Botschafter des Heils in Christo 1863
Was ist die Wiedergeburt? - Teil 2/2
2. Nachdem wir nun durch verschiedene Schriftstellen zu beweisen gesucht haben, dass die Wiedergeburt oder die neue Geburt nicht eine Veränderung der gefallenen Natur des Menschen, sondern die Mitteilung einer neuen – einer göttlichen Natur ist, so lasst uns jetzt, geleitet durch die Unterweisungen des Geistes, fortfahren zu betrachten, wie die neue Geburt hervorgebracht – wie sie mitgeteilt wird. Dies ist ein Punkt von unermesslicher Wichtigkeit indem er das Wort Gottes als das große Werkzeug vor uns hinstellt, welches der Heilige Geist gebraucht, um tote Seelen lebendig zu machen. „Durch das Wort des Herrn wurden die Himmel gemacht“, und durch das Wort des Herrn werden tote Seelen ins Leben gerufen. Das Wort des Herrn ist schaffend und wiedergebärend. Es rief Welten ins Dasein; es ruft Sünder vom Tod zum Leben. Dieselbe Stimme, die vor Alters sagte: „Es werde Licht!“ muss auch jetzt bei jedem Einzelnen sagen: „Es werde Leben!“
Im Evangelium des Johannes Kapitel 3 finden wir in der Unterredung des Herrn mit Nikodemus viel köstliche Belehrung über die Art und Weise, in welcher die Wiedergeburt hervorgebracht wird. Nikodemus behauptete eine sehr hohe Stellung, in der, wie man jetzt sagen würde, religiösen Welt. Er war „ein Mensch von den Pharisäern“ – „ein Oberster der Juden“ – „ein Meister in Israel.“ Er hätte kaum eine höhere oder einflussreichere Stellung einnehmen können. Und doch ist es sehr augenscheinlich, dass es diesem bevorzugten Mann nicht wohl zu Mut war. Trotz aller seiner religiösen Vorzüge fühlte sein Herz ein ruheloses Sehnen nach etwas, das weder sein Pharisäismus, noch das ganze jüdische System ihm verschaffen konnten. Es ist wohl möglich, dass er nicht genau anzugeben wusste, was ihm eigentlich fehlte; aber ihm fehlte etwas, sonst würde er sicher nicht bei der Nacht zu Jesu gekommen sein. Es war augenscheinlich, dass ihn der Vater mit unwiderstehlicher, wiewohl sanfter Hand zum Sohn hinzog; und Er zog ihn dadurch, dass Er ein Bedürfnis in seiner Seele erweckte, das durch nichts um ihn her befriedigt werden konnte. Dies ist ein sehr gewöhnlicher Fall. Einige werden durch einen starken Sündendruck, andere durch ein tiefgefühltes Bedürfnis zu Jesu gezogen. Nikodemus gehörte offenbar zu der letzteren Klasse. seine Stellung war eine solche, welche die Idee von groben Lastern ausschließt; und darum war es bei ihm mehr eine Leere in seinem Herzen, als große Schuld auf seinem Gewissen, was ihn zu Jesu trieb. Aber es kommt doch am Ende auf eins hinaus. Das schuldige Gewissen und das sehnende Herz müssen beide zu Jesu gebracht werden; denn Er allein kann beiden – dem einen wie dem anderen – begegnen. Er kann durch sein teures Opfer jeden Flecken vom Gewissen entfernen, und Er kann durch seine unvergleichliche Person jede Leere im Herzen ausfüllen. Das durch Jesu Blut gereinigte Gewissen ist vollkommen rein, und das durch die Person Jesu erfüllte Herz ist vollkommen erfüllt.
Nikodemus aber hatte, wie viele außer ihm, manches zu verlernen, ehe er die Erkenntnis Jesu wirklich zu erfassen vermochte. Er hatte einen hinderlichen Ballast von religiösem Machwerk wegzuwerfen, ehe er die göttliche Einfalt von Gottes Heilsplan zu begreifen vermochte. Er hatte von den höchsten Höhen rabbinischer Gelehrsamkeit herunter zu steigen, um das A–B–C des Evangeliums in der Schule Jesu zu lernen. Das war sehr demütigend für „einen Menschen von den Pharisäern“ – „einen Obersten der Juden“, – „einen Meister in Israel.“ Da ist nichts, woran der Mensch so hartnäckig festhält, als an seiner Religion und seiner Gelehrsamkeit; und es muss dem Nikodemus höchst sonderbar vorgekommen sein als „ein Lehrer, von Gott gekommen“, zu ihm sagte: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren worden sei, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ – Es muss ihn, da er ein Jude von Geburt war, und als solcher zu allen Vorrechten eines Sohnes Abrahams berechtigt, in große Verwirrung gebracht haben, zu hören, dass er wiedergeboren – dass er der Gegenstand einer neuen Geburt werden müsse, um das Reich Gottes zu sehen. Hiermit wurden alle seine Vorrechte und Auszeichnungen gänzlich bei Seite gesetzt. Es rief ihn auf einmal von der höchsten Sprosse der Leiter hinunter zur niedrigsten. Ein Pharisäer, ein Oberster, ein Meister war diesem himmlischen Reich nicht ein bisschen näher, oder mehr bereit für dasselbe, als der Verworfenste unter den Menschenkindern. Das war sehr demütigend. Wenn er alle seine Vorrechte und Auszeichnungen hätte mitnehmen und in diesem neuen Reich sich auf Rechnung setzen können, das wäre noch etwas gewesen. Es würde ihm dort wenigstens eine Stellung gesichert haben, die weit über der eines Ehebrechers oder eines Zöllners gewesen wäre. Aber setzt, da ihm gesagt wurde, dass er wiedergeboren werden müsse, blieb ihm nichts zu rühmen übrig. Und dies war ich wiederhole es, höchst demütigend für einen so gelehrten, so religiösen, und so einflussreichen Mann.
