Betrachtung über Philipper (Synopsis)

Kapitel 3

Betrachtung über Philipper (Synopsis)

Übrigens war es der Herr selbst, in dem sich die Christen freuen sollten. Und jetzt stellt der Apostel die Philipper auf die Hut gegen das, was der nagende Wurm an dem Leben der Versammlung gewesen war und die schmerzlichen Früchte hervorgebracht hatte, die sein Herz mit Besorgnis erfüllten, und deren beklagenswerte Folgen wir heutigentags sehen, wie er vorhergesagt hat, – Folgen, die noch heranreifen für das Gericht Gottes. Aber mag alles sein, wie es will, der Herr verändert sich nicht. „Freut euch“, sagt er, „in dem Herrn.“ Da ist alles sicher.

Der Apostel stellt den Philippern sowohl dasjenige vor, was sie an dieser Freude hindern konnte, als auch die wahre Erkenntnis Christi, die uns vor dem ersteren bewahrt; doch geschieht dies hier nicht gemäß der Lehre und Praxis, die in Verbindung stehen mit der hohen Stellung der Versammlung in ihrer Vereinigung mit einem verherrlichten Christus, als sein Leib, noch gemäß der Einheit, die daraus entspringt. Das finden wir in dem Brief an die Epheser. Der Gegenstand wird auch nicht behandelt entsprechend der dringenden Notwendigkeit, sich fest an dem Haupt zu halten, weil in Ihm alle Fülle ist. Das ist die Belehrung des Kolosserbriefes. In unserem Brief steht, in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Charakter desselben, alles in Verbindung mit den persönlichen Erfahrungen des Christen und insbesondere des Apostels. Demgemäß befindet er sich auch in diesem dritten Kapitel – wie wir es bei der Darstellung seiner persönlichen Kämpfe und Leiden im ersten Kapitel gesehen haben – auf dem Weg nach dem vollen Genuss des Gegenstandes, den er kennen gelernt hatte, und des Zustandes, nach dem sein Herz verlangte. Das sollten auch die Erfahrungen jedes Christen sein; denn wenn ich auch durch den Geist mit dem Haupt als ein Glied des Leibes Christi vereinigt bin und durch den Glauben diese Vereinigung erfasse, bleibt es nichtsdestoweniger wahr, dass meine persönliche Erfahrung (obwohl dieser Glaube deren Grundlage ist) notwendigerweise in Beziehung steht zu den Pfaden, die ich verfolge, um die Herrlichkeit, zu der mich die Verbindung mit dem Haupt berechtigt, zu erreichen. Nicht dass die Gefühle, die durch das, was mir auf diesem Pfad begegnet, hervorgerufen werden, meine Stellung in Christus verfälschen oder ihr widersprächen oder die Gewissheit meines Ausgangspunktes vernichteten; nein, während ich diese Gewissheit besitze und weil ich sie besitze, weiß ich, dass ich in Wirklichkeit das Endziel dieser Stellung in der Herrlichkeit noch nicht erreicht habe. In diesem Brief nun sind wir auf dem Weg dahin. Wir werden in unseren Beziehungen zu Gott persönlich betrachtet; denn die Erfahrung ist immer persönlich, obwohl unsere Einheit untereinander als Glieder Christi einen Teil dieser Erfahrung bildet.

Paulus nimmt jetzt seine Ermahnungen wieder auf. Doch das war ihm nicht verdrießlich; und weil Gefahr vorhanden und seine zärtliche Liebe wachsam war, diente es zu ihrer Sicherheit, wenn er seine Warnungen und Unterweisungen hinsichtlich der Vermengung jüdischer Grundsätze mit der Lehre eines verherrlichten Christus erneuerte. Diese Vermengung war in der Tat die Vernichtung dieser Lehre und hieß das Fleisch (d. i. die Sünde und die Entfremdung von Gott) an ihrer Stelle wieder einführen. Das war der schon verworfene und verurteilte erste Mensch, und nicht der zweite Mensch. Doch erscheint das Fleisch hier nicht in Form von Sünde, sondern von Gerechtigkeit, von allem was ehrbar und religiös ist, in Form von Satzungen, die mit dem ehrwürdigen Ansehen des Altertums bekleidet waren, und die, was ihren Ursprung betrifft (wenn nicht alles in Christus hinweg getan wäre), die Autorität Gottes selbst besaßen.

Der Apostel, der Christus im Himmel kannte, sah in diesem allem nur eine Lockspeise, um den Christen von Christus wegzuziehen und ihn wieder in das Verderben zurückzuschleudern, aus dem Christus ihn herausgeholt hatte; und das wäre um so schrecklicher gewesen, weil man einen erkannten und verherrlichten Christus verlassen und zu den Dingen zurückkehren würde, die sich durch das Fleisch als wertlos erwiesen hatten. Der Apostel schont daher weder dieses fleischliche System, welches das Gesetz anpries, noch jene, die es lehrten.

