Botschafter des Heils in Christo 1887
Fragen aus dem praktischen Leben
1.: Sollte ein Christ die Hilfe der weltlichen Gerichte in Anspruch nehmen? – Diese Frage ist schon oft erhoben und besprochen worden. Wenn es sich um eine Angelegenheit zwischen Brüdern handelt, so gibt das 6. Kapitel des ersten Korintherbriefes eine entscheidende Antwort. Ist es aber eine Sache zwischen einem Christen und einem Mann dieser Welt, so mag die Frage schwieriger erscheinen. Indes wird ein einfältiges, aufrichtiges Herz, das sich durch Gottes Wort leiten lässt, den richtigen Weg wohl herausfinden. Und ein Christ, der doch „durch das lebendige und bleibende Wort Gottes wiedergezeugt“ ist, sollte niemals anders handeln, als in Übereinstimmung mit diesem Wort; sonst tritt er in Widerspruch mit sich selbst, seiner neuen Natur nach. Nun bezeugt aber das ganze Neue Testament, dass der Gläubige völlig auf dem Boden der Gnade steht und nur von Gnade lebt. Das Wort sagt ihm auch, dass er „aus Gott geboren“, ein Kind Gottes sei, und ermahnt: „Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder“ (Eph 5,1). Er weiß und bekennt es, dass Gott in seiner Gnade ihm seine ganze Schuld, „zehntausend Talente“, die er nie hätte bezahlen können (Mt 18,23–35), geschenkt hat. Würde er nun ein „Nachahmer Gottes“ sein, nach Gnade handeln, wenn er seinen Mitmenschen um irgendeiner Sache willen vor Gericht ziehen wollte? Und wären seine Rechtsansprüche auch noch so begründet, und die Verschuldung des Anderen noch so bedeutend, so bezeichnet das Wort diese dennoch als eine Schuld von nur „hundert Denaren“, eine Summe, die in gar keinem Verhältnis steht zu den „Zehntausend Talenten“, welche ihm erlassen worden sind.
Gott hat sich in seinem Sohn, der als Mensch unter Menschen wandelte, sichtbar offenbart, so dass wir wissen, was Er ist und was seiner Natur entspricht. In diesem vollkommenen Menschen und in seinem Verhalten besitzt ein Christ, der ja durch die Wiedergeburt der Natur Gottes teilhaftig geworden ist und auch als „Mensch Gottes vollkommen, zu jedem guten Werke völlig geschickt“ sein soll (2. Tim 3,16–17), für alle nur denkbaren Lagen ein sichtbares Vorbild für sein eigenes Verhalten. Er braucht nur das Leben Jesu zu betrachten und sich die Frage vorzulegen, wie Er, unser Herr, sich in dem gerade vorliegenden Fall verhalten würde, um über das, was er darin zu tun hat, klar zu werden. Hinsichtlich der Frage, ob ein Christ sein Recht suchen soll, erinnert Petrus die Gläubigen an das Beispiel des Herrn, „der, gescholten, nicht wieder schalt, leidend, nicht drohte, sondern sich dem übergab, der recht richtet“ (1. Pet 2,19–24); und er sagt ihnen zugleich durch den Heiligen Geist, dass sie „seinen Fußstapfen nachfolgen sollten.“ Und weil der Herr „durchaus das war, was Er auch redete“ (Joh 8,25), das heißt, in seinem Leben das darstellte, was Er sprach, so haben wir in seinen Worten in Matthäus 5,38–48 ein deutliches Vorbild für einen Wandel in seinen Fußstapfen, besonders hinsichtlich unseres Verhaltens in Rechtssachen. Wenn es uns nun Ernst ist mit unserem Bekenntnis, Jünger Jesu zu sein, so werden wir, in Beherzigung solcher Worte, nicht mehr daran denken, unser Recht vor den Gerichten zu suchen.
Gewiss erhebt sich bei manchen Gläubigen, besonders wenn sie Geschäftsleute sind und selbst Verpflichtungen gegen andere haben, die Frage, was dann aus ihnen werden solle, wenn sie, ohne den Schutz der weltlichen Gerichte anzurufen, den Ungerechtigkeiten der Menschen preisgegeben seien. Sie vergessen dann aber, dass sie unter dem unmittelbaren, viel mächtigeren Schütze ihres himmlischen Vaters stehen, ohne welchen es überhaupt nicht möglich sein würde, auch nur einen Tag in einer Welt zu leben, die Satan, ihren Widersacher, zum Fürsten hat. Unter dem Schütze Gottes aber haben sie gewiss keinen Grund, sich zu fürchten vor irgendwelchen Folgen eines treuen Wandels in den Fußstapfen Jesu. Und wenn sie auch, aus Gehorsam gegen sein Wort, empfindlichen Verlust erleiden müssten, falls die Weisheit Gottes für gut finden sollte, dies zu erlauben, so würden sie doch die Erfahrung machen, dass sein Reichtum groß genug ist, alle ihre Bedürfnisse zu erfüllen, ja, sie für ihre Verluste reichlich zu entschädigen, wenn dies letztere gut für sie sein sollte.
