Botschafter des Heils in Christo 1863
Elihu, oder "Einer unter Tausend" (Hiob 33)
Das ganze Buch Hiob stellt in einer sehr lebendigen Weise das Interesse dar, welches Gott an der Geschichte, der Erfahrung und dem Zustand einer einzigen Seele nimmt. Es ist ein langes Buch von zweiundvierzig Kapiteln und enthält eine Darstellung verschiedener Ereignisse und Umstände, mancherlei Wirkungen und Einflüsse, die aber alle in Beziehung zu der Geschichte einer Seele stehen. Himmel, Erde und Hölle werden auf den Schauplatz gebracht. Jehova, Satan, die Sabäer, die Chaldäer, das Feuer vom Himmel und der Wind von der Wüste, Hiobs Weib, Hiobs Freunde kurz alles wird in Tätigkeit gesehen, alles in Anspruch genommen in Beziehung zu einer einzigen Seele. Diese eine Tatsache ist genügend, um für das Buch Hiob ein besonderes Interesse zu erwecken. Es gibt uns eine Belehrung eine sehr eindringliche Belehrung über den Wert, den eine Seele in den Augen Gottes hat, und über seine Teilnahme an allem, was dieselbe betrifft, sei es groß oder klein.
Das, was ich hier darzustellen beabsichtige, ist keineswegs eine Betrachtung über das ganze Buch Hiob zu geben, sondern ich möchte nur die Aufmerksamkeit meines Lesers auf den Dienst des Elihu lenken, auf den Platz, den derselbe einnimmt, und auf die Wirkung, die er in Hiobs geistlicher Geschichte hervorbringen sollte.
Die Bedeutung des Wortes „Elihu“ ist: „Gott ist es.“ Er steht vor dem geistlichen Gemüt als das bezeichnende Vorbild des Herrn Jesus Christus, welcher ist „Gott über alles, gelobt in Ewigkeit;“ „Gott offenbart im Fleisch;“ „der eine Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Jesus Christus.“ Der Zeitpunkt, in welchem Elihu handelnd auftritt, ist der besonderen Aufmerksamkeit meines Lesers wert. Die drei Freunde Hiobs hatten gänzlich ihre Aufgabe verfehlt, ihm in seinem Fall auf die rechte Weise zu begegnen. Ihr Dienst war ganz einseitig. Sie brachten eine beträchtliche Masse von Wahrheit zusammen, um sie auf ihn zu legen; aber da war keine Gnade. Ein einziges Beispiel möge genügen, um den Grundsatz all ihrer Ansprachen zu beleuchten: „Wie mag ein Mensch gerecht sein vor Gott? Und wie mag rein sein eines Weibes Kind? Siehe, der Mond scheint noch nicht, und die Sterne sind nicht rein vor seinen Augen. Wie viel weniger ein Mensch, die Made, und ein Menschenkind, der Wurm?“ (Kap 25,4–6). Bildad und seine Gefährten konnten wohl diese Fragen aufstellen, aber sie konnten sie nicht beantworten. Sie konnten verwunden, aber nicht heilen; sie konnten niederreißen, aber nicht aufbauen; und daher finden 5 wir Hiob wieder und wieder in solchen Ausdrücken sich Luft machen, wie folgende: „Ja, ihr seid die Leute, mit euch wird die Weisheit sterben.“ – „Ich habe dergleichen oft gehört; ihr seid allzumal leidige Tröster.“ – „Wie lange plagt ihr doch meine Seele, und zermalmt mich mit Worten?“ – „Ach, dass ich wüsste, wo ich Ihn finden könnte.“ – „Was hast du nun geholfen dem Ohnmächtigen? Wie hast du gerettet den kraftlosen Arm? Was hast du Rats gegeben dem Unweisen?“ – „Ihr seid allzumal unnütze Ärzte.“
Solches waren die Ausdrücke, die Seufzer, welche Hiob ausstieß unter dem einseitigen Dienst seiner drei Freunde, deren Absichten ohne Zweifel gut und aufrichtig waren; aber ihnen mangelte etwas Wesentliches, welches sie allein fähig gemacht haben würde, mit einem Sünder zu handeln: sie hatten keine Gnade. Sie wussten Hiob nicht zu sagen, wo er den finden konnte, den er suchte. Sie hatten keine Kraft für den Kraftlosen, oder Weisheit für den Toren, oder Vergebung für den Schuldigen, oder Balsam für den Verwundeten, oder Arznei für den Kranken oder Leben für den Toten. Nichts als gesetzlicher Ernst und unbiegsame Strenge war bei diesen drei Männern, welche es zwar gut mit Hiob meinten, aber es nicht verstanden, ihm auf die rechte Weise zu begegnen; sie waren unfähig, einen armen, blinden, hilflosen, bedürftigen, schuldigen Sünder zu trösten. Um vor Bildad und seinen Gefährten bestehen zu können, muss man keine Wunden, keine Beulen, keine Flecken und Runzeln haben. Wenn nur eine einzige Wunde da ist, so werden diese „unnützen Ärzte“ gewiss ihren durchbohrenden Blick darauf haften lassen, um die entmutigende Frage zu erheben, warum und woher dieselbe gekommen sei. Wenn nur ein einziger Unglücksfall sich ereignet, so werden diese „leidigen Tröster“ gewiss das Auge mit kalter Strenge darauf richten und fragen, warum es so kommen musste. Wenn nur ein einziges Gebrechen zu finden ist, so werden diese ernsten Richter sicher mit dem Finger daraus hinweisen, und fragen, warum es nicht geheilt sei.