Die Herrlichkeit, die er gesehen hatte, seine Kämpfe mit diesen falschen Lehrern, der Zustand, in den sie die Versammlung gebracht hatten, Jerusalem und Rom, seine Freiheit und seine Gefangenschaft – alles das hatte ihm die Erfahrung eingetragen, was das Judentum im Blick auf die Versammlung Gottes wert war. Solche Lehrer waren Hunde, böse Arbeiter, d. h. Wirker der Bosheit und Gottlosigkeit. Das war nicht die Beschneidung. Er behandelt diese Sache mit tiefer Verachtung und gebraucht Worte, deren Schärfe durch seine Liebe zu der Versammlung gerechtfertigt wird; denn die Liebe ist streng gegen die, die gewissenlos den Gegenstand dieser Liebe verderben. Es war die Zerschneidung.

Wenn das Böse ohne Scham ans Licht tritt und, darauf ausgehend, unter einem schändlichen Schleier von Religion Böses hervorzubringen, sich in seinem wahren Charakter zeigt, dann ist Milde hinsichtlich desselben ein Verbrechen gegen die Gegenstände der Liebe Christi. Wenn wir Ihn lieben, so werden wir in unserem Verkehr mit der Versammlung dem Bösen seinen wahren Charakter beilegen, den es zu verbergen sucht. Das ist wahre Liebe und Treue gegen Christus. Der Apostel hatte es gewiss nicht an der Herablassung zu den Schwachen betreffs ihrer jüdischen Vorurteile fehlen lassen. Er hatte diese Herablassung sogar weit getrieben; sein Gefängnis zeugte davon. Und jetzt stand die Versammlung, die seiner Energie und jener geistlichen Unterscheidung, die alles, was gut ist, liebt, beraubt war, mehr als je in Gefahr. Die Erfahrung eines Lebens nie endender Tätigkeit, eines Lebens der größten Geduld, eines vierjährigen Nachdenkens im Gefängnis, veranlasste jene scharfen und schneidenden Worte: „Seht auf die Hunde, seht auf die bösen Arbeiter, seht auf die Zerschneidung.“ Die Lehre des Briefes an die Epheser, die Ermahnungen in dem an die Kolosser, die zärtliche Liebe in dem an die Philipper, verbunden mit der Anklage in Phil 3, 2, fallen in denselben Zeitpunkt und tragen alle den Stempel derselben Liebe.

Doch genügte es, diese falschen Lehrer zu bezeichnen. An anderen Orten, wo sie nicht gut bekannt waren, gab er Einzelheiten an, wie in den Unterweisungen an Timotheus, der über die Versammlung zu wachen hatte. Hier genügte es, ihren wohlbekannten Charakter zu bezeichnen. Alles was ins Judentum führte, alles was das Gesetz und das Evangelium, das Vertrauen auf Satzungen und den Geist zu vermischen suchte, war schändlich, boshaft und verächtlich. Doch der Apostel will sich lieber mit der Kraft beschäftigen, die davon befreit. „Wir sind die Beschneidung“ (das was wirklich vom Bösen getrennt, das was für die Sünde und das Fleisch tot ist), wir, die wir Gott anbeten – nicht in der falschen Anmaßung von Satzungen, sondern geistlich durch die Kraft des Heiligen Geistes –, die wir uns Christi, des Heilandes, rühmen und nicht des Fleisches, auf das wir im Gegenteil kein Vertrauen haben. Wir sehen hier Christus und den Geist im Gegensatz zu dein Fleische und dem eigenen ich.

