Tim 2,19) Wir haben kein Recht, zu behaupten, dass einer, der im Bösestun beharrt, Gott angehöre. Den heiligen Trieben der göttlichen Natur ist die bloße Erwähnung von so etwas anstößig. Manche können sich oft gar nicht erklären, wie solche, die man doch für Christen hält, in so mancherlei bösen Gewohnheiten beharrlich vorangehen können. Allein hören wir das Wort Gottes, wie es in dieser Beziehung so bestimmt Und mit solcher Autorität sein Urteil ausspricht. „Hieran sind die Kinder Gottes, und die Kinder des Teufels offenbar: Jeder, der nicht Gerechtigkeit tut, ist nicht aus Gott, und Wer nicht seinen Bruder liebt“ (1. Joh 3,10). In diesen Tagen der Schlaffheit und der Nachsicht gegen sich selbst ist es gut, sich daran zu erinnern. Es ist außerordentlich viel leichtes, nichtssagendes Bekenntnis vorhanden, gegen welches der wahre Christ berufen ist, einen festen Stand zu behaupten, und ein strenges Zeugnis abzulegen – ein Zeugnis, welches aus der beständigen Offenbarung „der Frucht der Gerechtigkeit, die durch Jesus Christus zur Herrlichkeit und zum Lob Gottes ist“, entspringt. Es ist höchst bedauernswert, so viele den allgemein eingeschlagenen Pfad, den wohlgebahnten und viel betretenen Weg des religiösen Bekenntnisses gehen zu sehen, die doch in ihrem Betragen keine Spur von Liebe und Heiligkeit offenbaren. Christlicher Leser! lass durch die Gnade uns treu sein. Lass uns durch ein Leben der Selbstverleugnung und des wahren Wohltuns, jene Nachsicht gegen sich selbst und jene strafbare Untätigkeit eines evangelischen, aber weltlichen Bekenntnisses entschieden verurteilen. Möge Gott seinem von Herzen treuen Volk für diese Dinge eine überströmende Gnade schenken!

Lasst uns jetzt fortfahren, die beiden Klassen des Schuldopfers miteinander zu vergleichen; nämlich, das Opfer wegen der Versündigung „an dem, was dem Herrn heilig war“, und das, was auf eine Versündigung in den gewöhnlichen Verrichtungen und Angelegenheiten des menschlichen Lebens Bezug hatte. Indem wir dieses tun, werden wir einen oder zwei Punkte finden, die unsere aufmerksame Betrachtung erfordern.

Zunächst machen wir auf den Ausdruck aufmerksam: „Wenn eine Seele aus Unwissenheit sündigt“ – ein Ausdruck, der bei Ersterem vorkommt, aber bei Letzterem fehlt. Die Anforderungen, verbunden mit „dem, was dem Herrn heilig war“, mussten sehr weit über die erhabenste, menschliche Empfindsamkeit hinausgehen. Jenen Anforderungen mag beständig Eintrag geschehen, es mag beständig dagegen gesündigt werden, ohne dass der Schuldige von dieser Tatsache etwas merkt. Deshalb kann das Bewusstsein des Menschen nie in Gottes Heiligtum entscheidend sein. Dies ist eine unaussprechliche Gnade, Die Heiligkeit Gottes allein muss den Standpunkt feststellen, sobald es sich um die Rechte Gottes handelt.