Es war deshalb augenscheinlich unmöglich, dass Hiob und seine Freunde jemals zu einer Verständigung hätten kommen können. Sie verlangten, was er nicht zu tun vermochte; und er bedurfte, was sie nicht geben konnten. Sie selbst standen auf dem unrichtigen Grund, als sie sich mit ihm beschäftigten, und sie waren unfähig, ihn auf den rechten Grund zu stellen, um ihnen zu antworten. So stand es zwischen Hiob und seinen Freunden. Er wollte sich selbst rechtfertigen, und hierin lag sein Irrtum; sie wollten ihn verurteilen, und dies war ihr Fehler. Hätten sie die Plätze gewechselt, so würden sie einander besser verstanden haben; aber so, wie es war, konnte man nichts anderes erwarten, als einen endlosen Wortstreit einen beständigen Widerspruch. Er wollte ihnen Nichts bekennen, und sie wollten ihm keine Nachsicht widerfahren lassen. Er hatte für sie keine bußfertigen Seufzer, und sie hatten für ihn keine zärtlichen Ausdrücke. Es war eine hilflose Lage.
Auf diese Weise war die Szene vorbereitet, um von Elihu betreten zu werden. Er war der Mann, den man gebrauchte. Er brachte gerade das mit sich, was Hiob bedurfte, und was seine Freunde ihm nicht geben konnten. Hiob hatte sehr nach einem solchen Mann sich gesehnt; er hatte ernstlich nach einem Schiedsrichter verlangt; und nun stand dieser Schiedsrichter vor ihm in der vorbildlichen Person des Elihu ein Bild dessen, durch welchen beides, „Wahrheit und Gnade“, von Gott zu dem Menschen gekommen ist. „Das Gesetz war durch Mose gegeben; aber die Gnade und die Wahrheit sind durch Jesus Christus geworden.“ Hier bricht die moralische Herrlichkeit der Person und des Dienstes Christi in ihrem ganzen unvergleichlichen Glanze hervor. Er brachte „Wahrheit“, um den wirklichen Zustand des Menschen zu offenbaren; und er brachte „Gnade“, um diesem so offenbar gemachten Zustand zu begegnen. Die Wahrheit stellt den Sünder auf seinen rechten Platz; und die Gnade bringt Gott hernieder, um ihm daselbst zu begegnen. Die Gnade kann nicht abgesondert von der Wahrheit wirken; und die Wahrheit will nicht getrennt von der Gnade handeln. Beide sind in dem herrlichen Dienst unseres Herrn und Heilands unzertrennlich miteinander verbunden. Die Herrlichkeit, welche jedes einzeln hat, wenn man sie getrennt erblickt, wird zweifach groß, wenn sie in Verbindung treten. Die Wahrheit, welche die heiligen Ansprüche Gottes behauptet, scheint nur desto heller durch ihre Vereinigung mit der Gnade, welche vollkommen all den tiefen Bedürfnissen des Sünders begegnet; und die Gnade, welche den Bedürfnissen des Sünders begegnet, wird nur desto herrlicher durch die Grundlage der Wahrheit, auf welcher sie ruht. Wir werden diese beiden Elemente, „Gnade und Wahrheit“, aufs schönste in dem Dienst des Elihu entwickelt sehen, auf welches wir jetzt unsere Aufmerksamkeit richten wollen.
