Botschafter des Heils in Christo 1863
Ein Herz für Christus (Matthäus 26)
In diesem ernsten Kapitel sind verschiedene Herzen offenbart. Das Herz der Hohepriester, das Herz der Nettesten, das Herz der Schriftgelehrten, das Herz Petrus und das Herz des Judas. Aber es gibt hier ein Herz in Sonderheit, verschieden von all den übrigen – das Herz jener Frau, welche die Alabaster Flasche mit sehr kostbarer Narde brachte, um den Leib des Herrn zu salben. Diese Frau hatte ein Herz für Christus. Sie mochte eine sehr große Sünderin – eine sehr unwissende Sünderin gewesen sein, aber ihre Augen waren geöffnet worden, um in Jesu eine Schönheit zu erblicken, welche sie leitete, zu urteilen, dass Nichts zu köstlich war, um Ihm gespendet zu werden. Mit einem Wort, sie hatte ein Herz für Christus.
Lasst uns an den Hohepriestern, Ältesten und Schriftgelehrten vorübergehen und für einen Augenblick beobachten, wie das Herz dieser Frau im Gegensatz zu dem Herzen des Judas und auch zu dem des Petrus war.
Judas war ein habsüchtiger Mann. Er liebte das Geld – eine allgemeine Neigung in jedem Alter. Er hatte das Evangelium gepredigt. Er hatte in Gesellschaft mit dem Herrn Jesus, in den Tagen seines öffentlichen Dienstes, gewandelt. Er hatte seine Worte gehört, seine Wege gesehen, seine Güte erfahren. Aber, ach! obschon ein Apostel, obschon in Gesellschaft mit Jesu, obschon ein Prediger des Evangeliums, hatte er doch kein Herz für Christus. Er hatte ein Herz für das Geld. Sein Herz war immer durch den Gedanken an Gewinn bewegt. „Der Beutel“ war sein nächster und teuerster Gegenstand. Satan wusste dieses. Er kannte die besondere Begierde des Judas. Er wusste völlig, um welchen Preis er erkauft werden konnte. Er verstand seinen Mann, wie er ihn versuchen, wie er ihn behandeln und gebrauchen musste. Ernster Gedanke!
Es ist auch zu beachten, dass die wirkliche Stellung des Judas ihn desto mehr für Satan fähig machte. Seine Bekanntschaft mit den Wegen Christi machte ihn zu einem passenden Werkzeug, um Ihn in die Hände seiner Feinde zu überliefern. Die Kopferkenntnis von heiligen Dingen, wenn das Herz nicht berührt wird, macht einen Menschen noch schrecklicher unempfindlich, gemein und böse. Die Hohepriester und Schriftgelehrten in Matthäus 2 hatten eine Kopferkenntnis von dem Buchstaben der heiligen Schrift; aber kein Herz für Christus. Sie konnten sofort die prophetische Rolle zur Hand nehmen und die Stelle finden, wo geschrieben stand: „Und du, Bethlehem, Land Juda; keineswegs bist du die geringste unter den Fürsten Juda; denn aus dir wird ein Fürst kommen, der mein Volk Israel weiden wird“ (Kap 2,6). Dies alles war sehr gut, sehr wahr und sehr schön; aber dann – sie hatten kein Herz für diesen „Fürsten“ – kein Auge, um Ihn zu sehen – sie bedurften seiner nicht.– Sie kannten die heilige Schrift auswendig. Sie würden sich ohne Zweifel beschämt gefühlt haben, wenn sie nicht fähig gewesen wären, auf die Frage des Herodes zu antworten. Es würde eine Schande vor den Menschen gewesen sein, in ihrer Stellung Unwissenheit zu offenbaren; aber sie hatten kein Herz für Christus, und daher legten sie ihre Schriftkenntnis zu den Füßen eines gottlosen Königs nieder, der sie, wenn möglich, dazu anzuwenden gedachte, den wahren Erben des Thrones umzubringen. So viel von der Kopferkenntnis ohne die Liebe des Herzens.
