Botschafter des Heils in Christo 1862

Trophimus

„Trophimus habe ich in Milet krank zurückgelassen.“ Wie merkwürdig! Paulus, der große Apostel der Heiden, begabt mit der Gabe der Heilung, durch welche er so viele gesundgemacht hatte, ließ seinen Freund krank hinter sich zurück. Auf der Insel Malta heilte er den Vater des Publius, den Vornehmsten der Insel; (Apg 28,7–8) aber hier hören wir, dass er den Trophimus krank in Milet zurücklassen musste. Es musste dazu irgendeine Notwendigkeit vorhanden sein. Gott setzt in seiner Regierung zuweilen seine Kinder bei Seite. Der Vater findet es dann und wann nötig, seine Hand zu einer heilsamen Züchtigung auszustrecken. Es ist oft sehr gut, sehr heilsam, sehr notwendig, in dem Zustand des Trophimus in Milet gelassen zu werden. Die Natur liebt es nicht; aber wir dürfen versichert sein, dass es heilsam ist. Trophimus hatte auf dem Krankenbett zu Milet eine Aufgabe zu lernen, die er nirgends anderswo würde gelernt haben, selbst nicht als Paulus Gefährte in der Arbeit. Die Einsamkeit, die Kraft– und Hilflosigkeit eines Krankenbettes sind oft sehr nützlich für die Seele. Der Geist Gottes macht Gebrauch davon, um uns die heiligsten Aufgaben zu lehren. Sehr oft ist es geschehen, dass die Zeit einer leiblichen Krankheit die Zeit der Prüfung und des feierlichsten Selbstgerichts in der Gegenwart Gottes wurde. Wie nötig sind diese Dinge, und doch wie oft werden sie unter dem Geräusch einer beständigen Arbeit und dem Verkehr mit anderen vernachlässigt.

Es ist sehr lehrreich, die Stellung des Trophimus in Apostelgeschichte 21,29 seiner Stellung in 2. Timotheus 4,20 gegenüber zu stellen. In der ersten sehen wir ihn in den Straßen Jerusalems in Gemeinschaft mit Paulus; in der letzten finden wir ihn in der Zurückgezogenheit eines Krankenzimmers zu Milet. Es war seine Gegenwart bei Paulus, die alle die bitteren Vorurteile der Juden erregte, weil sie meinten, dass Paulus ihn in den Tempel hineingebracht habe. In Ephesus möchten Paulus und Trophimus in Gemeinschaft gewandelt haben, ohne den geringsten Argwohn zu erwecken; doch nicht so in Jerusalem. Einen Juden und einen Heiden in Jerusalem zusammen zu sehen, wurde als eine öffentliche Beschimpfung der jüdischen Würde betrachtet. Es war auch in der Tat ein Niederreißen der Zwischenwand der Umzäunung, und ein kühner Wandel mitten durch die Trümmer; und darauf waren die Juden nicht vorbereitet. Sie sahen auf die beiden Gefährten mit einem Auge finsteren Argwohns; und die ungewöhnliche Gemeinschaft blies die Flamme an, die so schnell und mit so furchtbarer Gewalt um den geliebten Apostel der Heiden hervorbrach. Man ist geneigt, zu sagen, dass die beiden Freunde nicht in den Straßen zu Jerusalem sollten gefunden werden. Jene Straßen waren augenscheinlich nicht das dem Paulus angewiesene Arbeitsfeld. „Ich werde dich fern zu den Nationen ausschicken“, war des Herrn Wort. Aber Paulus wollte nach Jerusalem gehen; und als er dort war, so konnte er sich nimmer weigern, in Gemeinschaft mit einem Epheser zu gehen. Er war zu aufrichtig dazu. Er konnte nicht, gleich dem armen Petrus, aus Furcht vor den Juden, von seinen heidnischen Brüdern fern stehen bleiben. Aber die Zeremonien des Tempels und die Gemeinschaft mit Trophimus harmonierten nicht zusammen. Hier lag die Schwierigkeit. Wenn die Verordnungen des Tempels noch sollten verehrt und beibehalten werden, warum dann diese Gemeinschaft mit einem unbeschnittenen Fremden? Wenn aber beide, Paulus und Trophimus, als Mitbürger des himmlischen Jerusalems eingetragen waren, warum dann noch in irgendeiner Weise mit dem alten System Gemeinschaft machen?

Diese Betrachtungen geben dem Namen des Trophimus ein besonderes Interesse. Es ist sehr schön und lehrreich, die drei Stellen zu betrachten, wo wir diesem Namen begegnen. Zuerst finden wir Trophimus als einen der Gefährten, die Paulus in Asien begleiteten; (Apg 20,4) dann sehen wir ihn in der Gesellschaft des Apostels in der Stadt Jerusalem; (Apg 21,29) und endlich finden wir ihn auf dem Krankenbett in Milet zurückgelassen. Hier konnte er mit Ruhe auf die ganze Vergangenheit zurückblicken und Zugleich mit Zuversicht vorwärts in die Zukunft schauen. Er konnte nicht mehr in Asien arbeiten, noch in den Straßen Jerusalems mit dem ergebensten und aufrichtigsten der Menschen einhergehen. Er war ein Invalide zu Milet, und Paulus ein Gefangener zu Rom; aber beide konnten mit ungetrübtem Auge aufwärts schauen zu jener herrlichen und gesegneten Ewigkeit, zu der sie beide hineilten, und wo sie jetzt sicher und für immer geborgen sind.

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