Botschafter des Heils in Christo 1856
Gott in allen Dingen
Was hilft dem Christen mehr, die Versuchungen auf seinem Weg zu ertragen, als die Gewohnheit, Gott in allen Dingen zu sehen. Es ist keine Lage, mag sie noch so niedrig oder noch so gering sein, welche nicht als ein Bote Gottes betrachtet werden kann; wenn nur das Ohr fähig ist, zu hören, und der Sinn gastlich genug, diese Boten zu verstehen. Wenn wir diese schätzbare Wahrheit aus dem Gesicht verlieren, wird das Leben in manchen Lagen zuletzt zu einer langweiligen Einförmigkeit, nichts darstellend, als die gewöhnlichen Umstände des alltäglichen Lebens. Wenn wir aber Acht haben, wie wir täglich in unserem Beruf abweichen, so können wir auch die Hand des Vaters in jeder Handlung sehen. Sowohl in den kleinsten als in den wichtigsten Umständen, erkennen wir die Spuren der göttlichen Gegenwart. Diese Aufmerksamkeit auf alles, würde die tiefste Teilnahme für die Geschichte eines jeden Tages erwecken.
Das Buch Jonas offenbart diese Wahrheit in einer sehr auffallenden Weise. Da lernen wir, was wir bedürfen, nämlich verstehen, dass für den Christen nichts gewöhnlich ist; jedes Ding ist außergewöhnlich. In den gewöhnlichsten Dingen und in den einfachsten Umständen sehen wir in der Geschichte Jonas die besondere Dazwischenkunft von Seiten Gottes. Es ist nicht nötig, in eine genaue Erklärung dieses Buches einzugehen, um diese Wahrheit zu verstehen. Wir brauchen nur einen Ausdruck zu beachten, welcher immer wieder vorkommt, nämlich: „Der Herr bereitete.“ In Kapitel 1 sendet der Herr einen starken Sturm auf das Meer, und dieser Sturm war eine feierliche Stimme für das Ohr des Propheten, wenn es wachsam gewesen wäre, um sie zu hören. Jonas war es allein, welcher bedurfte, belehrt zu werden; denn für ihn war dieser Bote gesandt.
Die armen heidnischen Schiffer waren ohne Zweifel schon oft einem Sturm begegnet; für sie war es nichts Neues, nichts Besonderes, nichts anderes, als etwas, das zu den gewöhnlichen Erlebnissen eines Seemannes gehört; allein es war etwas Besonderes und Außergewöhnliches für eine Seele im Schiff, obgleich diese im Innern desselben im Schlaf lag. Vergeblich suchten die Schiffer den Sturm zu bekämpfen; nichts wollte helfen, bis des Herrn Bote das Ohr dessen erreicht hatte, zu welchem er gesendet war.
Wenn wir der Geschichte Jonas ein wenig weiter folgen, so bemerken wir einen neuen Grund, um zu sagen: Gott in allen Dingen. Jonas ist in neue Umstände gebracht, doch nicht in solche, wo die Boten Gottes ihn nicht mehr erreichen können. Der Christ kann sich niemals in einer Lage befinden, in welcher die Stimme seines Vaters sein Ohr nicht erreichen, oder dessen Hand seinem Blick nicht begegnen kann; denn in allen Dingen kann seine Stimme gehört und seine Hand gesehen werden. Als Jonas in das Meer geworfen wurde, „da bereitete der Herr einen großen Fisch.“ Hier sehen wir, dass für ein Kind Gottes nichts gewöhnlich ist. Ein großer Fisch war nichts Ungewöhnliches, denn im Meer gibt es deren viele. Doch bereitete der Herr einen besonderen für Jonas, damit er ein Bote Gottes an seiner Seele werden möchte.