Auf der anderen Seite kann das menschliche Gewissen leicht das volle Maß einer menschlichen Anforderung erfassen, und kann leicht von jedem Eintrag, der einer solchen Anforderung gemacht wird Kenntnis nehmen. Wie oft mögen wir an Gott, in dem, was Ihm heilig ist, gesündigt haben, ohne dass auf der Tafel des Gewissens je davon Notiz genommen wäre – ja, ohne einmal die Fähigkeit zu haben, es zu entdecken? (Siehe Mal 3,8) Doch ist es nicht so, sobald von menschlichen Rechten die Rede ist. Das Unrecht, welches das menschliche Auge sehen und das menschliche Herz fühlen kann, kann auch das menschliche Gewissen bemerken. Ein Mensch konnte „aus Unwissenheit“ über die Gesetze, die vor Zeiten im Heiligtum herrschten, sich gegen dieselben versündigen, ohne es zu sehen, bis ein höheres Licht in sein Gewissen hineinleuchtete. Aber ein Mensch konnte nicht „aus Unwissenheit“ lügen, fälschlich schwören, eine Gewalttat verüben, seinen Nächsten betrügen oder etwas Verlorenes finden und es nachher leugnen. Dies alles waren einfache und handgreifliche Tatsachen, die im Bereich der trägsten Empfindsamkeit lagen. Darum ist der Ausdruck „aus Unwissenheit“ in Bezug „auf das, was dem Herrn heilig war“, eingeführt, und bei den gewöhnlichen Angelegenheiten der Menschen ausgelassen. Wie gesegnet ist es, zu wissen, dass das kostbare Blut Christi alle Fragen in Bezug auf Gott wie auf den Menschen, in Bezug auf unsere wissentlichen wie unwissentlichen Sünden beantwortet hat! Hier liegt der tiefe und feste Grund des Friedens eines Gläubigen. Das Kreuz ist allem auf eine göttliche Weise begegnet.

Wiederum, wenn es sich um eine Schuld an dem handelte, „was dem Herrn heilig war“, so wurde zuerst das untadelige Opfer eingeführt, und danach das, „was gesündigt war“ und „der fünfte Teil“. Diese Ordnung war umgekehrt, wenn von den gewöhnlichen Angelegenheiten des Lebens die Rede war (vgl. Kap 5,15–16 mit Kap 6,4–7). Die Ursache davon ist augenscheinlich. Wenn die göttlichen Rechte verletzt wurden, so nahm das Blut der Versöhnung den hervorragendsten Platz ein; wenn dagegen die menschlichen Rechte verletzt wurden, so sollte die Wiedererstattung den Hauptplatz in den Gedanken einnehmen. Aber insofern das Letztere wie das Erstere die Frage der Beziehung der Seele zu Gott in sich schloss, wurde das Opfer eingeführt, obwohl es zuletzt an die Reihe kam. Wenn ich meinem Nächsten Unrecht tue, so wird ohne Zweifel jenes Unrecht meiner Gemeinschaft mit Gott Eintrag tun, und jene Gemeinschaft kann nur auf dem Grund der Versöhnung wiederhergestellt werden. Der bloße Ersatz würde nichts nützen. Es möchte den beleidigten Menschen befriedigen, aber es könnte nicht die Grundlage der wiederhergestellten Gemeinschaft mit Gott bilden. Ich könnte die Sache wiedererstatten und zehntausend Mal den fünften Teil hinzufügen, und doch würde meine Sünde bleiben; denn „ohne Blutvergießung ist keine Vergebung“ (Heb 9,22). Allein wenn es sich um ein an meinem Nächsten begangenes Unrecht handelt, so muss die Wiedererstattung zuerst stattfinden. „Wenn du nun deine Gabe zum Altar darbringst, und dich daselbst erinnerst, dass dein Bruder etwas wider dich habe, – lass deine Gabe daselbst vor dem Altar, und gehe hin und werde zuerst mit deinem Bruder versöhnt, und dann komm und bringe deine Gabe dar.“ 2