Es gibt Beispiele genug, dass gläubige Geschäftsleute, die nach den oben besprochenen göttlichen Grundsätzen, als seine Haushalter, ihre Geschäfte betreiben, viel besser durch alle Schwierigkeiten hindurchkommen, als solche, die glauben, sich selbst helfen zu müssen. Andererseits lehrt die Erfahrung, dass Gläubige, die ihr Recht vor weltlichen Gerichten suchen, nur zu oft sehen müssen, dass Gott es ihnen auf diesem Weg nicht gelingen lässt. Wie friedevoll ist der Weg eines Christen, der mit allem, was er ist und hat, sich vertrauensvoll in die Arme seines himmlischen Vaters legt und von Ihm allein seine Hilfe erwartet; gegenüber der steten Unruhe eines Herzens, das seine Stützen in weltlichen Einrichtungen sucht! Nichtiger aber noch als das ist die Verherrlichung des Herrn durch einen treuen Wandel in seinen Fußstapfen. 2. Ist eine eheliche Verbindung zwischen Bekehrten und Unbekehrten irgendwie zu rechtfertigen? – Die Beantwortung dieser Frage ist für ein Herz, das den wohlgefälligen Willen des Herrn tun will und sich vor der Autorität des Wortes beugt, nicht schwierig. Einem solchen genügt es, zu wissen, dass die Ehe eines Christen „nur im Herrn“ geschlossen werden sollte (1. Kor 7). Ein solcher wird auch die Behauptung, dass die Ehe eine rein menschliche Sache, eine Angelegenheit der Natur sei, und deshalb nicht mit dem Christentum in Verbindung gebracht, oder von dem Bekehrtsein beider Teile abhängig gemacht werden könne, mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Denn wenn wir alles, was wir tun, selbst essen und trinken, zur Ehre Gottes tun sollen, so ist es offenbar, dass eine der wichtigsten Angelegenheiten dieses Lebens, einer der entscheidendsten Schritte, die ein Mensch je tun kann, nicht ohne Rücksicht auf den Willen und das Wohlgefallen Gottes geordnet und getan werden sollte.
Allein das Herz ist ein arges, betrügerisches Ding. Wenn der Gläubige nicht in der Gemeinschaft seines Herrn ist und in Aufrichtigkeit mit Ihm wandelt, so gewinnen allmählich die Begierden der Natur und die Lüste des Fleisches Herrschaft über ihn; und obwohl er den Willen des Herrn in jener Sache kennt, so sucht er doch nach allerlei Scheingründen, um die Stimme seines Gewissens zum Schweigen zu bringen und die Sache selbst in ein möglichst günstiges Licht zu stellen. Naturgemäß sind besonders jüngere Christen dieser Gefahr ausgesetzt, und ihnen ein Wort der Warnung zuzurufen, ist der Zweck dieser Zeilen.
Wie gesagt, wird in einem Herzen, das nahe bei dem Herrn ist, der Gedanke an das Eingehen einer Ehe mit einer unbekehrten Person keine Wurzel fassen, noch weniger eine ernste Erwägung vor dem Herrn nötig machen. Denn wie wäre es möglich, mit jemandem in eine so innige Verbindung zu treten, dessen Neigungen, Wünsche und Interessen in unmittelbarem Gegensatz zu den unsrigen stehen? Wenn es uns ohne Verleugnung unseres Christentums unmöglich ist, wiederum zu reden, zu denken und zu handeln wie vor unserer Bekehrung, so ist es doch wohl ebenso unmöglich, uns ohne jene Verleugnung mit jemandem völlig eins zu machen, der eben deshalb, weil er den Herrn nicht kennt, nur wie ein Unbekehrter denken, reden und handeln kann.