Es war aber auch ebenso sinnlos, als demütigend. „Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werben, wenn er alt ist? Kann er in den Leib seiner Mutter zum zweiten Male hineingehen und geboren werden?“ (V. 4). Gewiss nicht. Durch eine zweite natürliche Geburt würde nichts mehr gewonnen sein, als durch die erste. Wenn ein natürlicher Mensch zehntausendmal in seiner Mutter Leib zurückkehren und geboren werden könnte, so würden doch nichts weiter, als ein natürlicher Mensch sein; „denn was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch“. Tue mit dem Fleisch, mit der menschlichen Natur, was du willst, du kannst sie nicht ändern oder verbessern; – nichts kann Fleisch in Geist verwandeln. Du magst es bis zum Rang eines Pharisäers, eines Obersten der Juden eines Meisters in Israel erheben – und höher möchte man es kaum bringen – aber dessen ungeachtet wird es Fleisch sein. Wenn dies allgemeiner und klarer verstanden würde, so würde von Taufenden viel fruchtlose Arbeit und Mühe erspart werden. Das Fleisch hat keinen Wert. Es ist in sich selbst nur verwelktes Gras; seine frömmsten Anstrengungen, seine religiösen Vorzüge und Vorteile, seine Werke der Gerechtigkeit, sind durch die Feder der göttlichen Eingebung ein „unflätiges Kleid“ genannt worden (Jes 64,6).
Lasst uns jetzt sehen, auf welche Weise der Herr das „Wie“ des Nikodemus beantwortet. Es ist höchst interessant. „Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand aus Wasser und Geist geboren worden sei, so kann er nicht in das Reich Gottes eingehen. Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren ist, ist Geist. Verwundere dich nicht, dass ich dir sagte: Ihr müsst von neuem geboren werden. Der Wind weht, wo er will und du hörst sein Saufen; aber du Weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht; also ist jeder, der aus dem Geist geboren ist“ (Joh 3,5–8).
Hier wird uns deutlich gelehrt, dass die neue Geburt durch „Wasser und Geist“ hervorgebracht wird. Ein Mensch muss aus Wasser und Geist geboren sein, ehe er das Reich Gottes sehen oder in dessen tiefe und himmlische Geheimnisse eintreten kann. Das schärfste sterbliche Auge ist nicht im Stand, das Reich Gottes zu sehen, noch der ausgezeichnetste menschliche Verstand fähig, in dessen tiefe Geheimnisse einzubringen. „Der natürliche Mensch nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen; denn es wird geistlich beurteilt“ (1. Kor 2,14). „Es sei denn, dass jemand aus Wasser und Geist geboren sei, so kann er nicht in das Reich Gottes eingehen“ (Joh 3,5).
Es mag nun sein, dass viele nicht wissen, was es heißt, „aus Wasser geboren sein.“ Dieser Ausdruck ist in der Tat die Ursache zu vielem Disputieren und vielem Streit geworden. Nur wenn man Schrift mit Schrift vergleicht, kann man zum wahren Verständnis irgendeiner besonderen Stelle gelangen. Es ist eine außerordentliche Gnade für den ungelehrten Christen – für den einfachen Forscher dieses heiligen Buches, dass er nicht nötig hat, außer demselben zu suchen, um den wahren Sinn irgendeiner Stelle aufzufinden.
Was ist denn nun unter dem Ausdruck „aus dem Wasser geboren sein“, zu verstehen? Wir wollen diese Frage durch einige. Anführungen aus der Schrift zu beantworten suchen. In Johannes 1,11–13 lesen wir: „Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht an; so viele ihn aber aufnahmen, denen gab er das Recht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus Geblüt noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.“ Aus dieser Stelle lernen wir, dass jeder, der an den Namen des Herrn Jesus Christus glaubt, wiedergeboren, d. i. aus Gott geboren ist. Dies ist der einfache Sinn dieser Stelle. Alle, die durch die Kraft Gottes, des Heiligen Geistes, an Gott, den Sohn, glauben, sind aus Gott, dem Vater, geboren. Die Quelle des Zeugnisses ist göttlich; der Gegenstand des Zeugnisses ist göttlich und die Kraft, die uns zur Annahme des Zeugnisses fähig macht, ist göttlich. Darum, anstatt mich mit mir selbst zu beschäftigen, und wie Nikodemus zu fragen: „Wie kann ich wiedergeboren werden?“ habe ich mich einfach durch den Glauben auf Jesus zu werfen, und die Wiedergeburt ist geschehen. Alle, die ihr Vertrauen auf Christus setzen, haben ein neues Leben empfangen und sind wiedergeboren.
