Botschafter des Heils in Christo 1863
Mitteilungen über das Werk Gottes in unseren Tagen
Rotterdam – Als ich vor einiger Zeit in Brüssel war, um im Werk des Herrn tätig zu sein, teilte mir ein Bruder in Christus mit, dass dort eine Verkündigung des Evangeliums unter Taubstummen stattfände, und dass der Prediger selbst ein Taubstummer wäre. Ich war sehr begierig, dieses Werk etwas näher kennen zu lernen, und jener Bruder erbot sich, mich am anderen Morgen bei jenem Arbeiter im Evangelium und des Abends in die betreffende Versammlung einzuführen. Es geschah, und was ich dort hörte und sah, teile ich hier mit, damit auch die Herzen meiner Leser durch diese große und wunderbare Gnade erquickt und ermuntert werden möchten, wie ich es selbst geworden bin.
Zuerst will ich einiges über jenen Prediger sagen, was ich durch meinen Begleiter erfahren habe. Er war aus einer anständigen, römisch–katholischen Familie, und war taubstumm geboren. Mit vielem Verstand begabt, hatte er in einem Taubstummen–Institut Lesen, Schreiben, Rechnen und viele andere nützliche Dinge gelernt, und hatte darin solche Fortschritte gemacht, dass er später fähig war, auch andere zu unterrichten. In seinen dreißiger Jahren er bekehrt worden. Um diese Zeit war er mit meinem Begleiter, der früher auch römisch–katholisch gewesen, und dem er schon zu jener Zeit bekannt war, zusammengetroffen, und dieser hatte ihn mit sich in eine der evangelischen Kirchen geführt. Von jener ZM an waren beide nicht nur mit einander befreundet, sondern hatten auch in brüderlicher Gemeinschaft gelebt und in einer Reihe von zwanzig Jahren viel Liebliches und Trauriges zusammen erfahren. Er teilte mir einiges darüber mit, was mich sehr interessierte, aber nicht geeignet ist, um hier mitgeteilt zu werden. Nur dies will ich sagen, dass aus allem deutlich hervorging, dass er ein wahrer Christ war und bis zu einem gewissen Punkt in dem rechten Weg der christlichen Freiheit wandelte. – Er war Portraitmaler; und nach einigen Gemälden zu urteilen, die ich von ihm gesehen habe, war er sehr fähig darin. Seit etlichen Jahren hatte er angefangen, unter den Taubstummen zu evangelisieren. Im Anfang war er auf viele Schwierigkeiten gestoßen; jetzt aber hatte er ein Lokal, wo er seinen Leidensgenossen regelmäßig das Evangelium verkündigte.
Am anderen Morgen nun waren wir bei unserem taubstummen Bruder. Für einen Mann von 56 Jahren war er sehr rüstig. Er war verheiratet und hatte schon mehrere erwachsene Kinder. Da ich nun weder ihre Gebärdensprache – ihre gewöhnliche Art, sich verständlich zu machen – und noch viel weniger die Fingersprache verstand, mussten wir uns schriftlich unterhalten, was zwar etwas lästig, aber doch nicht weniger interessant war. Nachdem er erfahren hatte, wer ich war und woher ich kam, schrieb er: „Dann sind wir eins in Christus.“ – Ich antwortete: „Das ist das größte Glück, wogegen alles in der Welt eitel ist. Christus Jesus allein gibt Frieden und Freude für das Herz.“ – „Ja“, schrieb er, „hier auf der Erde ist kein Glück, keine Ruhe zu finden. Dies finden wir allein im Himmel. Dort werden wir alle fähig sein, mit unserem Mund Gott zu loben und zu seiner Ehre zu singen, und werden uns auch alle unter einander verstehen können.“ – Danach fragte ich ihn, ob er wirklich recht glücklich sei; und mit einem unbeschreiblichen Ausdruck in seinem Gesicht, und die Hand aufs Herz legend, schrieb er, dass er sehr gern von diesem Leib erlöst und bei Christus sein möchte. Ich gab zur Antwort: „Das Herrlichste im Himmel ist Jesus; und es ist ein großes Vorrecht, ja eine große Freude für uns. hier auf der Erde Ihn verherrlichen zu können. Und dann, wie köstlich auch der Gedanke sein mag, nach dem Tod zu Jesu zu kommen, so ist doch unsere Erwartung, zu Ihm aufgenommen zu werden, ohne zu sterben, noch weit köstlicher.