Botschafter des Heils in Christo 1887

Abraham - Teil 2/3

Wir haben in dem ersten Teil unserer Betrachtung Abraham begleitet auf seiner Reise von Ur in Chaldäa nach Kanaan, auf seinem Zug nach Ägypten, auf seiner Rückkehr von dort nach Bethel und Ai, wo er zuerst sein Zelt aufgeschlagen und seinen Altar errichtet hatte; wir haben ihn gesehen in dem Tal Save und seiner Unterhaltung mit Gott gelauscht, und haben reiche Belehrungen aus der Geschichte unseres Patriarchen geschöpft. Allein wir werden in dem weiteren Verlauf derselben noch eine Menge anderer Unterweisungen und Darstellungen des Lebens des Glaubens finden, und der Herr wolle die Betrachtung derselben zu unserer Ermahnung und Ermunterung gesegnet sein lassen.

In dem 16. und 17. Kapitel tritt Sara zum ersten Mal selbständig handelnd auf. Die Hungersnot hatte Abraham verleitet, das Land Ägypten aufzusuchen, und er hatte die Hilfsquellen jenes Landes mit Scham und Schmerz benutzt, und eine ermüdende Rückreise nach Kanaan war das Resultat gewesen; jetzt überredet ihn Sara, sich der Magd aus Ägypten zuzuwenden. Wir wissen aus der göttlichen Unterweisung des Briefes an die Galater, dass diese ägyptische Magd das Bündnis vom Berg Sinai darstellt, das Gesetz, die Religion der Satzungen, während Sara in ihrer Aufforderung an Abraham, diese Ägypterin zu nehmen, ein Bild der Natur ist, welche nicht nur ihre Auswege und Hilfsquellen, sondern auch ihre Religion und alles andere in „Fleisch und Blut“ findet.

Der Geist hatte sich, wie es scheint, noch nicht mit Sarahs Seele beschäftigt; wenigstens haben wir keinen Beweis dafür. Sie war sicherlich eine Auserwählte; aber unsere Auserwählung hat stattgefunden, lange bevor wir ein Gegenstand der göttlichen Wirksamkeit geworden sind. Und bis dahin hatte sich bei Sara weder das geistliche Leben, das Leben des Glaubens, noch die Wirkung der Wahrheit durch den Heiligen Geist auf ihre Seele gezeigt. Von Seiten des Herrn war bisher noch nicht von ihr die Rede gewesen; sie war weder in der Übung des Geistes vor Gott die Gefährtin ihres Mannes gewesen, noch seine Mitschülerin in der Schule Gottes. Sie war nicht mit Abraham hinausgeführt worden, um die Sterne zu zählen, noch das Opfer zu bewachen. Sie befand sich noch, so zu sagen, in der Stellung der Natur, und demgemäß forderte sie ihren Mann auf, ihr durch ihre ägyptische Magd Samen zu geben.

Das war die Stellung Sarahs in dieser Sache; und Abraham wurde durch die Natur betrogen und auf den Weg der Natur geleitet, so wie er früher durch eine Versuchung von dieser Seite überrascht worden war und dem Druck der Hungersnot nachgegeben hatte. Doch alles das war Unglauben und ein Abweichen von Gott. Es war die Handlungsweise des Menschen oder der Natur, nicht aber diejenige des Glaubens oder des Geistes. Die Hagars und Pharaos sind armselige Zufluchtsstätten für die Auserwählten Gottes. Aber Gott hielt, wie wir zu unserem Trost sehen werden, sein Auge auf Abraham gerichtet. Gott hatte seinen Platz in Abraham, so gut wie die Natur, und Er behauptete denselben zur Wiederherstellung seines Knechtes. Er erscheint ihm in einer neuen Offenbarung, und fordert ihn aufs Neue zum Glaubensgehorsam auf: „Ich bin Gott, der Allmächtige; wandle vor meinem Angesicht und sei vollkommen.“ Die Seele Abrahams hatte diese Wahrheit verloren; er hatte die Allmacht und Allgenügsamkeit Gottes vergessen. Er war zu Hagar eingegangen; er hatte sein Vertrauen auf das Fleisch gesetzt; er hatte den Boden verlassen, auf welchem er im 15. Kapitel gestanden hatte. Doch der Herr will und kann dies nicht erlauben, und deshalb erscheint Er dem Geist seines Heiligen in einer neuen Offenbarung seiner selbst; und es ist ein Erscheinen „mit Heilung unter seinen Flügeln.“ Abraham fällt auf sein Angesicht, überführt und beschämt, und seine Seele wird wieder in die Pfade der Gerechtigkeit eingeführt.