Ferner: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben, und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tod zum Leben hindurch gedrungen“ (Joh 5,24). – „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, hat das ewige Leben“ (Joh 6,47). – „Diese Dinge aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und dass ihr glaubend das Leben habt in seinem Namen“ (Joh 20,31). – Alle diese Schriftstellen beweisen, dass die einfache Annahme des Zeugnisses über Christus der alleinige Weg ist, auf dem wir dies neue und ewige Leben erlangen können. Alle, die diesem Zeugnis glauben, haben dieses neue – dieses ewige Leben. – Beachte wohl, dass es nicht jene sind, die nur sagen, dass sie glauben, sondern jene, die wirklich glauben, gemäß des Sinnes des Wortes in den vorhergehenden Stellen. In dem Christus, den das Wort offenbart, sowie auch in dem Wort, welches Ja offenbart, ist Leben gebende Kraft. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, dass die Stunde kommt, und ist jetzt, wo die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie gehört haben, werden leben“ (Joh 5,25). Und dann, damit sich nicht beim Gedanken an das Hören von toten Seelen die Unwissenheit verwundere und der Unglaube spotte, wird hinzugefügt: „Verwundert euch darüber nicht; denn es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden; und es werden hervorkommen die, welche Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Übels getan haben, zur Auferstehung des Gerichts“ (V. 28–29). Der Herr Jesus Christus kann sowohl den toten Seelen als auch den toten Leibern seine lebendig machende Stimme hören lassen. Durch seine mächtige Stimme allein teilt Er sowohl dem Leib als auch der Seele das Leben mit. Wenn der Ungläubige und Zweifler an dieser Wahrheit etwas zu klügeln und auszusetzen findet, so rührt es einfach daher, dass er seinen eignen, eitlen Sinn als Richtmaß dessen hinstellt, was sein sollte, und also Gott völlig ausschließt. Das ist ein höherer Grad von Torheit.
Der Leser aber mag sich veranlasst fühlen, zu fragen: Was hat nun dies alles mit der Bedeutung des Wortes „Wasser“ in Johannes 3,5 zu tun? Es hat wohl damit zu tun, indem es zeigt, dass die neue Geburt, das neue Leben, durch die Stimme Christi hervorgebracht und mitgeteilt wird; und diese Stimme ist das Wort Gottes, wie wir in Jakobus 1,18 lesen: „Nach seinem eigenen Willen hat Er uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt.“ Also auch 1. Petrus 1,23: „Die ihr nicht aus verweslichem, sondern aus unverweslichem Samen durch das lebendige und bleibende Wort Gottes wiedergeboren seid“. – In diesen beiden Stellen, wird, ausdrücklich das Wort Gottes als das Werkzeug dargestellt, durch welches die neue Geburt hervorgebracht wird. Jakobus erklärt, dass wir „durch das Wort der Wahrheit gezeugt“, und Petrus, dass wir „durch das lebendige Wort Gottes wiedergeboren sind.“ Wenn nun unser Herr vom „Geborenwerden aus Wasser“ spricht, so ist es offenbar, dass er „das Wort“ unter dem bezeichnenden Bild „des Wassers“ darstellt – ein Bild, welches ein Meister in Israel hätte verstehen müssen, wenn er nur Hesekiel 36,25–27 aufmerksam gelesen hätte.
In dem Brief an die Epheser finden wir, wenn auch nicht gerade in Verbindung mit der Wiedergeburt, eine schöne Stelle, in welcher das Wort Gottes unter dem Bild des Wassers deutlich dargestellt ist: „Ihr Männer liebt eure Weiber, gleich wie auch der Christus die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat; damit Er sie heiligte, indem Er sie durch die Waschung mit Wasser durch das Wort reinigte“ (Eph 5,25–26). – Der Herr sagt zu seinen Jüngern: „Ihr seid jetzt rein um des Wortes willen, welches ich zu euch geredet habe.“ Und in Bezug auf jene Reinigung bezeugt Er ihnen in Johannes 13,10: „Wer gebadet ist, hat nicht nötig, als sich die Füße zu waschen, sondern ist ganz rein.“ – Auch lesen wir in Titus 3,5–7: „errettete er uns, nicht aus Werken, die, in Gerechtigkeit vollbracht, wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit durch die Waschung der Wiedergeburt und die Erneuerung des Heiligen Geistes, den er reichlich über uns ausgegossen hat durch Jesus Christus, unseren Heiland, damit wir, gerechtfertigt durch seine Gnade, Erben würden nach der Hoffnung des ewigen Lebens.“ (Titus 3,5–7)
Aus allen diesen Anführungen lernen wir, dass das Wort Gottes das große Werkzeug ist, dessen sich der Heilige Geist bedient um tote Seelen ins Leben zu rufen. Diese Wahrheit wird in einer besonders interessanten Weise durch die Unterredung des Herrn mit Nikodemus bestätigt; denn anstatt auf seine – von vielen wiederholte – Frage: „Wie kann dieses geschehen?“ zu antworten, stellt Er diesen Meister in Israel vor die „eherne Schlange“, um an jenem Beispiel diese einfache Aufgabe zu lernen. Der gebissene Israelit wurde vormals durch einen einfachen Blick auf die eherne Schlange völlig geheilt; und ebenso empfängt der tote Sünder jetzt das Leben durch einen einfachen Blick auf Jesus am Kreuz und auf Jesus zur Rechten Gottes. Dem Israeliten wurde nicht gesagt, auf seine Wunde zu schauen, obgleich es das Gefühl seiner Wunde war, welches ihn veranlasste, hinzusehen; und ebenso ist auch dem toten Sünder nicht gesagt, auf seine Sünden zu schauen, obgleich es das Gefühl seiner Sünde ist, das ihn veranlasst, hinzusehen. Ein Blick auf die eherne Schlange heilte den Israeliten, und ein Blick auf Jesus macht den toten Sünder lebendig. Ersterer brauchte nicht zum zweiten Male hinzusehen, um geheilt zu werden, und Letzterer braucht nicht zum zweiten Mal hinzusehen, um das Leben zu empfangen. Es war nicht die Art und Weise, in welcher er hinblickte, sondern der Gegenstand, auf den er blickte, welcher den, Israeliten heilte; und ebenso ist es auch nicht die Art und Weise, in welcher der Sünder hinblickt, sondern der Gegenstand, auf den er blickt, welcher dem Sünder das Leben gibt. „Wendet euch zu mir, so werdet ihr errettet, aller Welt Ende“ (Jes 45,22).