Die göttliche Anordnung, welche im Schuldopfer vorgeschrieben ist, fasst weit mehr in sich, als beim ersten Anblick scheinen möchte. Die Anforderungen, die aus unseren menschlichen Beziehungen entstehen, dürfen nicht geringgeschätzt werden. Sie müssen immer ihren rechten Platz im Herzen einnehmen. Dies wird uns im Schuldopfer deutlich gelehrt. Wenn ein Israelit durch einen Akt der Schuld seine Beziehung zu Jehova verletzt hatte, so war Opfer und Wiedererstattung an seinem Platz; und wenn er durch einen Akt der Schuld seine Beziehung zu seinem Nächsten verletzt hatte, so war Wiedererstattung und Opfer an seinem Platz. Wird jemand zu sagen wagen, dass dies eine Unterscheidung ohne Unterschied sei? Liefert der Wechsel der Ordnung nicht seine eigene, angemessene, weil göttlich angeordnete Lektion? Unzweifelhaft. Jeder Punkt ist bedeutungsvoll, wenn wir nur dem Heiligen Geist erlauben, jene Bedeutung unseren Herzen mitzuteilen, und sie nicht mit unseren armen, eitlen Einbildungen zu erfassen suchen. Jedes Opfer liefert seine eigene charakteristische Seite von dem Herrn Jesus und seinem Werk, und jede wird in ihrer eigenen charakteristischen Ordnung dargestellt; und wir können mit Sicherheit behaupten, dass es das Geschäft und die Freude des geistlichen Sinnes ist, die eine wie die andere zu erforschen. Derselbe Charakter des Gemüts aber, welcher suchen würde, die besondere Ordnung eines jeden Opfers für nichts zu achten, würde auch die Idee einer besonderen Phase von Christus in jedem bei Seite setzen. Er würde fähig sein, das Dasein irgendeines Unterschiedes zwischen dem Brandopfer und Sündopfer, zwischen dem Sündopfer und Schuldopfer, zwischen einem von diesen und dem Speisopfer und Dankopfer zu leugnen. Es könnte auf diese Weise gefolgert werden, dass die ersten sieben Kapitel des dritten Buchs Moses nur ekele Wiederholungen seien, dass jedes Kapitel dieselben Dinge behandele. Wer würde etwas so Widernatürliches wie dieses, zugeben? Welcher Christ würde erlauben, dass dem heiligen Buch eine solche Schmach angetan werde? Ein Rationalist oder ein Neologe könnte solche eitle und hassenswürdige Ideen vorbringen; aber jene, die göttlich unterwiesen worden sind, dass „alle Schrift von Gott eingegeben ist“, werden dahin geleitet werden, die verschiedenen Vorbilder in ihrer besonderen Ordnung, wie ebenso viele verschieden gestaltete Fächer anzusehen, in denen der Heilige Geist für das Volk Gottes die „unerforschlichen Reichtümer des Christus“ aufgespeichert hat. Da ist keine langweilige Wiederholung, keine Weitschweifigkeit. Alles ist reiche, göttliche, himmlische Mannigfaltigkeit; und alles, was wir bedürfen, ist, mit dem großen Gegenbild bekannt zu sein, um in die Schönheiten eines jeden Vorbildes einzugehen, und die feinen Züge eines jeden zu ergreifen. Sobald das Herz die Tatsache erfasst, dass es Christus ist, den wir in jedem Vorbild haben, so kann es mit geistlichem Interesse über die kleinsten Einzelheiten sinnen. Es findet in jedem Bedeutung und Schönheit – es findet Christus in allen. Wie das Teleskop und das Mikroskop im Reich der Natur ihre eigenen besonderen Wunder dem Auge darstellen, so ist es mit dem Wort Gottes. Ob wir es als ein Ganzes betrachten oder jedes Satzglied genau untersuchen, immer finden wir das, was die Anbetung und Danksagung unserer Herzen hervorruft.

Christlicher Leser, möge der Name des Herrn Jesus unseren Herzen immer teurer werden! Alsdann werden wir alles hochschätzen, was von Ihm spricht – alles, was Ihn darstellt – alles, was eine neue Einsicht in seine besondere Vortrefflichkeit und unvergleichliche Schönheit darbietet.

Anmerkung. Das Übrige vom 6. und das ganze 7. Kapitel handelt vom Gesetz der verschiedenen Opfer, von welchen schon die Rede war. Es sind aber einige Punkte in dem Gesetz des Sündopfers dargestellt, welche beachtet zu werden verdienen, ehe wir diesen reichen Abschnitt unseres Buches verlassen.