Als Hiob seine Rede geschlossen und seine drei Freunde aufgehört hatten, ihm zu antworten; oder, mit anderen Worten, als beide Parteien gerade dahin wieder gelangt waren, wo sie angefangen hatten, „da entflammte der Zorn des Elihu, des Sohnes Baracheel von Bus, des Geschlechts Ram; über Hiob ward er zornig, dass er seine Seele gerechter hielt, denn Gott; und über seine drei Freunde ward er zornig, dass sie keine Antwort fanden und doch Hiob verdammten“ (Kap 32,2–3).
Hier trifft Elihu, in der Ausübung seines wahrhaftigen Dienstes, genau den Punkt, in welchem beide, Hiob und seine Freunde, von Anfang an geirrt hatten. Er wendet sich zuerst an die Freunde: „Siehe, ich habe geharrt euren Worten; ich habe aufgemerkt auf euren Verstand, bis ihr träft die rechte Rede; und habe Acht gehabt auf euch; aber siehe, da ist keiner unter euch, der Hiob strafe, oder seiner Rede antworte. Dass ihr nicht etwa sagt: wir haben die Weisheit getroffen; Gott wird ihn schlagen und kein Mensch“ (Kap 32,12–13). Sie hatten ihn verdammt, ohne ihn zu überführen. Die göttliche Weise ist im Gegenteil, einen Menschen zu überführen und ihn sich selber das Urteil sprechen zu lassen. Die Sprache einer göttlich überführten Seele ist: „Gott aber sei wahrhaftig, jeder Mensch aber Lügner; wie geschrieben steht: Dass du gerechtfertigt seist in deinen Worten, und überwindest, wenn du gerichtet wirst“ (Röm 3,4). Aber Hiobs Freunde hatten dieses Resultat nicht erreicht, und deswegen tadelt sie der glaubensvolle Elihu; und sie werden genötigt, stumm und erstaunt in seiner Gegenwart zu bleiben.
Soweit in Betreff der drei Freunde. Lasst uns jetzt seine Anrede an Hiob etwas näher betrachten. Alles ist in lieblicher, moralischer Ordnung. Wir wollen uns für jetzt nur auf zwei oder drei leitende Punkte in Kapitel 33 beschränken.
Vor allen Dingen stand Elihu vor Hiob, als derjenige, welcher seiner Not begegnen konnte: „Siehe, ich bin nach deinem Wunsch an Gottes statt; und aus Ton bin auch ich gebildet“ (V. 6; vgl. 9,33; 13,3). Welch ein getreues Vorbild von Christus! „An Gottes statt“ und dennoch „gebildet aus Ton.“
Das ist etwas für einen armen, hilfsbedürftigen Sünder. „Siehe, du darfst vor mir nicht erschrecken; und meine Hand soll dir nicht zu schwer sein“ (V. 7). Hier erklingen die rührenden, herzgewinnenden Töne der Gnade in das Ohr Hiobs. Bisher hatte er nur die Ausdrücke eines harten Urteils und einer schneidenden Strenge gehört, während er jetzt auf die Worte leutseliger Zärtlichkeit lauschen konnte. Und ach! welch eine Freude erfüllt das Herz eines überführten Sünders, wenn er von den Lippen Jesu jene Worte hört: „Und meine Hand soll dir nicht zu schwer sein.“ Und dies ist in Wahrheit seine gnädige Sprache zu jedem, der seinen wahren Platz als ein verlorener Sünder einnimmt. Die Hand Christi war nie, wird nie und kann nie schwer sein auf einer bußfertigen Seele. Er wird nie den Mühseligen und Beladenen, der zu Ihm kommt, ohne Erquickung lassen.