Aber könnte ich nicht, so fragt man, dem anderen Teile zum Segen werden, und sollte nicht gerade unser tägliches, inniges zusammenleben ein geeignetes Mittel sein, ihn auch zu den Füßen des Herrn zu führen, und ihm so zu ewigem Heil ausschlagen? Ach, es ist erstaunlich, wie es dem Feind gelingt, gerade in dieser Sache die Augen manches jungen Gläubigen zu verblenden. Jener Einwurf gründet sich auf eine schreckliche, beklagenswerte Täuschung. Wie ist es nur möglich, von einer Handlung des offenbaren Ungehorsams göttlichen Segen zu erwarten? Ist es nicht dasselbe, als wenn ich sagen würde: „Lasst uns das Böse tun, auf dass Gutes daraus hervorkomme?“ Wie kann ich die geringste Hoffnung haben, einen anderen auf den rechten Weg zu führen, wenn ich selbst einen verkehrten einschlage? Muss nicht gerade das Gegenteil eintreten? Die Erfahrung lehrt, dass in den meisten Fällen dieses Gegenteil wirklich eintritt, dass nicht der bekehrte Teil den unbekehrten zu Jesu führt, sondern dass der unbekehrte den bekehrten nach und nach auf seinen Boden herabzieht und der Welt und ihrem Treiben wieder zuführt. Und selbst wenn der bekehrte Teil durch die Gnade Gottes erhalten bleibt, welch ein trauriges Verhältnis! Kann in einer solchen Ehe wahre Herzensgemeinschaft bestehen? Werden nicht die Neigungen und Wünsche der beiden Ehegatten sich stets durchkreuzen? Kann da von einer wahrhaft christlichen Ehe die Rede sein? Können die Gatten in gemeinschaftlichem Gebet ihre Herzen vor ihrem Gott und Vater ausschütten und seinen Segen auf ihr ganzes Haus herabflehen? Unmöglich! Alle ihre Neigungen, ihre Ziele, ihre Wege laufen einander schnurstracks entgegen.
Aber gibt es denn gar keine Fälle, in welchen der unbekehrte Teil durch den bekehrten gleichsam überwunden und zu Jesu geführt wird? Gewiss, es gibt solche Fälle; aber sie sind äußerst selten und beweisen nur das überströmende Erbarmen unseres Gottes, der in Gnaden auf sein irrendes Kind herabsieht und aus dem Bösen Gutes hervorkommen lässt.
Aber wie ist es denn, wird man fragen, wenn jemand bekehrt wird, der bereits ein Verlöbnis mit einer unbekehrten Person eingegangen ist? Ist ein solcher nicht an sein Versprechen gebunden? Hat er nicht Verpflichtungen dem anderen Teile gegenüber? Ohne alle Frage! Aber was folgt daraus? Soll er dem Gebot des Herrn entgegen handeln und eine Ehe eingehen, die nicht „im Herrn“ geschlossen werden kann? Der Leser wird mit mir einverstanden sein, dass ein solcher Schritt dem Herrn kaum wohlgefällig sein würde. Aber was soll er denn tun? Nach unserer Meinung sollte er die Sache dem Herrn in einfältigem Vertrauen übergeben. Er vermag sie zu ordnen, und Er wird sie ordnen zu seinem Besten. Zu gleicher Zeit sollte er den unbekehrten Teil von dem Heil, das ihm widerfahren ist, in Kenntnis setzen und ihm mitteilen, dass er sich an sein Versprechen für gebunden halte, aber nicht eher imstande sei, es einzulösen, bis es „im Herrn“ geschehen könne. Sicher wird es dabei nicht an tiefen Seelenübungen fehlen; der Feind wird alles aufbieten, um die natürlichen Gefühle zu erregen und dem, der da treu und aufrichtig den Willen des Herrn zu tun wünscht, diesen Entschluss zu erschweren. Aber auch der Herr wird da sein mit seinem mächtigen Beistand und Trost, und Er wird selbst dann, wenn die Treue des Bekehrten zu einem Bruch des Verhältnisses führen sollte, die nötige Kraft darreichen, auch das zu ertragen; ja, Er wird das Herz mit seinem Frieden und seiner Ruhe erfüllen. Auch wissen wir von mehr als einem Fall, wo der unbekehrte Teil durch das treue Zeugnis des Anderen zum Nachdenken gebracht und zum Herrn geführt wurde. Eins ist gewiss, dass der Herr stets die Treue der Seinen belohnen wird. Die Art der Belohnung ist nicht immer die gleiche, aber niemals wird sie ausbleiben. Und ist nicht schon ein glückliches Herz und ein ruhiges, vorwurfsfreies Gewissen eine Belohnung, deren Wert unschätzbar ist?
Doch wir müssen hier noch auf einen anderen Punkt aufmerksam machen. Es geschieht nicht selten, dass Brüder oder Schwestern, welche eine Neigung zu einer unbekehrten Person fühlen, sich einzureden suchen, dass jene Person doch bekehrt sei. Sie suchen nach allerlei Anhaltspunkten für das, was sie so gern glauben möchten, und geben sich endlich mit Beweisen von Bekehrung zufrieden, welche sie unter anderen Umständen nimmermehr als befriedigend anerkennen würden. Ihr Wille ist in Tätigkeit. Sie sind entschlossen, ihren eignen Weg zu gehen, und erst wenn es zu spät ist, erkennen sie ihren schrecklichen Fehler. Sie müssen dann erfahren, wie unerträglich schwer ein „ungleiches Joch“ ist (2. Kor 6,14).