“ – Als er dieses gelesen hatte, wurde er sehr freudig, holte eine Bibel und zeigte mir 1.Thessalonicher 4; 1.Korinther 15 und Offenbarung 4–5, und teilte mir mit, dass er seit einiger Zeit von dieser köstlichen Wahrheit, der baldigen Ankunft des Herrn, völlig überzeugt sei. Wir sprachen noch lange Zeit sehr lebhaft über diesen Gegenstand, und ich wurde durch unsere Unterhaltung reichlich erquickt. Als wir auf den Unterschied der Sprachen kamen, sagte er mir, dass er kein Holländisch verstände, dass er aber aus seiner Jugend immer noch einige Worte behalten hätte: – God is goed (Gott ist gut) – Auf meine Frage über seine Wirksamkeit erzählte er mir, dass er an jedem Sonntag und Donnerstagabend den Taubstummen das Evangelium verkündige. Des Sonntags habe er gewöhnlich 22 Zuhörer, des Donnerstags aber weniger, weil sie dann oft spät von der Arbeit kämen und Mehrere auch außerhalb der Stadt wohnten. Von diesen 22 seien 11 bekehrt, und unter diesen ein junger Mann aus einer vornehmen Familie, der kein Geschäft habe und sich viele Mühe gebe, die Taubstummen aufzusuchen. Er rede sie auf der Straße an, suche sie in den Kaffeehäusern auf, wo sie mit ihren Kameraden zum Kartenspiel und Biertrinken zusammenkamen, spreche mit ihnen über allerlei und endlich auch über das Heil ihrer Seele, und lade sie ein, die Verkündigung des Evangeliums zu hören. Auf diese Weise habe er schon Mehrere dorthin gebracht. – Des Abends sprach ich mit diesem jungen Mann und fand in ihm einen sehr lieben Bruder, der sich ganz und gar für den Herrn und für das Heil der Seelen hingab. – jener erzählte mir dann weiter, dass er auch an anderen Orten das Evangelium verkündigt habe, in Lüttich, Namen und Antwerpen. Auch dort halbe der Herr ihn gesegnet; unter anderen sei auch ein junger Holländer aus Maastricht bekehrt worden. Auch gab er den Taubstummen, die nicht im Institut gewesen waren, Unterricht im Lesen. Auf meine Frage, warum er die neue Methode nicht gebrauche, und sie sprechen lehre, gab er zur Antwort, dass dies für seinen Zweck sehr lästig wäre, indem das fortwährende Sehen nach dem Mund sehr anstrenge, und die Gebärdensprache, die allen geläufig sei, eine viel lebendigere Vorstellung der Dinge gebe.
Meine Unterhaltung mit ihm dauerte wohl über zwei Stunden. Ich war sehr ergriffen von der unaussprechlichen Liebe Gottes, die auch für diese armen Menschen, die so ganz und gar von allem Zuspruch abgeschnitten sind, einen Weg zu seinem köstlichen Evangelium geöffnet hat, und auch hierdurch deutlich zu verstehen gibt, dass Er will, dass allen Menschen geholfen werde.
Durch dies alles war ich nun noch begieriger geworden, der Versammlung selbst beizuwohnen. Gegen acht Uhr abends gingen wir dorthin, und kamen in ein kleines, aber recht schönes Zimmer, worin einige Bänke waren, und noch ein Tisch, an dem unser Freund saß. Es war Donnerstagabend, und deshalb waren nicht alle da. Die Anwesenden waren aber sämtlich bekehrt. Beim Hereintreten begegneten wir gleich den fröhlichen Gesichtern dieser armen und doch so reichen Brüder. Sobald sie erfuhren, dass ich ein Christ sei, und auch das Evangelium verkündige, empfingen sie mich mit der größten Herzlichkeit, Mit aller Freude zeigten sie mir ihre Bibliothek, machten mir mit kindlicher Einfalt unter allerlei Gebärden, indem sie die eine Hand aufs Herz legten und mit der anderen zum Himmel zeigten, ihr Glück kund. Ich war sehr glücklich in ihrer Mitte, und bekam den Eindruck von einem frischen und lebendigen Glauben, sowie von einer brennenden Liebe zu dem geliebten Heiland. Da sie früher alle römisch–katholisch gewesen waren, so waren sie jetzt sehr gegen diese Kirche eingenommen, und zeigten mir mit einer originellen Freude zwei Bilder an der Wand, wodurch sie ihre Abneigung an den Tag zu legen suchten. Auf dem einen sah man einen Bilderladen, worin jemand ein Marienbild verfertigte. Ein Mönch war eingetreten, um ein solches zu kaufen, und ein Priester am Fenster zeigte einer knienden Menge das Bild des Heiligen ihrer Parochie; und ein anderer Priester trieb mit einem Gesicht voll Angst und Zorn einen Bibelkolporteur hinaus, der eben hineingetreten zu sein schien. Das andere Bild zeigte auf der einen Seite das Vatikan, das durch Erdbeben unter Donner und Blitz einstürzte, und aus welchem der Papst und seine Kardinale, sowie die Priester mit der größten Angst flohen; aus der anderen Seite stand Jesus, kommend in den Wolken des Himmels, umgeben von Tausenden Engeln, und mit dem Evangelium in seiner Hand. Eine Menge Männer, Weiber und Kinder kamen mit offenen Armen und voller Freude Ihm entgegen, während der fliehende Papst die Kardinale und Priester mit Abscheu und Schrecken ihre Angesichter abwandten.