Es fällt aber dem Sünder sehr hart, zu glauben, dass des Herrn Hand nicht schwer auf ihm liegen sollte. „Tag und Nacht“, sagte jemand, „war deine Hand schwer auf mir.“ Aber warum war es so? Weil er nicht seinen rechten Platz im Bekenntnis und Selbstgericht eingenommen hatte. Aber im selbigen Augenblicke, wo er spricht: „Ich werde dir kundtun meine Sünde, und meine Ungerechtigkeit nicht bedecken;“ ich sagte: „ich will Jehova bekennen meine Übertretungen;“ da war es nicht mehr die schwere Hand, sondern: „und du wirst mir vergeben die Ungerechtigkeit meiner Sünden“ (Ps 33). So ist es immer. Göttliche Vergebung folgt sogleich auf menschliches Bekenntnis. Solange der Sünder damit zurückhält solange irgendein Vorbehalt bleibt, irgendein Deckmantel oder eine Entschuldigung, irgendein Verbergen der Sünde, irgendein Anspruch auf Gerechtigkeit oder Frömmigkeit, irgendeine Voraussetzung von Kraft oder Weisheit solange muss auch die schwere Hand bleiben; aber in dem Augenblick, wo der Sünder den Platz des Selbstgerichts einnimmt, da heißt es auch: „Siehe, du darfst vor mir nicht erschrecken, und meine Hand soll dir nicht zu schwer sein.“ Die schwere Hand der ewigen Gerechtigkeit lag auf dem Lamm, welches der Welt Sünden wegnimmt, als es am Kreuz hing, um sie auf immer von dem armen, sich selbst verdammenden Sünder zu entfernen.
Dies wird völlig die Meinung Elihus erklären, wenn er sagt: „So denn ein Engel, ein Mittler, einer aus Tausend, ihm beisteht, zu verkündigen dem Menschen seinen rechten Weg: so wird er ihm gnädig sein, und sagen: Erlöse ihn, dass er nicht hinunter fahre ins Verderben; ich habe eine Versöhnung gefunden“ (V. 23–24).
Es gibt in der Tat nur „einen unter Tausend“, welcher einem Menschen zeigen wird, worin seine wahre Aufrichtigkeit besteht. Für einen, der ihm in Betreff dieses die Wahrheit sagen wird, werden es neun Hundert neun und neunzig andere geben, welche ihm sagen werden, dass die Aufrichtigkeit darin bestehe, sein Bestes zu tun, sich zu bemühen, ein gutes Leben zu führen, Anstrengungen zur Selbstbesserung zu machen und dergleichen mehr. Wenn die „Aufrichtigkeit“ in diesen Dingen bestände, dann hatte Hiob Überfluss daran. Wenn mein Leser ein wenig das 29. Kapitel betrachtet, so wird er finden, dass Hiob, wie man zu sagen pflegt, auf der höchsten Stufe stand, als ein Mann, der den Ruf der größten Moralität und weitherzigsten Wohltätigkeit hatte, Dinge, welche an und für sich wirklich schön sind. Und dennoch, sobald der treue „Engel“ der wahrhaftige „Mittler“ der „Eine aus Tausend“ den Schauplatz betritt, gibt er einen ganz und gar veränderten Gesichtspunkt über die Sache. Er sagt uns, dass des Menschen Aufrichtigkeit darin bestehe, zu bekennen, dass man gesündigt habe. Erwartet Er von den Menschen, dass sie Ihm sagen: „Ich habe ein gutes Leben geführt ich habe Tausende den Armen gegeben ich habe viel gebetet viele Tränen vergossen viel gefastet viele Predigten gehört viel in der Bibel gelesen alle Arten guter Werke getan.“ Ist es dieses? O nein! aber wenn jemand sagt: „Ich habe gesündigt und Unrecht getan“ was dann? Wird Er ihn dann in die Hölle werfen? Nein; „Er wird seine Seele erlösen, dass sie nicht ins Verderben fährt, sondern dass sein Leben das Licht sieht.“
Beachte dies wohl, geliebter Leser, ich bitte dich! Des Menschen Aufrichtigkeit besteht darin, zu bekennen, dass er gesündigt habe. Wie einfach! Und doch, so einfach es ist, so schwer wird es dem Herzen, sich auf diesen Grund zu stellen. Wie schwer fand es Hiob! Welche Gegenreden! Welch ein Wortstreit! Welche Selbstrechtfertigung! Welches Rühmen seiner guten Werke! Welches Zufluchtnehmen zur öffentlichen Meinung! Welch ein Prozessoren! Welch unermessliche Schwierigkeit, um mit sich selbst zu Ende zu kommen, und seinem Herzen jenen Ausdruck wahrer Aufrichtigkeit abzupressen die wenigen Wörtlein: „Ich bin ein Sünder.“ So ist es mit dem armen menschlichen Herzen. Es ist so schwer, das ganze Gebäude seines guten Rufes um sich her in Trümmern liegen zu sehen! Und dennoch ist es nur unter den Trümmern des eigenen Ichs, dass einer den Anblick der Herrlichkeit Christi genießen kann. Behaupte deinen eigenen Charakter – baue auf deinen eigenen Ruhm – wirke deine eigene Gerechtigkeit – was aber wirst du damit gewinnen? Gerade dadurch wirst du eine unüberwindbare Schranke zwischen deiner Seele und dem Heil Gottes aufrichten. Diese Schranke muss niedergerissen werden, sie muss in Staub zerfliegen zu deinen Füßen, ehe deine Seele sich sonnen kann in den Strahlen jener freien Gnade, welche durch Gerechtigkeit herrscht zum ewigen Leben, durch Jesus Christus, unseren Herrn.