In keinem Opfer wird die persönliche Heiligkeit Christi so schlagend dargestellt, als in dem Sündopfer. „Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: Dies ist das Gesetz des Sündopfers. An der Stätte, da man das Brandopfer schlachtet, soll auch das Sündopfer geschlachtet werden vor dem Herrn; es ist hochheilig. ... Niemand soll seines Fleisches anrühren, er sei denn geheiligt. ... Was männlich ist unter den Priestern, soll davon essen; denn es ist hochheilig“ (3. Mo 6,25–29). Ebenso bei Erwähnung des Speisopfers: „Es soll hochheilig sein, gleich wie das Sündopfer und Schuldopfer.“ Dies ist sehr bezeichnend und schlagend. Der Heilige Geist hatte beim Brandopfer nicht nötig, die persönliche Heiligkeit Christi mit solch einer Eifersucht zu wahren. Damit aber die Seele in keiner Weise jene Heiligkeit aus dem Gesicht verlieren möchte, während sie den Platz betrachtet, den der Gesegnete im Sündopfer einnahm, werden wir immer wieder daran erinnert, mit den Worten: „Es ist hochheilig.“ Es ist wahrhaft erbaulich und erfrischend, zu sehen, wie die göttliche und wesentliche Heiligkeit der Person Christi inmitten der tiefen und schrecklichen Finsternis Golgathas hervorstrahlt. Derselbe Punkt ist „im Gesetz des Schuldopfers“ bemerkbar (Kap 7,1–6). Nie wurde der Herr Jesus völliger als „der Heilige Gottes“ gesehen als dann, wenn Er auf dem verfluchten Holz „zur Sünde“ gemacht war. Die Schlechtigkeit und Abscheulichkeit dessen, womit Er unter einen Begriff gebracht wurde, diente nur dazu, umso deutlicher zu zeigen, dass Er der „Hochheilige“ war. Obwohl ein Sündenträger, so war Er doch ohne Sünde. Obwohl Er den Zorn Gottes erduldete, so war Er doch die Wonne des Vaters. Obwohl Er das Licht des Angesichts Gottes entbehren musste, so wohnte Er doch im Schoß des Vaters. Köstliches Geheimnis! Wer kann seine mächtigen Tiefen ergründen! Wie wunderbar, dies im Gesetz des Sündopfers so deutlich vorgebildet zu finden!

Weiter sollte mein Leser die Bedeutung des Ausdrucks: „Was männlich ist unter den Kindern Aarons, sollen es essen“, zu erfassen suchen. Durch die zeremonielle Handlung des Essens vom Sündopfer, oder Schuldopfer wurde die völlige Einsmachung ausgedrückt. Aber es bedurfte, um das Sündopfer zu essen, um die Sünde eines anderen zu seiner eigenen zu machen, ein höheres Maß priesterlicher Energie, wie solches in „den Männlichen unter den Kindern Aarons“ ausgedrückt wurde.

„Und der Herr sagte zu Aaron: Siehe, ich habe dir gegeben die Hut meiner Hebopfer, von allem, das die Kinder Israel heiligen, dir habe ich sie gegeben zur Salbung, und deinen Söhnen, zum ewigen Recht. Das sollst du haben von dem Allerheiligsten, aus dem Feuer: Alle ihre Gaben an alle ihrem Speisopfer, und an alle ihrem Sündopfer, und an alle ihrem Schuldopfer, das sie mir bringen, das soll dir und deinen Söhnen hochheilig sein. Am hochheiligen Ort sollst du es essen. Was männlich ist, soll davon essen, denn es soll dir heilig sein. Ich habe auch das Hebopfer ihrer Gabe, an allen Webeopfern der Kinder Israel, dir und deinen Söhnen und deinen Töchtern gegeben samt dir, zum ewigen Recht; wer rein ist in deinem Haus, soll davon essen (4. Mo 18,8–11).