Paulus konnte sich wirklich, wenn nötig, solcher Dinge rühmen, die dem Fleisch angehören. Handelte es sich um alle jüdischen Vorrechte – er besaß sie im höchsten Grad. Er hatte alle anderen übertroffen in heiligem Eifer gegen die Neuerer. Aber eine einzige Sache hatte das alles geändert: er hatte einen verherrlichten Christus gesehen. Alles, was er nach dem Fleisch besaß, war fortan Verlust für ihn; es stellte etwas zwischen ihn und den Christus seines Glaubens und seines Verlangens, den Christus, den er kannte. Doch beachten wir, dass er hier nicht die Sünden des Fleisches, die Christus gesühnt und hinweg getan hat, verwirft, sondern die Gerechtigkeit des Fleisches. Wir können vielleicht sagen, das Fleisch habe keine Gerechtigkeit; aber wenn der Apostel auch eine Gerechtigkeit des Fleisches besessen hätte (wie er in der Tat äußerlich eine solche besaß), so wollte er sie doch nicht haben, weil er eine bessere gesehen hatte. In Christus, der ihm auf dem Weg nach Damaskus erschienen war, hatte er Göttliche Gerechtigkeit für den Menschen und göttliche Herrlichkeit in dem Menschen gesehen. Er hatte einen verherrlichten Christus gesehen, der die schwachen Glieder der Versammlung als eins mit sich anerkannte. Er wollte nichts anderes haben. Die Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, seines Herrn, hatte alles in den Schatten gestellt, alles, was nicht dieses war, in Verlust verwandelt. Die Sterne sowohl als auch die Finsternis der Nacht verschwindet vor der Sonne. Die Gerechtigkeit des Gesetzes, die Gerechtigkeit des Paulus, alles, was ihn unter den Menschen auszeichnete, verschwand vor der Gerechtigkeit Gottes und der Herrlichkeit Christi.

Es war eine gänzliche Veränderung in seinem ganzen inneren Wesen vorgegangen. Sein Gewinn war ihm jetzt Verlust. Christus war alles geworden. Es war nicht das Böse, das verschwand, sondern alles das, was Paulus als Gewinn für das Fleisch besaß. Ein anderer war ihm jetzt kostbar. Welch eine tiefe und gänzliche Veränderung in dem ganzen inneren Wesen des Menschen, wenn er aufhört, selbst der Mittelpunkt seiner Wichtigkeit zu sein, und ein anderer, der würdig ist, es zu sein, der Mittelpunkt seines sittlichen Daseins wird: eine göttliche Person, ein Mensch, der Gott verherrlicht hatte, ein Mensch, in dem für das Auge des Glaubens die Herrlichkeit Gottes hervorstrahlte, in dem die Gerechtigkeit Gottes verwirklicht, die Liebe, die zärtliche Gnade Gottes gegen Menschen und gekannt von Menschen, vollkommen offenbart war. Dieser war es, den Paulus zu gewinnen, zu besitzen wünschte (denn hier sind wir noch in den Pfaden der Wüste), in dem er wünschte erfunden zu werden: „Auf dass ich Christus gewinne und in ihm erfunden werde.“ Zwei Dinge waren in diesem Wunsch seinem Glauben gegenwärtig: die Gerechtigkeit Gottes selbst als die seinige zu haben (in Christus sollte er sie besitzen), und dann Ihn zu erkennen und die Kraft seiner Auferstehung, (denn er kannte Ihn nur als auferstanden), und dieser Kraft gemäß, die jetzt in ihm wirkte, an den Leiden Christi teilzuhaben und seinem Tod gleich gestaltet zu werden.

In dem Tod Christi war die vollkommene Liebe erwiesen, die vollkommene Grundlage göttlicher und ewiger Gerechtigkeit gelegt, die Selbstentäußerung praktisch, gänzlich, vollkommen offenbart worden, in Christus, der für den Apostel der vollkommene Gegenstand eines Glaubens war, der dieses erfasste und es dem neuen Menschen gemäß begehrte. Christus war durch den Tod gegangen in der Vollkommenheit jenes Lebens, dessen Kraft in der Auferstehung offenbart worden war.

Paulus, der diese Vollkommenheit in Herrlichkeit gesehen hatte, und (wie schwach er auch in sich selbst war) mit Christus, der Quelle dieser Kraft, verbunden war, begehrte die Kraft seiner Auferstehung zu erkennen und Ihm in seinen Leiden zu folgen. Die Umstände stellten diese Leiden als eine Wirklichkeit vor seine Augen. Sein Herz sah nur oder wünschte nur Christus zu sehen, wünschte nur Ihm dorthin zu folgen. War der Tod auf dem Weg, so war er Christus nur umso ähnlicher. Er achtete nicht, was es kostete, wenn er nur auf irgendeine Weise hingelangte. Das gab seinem Vorsatz eine ungeteilte Energie. Das heißt in der Tat „Ihn kennen“ als Den, der völlig auf die Probe gestellt worden war, und somit alles zu kennen, was Er in der völligen Offenbarung seiner Vollkommenheit – in Liebe, Gehorsam, Hingebung – gewesen ist; aber das Ziel ist: Ihn zu gewinnen, wie Er ist.