Scheint es nun nicht, als wenn wir auf die Schrifterkenntnis wenig Wert legten? Das sei ferne. Die wahre Erkenntnis der Schrift muss das Herz leiten, um Jesus zu lieben. Aber es gibt ein gewisses buchstäbliches Wissen der heiligen Schrift, eine gewisse Fähigkeit, ein Kapitel nach dem anderen und einen Vers nach dem anderen herzusagen; und bei alledem ist das Herz kalt und unempfindlich gegen Christus. Diese Erkenntnis wird jemand nur umso mehr in die Hände Satans bringen, wie es bei den Hohepriestern und Schriftgelehrten der Fall war. Herodes würde nicht unwissende Menschen gebraucht haben, ihm Auskunft zu geben. Der Teufel benutzt niemals unwissende oder dumme Leute, um gegen die Wahrheit Gottes zu wirken. Nein; er findet passendere Agenten, um sein Werk zu vollführen. Die Gelehrten, die Geistreichen, die Tiefdenkenden – nur vorausgesetzt, dass sie kein Herz für Christus haben – wird er zu jeder Zeit ganz geeignet finden. Was aber bewahrte „die Magier aus dem Morgenland?“ Warum konnte nicht Herodes, und warum konnte nicht Satan auch sie für seinen Dienst anwerben? O, geliebter Lehrer, bemerke diese Antwort! Sie hatten ein Herz für Christus. Gesegnete Schutzwaffe! Ohne Zweifel waren sie unwissend in der heiligen Schrift. Sie würden nur eine kümmerliche Anwendung von der Untersuchung einer Stelle in den Propheten gemacht haben; aber sie sahen auf Jesus – sie sahen ernst, aufrichtig, eifrig auf Jesus. Herodes würde sie mit Freuden gebraucht haben, wenn er es gekonnt hätte; aber sie waren nicht dazu da, um von ihm benutzt zu werden. Sie fanden ihren Weg zu Jesu. Sie wussten nicht viel über jenen Propheten, der von dem „Fürsten“ gesprochen hatte; aber sie fanden ihren Weg zu dem „Fürsten“ selbst. Sie fanden Ihn in der Person des Kindleins in der Krippe zu Bethlehem; und anstatt Werkzeuge in den Händen Herodes zu sein, wurden sie Anbeter zu den Füßen Jesu.
Wäre es nun nicht gut, Unwissenheit in den heiligen Schriften anzuempfehlen? Keineswegs. Diejenigen werden sicher sehr irren, welche die heiligen Schriften nicht kennen. Es war ein Lob für den Timotheus, dass der Apostel zu ihm sagen konnte: „Weil du von Kind auf die heiligen Schriften kennst, die vermögend sind, dich zur Seligkeit weise zu machen;“ aber dann fügt er hinzu: „durch den Glauben, der in Christus Jesus ist“ (2.Tim 3,15). Die wahre Erkenntnis von der heiligen Schrift wird uns immer zu den Füßen Jesu leiten; aber die bloße Kopferkenntnis der heiligen Schrift, ohne die Liebe des Herzens für Christus, wird uns nur zu wirksameren Agenten in den Händen Satans machen.
So war es bei dem hartherzigen, geldgierigen Judas der Fall. Er hatte Erkenntnis ohne einen Funken von Zuneigung für Christus; und seine große Vertrautheit mit jenem Gesegneten machte ihn zu einem passenden Werkzeug für den Teufel. Seine Nähe bei Jesu befähigte ihn, ein Überlieferer zu werden; und der Teufel wusste, dass dreißig Silberlinge seine Dienste erkaufen konnten für das schreckliche Werk der Überlieferung seines Herrn.