Sicherlich gibt es auch heute noch solche Augenblicke in der Geschichte „derer, die da glauben“, gerade so wie bei ihrem „Vater Abraham.“ Als der Herr in Kapitel 15 ihm erschien und mit ihm sprach, fiel Abraham nicht auf sein Angesicht; dastand er vor dem Herrn, in dem Bewusstsein, dass er im Licht war. Aber jetzt war Finsternis über seine Seele gekommen, und er war nicht bereit für die Gegenwart des Herrn. Er steht nicht aufrecht, um mit aller Kühnheit die Anliegen des Glaubens vor den Herrn zu bringen, sondern er liegt auf seinem Angesicht, schweigend und bestürzt. Der Wechsel in seiner Erfahrung ist groß, aber bei dein Herrn ist keine Veränderung; denn die Liebe ist immer die gleiche, mag sie nun tadeln oder trösten. Wenn wir in dem Licht wandeln, so haben wir Gemeinschaft mit Ihm; wenn wir unsere Sünden bekennen, so finden wir Vergebung bei Ihm; wenn wir fähig sind, vor Ihm zu stehen, so wird Er uns nähren und stärken; wenn wir in seiner Gegenwart überführt niederfallen müssen, so wird Er uns wiederaufrichten.

Entfernung von Gott erweist sich stets als Bitterkeit, aber Gott offenbart sich der Seele als Wiederherstellung und Friede. Unter seiner gnädigen Hand wird der Glaube wieder kühn gemacht, und Abraham lässt seine Anliegen in der früheren Kraft vor Gott kundwerden und begehrt von Gott, dass Ismael vor Ihm leben möge. Da ist Wirklichkeit – Wirklichkeit in der Betrübnis, wie in der Freude, in dem Licht des göttlichen Antlitzes, wie in dem Verbergen des eignen Angesichts im Staub.

In den Kapiteln 18 und 19 finden wir im Blick auf das Leben Abrahams noch etwas anderes als diese Übungen des Glaubens; gewisse göttliche Geheimnisse werden vor unsere Seele gestellt, allerdings unter der Form von einfachen Erzählungen. Die Begebenheiten ereigneten sich gerade so, wie sie aufgezeichnet sind. Aber es liegt ihnen eine zweifache Absicht zu Grund; zunächst haben sie den Zweck, Beispiele des Glaubenslebens in einem Heiligen zu geben, und dann sollen sie Wege und Vorsätze Gottes darstellen. In dieser Art hat die Weisheit Gottes die göttlichen Ratschlüsse und Geheimnisse in der ganzen Schrift veranschaulicht. Was war z. B. das Zelt der Zusammenkunft oder der Tempel anders, als ein Ort für die beständige Erzählung des Geheimnisses von der Versöhnung und Stellvertretung? Was waren die verschiedenen Anordnungen Gottes in Bezug auf die Anbetung, die Bedienung seines Hauses oder den Dienst der Gnade: die Opfer, die Dienstverrichtungen, die Feste und die heiligen Tage und Jubeljahre? Was war der Auszug aus Ägypten, der Durchzug durch das Rote Meer, die Reise durch die Wüste, der Einzug in Kanaan, die Kriege in dem Land und der Thron des Friedefürsten? Waren nicht alle diese Dinge, seien es Einrichtungen des Heiligtums oder Tatsachen der Geschichte, Veranschaulichungen der verborgenen, ewigen Ratschlüsse des Herzens Gottes?

Die Kapitel 18 und 19 gehören zusammen; sie geben uns eine lebendige Darstellung von gewissen Wahrheiten, welche für uns jetzt mindestens dieselbe Wichtigkeit haben, wie die Ereignisse selbst damals für Abraham und seine Zeitgenossen. Sodom war zu jener Zeit die Welt. Es war gewarnt worden, hatte aber die Ermahnung zurückgewiesen. Es war völlig von Gott abgewichen, und jede Möglichkeit der Besserung war abgeschnitten. Sodom war heimgesucht und gezüchtigt worden durch den Sieg der verbündeten Könige (Kap 14); aber es war Sodom geblieben. Es war womöglich noch gottloser geworden und befand sich in einem Zustand völligen Abfalls von Gott; sein letzter Zustand war ärger und schlechter, als der Erste. Sodom stellt uns „die gegenwärtige böse Welt“ dar, die sich selbst für das Gericht Gottes reif macht, gerade so wie ein anderes Geschlecht in den Tagen Noahs (vgl. Mt 24; Lk 17).