Nachdem der Apostel Jesum in der Herrlichkeit gesehen hatte, verstand er den Pfad, der Ihn dorthin geführt hatte, und die Vollkommenheit Christi auf diesem Pfad. Da er an dem Leben Jesu teilhatte, wünschte er die Kraft dieses Lebens seiner Herrlichkeit gemäß zu verwirklichen, damit er Ihm folgen könnte, um da zu sein, wo Jesus gewesen war, und in der Herrlichkeit bei Ihm zu sein. Das ist es, was der Herr in Johannes 12, 23–26 sagt. Wer hatte, wie Paulus, die Kraft dieser Worte durch die Gnade Gottes erfasst? Bemerken wir hier den Unterschied zwischen ihm und Petrus. Petrus nennt sich „Zeuge der Leiden des Christus und auch Teilhaber der Herrlichkeit, die offenbart werden soll“ (1. Pet 5, 1); Paulus, ein Zeuge der Herrlichkeit, wie sie im Himmel ist („wie Er ist“, sagt Johannes), wünscht Teilhaber seiner Leiden zu sein. Das ist die eigentliche Grundlage, auf welcher die Versammlung steht: sie wandelt im Geist, gemäß der Offenbarung der Herrlichkeit Christi. Das ist es auch, wie ich nicht bezweifle, was den Apostel Petrus veranlasst hat zu sagen, dass in allen Briefen des Paulus (die er übrigens als einen Teil der Schriften anerkennt) etliche Dinge schwer zu verstehen seien. Es nahm den Menschen völlig aus der ganzen alten Ordnung der Dinge heraus.

Nachdem Paulus dann Christus in der Herrlichkeit gesehen hatte, gab es für ihn zwei Dinge: die Gerechtigkeit Gottes in Christus, und die Erkenntnis Christi. Erstere vernichtete alles, dessen das Fleisch sich rühmen konnte – „meine eigene“ Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit des Menschen nach dem Gesetz. Die Gerechtigkeit Gottes ist durch den Glauben, d. h. der Mensch ist nichts darin. Es ist Gottes Gerechtigkeit; der Mensch hat teil daran, indem er glaubt (d. h. durch den Glauben an Christus Jesus). Der Gläubige hat seinen Platz vor Gott in Christus, in der Gerechtigkeit Gottes selbst, die Gott in der Verherrlichung Christi offenbart hat, indem Er Sich selbst in Ihm verherrlichte. Welch eine Stellung! Die Sünde, die menschliche Gerechtigkeit, alles, was dem eigenen ich angehört, ist ausgeschlossen; unser Platz entspricht der Vollkommenheit, in der Christus, als Mensch, Gott vollkommen verherrlicht hat. Aber dieser Platz ist notwendigerweise der Platz Dessen, der dieses herrliche Werk vollbracht hat. Christus ist in seiner Person und in seiner gegenwärtigen Stellung 1 der Ausdruck unseres Platzes: Ihn kennen ist, diesen Platz kennen. Er ist dort gemäß der göttlichen Gerechtigkeit; deshalb ist es auch unser Teil, dort zu sein, wie Er dort ist, gemäß derselben göttlichen Gerechtigkeit, die bereitwillig, aber notwendigerweise, den Menschen (uns) dort einführt in Christus. Darum, wenn ich die Gerechtigkeit Gottes darin erkannt habe, dass Christus dort ist, wünsche ich selbst zu kennen, was es ist, dort zu sein; ich wünsche Christus zu kennen. Aber das umfasst in Wahrheit alles, was Er war in dem Vollbringn seines Werkes. Die Herrlichkeit offenbart die Kraft und das Ergebnis dieses Werkes. Das, was Er litt, ist das Werk, in dem Er Gott verherrlicht hat, so dass in seiner Erhöhung als Mensch zur göttlichen Herrlichkeit die Gerechtigkeit Gottes erfüllt worden ist. Und hier macht Ihn alles, was wir in Ihm erblicken: göttliche Liebe, vollkommene Widmung für die Herrlichkeit seines Vaters, beständiger und vollkommenen Gehorsam, das Erdulden von allem, um von seines Vaters Liebe zu den Menschen Zeugnis zu geben, vollkommene Geduld, unergründliche Leiden, um den Ausfluss der Liebe zu Sündern sowohl möglich als auch vollkommen zu machen, kurz, alles, was Christus war, was mit seiner Person in Verbindung steht – alles macht Ihn zu einem Gegenstand, der das Herz beherrscht, einnimmt, frei macht und kräftigt, und zwar durch die Macht seiner Gnade, die in dem neuen Leben wirkt, in dem wir mit Ihm durch das über alles mächtige Band des Geistes verbunden sind. Auf diesem Weg wird Er der alleinige Gegenstand vor unseren Augen.