Ebenso sehen wir in Kapitel 4 den Propheten an der Morgenseite der Stadt Ninive sitzen, im Murren und in Ungeduld, bekümmert, ob der Herr die Stadt nicht vernichten würde, und den Herrn bittend, sein Leben von ihm zu nehmen. Es schien, als ob er die Wahrheiten vergessen hätte, die er während den drei Tagen, wo er sich in der Tiefe aufhielt, gelernt hatte, und er bedurfte daher eines neuen Boten von Gott: „Und der Herr bereitete einen Kürbis.“ Dies ist besonders lehrreich. Es lag sicherlich nichts Ungewöhnliches in einem Kürbis; viele mögen tausend Kürbisse sehen, und diese mögen über ihrem Kopf hängen, und sie sehen doch nichts Außergewöhnliches darin. Aber der Kürbis des Jonas stellte die Wege der Hand Gottes dar, und bildete eine Kette – eine wichtige Kette, in der Reihe der Umstände, durch welche der Prophet nach der Absicht Gottes wandelte. Dieser Kürbis hier, wie der große Fisch vorhin, obgleich sehr verschieden in ihrer Art, waren Boten Gottes für seine Seele. „Jonas war sehr erfreut über den Kürbis.“ Er hatte vorher verlangt zu sterben, aber sein Verlangen war mehr die Folge der Ungeduld und des Kummers, als eines heiligen Wunsches, zu sterben und für ewig in Ruhe zu sein. Es waren die Leiden der Gegenwart, mehr als das Glück der Zukunft, die in ihm den Wunsch erweckten, abzuscheiden. Dies ist oft der Fall. Wir haben oft Verlangen, von dem jetzigen Druck erlöst zu sein, aber wenn dieser Druck vorüber ist, so hört auch das Verlangen auf. Wenn wir nach dem Kommen des Herrn und nach seiner gesegneten Gegenwart in der Herrlichkeit verlangen. so werden die äußeren Umstände keine Veränderung machen. Wir würden dann ebenso voll Sehnsucht und Eifer sein, von den Tagen der Ruhe und des Sonnenscheins abzuscheiden, als von denjenigen des Drucks und der Sorgen. Jonas, während er unter dem Schatten des Kürbis saß, dachte nicht daran, abzuscheiden, und die Tatsache seiner außerordentlichen Freude über den Kürbis bewies, wie viel er der besonderen Boten des Herrn bedurfte. Sie sollten die wahre Lage seiner Seele offenbar machen, als er die Worte äußerte: „Nimm, ich bitte dich, mein Leben von mir; denn es ist besser für mich zu sterben, als zu leben.“ Der Herr kann aus einem Kürbis das Werkzeug machen, um die Geheimnisse des menschlichen Herzens zu enthüllen. Wirklich, der Christ kann sagen: Gott ist in allen Dingen. In dem Toben des Sturmes wird die Stimme Gottes gehört; in dem stillen Hinwelken des Kürbis, die Hand des Herrn gesehen.
Doch der Kürbis war nur ein Glied in der Kette; denn „der Herr bereitete einen Wurm,“ und dieser Wurm, so unbedeutend als er war, ist nichtsdestoweniger der ernste Bote Gottes, wie es auch der „starke Wind,“ oder der „große Fisch“ war. Ein Wurm, wenn er von Gott benutzt wird, kann Wunder tun. Es verwelkte Jonas Kürbis und offenbarte ihm eine ernste Lehre. Dieser Wurm war nur ein unbedeutender Bote, aber dies verherrlicht nur desto auffallender die Größe der Gesinnung unseres Vaters. Er kann einen Wurm bereiten, und Er kann einen heftigen Sturmwind kommen lassen, und sie beide, so verschieden sie auch in ihrer Art sind, für seine großen Absichten gebrauchen. Mit einem Wort, der geistliche Sinn sieht Gott in allen Dingen. Der Wurm, der Kürbis der große Fisch und der Sturm, – alle sind Werkzeuge in seiner Hand. Der unbedeutendste sowohl als der hervorragendste Bote fördert seine Absichten. Wer würde gedacht haben, dass ein Wurm und ein Sturmwind vereinigte Mittel sein könnten, um ein Werk Gottes zu tun? Doch so war es. Groß und Klein sind nur Ausdrücke im Gebrauch unter den Menschen, aber diese können bei Ihm nicht angewendet werden. Jehova kann die Menge der Sterne zählen, und, während Er es tut, kann Er Kenntnis nehmen von einem fallenden Sperling. – Er kann den Wirbelwind zu seinen Wegen machen, und ein gebrochenes Herz zu seiner Wohnung. Nichts ist groß oder klein bei Gott.
Der Gläubige darf daher Nichts als gewöhnlich ansehen, denn Gott ist in allen Dingen. Er mag dieselben Umstände durchzumachen haben, denselben Versuchungen begegnen, wie andere Menschen; aber er darf sie nicht nach denselben Grundsätzen deuten; auch führen sie nicht denselben Schall zu seinen Ohren. Er sollte in dem unbedeutendsten, wie auch in dem bedeutendsten Erlebniss des Tages die Stimme Gottes hören und seine Boten erkennen.
Die Sonne, welche am Himmel in glänzendem Schimmer fortläuft, und der Wurm, der auf dem Weg kriecht, beide sind ebenfalls von Gott geschaffen, und beide können in der Ausführung seiner unerforschlichen Absicht mitwirken.