Nachdem wir eine Zeitlang dies alles betrachtet und mit ihnen gesprochen hatten, fing die Predigt an. Meine Leser müssen nun daran denken, dass sie alles das, was wir durch die Sprache ausdrücken sich gegenseitig durch Gebärden verständlich machen – eine Sache, die für sie, da sie einmal ganz und gar daran gewöhnt sind, nichts Befremdendes hat. Sie drücken ihre Gedanken durch allerlei Bewegungen der Hände, des Kopfes, ja des ganzen Körpers aus. Für den ersten Augenblick kam mir dies alles etwas sonderbar vor; aber bald wurde ich durch den großen Ernst auf ihren Gesichtern, durch ihre große Andacht und das lebhafte Interesse, womit alles geschah, sehr ergriffen. Dies war besonders der Fall, als sie ein Lied fangen. Alle standen auf, und die Hände und der Kopf aller machten dieselbe Bewegung. Man bemerkte, wie sehr sie von dem Inhalt des schönen Liedes hingenommen und erquickt waren. Hierauf trug der ältere Bruder die zwei ersten Kapitel aus Hiob vor, was ungefähr eine halbe Stunde dauerte. Alles stellte er durch Gebärden vor. Als er z. B. an die Stelle kam, wo von dem Fest erzählt wird, machte er mit Händen und Körper eine Bewegung, woraus man deutlich sehen konnte, dass sie aßen, tranken und tanzten. Ebenso machte er es scheinbar nach, wie Hiob seine Kleider zerriss; und als er an die Stelle kam, wo von den bösen Geschwüren die Rede ist, zeigte er dieses in seinen Mienen und an seinem ganzen Körper. Obgleich sie alle eine Bibel vor sich hatten, so schien sie doch diese Vorstellung so sehr zu fesseln, dass sie ihre Augen immer auf den Vortragenden gerichtet hielten. Nachdem er die Vorlesung beendet hatte, gab er, weil es schon spät war, nur eine kurze Erklärung; aber natürlich alles durch Gebärden. Er sagte, wie ich nachher erfuhr, ungefähr Folgendes: „In der Geschichte Hiobs sehen wir deutlich, wie alle Umstände und Schwierigkeiten, in welche wir kommen, von Gott benutzt werden, uns zu unterweisen, wenn auch Satan darin wirkt. Gott führt alles zum Besten. Deshalb ist es für den Christen nötig, in allen Dingen Gott zu erkennen, seine Hand in allem zu sehen, und stets zu fragen: Herr, was willst du, das ich tun soll? Und wenn wir uns völlig dem Willen Gottes ergeben haben, so sind wir auch in den Umständen glücklich, weil wir nicht durch diese, sondern allein durch Gott geleitet werden.“ – Hierauf wurde wieder auf die frühere Weise ein Lied gesungen. Ehe wir nach Haus gingen, unterhielt ich mich noch mit einigen, und fand, dass es wahrlich liebe Brüder waren, welche das völlige Bewusstsein der Kindschaft in sich trugen. Beim Abschied ersuchte mich einer, dass ich für ihn, wenn ich nach Holland zurückgekehrt sei, beten möchte. Dies suchte er mir dadurch deutlich zu machen, dass er mehrere Male auf mich und fern von sich abwies, und darauf die Hände faltete und auf sich selbst zeigte. Ich habe es getan und werbe es ferner tun; denn wahrlich, die Gnade Gottes ist groß! Er macht Taube zu Hörern und Stumme zu Predigern seines süßen Evangeliums. Ich habe dort einen tiefen Eindruck von der unbeschreiblichen Liebe und der völlig unabhängigen Gnade Gottes empfangen, der auch ein Mittel zu finden wusste, um diesen Unglücklichen seine frohe Botschaft nahe zu bringen. Er hat die Sünder lieb, und ist stets bemüht, sie zu dem geliebten Heiland zu führen. Möchten deshalb auch wir nicht lässig sein, von seiner köstlichen Liebe und Gnade zu zeugen! Gewiss, unsere Mühe im Herrn wird nicht vergeblich sein. Der Herr gebe, dass auch dieses Zeugnis von der erbarmenden Liebe Gottes alle die Seinen, die es lesen mit Freude und Eifer für Ihn erfülle, und dass es für alle, die Ihn noch nicht kennen, eine gesegnete Einladung werde, mit Aufrichtigkeit des Herzens zu Jesu zu kommen!