Botschafter des Heils in Christo 1887
"Denn drei sind, die da zeugen."
Nach göttlicher Anordnung musste in Israel jede Sache durch die Aussage zweier oder dreier Zeugen bestätigt werden, wodurch die Gewissheit derselben untrüglich festgestellt wurde (5. Mo 19,15). So auch wird uns in der oben angeführten Stelle das Zeugnis, dass Gott uns das ewige Leben gegeben hat, durch drei Zeugen einstimmig bestätigt, damit wir in dieser höchst wichtigen Sache durchaus keinen Zweifel, sondern vielmehr völlige Gewissheit haben sollten. Wir bedurften einer solchen Gewissheit umso mehr, als unsere ganze Stellung vor Gott, oder mit anderen Worten, das Wesen des Christentums auf der Tatsache beruht, dass wir das ewige Leben haben. Ohne das würden wir keine Gemeinschaft mit Gott in christlichem Sinn haben können, und würden deshalb auch des Trostes, des Friedens, der Freude und der Kraft ermangeln, welche dieser Gemeinschaft entspringen; ja, unser ganzes Christentum würde eine bloße Form, eine wertlose Sache, und unsere Hoffnung eine schreckliche Selbsttäuschung sein. Eben deshalb besteht auch der Apostel Johannes so sehr auf dieser Gewissheit des ewigen Lebens, als dem eigentlichen Wesen des Christentums, dass er seine erste Brief mit den Worten einleitet: „Was von Anfang war, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir angeschaut und unsere Hände betastet haben, betreffend das Wort des Lebens; (und das Leben ist offenbart worden, und wir haben gesehen und zeugen und verkündigen euch das ewige Leben, welches bei dem Vater war und uns offenbart worden ist;) was wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir euch, auf dass auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinen! Sohn Jesus Christus. Und dies schreiben wir euch, auf dass eure Freude völlig sei“ (Kap 1,1–4).
Auch wenn er in seinem Evangelium vom ewigen Leben spricht, tut er es nicht in alttestamentlichem, sondern in christlichem Sinn. Er geht dort über das Judentum hinaus und stellt Christus als den Sohn Gottes dar, der, verworfen von Israel und der Welt, den Vater und, in Verbindung damit, das ewige Leben offenbart. „Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Kap 17,3). Er gibt dadurch der Stellung des Gläubigen einen göttlichen und himmlischen Charakter. Dementsprechend zeigt er, dass der Besitz des ewigen Lebens den Gläubigen außerhalb des Bereiches des Gerichts und des Todes stellt. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod in das Leben hinübergegangen“ (Kap 5,24).
Das Leben ist also in Christus offenbart und uns von den Aposteln verkündigt worden, und wir besitzen es in dem Sohn, das heißt in dem, der gestorben und auferstanden ist, der Leben und Unverweslichkeit ans Licht gebracht hat. Wir konnten dieses Lebens nur dadurch teilhaftig werden, dass Christus für uns starb und, triumphierend über Tod und Grab, wieder auferstand. Er selbst sagt zu Nikodemus: „Und gleich wie Moses in der Wüste die Schlange erhöhte, also muss der Sohn des Menschen erhöht werden, auf dass jeder, der an Ihn glaubt ... ewiges Leben habe“; und später, als einige kriechen Ihn zu sehen wünschten: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein; wenn es aber stirbt, so bringt es viele Frucht“ (Joh 3,14–15; 12,24). Darum sagt der Apostel auch in der Stelle, welche uns augenblicklich beschäftigt: „Dieser ist es, der gekommen ist durch Wasser und Blut“, das heißt durch den Tod. Denn Wasser und Blut kamen aus seiner durchbohrten Seite hervor, zum Zeichen seines wirklich eingetretenen Todes. Das Erste diente zur Reinigung des Sünders, das Zweite zur Versöhnung; und dies war es, was wir bedurften, um das ewige Leben empfangen zu können.
