Botschafter des Heils in Christo 1863
Das Bekennen der Sünde
Beim Betrachten irgendeiner Wahrheit Gottes ist es durchaus nötig, alle unsere Schlussfolgerungen mit ruhigem und prüfendem Geist in der Wage der heiligen Schrift zu wägen. Auf diese Weise werden wir vor dem Übel bewahrt, nur die eine Seite einer Frage voreilig aufzugreifen und sie in einer Weise anzuwenden, wodurch die Reinheit der göttlichen Wahrheit verdorben und die Seelen der Menschen beschädigt werden.
Unter vielen Christen herrscht ein großer Mangel an Klarheit über den wichtigen Gegenstand von dem Bekennen der Sünde des Gläubigen. Sehr oft werden die zwei verschiedenen Dinge, Versöhnung und Vergebung, mit einander vermengt. Es ist völlig wahr, dass alle unsere Sünden auf dem Kreuz versöhnt sind, und wir deshalb in demselben Augenblick, wo wir durch die Gnade an den Sohn Gottes glauben, aus der Stellung der Schuld und Verdammnis in die Stellung der vollkommenen Vergebung und Annahme eintreten. Der Gläubige ist mit Christus vereinigt. Er ist, was seine Stellung vor Gott betrifft, vollendet, so dass das Wort sagt: „Wie Er ist, so sind auch wir in dieser Welt“ (1.Joh 4,17). „Ihr seid in Ihm vollendet“ (Kol 2). „Begnadigt in dem Geliebten“ (Eph 1). Niemals können wir diese vollkommene Stellung verlieren. Es ist unmöglich, dass jemals ein einziges Glied des Leibes Christi nur für einen Augenblick außerhalb jener Stellung der vollkommenen Gunst sein kann, in welche es durch Gottes freie Gnade gesetzt worden ist, und zwar in Vereinigung mit dem gekreuzigten, auferweckten und verherrlichten Haupt.
Er mag das Gefühl, den Trost und die Kraft davon verlieren; aber die Sache selbst kann er nicht verlieren. Es ist die unabänderliche Stellung in Christus. Die Wolken mögen die belebenden Strahlen der Sonne vor unseren Augen bedecken und verbergen, aber die Sonne scheint immerdar in ungetrübtem Glänz fort. Der Gläubige ist ein für alle Mal in Christus angenommen. Er ist mit Ihm durch ein Band vereinigt, welches niemals getrennt werden kann.
Dies alles ist die göttliche Wahrheit, und ist in dem Wort in zu zahlreichen Stellen niedergelegt, um sie hier anführen zu können. Aber man muss wohl daran denken, dass wir nicht eher in diese gesegnete Stellung eintreten, bis wir glauben. Der Grund derselben ist völlig in dem Tod und der Auferweckung Christi niedergelegt; aber nur dann, wenn wir durch die Kraft des Heiligen Geistes die köstliche Wahrheit des Evangeliums in unsere Herzen aufnehmen, treten wir in den Genuss derselben ein. „Nachdem ihr an Ihn gläubig geworden, seid ihr mit dem Heiligen Geist der Verheißung versiegelt worden“ (Eph 1,13).
Ferner haben wir nicht zu vergessen, dass wir, obgleich in Betreff unserer Stellung und unseres Rechtes in Christus vollendet, so dass wir jeden Augenblick zubereitet und fähig sind, in die göttliche Gegenwart einzutreten, und obgleich im Besitz der göttlichen Natur, welche nicht sündigen kann, weil sie aus Gott geboren ist, dennoch die Sünde in uns haben. Wir tragen eine sündhafte Natur mit uns umher, und wenn wir nicht wachsam sind, sind wir stets der Gefahr ausgesetzt, die Sünde in Gedanken, Worten und Werken zu begehen. „Wenn wir sagen, dass wir nicht Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt, und uns von aller Ungerechtigkeit reinigt. Wenn wir sagen? dass wir nicht gesündigt haben, so machen wir Ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns. Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, damit ihr nicht sündigt; und wenn jemand gesündigt hat, so haben wir einen Sachwalter bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten. Und er ist die Versöhnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die ganze Welt“ (1.Joh 1,8; 2,1–2).