Geliebter Leser, bedenke dieses! Hier war ein Apostel – ein Prediger des Evangeliums – ein hoher Bekenner; aber ach! unter dem Deckmantel des Bekenntnisses lag „ein Herz geübt in Habsucht“ – ein Herz, welches einen weiten Raum für dreißig Silberlinge hatte, aber keinen Winkel für Jesus. Welch ein Fall! Was für ein Gemälde! Was für eine Warnung! O, alle ihr herzlosen Bekenner, denkt an Judas! Denkt an seinen Wandel! Denkt an seinen Charakter! Denkt an sein Ende! Er predigte das Evangelium, aber er erkannte es niemals; niemals glaubte er – niemals fühlte er. Er hat Sonnenstrahlen auf einen Vorhang gemalt, aber er hat niemals ihren Einfluss gefühlt. Er hatte ein weites Herz für Geld, aber kein Herz für Christus. Als „der Sohn des Verderbens erhängte er sich selbst“ und „ging an seinen Ort.“ Bekennende Christen, hütet euch vor Kopferkenntnis – Lippenbekenntnis – äußerlicher Frömmigkeit – mechanischer Religion – hütet euch vor diesen Dingen, und sucht ein Herz für Christus zu haben!
In dem Petrus haben wir ebenfalls eine Warnung, wenn auch von ganz verschiedener Art. Er liebte Jesus wirklich; aber er fürchtete das Kreuz. Inmitten der Reihen der Feinde erschrak er vor dem Bekenntnis seines Namens zurück. Er prahlte von dem, was er tun wollte, wenn es ihm selbst sein Leben kosten würde. Er war aber fest eingeschlafen, als er hätte auf seinen Knien sein sollen. Anstatt zu beten, schlief er; und dann, anstatt ruhig zu sein, zog er sein Schwert. „Er folgte Jesu von ferne nach“, und dann „wärmte er sich an dem Feuer des Hohepriesters.“ Endlich fluchte und schwur er, dass er seinen geliebten Herrn nicht kannte. Dies alles war schrecklich! Wer würde daran denken, dass der Petrus in Matthäus 25,16 der Petrus in Matthäus 26 sei? Ja, es ist so; der Mensch, in seinem besten Zustand, ist nur einem verwelkten Blatt gleich; „er bleibt nicht.“ Die höchste Stellung, das lauteste Bekenntnis kann alles darin enden, dass man Jesu von ferne nachfolgt und seinen Namen auf eine traurige Weise verleugnet.
Es ist sehr wahrscheinlich, ja, fast, gewiss, dass Petrus den Gedanken verachtet haben würde, Jesus für dreißig Silberlinge zu verkaufen; und dennoch war er bange, um Ihn vor einer Magd zu bekennen. Er möchte Ihn seinen Feinden nicht überliefert haben; aber er verleugnet Ihn vor ihnen. Er mag das Geld nicht geliebt haben; aber er versäumt es, ein Herz für Christus zu offenbaren.
Welch eine ernste Warnung! O wie sehr haben sich die Seinen vor Selbstvertrauen zu hüten, sich zu üben, im Geist zu beten, sich nahe bei Jesu und fern von allen Einflüssen der Welt zu halten! Wie sehr haben sie zu wachen, um nicht in einen gleichgültigen und trägen Zustand der Seele zu verfallen, sondern stets mit Christus beschäftigt zu sein! Das ist die rechte Schutzwaffe. Es ist nicht genug, mit der bloßen Vermeidung der offenbaren Sünde zufrieden zu sein, im Verhalten und Charakter tadellos dazustehen, sondern eine innige und warme Zuneigung für Christus zu haben. Der, welcher „Jesu von ferne nachfolgt“, kann Ihn auf einmal verleugnen. Lasst uns daran denken. Lasst uns aus dem Vorfall mit Petrus Nutzen ziehen. Er selbst sagt uns nachher: „Seid nüchtern, wacht; euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher, suchend, welchen er verschlinge. Dem widersteht standhaft durch den Glauben“ (1.Pet 5,8–9). Dies sind wichtige Worte, die von dem Heiligen Geist und durch die Feder dessen kommen, der aus Mangel an „Wachsamkeit“ so sehr gelitten hatte.