Wir haben hier die vollkommene Reinigung, welche gleichzeitig mit der Versöhnung ein für alle Mal am Kreuz vollbracht wurde. Wir waren nicht allein verunreinigt durch unser Leben und unseren Wandel; auch unser Zustand als Kinder des gefallenen Adam war völlig unrein und verdorben. Christus kam, um uns zu reinigen von jeder Unreinigkeit. Er war der Reine und Fleckenlose, welcher für uns am Kreuz starb, nachdem Er durch sein Leben hienieden Gott vollkommen verherrlicht hatte. Dort hat Er die Reinigung vollbracht, indem Er durch seinen Tod nicht allein unsere Sünden tilgte, sondern auch durch denselben unseren Zustand als Menschen im Fleisch zum endgültigen Abschluss brachte. Dies war die Reinigung nach den Gedanken Gottes und der einzig mögliche Weg, auf welchem sie vollbracht werden konnte. Unser natürlicher Zustand findet seinen wahren Ausdruck in dem Wort „Sünde“, und diese konnte selbstredend ihrer Natur nach weder verbessert noch verändert, sondern mühte einfach auf dem Weg des Gerichts beseitigt werden. Der Tod ist der Sünde Lohn, und Christus hat aus freier Liebe diesen Tod zur Abschaffung der Sünde für uns erduldet. „Jetzt aber ist Er einmal in der Vollendung der Zeitalter offenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch das Schlachtopfer seiner selbst“ (Heb 9,26). „Unser alter Mensch ist mitgekreuzigt worden, auf dass der Leib der Sünde abgetan sei“ (Röm 6,6).
Aber das ist nicht alles; Christus war der Sohn Gottes und ging als solcher in der Macht des Lebens siegreich aus dem Tod hervor, nachdem Er unser Stellvertreter gewesen und gleichsam unsere Sünden samt unserem alten Menschen im Grab zurückgelassen hatte. Wir kennen Ihn jetzt nicht mehr nach dem Fleisch, sondern nach seiner neuen Stellung als Auferstandener, in welcher wir eins mit Ihm sind (2. Kor 5,16–17). Wir kennen Ihn als den Sohn Gottes, der durch den Tod hindurchgegangen ist – Er ist gekommen durch Wasser und Blut. Und auferweckt mit Ihm, blicken wir auf die für uns vollbrachte Reinigung als auf eine für immer beendete Tatsache zurück. Wir haben, was unsere Stellung vor Gott betrifft, geendet mit dem Leben, welches wir in dem ersten Adam hatten, und besitzen es jetzt in dem Zweiten. Zwar befinden wir uns noch hienieden in einem sterblichen Leib, und haben deshalb diese Stellung durch den Glauben zu verwirklichen. Darum steht auch geschrieben: „Denn das Er (Christus) gestorben ist, ist Er ein für alle Mal der Sünde gestorben; das Er aber lebt, lebt Er Gott. Also auch ihr, haltet euch der Sünde für tot, Gott aber lebend in Christus Jesus“ (Röm 6,10–11).
Die praktische Reinigung durch das Wort ist eine andere Sache. Sie beginnt mit der Wiedergeburt oder Bekehrung des Sünders und geht voran bis zu seiner tadellosen Darstellung in Herrlichkeit. Erst dann, wenn wir bei der Ankunft des Herrn mit verherrlichten Leibern Ihm entgegengerückt werden in Wolken in die Luft, ist diese Reinigung zur praktisch vollendeten Tatsache geworden. Alsdann werden wir Ihm gleich sein und Ihn sehen, wie Er ist (1. Joh 3,2). Diese Reinigung ist also die Wirkung der wiedergebärenden und lebendigmachenden Kraft des Wortes. Dasselbe Wort, welches jetzt den geistlich toten Sünder lebendig macht, wird die durch den Herrn Entschlafenen aus den Gräbern rufen und die noch lebenden Heiligen verwandeln. Dasselbe Wort erweist sich jetzt an den Gläubigen auf ihrem Weg zur Herrlichkeit „lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert“, um sie zu reinigen und zu läutern (Heb 4,12).
Aber auch selbst diese Reinigung durch das Wort ist auf den Tod Christi gegründet. Wenn der Herr während seines Lebens hienieden die geistlich Toten ins Leben rief durch sein Wort, so tat Er dies in seinem Charakter als Sohn Gottes. Aber die Offenbarung dieses Charakters setzt immer seinen Tod voraus. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein.“ Unmöglich konnten dauernde und ewige Beziehungen zwischen Gott und einem gefallenen Geschöpf anders hergestellt werden, als auf Grund des Todes Christi.