Es erforderte ein größeres Maß priesterlicher Energie, um von dem Sünd– oder Schuldopfer zu essen, als bloß an den Heb– und Webeopfern der Gabe Teil zu nehmen. Von diesen Letzteren konnten auch die „Töchter“ Aarons essen. Von den Ersteren aber durften nur die „Söhne“ essen. Im Allgemeinen drückt das „Männliche“ das aus, was der göttlichen Idee gemäß ist, und das „Weibliche“ das, was der menschlichen Entwicklung gemäß ist. Das Erstere stellt die Sache in ihrer vollen Energie dar; das Letztere in ihrer Unvollkommenheit. Wie wenige unter uns haben priesterliche Energie genug, die Sünde oder die Schuld eines anderen zu unserer eigenen zu machen? Der gesegnete Herr Jesus tat dieses vollkommen. Er machte die Sünde seines Volkes zu seiner eigenen und trug deren Gericht auf dem Kreuz. Dort wurde Er völlig mit uns eins gemacht, also dass wir mit völliger und gesegneter Gewissheit bekennen können, dass die ganze Frage der Sünde und Schuld auf göttliche Weise berichtigt worden ist. Wenn jene Einsmachung Christi vollkommen war, so war auch die Berichtigung vollkommen, und dass sie vollkommen war, bezeugt jener feierliche Akt auf Golgatha. Alles ist vollbracht! Die Sünde, die Schuld, die Anforderungen Gottes, die Anforderungen des Menschen – alles ist für immer in Ordnung gebracht worden; und jetzt ist vollkommener Frieden das Teil aller, die durch die Gnade das Zeugnis Gottes in Wahrheit aufnehmen. Es ist so einfach als Gott es machen konnte, und die Seele, die es glaubt, wird glücklich sein. Der Frieden und das Glück des Gläubigen hängen gänzlich von der Vollkommenheit des Opfers Christi ab. Es handelt sich nicht um die Art und Weise der Aufnahme desselben, nicht um seine Gedanken oder seine Gefühle darüber; die Frage ist einfach, ob er durch Glauben das Zeugnis Gottes über den Wert des Opfers annimmt. Der Herr sei gepriesen für seinen einfachen und vollkommenen Weg des Friedens! Möchten viele betrübte Seelen durch den Heiligen Geist zu einem wahren Verständnis darüber geleitet werden!

Hier beenden wir unsere Betrachtungen über einen der reichsten Abschnitte des ganzen Kanons der göttlichen Eingebungen. Es ist nur wenig, was wir davon zu ernten befähigt waren. Wir haben kaum die Oberfläche einer unerschöpflichen Fundgrube durchdrungen. Wenn aber der Leser zum – ersten Male dahin geleitet worden ist, die Opfer als so viele mannigfaltige Offenbarungen des großen Opfers anzusehen, und wenn er dahin gebracht ist, sich dem großen Lehrer zu Füßen zu werfen, um mehr von den lebendigen Tiefen dieser Dinge zu lernen, so weiß ich doch, dass ein Zweck erreicht worden ist, wofür wir wohl tief dankbar sein mögen.

Fußnoten

  • 1 In dem Ausdruck „an dem Herrn“ ist ein schöner Grundsatz enthalten. Obwohl die fragliche Sache ein gegen den Nächsten verübtes Unrecht war, so sah es doch der Herr als eine Schuld gegen sich selbst an. Alles muss in Beziehung zu dem Herrn betrachtet werden. Es tut nichts zur Sache, wer davon berührt wird Jehova muss den ersten Platz einnehmen. Als daher Davids Gewissen in Bezug auf seine Handlungsweise gegen Uria von dem Pfeil der Überzeugung durchbohrt wurde, rief er aus: „Ich habe gesündigt wider den Herrn!“ (2. Sam 12,13) Und dieser Grundsatz schwächt nicht im Geringsten die Anforderung des beleidigten Menschen.
  • 2 Wenn wir Matthäus 5,23-24 mit Kapitel 13,21–22 vergleichen, so können wir einen schönen Grundsatz lernen, auf welche Weise Unrecht und Beleidigungen zwischen zwei Brüdern in Ordnung gebracht wird. Der Beleidiger wird vom Altar zurückgeschickt, um seine Angelegenheiten mit dem Beleidigten zu berichtigen; denn es kann keine Gemeinschaft mit dem Vater gemacht werden, so „lange mein Bruder etwas wider mich hat.“ Beachte ferner die schöne Art und Weise, auf welche der Beleidigte unterwiesen wird, dem Beleidiger zu begegnen: „Herr, wie oft soll ich meinem Bruder, der wider mich sündigt, vergeben? Bis siebenmal? Spricht Jesus zu ihm: Nicht sage ich dir: bis siebenmal, sondern bis siebzig Mal sieben.“ Das ist die göttliche Weise, alle Fragen zwischen Brüdern in Ordnung zu bringen. „Einander vertragend und einander vergebend, wenn einer wider den anderen Klage hat; wie auch der Christus euch vergeben hat, also auch ihr“ (Kol 3,13).
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