Es ist von der größten Wichtigkeit, ein klares Verständnis über die Frage von der Aufrichtigkeit des Menschen zu haben. Es ist zu befürchten, dass sehr wenige sie verstehen. Der einzig wahre Grund für einen Sünder ist das Bekenntnis des völligen Verderbens. „Ich habe gesündigt;“ – dies ist es, was ich getan habe. „Ich bin verdorben;“ – dies ist es, was ich bin. Diese wenigen Worte bezeichnen die ganze Summe der Werke und des Zustandes des Menschen und bilden das einzige Formular für eine aufrichtige Seele. „Siehe, wer übermütig ist, dessen Seele ist nicht recht in ihm; aber der Gerechte aus seinem Glauben wird leben“ (Hab 2,4). „Gott sei mir Sünder gnädig!“ ist der einzige Seufzer eines aufrichtigen Herzens. Wenn ich nicht aus innerster Seele mich als verloren bekenne, so bin ich nicht aufrichtig. Wenn ich wähne, dass ein einziger guter Zug in meiner Natur und in meinem Charakter vor den Augen Gottes liege, dann habe ich noch nicht recht die Stimme des Mittlers – des „Einen unter Tausend“ gehört.
Und nun lasst mich fragen: „Was empfängt eine Seele, wenn sie Aufrichtigkeit gelernt hat?“ – Sie empfängt, der Rede des Elihu gemäß, drei Dinge: Erlösung, Gerechtigkeit und Auferweckung. Das göttliche Zeugnis für jede überführte, sich selbst verdammende Seele ist dieses: „Ich habe eine Erlösung erfunden;“ und nicht: „Gehe hin und finde sie, wo du kannst!“ Nein! Gott versichert mir, dass Er selbst sie gefunden hat, – alles gefunden, was nötig war, – gefunden für alle, welche sich selbst als verloren erkennen und bekennen, – gefunden für mich. Gott erklärt sich befriedigt durch das Lösegeld; und es kann auch nicht anders sein, da Er selbst es erfunden hat. Er hat seine Befriedigung durch die Auferweckung dessen erwiesen, welcher mit seinem Blut die furchtbare Schuld bezahlt, das Lösegeld für mich entrichtet hat. Er kann jetzt dem Sünder diese freisprechenden Worte sagen: „Erlöse ihn, dass er nicht hinunter fahre ins Verderben“ – Worte, die mir auf der einen Seite sagen, dass es eine Grube gibt, woraus ich erlöst werden muss, während sie mir auf der anderen Seite von der Gnade erzählen, die mich daraus erlöst. Gott kann sich jetzt zu dem armen, zitternden und bußfertigen Sünder wenden, und ihm sagen: „Meine Hand soll dir nicht zu schwer sein;“ und indem Er dieses ausspricht, weist Er auf das Kreuz hin, wo das Lösegeld mit dem Blut seines eingeborenen, ewigen Sohnes bezahlt wurde. Möge mein Leser jetzt erfahren, wenn er es bis dahin noch nicht erfahren hat, welch einen Wert dieses Lösegeld hat, und wie vollständig die darauf gegründete Erlösung ist!