Doch mit diesem Tag des Gerichts über Sodom sind, wie mit jedem anderen ähnlichen Tage, zwei Umstände verbunden, die unsere eingehende Beachtung verdienen; diese sind: Befreiung aus dem Gericht und Absonderung, bevor das Gericht kommt. Lot wurde befreit, als die Stunde des Gerichts da war; Abraham war abgesondert, bevor sie kam. Gericht, Befreiung und Absonderung – das sind die Grundzüge der vorliegenden Handlung; sie sind voll von Bedeutung und finden ihre Anwendung auf unsere eigene Geschichte, was die Kirche Gottes und die Welt um uns her betrifft. Bevor diese Handlung ihren Anfang nahm, befand sich Abraham in einer himmlischen Stellung. Er war ein Fremdling hienieden; er besaß nichts als ein Zelt und einen Altar, und er wanderte von Ort zu Ort, ohne einen Fußbreit Landes sein eigen zu nennen. Und als das Gericht kam, war er völlig davon getrennt, wie Henoch an einem früheren Tage des Gerichts. Beide befanden sich außerhalb oder über dem Schauplatz des Verderbens; nicht nur befreit aus dem Gericht, als es da war, sondern abgesondert, bevor es kam.

Abraham war vor dem Eintreffen des Gerichts mit dem Herrn aus der Ebene Mamres gekommen und hatte mit Ihm auf einer Anhöhe gestanden, von welcher aus man Sodom übersehen konnte. Und als das Gericht sich über die abtrünnige, verdorbene Stadt ergoss, dastand er wieder auf jenem hohen Platze, und überschaute von dort aus die einst so fruchtbare Ebene, jetzt ein Bild der schrecklichsten Verwüstung. Er war in der Begleitung dessen gewesen, der das Gericht ausübte, während Lot nur aus dem Verderben gerettet wurde. Wie Abraham der Henoch, so ist Lot der Noah dieses Gerichtstages; er wird aus der verfluchten Stadt herausgeführt.

Welch ernste Wahrheiten betreffs der Ratschlüsse Gottes werden uns hier aufs Neue zu unserer Belehrung vor Augen geführt! Wir brauchen nicht erst zu fragen, auf welchem Boden wir hier stehen. In Sodom empfängt die Welt vorbildlich ihr Gericht; der gerechte Überrest wird (in Lot) in der Stunde der Rache gerettet, und die Kirche ist (in Abraham) schon abgesondert und nach oben gebracht, und blickt von dort auf den Schauplatz der gewaltigen Zerstörung herab. Ohne Zweifel stehen diese Geheimnisse in der Geschichte des Untergangs Sodoms vor uns; zugleich finden wir Henoch, Noah und die überschwemmte Schöpfung in Abraham, Lot und den verfluchten Städten der Ebene wieder.

Das sind wunderbare Geheimnisse, und mit ihnen ist das Buch Gottes angefüllt. Immer aufs Neue wird uns bezeugt, was wir sind, und wo wir uns befinden. Obgleich wir scheinbar in dem gewöhnlichen Geleise des täglichen Lebens vorangehen, mit einem Geschlecht, das heute wie stets in seinem Herzen sagt: „Wo ist die Verheißung seiner Ankunft? Denn seitdem die Väter entschlafen sind, bleibt alles so von Anfang der Schöpfung an“ (2. Pet 3); obgleich keine sichtbaren Zeichen das herannahende Gericht ankündigen, so wissen wir doch, dass wir uns in einer Welt befinden, die dem Gericht entgegen reist, und dass der schreckliche Tag des Gerichts nahe ist, dass er plötzlich über diese sorglose Welt hereinbrechen wird.