Überdies hat die Reinigung durch das Wort bis zu ihrem Ende hin nur den Zweck, uns praktisch mit der Stellung in Einklang zu bringen, welche wir jetzt schon durch den Tod und die Auferstehung Christi vor Gott haben. Je mehr wir daher diese Stellung in der Macht des Geistes einnehmen, desto mehr stehen wir im Einklang mit dem Wort und den Absichten Gottes. Wir befinden uns alsdann in dem praktischen Genuss der Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus. Uns dort zu haben, ist die Absicht Gottes, gemäß seinen ewigen Ratschlüssen, und der Endzweck seiner Wege mit uns.
Das aus der durchbohrten Seite unseres teuren Heilands hervorgekommene Wasser und Blut bezeugen uns also nicht nur die Wirklichkeit seines Todes, sondern auch die Wahrheit unserer dadurch bewirkten vollkommenen Reinigung. Indes hat Christus durch seinen Tod nicht nur unsere Reinigung, sondern auch unsere Versöhnung bewirkt. Er ist nicht gekommen „durch das Wasser allein, sondern durch das Wasser und das Blut.“ Das ist von der höchsten Wichtigkeit. Wir waren nicht nur verunreinigt, sondern hatten auch, was noch weit schlimmer war, Gott durch unsere Sünden auf die schrecklichste Weise verunehrt und beleidigt. Die Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes, ja seine ganze Herrlichkeit und Majestät als Gott waren in Frage gestellt. Wie göttlich vollkommen auch seine Liebe, Gnade und Barmherzigkeit sein mochten, und wie groß seine Langmut und Geduld, so musste Er dennoch nach der Gerechtigkeit und heiligen Majestät seines Wesens die Bestrafung des Sünders fordern. Und welche Bestrafung hätte den Anforderungen der göttlichen Gerechtigkeit genügen können? Eine bloß Zeitliche? Oder der leibliche Tod? Oder etwa die Vernichtung des Sünders, wie man sie heute lehrt? Nein, alles das genügte nicht. Nur der Feuersee mit seinen ewigen Qualen ist die entsprechende Antwort der Heiligkeit Gottes auf die Sünde. Ach, wir verstehen wenig davon, was die Sünde in den Augen Gottes ist. Unsere Begriffe sind zu schwach, um die Größe der Heiligkeit Gottes und die Schrecklichkeit der Sünde zu ermessen. Eine einzige Handlung des Ungehorsams im Garten Eden – genügte, um die Verdammnis über Adam und alle seine Nachkommen zu bringen (Röm 5,18).
Wer könnte daher ergründen, was Christus gelitten hat, als Er das Versöhnungswerk für uns vollbrachte 5 „Ihn, der Sünde nicht kannte, hat Er (Gott) für uns zur Sünde gemacht.“ Er war geradezu das Gegenteil von dem, wozu Er am Kreuz gemacht wurde. Er, der Sünde nicht kannte, Er, die Heiligkeit selbst, wurde zur Sünde gemacht. Er, der hienieden Gott verherrlicht hatte durch einen vollkommenen Gehorsam, von welchem selbst ein ungerechter Richter sagen musste: „Ich finde keine Schuld an Ihm“; Er, der Gegenstand der Wonne Gottes, wurde an unserer statt zu dem gemacht was in den Augen Gottes ein Gräuel ist.
Geliebter Leser! Siehe die Angst seiner heiligen Seele in Gethsemane; höre, wie Er dort Bitten und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen Gott opfert (Heb 5,7); vernimm den Schrei tiefster Not und Seelenangst am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – und erkenne, was die Sünde in den Augen eines heiligen Gottes ist! Wenn aber der Heilige, der Geliebte und Auserwählte Gottes an unserer statt also behandelt wurde, „wo will der Gottlose und Sünder erscheinen?“ (1. Pet 4,18) Wahrlich, nur der Feuersee ist das Teil eines jeden, der nicht als ein verlorener Sünder durch den Glauben an das kostbare Blut Christi errettet wird (Schluss folgt).