Deshalb, wünscht Paulus das zu haben, was Christus geben kann: seinen Kelch und seine Taufe, und dem Vater zu überlassen, was Christus Ihm überließ: die Anordnung der Plätze im Reich. Er wünscht nicht, wie Johannes und Jakobus, zur Rechten und zur Linken des Herrn zu sitzen, d. h. einen guten Platz für sich selbst. Er begehrt Christus; er will Christus gewinnen. Er folgt nicht zitternd, wie die Jünger in Mk 10; er begehrt zu leiden – nicht um des Leidens willen, sondern um teil an den Leiden Christi zu haben. Daher, anstatt wegzugehen wie der Jüngling in Mk 10, weil er vieles hatte, das dem Fleisch Gewinn war, anstatt wie dieser, sich an das Gesetz zu klammern betreffs seiner Gerechtigkeit, verzichtete er auf diese Gerechtigkeit, die er mit dem Jüngling gemein hatte, und achtete alles, was er besaß, für Dreck.

So haben wir hier denn in praktischer, persönlicher Erfahrung die Wirkung jenes großen Grundsatzes, den der Apostel in anderen Briefen entwickelt hat, dass wir nämlich an einem verherrlichten Christus teilhaben. Auch wenn er von dem Ergebnis in Bezug auf sich selbst redet, spricht er von seiner eigenen Auferstehung gemäß dem Charakter der Auferstehung Christi. Es ist nicht das, wovon Petrus spricht, wie wir gesehen haben: das einfache Teilhaben an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll; es ist das, was hervorgeht. Nachdem Paulus Christus in der Herrlichkeit gesehen hatte gemäß der Kraft seiner Auferstehung, wünschte er daran teilzunehmen. Das ist denn auch die Bedeutung seines Wortes: „ob ich auf irgend eine Weise hingelangen möge“. Er wünschte teilzuhaben an der Auferstehung aus den Toten. Wenn es, um diese zu erlangen, nötig war, durch den Tod zu gehen (wie Christus es getan hatte), so wollte er hindurchgehen, koste es, was es wolle, sei es auf eine noch so schmerzliche Weise – und um jene Zeit stand der Tod mit seinen menschlichen Schrecken vor seinen Augen –, er wünschte völlig mit Christus teilzuhaben.

Der Charakter dieser Auferstehung nun, von welcher der Apostel spricht, ist der, dass es eine Auferstehung aus den Toten ist; es ist nicht einfach die Auferstehung der Toten. Es ist das Herausgehen aus dem Zustand der Verderbtheit, in den die Sünde den Menschen gestürzt hat, mittels der Gunst und Kraft Gottes (soweit es Christus betrifft, und nun auch uns durch Ihn, mittels der Gerechtigkeit Gottes), ein Herausgehen, nachdem wir tot in Sünden waren und jetzt der Sünde gestorben sind, durch die Gunst und Kraft und Gerechtigkeit Gottes. Welch eine Gnade! und welch ein Unterschied! Indem wir Christus dem Willen Gottes gemäß an dem Platz, wohin Er uns gesetzt hat, nachfolgen (und mit dem niedrigsten Platz, wenn Gott ihn uns gibt, zufrieden zu sein, ist dieselbe Selbstverleugnung, wie in dem höchsten zu arbeiten; denn das Geheimnis im Blick auf beide ist, dass Christus alles und wir nichts sind), haben wir teil an seiner Auferstehung – ein Gedanke, der voll von Friede und Freude ist und das Herz mit Liebe zu Christus erfüllt. Freudevolle und herrliche Hoffnung, die vor unseren Augen leuchtet in Christus, in diesem gesegneten, verherrlichten Heilande! Als die Gegenstände göttlicher Gunst in Ihm kommen wir (weil das Auge Gottes auf uns ruht, da wir sein sind) hervor aus dem Haus des Todes, das die, die sein sind, nicht festhalten kann, weil die Herrlichkeit und die Liebe Gottes an ihnen interessiert und beteiligt sind. Christus ist das Beispiel und das Muster unserer Auferstehung; der Grund (Röm 8) und die Gewissheit unserer Auferstehung ist in Ihm. Der Weg dahin wird uns hier von dem Apostel gezeigt.