Innigst verbunden mit diesem Lösegeld, ja gegründet auf dasselbe, ist die göttliche Gerechtigkeit, welche Gott der Seele nahebringt, die ihre Schuld und ihr Verderben erkennt und bekennt. Elihu sagt: „Er wird dem Menschen seine Gerechtigkeit wiedergeben“, das heißt: Gott gibt mir seine eigene Gerechtigkeit, sobald ich die allein aufrichtige Stellung vor Ihm eingenommen habe, welche darin besteht, dass ich bekenne: „Ich habe gesündigt!“ In demselben Augenblicke, wo mein Herz bekennt, dass es vor Gott nichts als Schuld hat, in demselben Augenblicke sagt Er zu mir, dass Er eine Gerechtigkeit für mich hat, – eine göttliche Gerechtigkeit, gegründet aus ein göttliches Lösegeld. Dies ist das gerade Gegenteil von meiner Bemühung, mich selbst vor Gott zu rechtfertigen – Ihm eine eigene Gerechtigkeit bringen zu wollen. Alles, was ich sagen kann, ist dieses: „Siehe, ich bin nichtswürdig.“ Die göttliche Antwort tönt dagegen mit Klarheit in das Ohr des Glaubens: „Ich bringe dir meine Gerechtigkeit nahe.“ Gott hat das Lösegeld erfunden; Er selbst bringt die Gerechtigkeit nahe und reicht sie dar. Als wir Sklaven waren, bezahlte Er das Lösegeld, und als wir schuldig waren, sorgte Er für das Kleid der fleckenlosen Gerechtigkeit. Es ist alles von Gott. Solange der Sünder in dem Wahn bleibt, dass er Gott eine eigene Gerechtigkeit bringen müsse, solange ist alles dunkel; und das Dunkel ist tief und steht im Verhältnis zu der Übung des Gewissens. Aber sobald er durch den wahrhaftigen Mittler – den „Einen unter Tausend“ – erfährt, dass er ganz verdorben ist, dass er in großem Irrtum gelebt, dass, anstatt seiner Mühe, eine Gerechtigkeit für Gott zu wirken, Gott schon eine Gerechtigkeit für ihn bereit hat, und dass diese Gerechtigkeit eine „Gabe“ ist – durch Jesus Christus, unseren Herrn, alsobald ist sein Herz erleichtert, sein Gewissen befreit, seine ganze Seele mit Frieden und Freude erfüllt. Er erkennt dann seine Torheit, dass er solange getrachtet hat, seine eigene Gerechtigkeit aufzurichten, und ist fähig, hienieden schon in das Lied einzustimmen, welches er für immer in der Herrlichkeit zum Preist dessen singen wird, „der uns geliebt und uns von unseren Sünden in seinem Blut gewaschen hat.“
Und jetzt zum Schluss noch ein Wort über die Hoffnung der Auferstehung, welche Elihu in seiner eigentümlichen Form einführte: „Sein Fleisch wird grünen, mehr denn in der Jugend; er wird wiederkehren zu den Tagen seiner Jünglingschaft“ (V. 25). Dies vollendet das liebliche Gemälde. Das Lösegeld ist der Grund der Rechtfertigung, und die zukünftige Herrlichkeit ist die Hoffnung aller derer, welche die Gerechtigkeit empfangen haben. „Denn wir erwarten durch den Geist aus Glauben die Hoffnung der Gerechtigkeit“ (Gal 5,5). Dies ist die Hoffnung, welche aus unserer neuen Stellung vor Gott entspringt. Wir haben die Gerechtigkeit empfangen, und wir warten auf die Zeit, wo wir mit Christus in der Herrlichkeit offenbar werden sollen. Dann wird es keine Sorgen, keine Seufzer, keine Krankheiten oder Schmerzen, keine Schwachheit, keinen Tod, keine Trennung noch Trübsal mehr geben. Das Grün und die Frische der Unsterblichkeit werden uns für immer bekleiden. Wir werden eine ewige Jugend besitzen. „Geliebte! jetzt sind wir Gottes Kinder, und es ist noch nicht offenbart worden, was wir sein Werden; wir wissen aber, dass, wenn (Er) offenbart ist, wir Ihm gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist“ (1. Joh 3,2). „Denn unser Wandel ist in den Himmeln, woher wir auch als Heiland den Herrn Jesus Christus erwarten, der den Leib unserer Niedrigkeit umgestalten wird, dass er dem Leib seiner Herrlichkeit gleichförmig sei, nach der Wirkung, womit Er vermag, auch alle Dinge sich untertänig zu machen“ (Phil 3,21).
Möge der Herr durch seinen Geist diese heiligen Unterweisungen aus seinem Wort auf die Tafeln unserer Herzen eingraben, damit wir eine erhabenere Vorstellung von dem Wert des Lösegeldes, und von der darauf gegründeten Gerechtigkeit bekommen, und eine lebendigere Hoffnung der Herrlichkeit in uns nähren, in welcher wir um ein gar Kleines erscheinen werden!