Dieses war die köstliche Aufgabe, welche Nikodemus zu lernen berufen war; dies war die Antwort auf sein „Wie.“ Wenn ein Mensch anfängt, über die neue Geburt zu vernünfteln, so wird er in Verwirrung geraten; wenn er aber an Jesus glaubt, so ist er von neuem geboren. Die menschliche Vernunft kann nimmer die neue Geburt fassen; aber das Wort Gottes bringt sie hervor.– viele sind darüber im Unklaren oder gar im Irrtum. Sie beschäftigen sich mit dem Hergang der Wiedergeburt, anstatt mit dem Wort, welches von neuem gebiert; und also kommen sie in Verlegenheit und Verwirrung. Anstatt auf Christus, schauen sie auf sich selbst; und weil zwischen dem Gegenstand, auf welchen wir schauen, und der Wirkung des Schauens eine unzertrennliche Verbindung ist, so können wir leicht einsehen, was die Wirkung sein muss, wenn wir auf uns selbst schauen. Was würde ein Israelit damit gewonnen haben, wenn er seine Wunde betrachtet hätte? Nichts. Was aber gewann er durch sein Schauen auf die eherne Schlange? Seine Gesundheit. Und was gewinnt ein Sünder, wenn er auf sich selbst schaut? Nichts. Was aber gewinnt er, wenn er auf Jesus schaut? „Ewiges Leben.“
3. Es bleibt uns nun noch übrig, die Folgen der Wiedergeburt – ein Punkt von der größten Wichtigkeit– zu betrachten. Wer ist im Stand, die herrlichen Resultate, ein Kind Gottes zu sein, genügend zu würdigen? Wer vermag die Gefühle und Zuneigungen auszulegen, die jener hohen und heiligen Verwandtschaft angehören, in welche die Seele durch die Wiedergeburt tritt? Wer vermag jene köstliche Gemeinschaft völlig zu erklären, welche das Kind Gottes berechtigt ist mit seinem himmlischen Vater zu genießen? „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater gegeben, dass wir Gottes Kinder heißen sollen. Deswegen erkennt uns die Welt nicht, weil sie Ihn nicht erkannt hat. Geliebte! Jetzt sind wir Gottes Kinder und es ist noch nicht offenbart worden, was wir sein werden; wir wissen aber, dass, wenn (Er) offenbart ist, wir Ihm gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist“ (Joh 3,1–3). „Denn so viele vom Geist Gottes geleitet werden, diese sind Söhne Gottes. Denn ihr habt nicht den Geist der Knechtschaft, wiederum zur Furcht, empfangen, sondern ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen, in welchem wir rufen: Abba, Vater! Der Geist selbst zeugt mit unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind. Wenn aber Kinder, so auch Erben, – Erben Gottes und Miterben Christi, wenn wir anders mit Ihm leiden, damit wir auch mit Ihm verherrlicht werden“ (Röm 8,14–17). Es ist sehr wichtig, den Unterschied zwischen Leben und Frieden recht zu verstehen. Erstens ist die Folge unserer Vereinigung mit der Person Christi; letzteres ist das Resultat seines vollendeten Werkes. „Wer den Sohn hat, hat das Leben“ (1. Joh 5,12). Aber: „Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus,“ (Röm 5,1). „Da Er durch das Blut seines Kreuzes Frieden gemacht hat“ (Kol 1,20). – Sobald der Mensch die einfache Wahrheit des Evangeliums in seinem Herzen aufnimmt, wird er ein Kind Gottes. Die Wahrheit, die er in sich aufnimmt, ist der „unverwesliche Samen“ der „göttlichen Natur“ (1. Pet 1,23; 2. Pet 1,4). viele wissen nicht, was alles mit jener einfachen Annahme des Evangeliums verbunden ist. Wie im Natürlichen das Kind des Edelmannes die verschiedenen Vorrechte der Verwandtschaft, in welcher es steht, nicht verstehen mag, ebenso ist es in der Gnade. Ich mag in Betreff der Verwandtschaft, worin ich stehe, und deren Vorrechte, unwissend sein; aber dessen ungeachtet stehe ich darin, und weil ich darin stehe, habe ich auch die Gefühle und Neigungen, die ihr eigen sind; und ich bin schuldig, diese zu pflegen, und ihnen zu gestatten, sich ungezwungen um ihren natürlichen Gegenstand – um den, der mich „durch das Wort der Wahrheit gezeugt hat“, zu winden (Jak 1,18). – Es ist mein Vorrecht, den reichen Strom der väterlichen Liebe, wie er aus dem Schoß Gottes hervorkommt, zu genießen, und diese Liebe durch die Kraft des innewohnenden Geistes zu erwidern. „Wir sind Kinder Gottes“ (1. Joh 3,2). Er hat uns dazu gemacht. Er hat dieses seltene und wunderbare Vorrecht dem einfachen Glauben an seine Wahrheit zuerkannt (Joh 1,12). Wir erreichen diese erhabene Stellung nicht durch „Werke der Gerechtigkeit, die wir getan haben“ oder tun konnten, sondern einfach „nach seiner Barmherzigkeit errettete Er uns, durch die Waschung der Wiedergeburt und die Erneuerung des Heiligen Geistes, den er reichlich über uns ausgegossen hat durch Jesus Christus, unseren Heiland, damit wir, gerechtfertigt durch seine Gnade, Erben würden nach der Hoffnung des ewigen Lebens“ (Tit 3,5–7). Wir sind zu „Söhnen“ berufen und zu „Erben“ gemacht; und dies alles einfach durch den Glauben an die Wahrheit des Evangeliums, welches Gottes „unverweslicher Samen“ ist.