Wenn nun aber die Auferstehung und das Gleichsein mit Christus in der Herrlichkeit die Gegenstände der Hoffnung des Apostels ausmachten, so ist es sehr klar, dass er sie noch nicht erreicht hatte. Wenn das seine Vollendung bedeutete, so konnte er noch nicht vollendet sein. Er war, wie gesagt, auf dem Weg dahin; aber Christus hatte ihn dazu ergriffen, und er streckte sich stets aus, um den Kampfpreis zu ergreifen, den zu genießen Christus ihn ergriffen hatte. Nein, wiederholt er seinen Brüdern, ich halte mich selbst nicht dafür, es ergriffen zu haben. Aber eines konnte er wenigstens sagen: er vergaß alles, was dahinten war, und jagte, das vorgesteckte Ziel immer anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes, der sich im Himmel befindet. Glücklicher Christ! Es ist etwas Großes, das nie aus den Augen zu verlieren, nie ein geteiltes Herz zu haben, nur an eines zu denken; immer der wirklichen Kraft entsprechend zu handeln und zu denken, die der Heilige Geist in dem neuen Menschen wirkt, indem Er ihn zu diesem einzigen und himmlischen Gegenstand leitet. Der Apostel denkt nicht eigentlich an seine Sünden, wenn er sagt: „Vergessen, was dahinten ist“ – es waren vielmehr seine Fortschritte, die er vergaß, seine Vorzüge, alles, was schon hinter ihm lag. Und diese Energie hatte sich nicht nur bei den ersten tiefen Regungen kundgegeben, als er den Herrn kennen lernte; er achtete noch alles für Dreck, weil er Christus stets vor Augen hatte. Das ist wahres christliches Leben. Welch eine traurige Sache wäre es für Rebekka gewesen, wenn sie auf ihrer Wüstenreise unter Eliesers Führung Isaak vergessen und wieder angefangen hätte, an Bethuel und an das Haus ihres Vaters zu denken! Was hätte sie dann in der Wüste bei Elieser gehabt? – So ist das wahre Leben, die wahre Stellung des Christen; gleich den Israeliten, die, obwohl durch das Blut an den Türpfosten vor dem Würgeengel geschützt, sich nicht eher an ihrem wahren Platz befanden, als bis sie als ein befreites Volk jenseits des Roten Meeres standen. Dann betraten sie als Gott angehörend den Weg nach Kanaan.

Der Christ ist geistlicherweise nicht eher an seinem wahren Platz, nicht eher vollkommen oder erwachsen in Christus, bis er die neue Stellung versteht, die Christus, als auferstanden aus den Toten, eingenommen hat. Aber wenn er dazu angelangt ist, soll er deshalb gewiss nicht andere verachten. Wenn, sagt der Apostel, sie etwas anders gesinnt wären, so würde Gott ihnen die Fülle seiner Wahrheit offenbaren; jedoch sollten alle zusammen in einer Gesinnung wandeln in den Dingen, zu denen sie gelangt waren (V. 15+16). Wo das Auge einfältig war, wird es also gewesen sein; allein es gab viele, bei denen es anders stand. Doch der Apostel war ihr Vorbild, und das wollte viel sagen. Solange Jesus hienieden lebte, konnte die besondere Kraft dieses Auferstehungslebens nicht in der gleichen Weise offenbart werden; überdies wandelte Christus auf Erden in dem Bewusstsein dessen, was Er bei dem Vater vor Grundlegung der Welt war. Darum, obwohl Er für die vor Ihm liegende Freude litt, obwohl sein Leben das vollkommene Muster des himmlischen Menschen war, wurde in Ihm doch eine Ruhe, eine Gemeinschaft mit dem Vater gefunden, die einen ganz besonderen Charakter trug. Nichtsdestoweniger ist es, lehrreich für uns, weil der Vater uns liebt, wie Er Jesum liebte, und weil auch Jesus uns liebt, wie der Vater Ihn geliebt hat. Bei Ihm war es nicht die Energie eines Menschen, der in der Laufbahn laufen muss, um etwas zu erreichen, das er noch nie vorher besessen hat: Er redete von dem, was Er wusste, und gab Zeugnis von dem, was Er gesehen, von dem, was Er aus Liebe zu uns verlassen hatte – Er, „der Sohn des Menschen, der im Himmel ist“.

Johannes geht mehr in diesen Charakter Christi ein; daher finden wir in seinem ersten Brief mehr von dem, was Er in seiner Natur und in seinem Charakter ist, als von dem, was wir mit Ihm in der Herrlichkeit sein werden. Petrus baut zwar auf denselben Grund wie die anderen, wartet aber doch auf das, was offenbart werden soll. Seine Pilgrimschaft geht wohl dem Himmel zu, um einen dort aufbewahrten Schatz zu erlangen, der in der letzten Zeit offenbart werden soll; aber es steht doch mehr in Verbindung mit dem, was schon offenbart worden war. Von seinem Gesichtspunkt aus erschien der Morgenstern, von dem Paulus erfüllt war, nur an dem äußersten Horizont. Für ihn war das praktische Leben das Leben Jesu unter den Juden. Er konnte nicht mit Paulus sagen: „Seid meine Nachahmer.“ Die Wirkung der Offenbarung der himmlischen Herrlichkeit Christi, zwischen seiner Himmelfahrt und seiner Wiederkehr, sowie des Einsseins aller Christen mit Ihm in dem Himmel, trat nur in dem Mann völlig hervor, der sie empfing. Paulus, dieser Offenbarung durch die Gnade treu, und ohne einen anderen Gegenstand, der seine Schritte geleitet oder sein Herz in Anspruch genommen hätte, stellt sich selbst als ein Vorbild hin. Er folgte Christus wirklich nach, aber die Form seines Lebens war durch die Art und Weise, in der Gott ihn berufen hatte, eine besondere; und also sollten die Christen wandeln, die diese Offenbarung, besitzen. Dementsprechend spricht Paulus auch von einer ihm anvertrauten Verwaltung (Kol 1,25; Eph 3,2).