Über die Frage, wie man mit Personen handeln sollte, welche in dieser Sache fehlen, finden wir keine unmittelbare Belehrung in den Schriften des Neuen Testaments. Ernste Ermahnungen und liebevolle Vorstellungen betreffs des verkehrten Weges, den sie einschlagen wollen, sind jedenfalls am Platz. Aber wir glauben nicht, dass die Versammlung als solche dabei in Tätigkeit treten sollte. Vielmehr ist es eine Sache des Hirtendienstes und der persönlichen, brüderlichen Zucht. 3. Was sollen wir unseren Kindern zu lesen geben? Eine ernste und schwierige Frage, vor allem in unseren Tagen, wo der Jugend so viel seichter, ja verderblicher Lesestoff zu Gebote steht! Es ist durchaus nicht leicht, in dieser Sache richtig und nach Gottes wohlgefälligem Willen zu handeln. Wenn nicht unsere Kinder durch die Gnade Gottes einen Geschmack für höhere und bessere Dinge haben, so ist es fast unmöglich, sie ganz von schlechten oder doch wertlosen Büchern fern zu halten. Allem auch in dieser Sache, wie in allem anderen, dürfen wir auf die kostbaren Worte unseres Herrn vertrauen: „Meine Gnade genügt dir.“ Wenn unsere Kinder solch teure Gegenstände für unsere Herzen sind, so sind sie es nicht minder für das Herz unseres Gottes und Vaters, und gewiss, Er ist bereit, uns die nötige Weisheit auch in dieser Beziehung darzureichen. Wie wichtig die Frage, was unsere Kinder lesen, für die Entwicklung ihres Herzens und Gemütes ist, darüber kann kaum eine Meinungsverschiedenheit herrschen. Wir müssen daher mit festem Entschluss des Herzens und in ernstem Ausblick zu unserem Gott und Vater unserer heiligen Verantwortlichkeit zu entsprechen suchen.
Wir sind sicherlich verpflichtet, eine weit größere Sorgfalt auf die Auswahl der Bücher zu legen, welche wir unseren Kindern in die Hand geben, als auf das, was sie anziehen, oder was sie essen und trinken. Wir haben nach jeder Seite hin zu wachen. Es ist einerseits Gefahr vorhanden, die Zügel zu straff anzuziehen, und andererseits, sie zu lose zu lassen. Wir können nicht erwarten, dass unsere Kinder nur die Bibel oder ernste Erbauungsschriften lesen; ihr kindlicher Geist bedarf auch anderer Nahrung zu seiner Entwicklung. Allein es ist unsere ernste Pflicht, soweit es in unserer Macht steht, sie vor allen solchen Büchern zu bewahren, welche einen schädlichen, entsittlichenden Einfluss auf sie ausüben könnten. Christliche Eltern sollten ihren Kindern nie erlauben, Bücher zu lesen, deren Inhalt sie nicht vorher geprüft und für gut befunden haben. All jener Lesestoff, der nur darauf berechnet ist, die Begierden und Leidenschaften der Natur, die Lüste des Fleisches zu reizen, sollte gänzlich aus einem christlichen Haus verbannt sein. Bücher aber, welche die jungen Herzen unserer Kinder in einer gesunden, dem Geist des Christentums nicht entgegenstehenden Weise zu bilden imstande sind, sollten wir ihnen nicht entziehen. Darum noch einmal, lasst uns nicht in einem Geist gesetzlicher Strenge unsere Kinder von allem fern zu halten suchen, was nicht Bibel oder biblische Betrachtung heißt; aber lasst uns auch sorgfältig darüber wachen, dass nicht unsere Gleichgültigkeit in dieser Sache zum zeitlichen und vielleicht ewigen Schaden unserer Kinder und zu unserer tiefen Demütigung und Beschämung ausschlage!
Vor allen Dingen dürfen christliche Eltern nicht müde werden in ihrem Gebet und Flehen, dass das Reich Gottes in den jungen Herzen ihrer Kinder aufgerichtet werde, welches „Gerechtigkeit, Friede und Freude in dem Heiligen Geist“ ist. Das ist, wir brauchen es nicht zu sagen, das Höchste und Begehrenswerteste für sie, und wird außerordentlich viel zur Regelung der oben angeregten Frage beitragen. Möge Gott in seiner Gnade und errettenden Macht alle Familien der Seinen besuchen! Möge Er die Unbekehrten erretten, und allen denen, welche bereits errettet zu sein bekennen, Gnade geben, in kindlicher Einfalt und Treue zu wandeln!