Man denke sich den allerschlechtesten Sünder, der bis jetzt ein Leben offenbarer Gottlosigkeit geführt hat. Wenn mm ein solcher im Gefühl seiner Sünden – denn anders wird er keine Gnade begehren – das reine Evangelium Gottes in seinem Herzen aufnimmt, wenn er in wirklicher Anerkennung seiner Schuld von Herzen glaubt, „dass Christus für unsere Sünden gestorben ist, nach den Schriften, und dass Er begraben worden, und dass Er am dritten Tag auferweckt ist, nach den Schriften“, so wird er augenblicklich ein vollkommen erlöster, gerechtfertigter und von Gott angenommener Mensch sein. Indem er in seinem Herzen das einfache Zeugnis über Christus aufnimmt, empfängt er ein Neues Leben. Christus ist die Wahrheit und das Leben, und wenn wir die Wahrheit aufnehmen, so nehmen wir Christus auf, und wenn wir Christus aufnehmen, so haben wir das Leben. „Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben“ (Joh 3,36). Wann empfängt er dieses Leben? In demselben Augenblicke, in welchem er glaubt. „Durch den Glauben habt ihr das Leben in seinem Namen“ (Joh 20,31). Die Wahrheit von Christus ist der Same des ewigen Lebens; und wo diese Wahrheit geglaubt wird, da wird das Leben mitgeteilt.
Beachte wohl, dass dies es ist, was das Wort Gottes versichert. Es ist eine Sache des göttlichen Zeugnisses und nicht des menschlichen Gefühls. Wir empfangen nicht dadurch das Leben, dass wir etwas in uns fühlen, sondern dadurch, dass wir etwas von Christus glauben, und dieses etwas haben wir auf Autorität von Gottes ewigem Wort, „der heiligen Schrift“. Es ist wichtig, dies recht zu verstehen. Viele suchen in sich die Beweise dieses neuen Lebens, anstatt außer sich auf den Gegenstand hinzuschauen, der das Leben mitteilt. Wahr ist es, dass, „wer an den Sohn Gottes glaubt, das Zeugnis in sich selbst hat“ (1. Joh 5,10). Aber, ich erinnere daran, es ist das Zeugnis eines Lebens, welches durch den Glauben an den Sohn Gottes erlangt wird, und nicht durch Schauen auf sich selbst; und je ungeteilter ich mit Christus beschäftigt bin, desto bestimmter und befriedigender wird das Zeugnis in mir sein. Wenn ich das Zeugnis in mir zu meinem Gegenstand mache, so werde ich voller Zweifel und Ungewissheit sein; mache ich aber Christus zu meinem Gegenstand, so werde ich das Zeugnis in all seiner göttlichen Kraft und Wahrheit haben. Hierüber ist besonders Klarheit nötig, weil unsere Herzen nur zu sehr geneigt sind, etwas in uns zum Grund unseres Friedens und unserer Sicherheit zu machen, anstatt einzig und allein auf Christus zu bauen. Je einfacher wir an Christus hängen, und von allem anderen absehen, desto friedvoller und glücklicher werben wir sein; aber sobald wir das Auge von Ihm abwenden, ist unser Friede gestört; wir sind unruhig und unglücklich.