Nicht dass er die Augen der Philipper von Christus hätte abwenden wollen; er besteht vielmehr darauf, dass sie unverrückt ihre Blicke auf Ihn gerichtet halten. Das war es ja gerade, was ihn kennzeichnete, und hierin stellt er sich selbst als Vorbild hin. Aber der Charakter dieses Schauens auf Jesum war ein besonderer. Nicht ein auf der Erde gekannter Christus war der Gegenstand desselben, sondern ein verherrlichter Christus, den er im Himmel gesehen hatte. Stets diesem Ziel nachzujagen bildete den Charakter seines Lebens, geradeso wie dieselbe Herrlichkeit Christi als ein Zeugnis für die Einführung der göttlichen Gerechtigkeit und für die Stellung der Versammlung, die Grundlage seiner Lehre bildete. Deshalb konnte er sagen: „Seid meine Nachahmer.“ Sein Blick war stets auf den himmlischen Christus gerichtet, der vor seinen Augen geleuchtet hatte und jetzt vor seinem Glauben leuchtete. So sollten die Philipper miteinander wandeln und auf jene hinsehen, die dem Vorbild des Apostels folgten; denn augenscheinlich war es eine Zeit, in der die Versammlung, als Ganzes, sich schon weit von ihrer ersten Liebe und von ihrem normalen Zustand entfernt hatte. Es gab schon viele, die – während sie den Namen Christi trugen und einmal gute Hoffnung gegeben hatten, so dass der Apostel mit Weinen von ihnen spricht – Feinde des Kreuzes Christi waren; denn das Kreuz auf der Erde, in unserem Leben entspricht der himmlischen Herrlichkeit droben. Es handelt sich hier nicht um die Versammlung zu Philippi, sondern um den Zustand der äußeren allgemeinen Gemeinde. Viele gab es schon, die sich Christen nannten und mit diesem großen Namen ein Leben verbanden, das die Erde und das Irdische zu seinem Gegenstand hatte. Der Apostel erkannte sie nicht an. Sie waren da; aber es war nicht eine Sache für die Ausübung örtlicher Zucht, sondern ein allgemeiner Zustand des Christentums, in dem sogar alle das Ihrige suchten. Das geistliche Leben war schon so tief gesunken, und der Christus der Herrlichkeit wurde so wenig verwirklicht, dass viele, die gar kein Leben besaßen, unter den Christen wandeln konnten, ohne durch solche offenbar gemacht zu werden, die selbst so wenig Leben hatten und kaum besser wandelten als jene. Denn es scheint nicht, dass die, „die auf das Irdische sannen“, etwas Böses verübt hätten, das eine öffentliche Zucht erforderlich machte. Der allgemeine niedrige Standpunkt des geistlichen Lebens unter den wahren Christen gab den anderen Freiheit, mit ihnen zu wandeln; und die Gegenwart dieser rückte wiederum den Maßstab des göttlichen Lebens noch mehr herab.

Dieser Stand der Dinge entging dem geistlichen Auge des Apostels nicht. Auf die Herrlichkeit gerichtet, unterschied es schnell und klar alles, was nicht die Herrlichkeit zu seinem Beweggrund hatte; und der Geist hat uns auf die ernsteste und feierlichste Weise das göttliche Urteil hinsichtlich dieses Zustandes der Dinge kundgetan. Ohne Zweifel ist der Zustand seit jener Zeit um vieles schlechter geworden, und die damals wirksamen Elemente haben sich in einer Weise und nach Verhältnissen entwickelt und festgesetzt, die sehr verschieden in ihrem Charakter sind; allein die Grundsätze hinsichtlich des Wandels bleiben für die Versammlung immer die gleichen. Dasselbe Böse ist jetzt wie damals zu fliehen; aber auch dasselbe mächtige Mittel, ihm zu entfliehen, ist vorhanden, dasselbe gesegnete Vorbild, dem wir zu folgen haben, derselbe himmlische Heiland, um der herrliche Gegenstand unseres Glaubens zu sein, dasselbe Leben, das wir zu leben haben, wenn wir in Wirklichkeit Christen zu sein wünschen.