Hier nun ist die Lehre von dem Bekennen niedergelegt. „Wenn wir“, die Gläubigen, „unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt, und uns von aller Ungerechtigkeit reinigt.“ Bemerke wohl, er sagt: „treu und gerecht, und nicht nur: gnädig und barmherzig.“ Es ist wunderbar zu denken, dass Gott uns auf diese Weise dargestellt werden kann, wenn es sich um die Vergebung und Reinigung jemandes handelt, der die Sünde begangen hat. Und dies kann allein deshalb geschehen, weil durch Jesus Christus ein vollkommenes Opfer für unsere Sünden dargebracht ist. Wer durch Glauben in Ihm und seinem Werk ruht, hat die Gerechtigkeit Gottes nicht mehr zu fürchten; sie ist eben sowohl für ihn, als auch seine Gnade und Liebe.
Aber es muss das Bekenntnis da sein. Das Gewissen muss reingehalten werden. Es ist unverzeihlich für einen Gläubigen, die Sünde zu begehen und zu sagen: „O, meine Sünden sind alle vergeben, und ich brauche mich deshalb nicht zu beunruhigen“; dies geht nicht an. Ein einziger, sündiger Gedanke ist genügend, um die praktische Gemeinschaft des Gläubigen mit Gott zu unterbrechen. Es kann nicht sein Leben berühren, oder seine Sicherheit in Christus beeinträchtigen, aber es kann seine Gemeinschaft beeinträchtigen und seinen Trost schwächen. Er kann unmöglich Gemeinschaft mit Gott haben, während die kleinste bewusste und ungerichtete Sünde auf seinem Gewissen ist. Was hat er zu tun? Sein Herz durch Bekennen vor Gott auszuschütten – sofort reine Bahn damit zu machen. Und was wird die Folge sein? Eine volle Vergebung und Reinigung gemäß der Treue und Gerechtigkeit Gottes.
Einige mögen sich indessen versucht fühlen, zu fragen: „Begehen wir aber nicht viele Sünden, die niemals in den Bereich unseres Gewissens kommen, und wie haben wir diese zu bekennen?“ Die Antwort ist ganz einfach; um solche Sünden handelt es sich nicht. Wir können ohne Zweifel im Allgemeinen unsere mannigfachen Sünden Schwachheiten und Fehler bekennen, und uns der vollen Vergebung versichert halten; aber unsere Gemeinschaft ist nur durch solche Dinge unterbrochen, die auf unserem Gewissen lasten. „Wenn wir aber in dem Licht wandeln, wie Er in dem Licht ist, so haben wir Gemeinschaft mit einander, und das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde.“ Wenn wir in dem Licht wandeln, so handelt es sich nicht um die Sünde, sondern wir sind vor Gott, gemäß der göttlichen Kraft des Blutes Jesu, bewahrt. – Aber wenn wir in dem gegenwärtigen, praktischen Zustand der Seele aus dem Licht gehen und die Sünde tun, wie kommen wir wieder zurück? Durch Bekennen, durch die Vertretung oder Fürsprache Christi. Wenn wir in dem Licht wandeln, so haben wir das Blut; wenn wir gesündigt haben, so haben wir einen Sachwalter oder Vertreter. Gewöhnlich ist es der Fall bei den Menschen, dass sie diese Ordnung umkehren. Wir gehen aber nur dann einen sicheren und gesegneten Weg, wenn alle unsere Gedanken in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes sind, und dies ist besonders bei diesem so wichtigen Gegenstand der Fall, worüber so viel Verwirrung unter den Gläubigen herrscht.
Möge der Herr uns deshalb in allem ein klares Verständnis geben, und den Geist der völligen Unterwerfung unter die Autorität der heiligen Schrift in uns vermehren!