Es ist also höchst nötig, dass wir den Unterschied zwischen Leben und Frieden nach der Genauigkeit der heiligen Schrift zu verstehen suchen. Ersteres ist, wie wir gesehen haben, die Folge unserer Verbindung mit der Person Christi, Letzteres ist die Folge des Glaubens an sein vollendetes Werk. Sehr oft begegnen wir lebendigen Seelen, die wegen ihrer Annahme bei Gott mit Trauer und Unruhe erfüllt sind. Sie glauben wirklich an den Namen des Sohnes Gottes und haben glaubend das Leben; aber indem sie in Betreff ihrer Sünden nicht die Vollkommenheit des Werks Christi sehen, haben sie Unruhe statt Frieden im Gewissen. Wir wollen ein Beispiel nehmen. Wenn wir einen Zentnerstein auf die Brust eines tobten Menschen legen, so fühlt er es nicht; und wenn wir noch einen zweiten, einen dritten, einen vierten usw. hinzufügen, so fühlt er es doch nicht. Warum nicht? Weil er kein Leben hat. Wir wollen nun voraussetzen, dass Plötzlich Leben in ihn käme; was würde dann die Folge sein? Das große Gewicht auf der Brust würde ihm ein höchst peinliches Gefühl verursachen. Was würde nun nötig sein, um ihm den völligen Genuss des empfangenen Lebens zu ermöglichen? Ohne Zweifel die Entfernung der Bürde des Gewichtes. Ebenso ist es mit dem Sünder, der durch den Glauben an den Namen des Sohnes Gottes Leben empfängt. Solange er in dem Zustand des geistlichen Todes war, hatte er keine geistlichen Empfindungen, und wusste von keinem Gewicht; aber der Eintritt des geistlichen Lebens hat ihm geistliche Empfindungen mitgeteilt; und er fühlt jetzt eine Bürde auf seinem Herzen und auf seinem Gewissen, und weiß nicht, wie er sie los werden soll. Er sieht nicht, was alles mit dem Glauben an den eingeborenen Sohn Gottes inbegriffen ist. Er sieht nicht, dass Christus sowohl seine Gerechtigkeit als auch sein Leben ist. Er bedarf eines einfachen Blickes auf die vollbrachte Versöhnung Christi, wodurch alle seine Sünden in das Meer ewiger Vergessenheit geworfen sind, und er selbst in die völlige Gunst Gottes eintritt. Dies, und dies allein, kann die schwere Bürde von seinem Herzen entfernen, und die tiefe Seelenruhe, die durch nichts gestört werden kann, verleihen.
Wenn ich mir Gott als einen Richter und mich als einen Sünder denke, so habe ich das Blut des Kreuzes nötig, um mich auf dem Weg der Gerechtigkeit in seine Gegenwart zu bringen. Ich muss völlig verstehen, dass jede Forderung, welche Gott, der gerechte Richter, an mir, einem schuldigen Sünder, zu machen hatte, auf eine göttliche Weise und auf ewig durch „das teure Blut, Christi“ berichtigt worden ist. Dies gibt meiner Seele Frieden. Ich sehe, dass durch jenes Blut „Gott gerecht sein und den rechtfertigen kann, der des Glaubens an Jesus ist“ (Röm 3,26). Ich lerne, dass Gott am Kreuz wegen meiner Sünden verherrlicht worden, ja, dass die ganze Frage der Sünde völlig beseitigt und vollständig zwischen Gott und Christus, in der tiefen und feierlichen Einsamkeit Golgathas, berichtigt worden ist. Auf diese Weise ist meine Bürde weggenommen, ist das Gewicht, das mich zu erdrücken drohte, entfernt, meine Schuld getilgt. Ich kann frei atmen; ich habe vollkommen Frieden. Ich bin so frei wie das Blut Christi mich freimachen kann. Der Richter hat sich in Betreff der Sünde befriedigt erklärt, und zwar dadurch, dass Er den Bürgen des Sünders von den Toten auferweckt und Ihn zur Rechten der Majestät in die Himmel gesetzt hat.
Nun gibt es aber noch etwas von unendlichem Wert. Ich sehe mich nicht nur als einen schuldigen Sünder, dem ein Weg eröffnet ist, auf welchem er zu Gott, dem gerechten Richter, Zutritt hat, sondern ich sehe, wie Gott nach den ewigen Ratschlüssen seiner erwählenden Liebe, mich durch das Wort der Wahrheit zeugt, mich zu seinem Kind macht, in seine Familie einführt und mich auf eine solche Weise vor sich hinstellt, dass ich inmitten all der zärtlichen Liebesäußerungen des göttlichen Familienkreises mit Ihm, als meinem Vater, die innigste Gemeinschaft Pflegen kann. Dies ist augenscheinlich eine andere Seite von der Stellung und dem Charakter des Gläubigen. Es ist nicht mehr die Frage, wie er in dem gewissen, beruhigenden Bewusstsein, dass jeder gerechten Anforderung an ihn völlig begegnet worden ist, zu Gott komme. Dies ist an und für sich jedem schuldbeladenen Herzen überaus köstlich; aber hier ist weit mehr, als dieses. Gott ist mein Vater, und ich bin sein Kind. Er hat ein Vaterherz, und ich kann in all meinen Schwachheiten und Nöten auf die zärtliche Liebe dieses Herzens rechnen. Er liebt mich nicht um dessentwillen, was ich etwa zu tun befähigt bin, sondern weil ich sein Kind bin. – Schaut auf ein hilfloses Kindlein; es ist der Gegenstand unaufhörlicher Sorge und Pflege. Es ist ganz unfähig, des Vaters Interesse in irgendeiner Weise zu fördern, und dennoch wird es so unaussprechlich von seinem Vater geliebt, dass er es nicht für zehntausend Welten vertauschen würde. Und wenn es also mit einem irdischen Vater ist, was wird es erst mit unserem himmlischen Vater sein? Er liebt uns, nicht um dessentwillen, was wir zu tun vermögen, sondern weil wir seine Kinder sind. „Nach seinem eigenen Willen hat Er uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt“ (Jak 1,18). Es war uns ebenso wenig möglich, einen Platz im Herzen des Vaters zu erwerben, als es uns möglich war, die Anforderungen eines gerechten Richters zu befriedigen. Alles ist aus freier Gnade. Der Vater hat uns gezeugt; und der Richter hat eine Versöhnung gefunden (Hi 33,24). Wir sind Schuldner für das eine wie für das andere.