Das Kennzeichnende an jenen Personen, die den Namen Christi bekannten, war, dass ihre Herzen auf das Irdische gerichtet waren. So hatte das Kreuz für sie nicht seine praktische Kraft; diese zu verwirklichen hätte im Widerspruch mit ihrer Gesinnung gestanden. Ihr Ende war daher Verderben. Bei dem wahren Christen ist es nicht also. Sein Wandel ist in den Himmeln, nicht auf der Erde; sein inneres Leben bewegt sich in den Himmeln, seine wahren Beziehungen sind dort. Von dorther erwartet er Christus als Heiland, das heißt, um durch Ihn von der Erde, von diesem irdischen System, das, fern von Gott, ihn hienieden umgibt, befreit zu werden; denn die Seligkeit wird in diesem Brief immer betrachtet als das endliche Ergebnis des Kampfes, das Ergebnis, das der allmächtigen Kraft des Herrn gebührt. Wenn Christus kommen wird, um die Versammlung zu sich zu nehmen, dann werden die Christen, weil sie in Wahrheit himmlisch sind, Ihm gleich sein in seiner himmlischen Herrlichkeit, eine Gleichheit, die allezeit der Gegenstand ihres Trachtens ist (vgl. 1. Joh 3,2). Christus wird dies an ihnen erfüllen, indem Er „ihren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit, nach der wirksamen Kraft, mit der er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen“. Dann werden der Apostel und alle Christen das Ziel, die Auferstehung aus den Toten, erreicht haben.

Das ist der wesentliche Inhalt dieses Kapitels. Wie wir im zweiten Kapitel gefunden haben, dass der Sich selbst erniedrigende Christus die Quelle der christlichen Gnade im Wandel ist, so ist Christus, in Herrlichkeit gesehen, die Quelle der Kraft für ein christliches Leben, das Christus gewinnen will, so dass alles andere Verlust ist. Das sind die beiden Teile des christlichen Lebens, von denen wir nur zu bereit sind, das eine dem anderen zum Opfer zu bringen, oder wenigstens dem einen nachzustreben und das andere zu vergessen. In beiden glänzte Paulus auf ganz besondere Weise.

Im folgenden Kapitel finden wir das Erhabensein über die Umstände. Auch darin zeigen sich die Erfahrung und der Zustand des Apostels; denn man wird bemerken, dass es persönliche Erfahrung ist, seine (menschlich geredet) fehlerlose Erfahrung, nicht Vollkommenheit, die sich durch alle seine Belehrungen hindurch zieht. Christus in der Herrlichkeit ähnlich zu sein, ist der einzige Maßstab dafür. Was dieses dritte Kapitel betrifft, so haben einige die Frage aufgeworfen, ob das Ziel des Apostels eine geistliche Ähnlichkeit mit Christus hienieden gewesen sei, oder eine vollkommene Gleichförmigkeit mit Ihm in der Herrlichkeit. Das heißt einigermaßen die Bedeutung dessen, was der Apostel sagt, vergessen, dass nämlich das Anschauen der himmlischen Herrlichkeit und das Verlangen danach, das Verlangen, den also verherrlichten Christus selbst zu besitzen, dasjenige ist, was das Herz hienieden bildet. Hienieden ist nichts zu finden, das wir in uns erlangen müssten, seitdem Christus droben ist. Hätte man hienieden etwas als Gegenstand, so würde dadurch das Herz von dem Gegenstand, der es zu seiner Gleichförmigkeit bildet, getrennt werden. Aber obwohl wir das Ziel hienieden nie erreichen, weil es ein verherrlichter Christus und die Auferstehung aus den Toten ist, so macht uns doch die Verfolgung dieses Zieles Ihm mehr und mehr ähnlich. Der Gegenstand in der Herrlichkeit bildet das Leben, das diesem Gegenstand hienieden entspricht.

Wenn am Ende einer langen, geraden Straße ein Licht brennt, so habe ich dasselbe nicht eher, als bis ich zu ihm gelangt bin; aber je näher ich dem Ende komme, desto mehr nimmt das Licht für mich zu; ich erkenne es besser, ich bin selbst mehr im Licht. So ist es auch mit einem verherrlichten Christus; und so ist das christliche Leben (vgl. 2. Kor 3).

Fußnoten

  • 1 Natürlich nicht bezüglich seines Sitzens zur Rechten Gottes; das ist persönlich.
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