Gepriesen sei die Gnade, welche dem Petrus vor seinem Fall sagen konnte: „Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ Bemerke wohl; Er sagt nicht: „Ich habe für dich gebetet, dass du nicht fallen mögest.“ Nein; sondern, „dass dein Glaube nicht aufhöre“, wenn du gefallen bist. Köstliche, unvergleichliche Gnade! Sie allein war die Hilfe des Petrus. Er war ein Schuldner der Gnade vom Anfang bis zum Ende. Als ein verlorener Sünder war er ein Schuldner „des köstlichen Blutes Christi;“ und als ein strauchelnder Heiliger war er ein Schuldner der alles überwindenden Vertretung Christi. So war es mit dem Petrus. Die Vertretung Christi war die Grundlage seiner glücklichen Wiederherstellung. Von dieser Vertretung wusste Judas nichts. Nur jene, die in dem Blut Christi gewaschen sind, haben an seiner Vertretung Teil. Judas wusste nichts davon. Zudem „ging er hin und erhängte sich“, während Petrus hinging, als eine zurückgekehrte oder wiederhergestellte Seele, um „seine Brüder zu stärken.“ Keiner ist so passend, seine Brüder zu stärken, als der, welcher selbst die wiederherstellende Gnade Christi erfahren hat. Petrus war fähig, vor der Versammlung Israels zu stehen und zu sagen: „Ihr habt den Heiligen und Gerechten verleugnet“ – ganz dieselbe Sache, welche er selbst getan hatte. Und dieses zeigt, wie völlig sein Gewissen durch das Blut gereinigt, und sein Herz durch die Vertretung Christi wiederhergestellt war.
Und jetzt noch ein Wort über die Frau mit der Alabaster Flasche. Sie zeigt sich in einem schlagenden und lieblichen Gegensatz zu allen. Während die Hohepriester, Ältesten und Schriftgelehrten sich „in dem Palast des Hohepriesters Kajaphas“ gegen Christus verschwören, salbte sie seinen Leib „in dem Haus Simons, des Aussätzigen.“ Während Judas mit den Hohepriestern übereinkam, Jesus für dreißig Silberlinge zu verkaufen, goss sie den köstlichen Inhalt ihrer Alabaster Flasche auf seine Person. Rührender Gegensatz! Sie war völlig in ihren Gegenstand vertieft, und ihr Gegenstand war Christus. Diejenigen, welche seinen Wert und seine Schönheit nicht kannten, mochten ihr Opfer eine Verschwendung nennen. Der, welcher Ihn für dreißig Silberlinge verkaufen konnte, mochte vom „Geben an die Armen“ sprechen; aber sie beachtete jene nicht. Ihre Einwendungen und ihr Murren war nichts für sie. Sie hatte in Christus ihr alles gefunden. Jene mochten murren, aber sie konnte Gott dienen und anbeten. Jesus war mehr für sie, als alle die Armen der Welt. Sie fühlte, dass nichts „Verschwendung“ war, was Ihm gespendet wurde. Er mochte nur dreißig Silberlinge für den wert sein, der ein Herz für das Geld hatte; aber Er war mehr als zehntausend Welten für sie wert, weil sie ein Herz für Ihn hatte. Glückliches Weib! Möchten wir ihr nachahmen! Möchten wir immer unseren Platz zu den Füßen Jesu finden und seine gesegnete Person lieben, anbeten, bewundern und Ihm dienen! Möchten wir zu seinem Dienst alles verwenden und verwendet werden, selbst wenn den herzlosen Berlinern unser Dienst eine törichte „Verschwendung“ scheinen möchte! Die Zeit naht schnell heran, wo wir es nicht bereuen werden, seines Namens wegen etwas getan zu haben. Ja, wenn dort noch für eine einzige Reue Raum sein würde, so würde es die sein, dass wir Ihm in dieser Welt so träge und schwach gedient haben. Wenn an „dem wolkenlosen Morgen“ ein einfaches Erröten die Wangen bedecken könnte, so würde es daher kommen, dass wir hier unten nicht ungeteilter uns seinem Dienst widmeten.
Geliebter Leser, lass uns dies wohl erwägen; und möge der Herr uns ein ganzes Herz für Christus verleihen!