Wir mögen jedoch daran denken, dass wir, obwohl wir ganz unfähig waren, durch unsere Werke einen Platz in dem Herzen des Vaters zu verdienen, oder die Anforderungen eines gerechten Richters zu befriedigen, des ungeachtet verantwortlich sind, „dem Zeugnis zu glauben, welches Gott über seinen Sohn gezeugt hat“ (1. Joh 5,9–10). Ich sage dies, im Fall mein Leser einer von denen sein möchte, die sich hinter die Dogmen einer einseitigen Theologie verstecken, und sich weigern, das einfache Zeugnis Gottes zu glauben. Es gibt viele – auch kluge Leute – die, wenn sie ernstlich aufgefordert werden, das Evangelium der Gnade Gottes anzunehmen, mit der Antwort bereit sind: „Ich kann nicht glauben, wenn Gott mir nicht die Kraft dazu gibt; auch werde ich diese Kraft nicht erhalten, wenn ich nicht einer der Auserwählten bin. Wenn ich aber zu jener begünstigten Zahl gehöre, so muss ich errettet werden – wenn nicht, so kann ich nichts machen.“ – Dies ist, wie gesagt, eine durchaus einseitige Theologie; und nicht nur das, sondern auch die Schlüsse, die von dieser einen Seite gemacht werden, sind der Art, dass sie zu dem absurden und höchst gefährlichen Glauben an ein unvermeidliches Schicksal hinführen, wodurch die Verantwortlichkeit des Menschen völlig vernichtet, und die moralische Regierung Gottes ganz und gar verunehrt wird. Der Mensch geht, sorglos seinem Verderben entgegen und Gott wird zum Urheber seines Unglaubens gemacht. Hier wird in der Tat noch Schimpf und Schande dem Unrecht hinzugefügt. Zuerst wird Gott zu einem Lügner gemacht, und dann wird Er beschuldigt, die Ursache davon zu sein. Man verwirft seine dargebotene Liebe, und tadelt Ihn für diese Verwerfung. Dies ist in der Tat die allerfrechste Bosheit, obwohl sie, wie schon bemerkt, auf eine einseitige Theologie gegründet ist. Glaubt nun wohl irgendjemand, dass solche lose Schlüsse auch nur einen Augenblick vor dem König der Schrecken oder dem Richterstuhl Christi Stich halten werden? Wird es in den finsteren Regionen der Verdammten eine Seele geben, der es einfallen sollte, Gott als den Urheber ihres ewigen Verderbens anzuklagen? O nein, solche törichte Reden werden nur auf der Erde, nie aber in der Hölle geführt werden. Wenn die Menschen zur Hölle eingehen, so klagen sie sich selbst an. Im Himmel preisen sie das Lamm. Die Verlorenen haben ihr Verderben sich selbst zu verdanken, während die Erlösten ihre Errettung Gott zu verdanken haben.
Wenn die unbußfertige Seele durch den engen Raum der Zeit in den unendlichen Ozean der Ewigkeit hinübergegangen ist, so wird sie in die volle Tiefe und Kraft jener ernsten Worte eintreten: „Ich wollte, aber ihr wolltet nicht“ (Mt 23,37; Lk 13,34). Es ist in Wahrheit die Verantwortlichkeit des Menschen in dem Wort Gottes ebenso bestimmt gelehrt als die Unumschränktheit Gottes. Der Mensch findet es unmöglich, ein System zu bilden, das jeder Wahrheit seinen rechten Platz gibt. Er ist aber auch nicht berufen, Systeme zu bilden, sondern einem einfachen Zeugnis zu glauben und durch dasselbe errettet zu werden. Gott gebietet jetzt „allenthalben allen Menschen Buße zu tun“ (Apg 17,30). Dieser Befehl, Buße zu tun, ist auf eine Offenbarung der göttlichen Liebe gegründet – einer Liebe, die so schön, so klar, so voll, so frei und mächtig ist, dass keiner ihr entgehen kann, ausgenommen jene, die sich weigern, das Wort zu hören und ihm zu gehorchen – jene, die dem Fatalismus, dem Glauben an ein unvermeidliches Schicksal, huldigen, und nicht annehmen wollen, dass Gott seiner Liebe Ausdruck zu geben vermag, oder dass das menschliche Herz unter dem Einfluss dieser vollkommenen Liebe zerschmelzen kann.
Nachdem wir nun dies zur Warnung derer gesagt haben, die etwa in Gefahr sein möchten, unter die Macht der oben erwähnten losen Schlüsse zu fallen, wollen wir noch ein wenig bei den Resultaten der Wiedergeburt verweilen, wie sie in der Zucht im Haus des Vaters gesehen werden.
Als Kinder Gottes haben wir freien Zugang zu all den Vorrechten seines Hauses; und in Wahrheit ist die Zucht seines Hanfes ebenso gut ein Vorrecht als alles andere Es ist auf dem Grund der Verwandtschaft, in welche Gott uns gesetzt hat, dass Er seine Zucht gegen uns ausübt. Ein Vater züchtigt seine Kinder, weil sie sein sind. Wenn ich ein fremdes Kind unrecht tun sehe, so bin ich nicht berufen, es zu züchtigen. Ich stehe nicht in der Verwandtschaft eines Vaters zu ihm, und folglich kenne ich weder die Gefühle dieser Verwandtschaft, noch die Verantwortlichkeit derselben. Ich muss in einer Verwandtschaft sein, um die Gefühle zu kennen, die ihr eigen sind. Da nun Gott, unser Vater, in seiner großen Gnade und Treue in all unseren Wegen auf uns herniedersieht, so wird Er nichts an uns oder um uns erlauben, was seiner unwürdig wäre oder unseren Frieden und unsere Glückseligkeit stören würde. „Zudem haben wir auch die Väter unseres Fleisches zu Züchtigern gehabt, und uns vor ihnen gescheut; sollen wir nicht vielmehr dem Vater der Geister unterworfen sein, und leben? Denn jene freilich züchtigten uns auf wenige Tage nach ihrem Gutdünken; Er aber zum Nutzen, dass wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden“ (Heb 12,9–10). Also ist die Zucht ein positives Vorrecht, indem es ein Beweis der Sorge unseres Vaters ist, und unsere Teilnahme an der göttlichen Heiligkeit zum Zweck hat.
Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir die Zucht von unseres Vaters Hand im Licht seines väterlichen Angesichts, und die tiefen Geheimnisse seiner moralischen Regierung im Licht seiner zärtlichen Liebe zu betrachten haben. Wenn wir dies aus dem Gesicht verlieren, so werden wir in Bezug auf uns in einen Geist der Sklaverei, und in Bezug auf andere, in einen Geist des Richtens geraten. Beides aber steht in direktem Widerspruch mit dem Geist Christi. Alle Handlungen unseres Vaters mit uns sind in vollkommener Liebe. Wenn Er uns Brot darreicht, so ist es Liebe; und wenn Er die Rute nimmt, so ist es auch Liebe. „Gott ist die Liebe.“ – Es ist oft der. Fall, dass wir das „Warum“ und das „Wozu“ in seinen besonderen Wegen mit uns nicht verstehen; alles scheint dunkel und unerklärlich. Der Nebel, der unseren Geist umgibt, ist oft so dick und schwer, dass er uns verhindert, die hellen und erheiternden Strahlen des Angesichts unseres Vaters in uns aufzunehmen. Dies ist ein Augenblick der – Prüfung – eine ernste Krise in der Geschichte der Seele. Wir sind durch die Unfähigkeit, die tiefen Geheimnisse der göttlichen Regierung zu verstehen, in großer Gefahr, das Gefühl der göttlichen Liebe zu verlieren. In einer solchen Zeit ist auch Satan sehr beschäftigt, von seinen feurigen Pfeilen Gebrauch zu machen und seine dunklen und teuflischen Zuflüsterungen anzuwenden. Und also zwischen den unreinen Überlegungen von innen und den schrecklichen Zuflüsterungen von außen, ist die Seele in Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren, und aus der köstlichen Stellung der gesegneten Ruhe in der glücklichen Liebe herauszukommen, was auch die göttliche Regierung sein möge.
So steht es in Betreff unserer eigenen Seele, wenn wir unter einer besonderen Heimsuchung der Hand Gottes sind; aber die Wirkung in Betreff anderer ist ebenfalls schlecht. Wie oft mögen wir unter dem Schein der Liebe in uns einen Geist des Richtens entdeckt haben, wenn wir ein Kind Gottes an Leib, Seele oder Gut in traurigen Umständen sahen! Hierüber sollten wir mit großer Sorgfalt wachen. Wir dürfen nicht denken, dass eine jede Züchtigung oder Heimsuchung der Hand Gottes auf Rechnung irgendeiner besonderen Sünde in der betreffenden Person zu setzen sei. Das würde ein ganz falscher Grundsatz sein. Gottes Handlungen sollen sowohl dem Übel vorbeugen, als auch dasselbe verbessern. – Lasst uns ein Beispiel nehmen. Mein Kind ist bei mir im Zimmer und genießt alle die süßen Vertraulichkeiten, die unserer Verwandtschaft angehören. Nun tritt jemand herein, von dem ich weiß, dass er mir Dinge mitteilen will, die mein Kind nicht hören darf. Ohne eine Ursache anzugeben, fordere ich es auf, hinaus zu gehen. Wenn es nun nicht das vollste Vertrauen zu meiner Liebe hat, so kann es in meiner Handlung allerlei falsche Absichten vermuten. Es kann über das „Warum“ und „Wozu“ hin und her grübeln, bis es fast dahin kommt, an meiner Liebe zu zweifeln. Später aber, wenn ich wieder allein bin, rufe ich es wieder zu mir, und erkläre ihm die ganze Sache, und in der erneuerten Erfahrung der Liebe des Vaters vergisst es den traurigen Argwohn einiger finsteren Augenblicke.
So geht es nicht selten mit unseren armen Herzen in Betreff der göttlichen Führung, sowohl mit uns als auch mit anderen. Wir grübeln, wenn wir stille sein sollten; wir zweifeln, wenn wir vertrauen sollten. Das völlige Vertrauen auf die Liebe unseres Vaters ist das wahre Heilmittel in allen Dingen. Wir sollten stets die Gewissheit jener unwandelbaren, unendlichen und ewigen Liebe festhalten, die uns aus unserem niederen und verlorenen Zustand herausgenommen und uns zu „Söhnen Gottes“ gemacht hat. Er wird uns nimmer verlassen noch versäumen, bis wir in die ununterbrochene und ewige Gemeinschaft des Hauses unseres Vaters droben eintreten. O möchte doch jene Liebe überschwänglicher in unseren Herzen wohnen, damit wir völliger in den wahren Sinn und die wahre Kraft der Wiedergeburt eintreten und immer besser verstehen lernen möchten, was sie ist – wie sie hervorgebracht wird – und was ihre Resultate sind. Gott gebe es um Christi willen! Amen.