Es gibt in dieser wunderbaren Erzählung noch manche Dinge, die unserer besonderen Beachtung wert sind, wie z. B. der Besuch des Sohnes Gottes bei Abraham, Abrahams Bitte für Sodom, die Zurückhaltung der Engel Lot gegenüber, und die verschiedenartigen Charaktere der beiden Heiligen – des Heiligen des Zeltes und des Heiligen in Sodom. Doch es würde uns hier zu weit führen, wenn wir in alle diese Einzelheiten näher eingehen wollten. Nur möchte ich, ehe wir diesen Gegenstand verlassen, die Frage an uns richten: Verstehen wir wirklich die Zeit, in welcher wir leben? Was denken wir darüber, dass „der Tag des Menschen“ in seinem höchsten Glänze vor uns steht? Nehmen wir daran teil, wenn die Menschen einander zu diesem Zustand der Welt beglückwünschen? Oder misstrauen wir all dieser Pracht und verwerfen sie als den sicheren Vorboten des Gerichtes Gottes? Wissen wir, dass der Gott dieser Welt gerade ein „gekehrtes und geschmücktes“ Haus für seine böse und verderbliche Tätigkeit passend findet, wie einst das reiche und mächtige Sodom? Glauben wir mit unseren Zeitgenossen, dass das unmöglich sei? Oder halten wir im Gedächtnis, dass er gerade in einem solchen Haus am Schluss der Geschichte der Christenheit wirken will? Warten wir auf den Sohn Gottes, um uns zu jener geheimnisvollen Anhöhe zu bringen, auf welche Er vor Zeiten unseren Patriarchen führte? Der Herr gebe uns Gnade, diesen Boden zu betreten! Und wir werden das umso leichter tun können, ja, es wird naturgemäß für uns sein, wenn wir, wie Abraham, nicht Heilige der Stadt, sondern Heilige des Zeltes sind, die sich „bei der Hitze des Tages“ der Gemeinschaft des Herrn der Herrlichkeit erfreuen.

Wir folgen jetzt unserem Patriarchen in das Land der Philister, in welchem er sich während der Zeiten des 20. und 21. Kapitels aufhielt. Hier tritt die alte Übereinkunft zwischen ihm und Sara nach langer Zeit wieder einmal in Wirksamkeit, wie früher in Ägypten. Sie war zwischen ihnen getroffen worden, ehe sie ihr Heimatsland verließen. Sie stammte gleichsam aus ihrem Geburtsort und war, wie ich sagen möchte, älter in ihnen, als irgendetwas von Seiten Gottes. Ach, trotz so mancher Veränderungen und Übungen waren Abraham und Sara in dieser Beziehung nicht verändert.

Diese Übereinkunft war eine böse Sache, sowohl listig als unrein; sie war falsch, so harmlos sie scheinen mochte, und schmeckte stark nach der Schlange, nach dem, der ein Lügner und der Vater derselben ist. Abraham sah sich gezwungen, sie dem König von Gerar, so schlecht sie war, mitzuteilen: „Es geschah, als Gott mich umherwandern ließ aus meines Vaters Haus, da sprach ich zu ihr: Dies sei deine Güte, die du an mir tun mögest: an allen Orten, wohin wir kommen werden, sage von mir: Er ist mein Bruder.“ Das war schlecht und böse. Es gibt keinen Grundsatz in dem Leben des Glaubens, der nicht durch diese niedrige Übereinkunft verleugnet worden wäre. So ist das Fleisch, die angeborene Verderbtheit. Der Weg des Fleisches bringt, so oft er eingeschlagen wird, tiefe Beschämung und Schmach. Er erniedrigt einen Heiligen selbst vor den Menschen. Abraham wurde durch das Fleisch vor Abimelech beschämt und bloßgestellt. Und es kann nie verändert, nie verbessert oder beseitigt werden. Es ist dasselbe in Ägypten und in Gerar. Es lebt noch in uns und folgt uns überallhin. Wir empfangen es bei unserer Geburt als Nachkommen Adams, und während der ganzen Dauer unseres Weges als Berufene Gottes haben wir es zu töten und zu verwerfen. Es ist in der Tat betrübend, so etwas sehen zu müssen. Doch der Geist Gottes verbirgt nichts. Da liegt sie, diese hässliche und böse Sache, durch den Geist aufgezeichnet, vor uns. Doch Gott sei Dank! Wir finden auch andere, glücklichere Gegenstände.

Verweilen wir zunächst einen Augenblick bei den Fortschritten, welche die Seele Sarahs unter dem Licht und der Leitung des Herrn auf ihrem besonderen und lehrreichen Wege machte. Unter dem Einfluss des Fleisches hatte sie anfangs mit Abraham jene unreine Übereinkunft getroffen, von der wir soeben gesprochen haben. Im Unglauben gab sie später die Hagar ihrem Mann zum Weib, und dann nahm sie in der Hast und Empörung ihres Herzens die Folgen ihres Unglaubens übel auf und trieb die Magd, welche sie selbst erwählt und in die Familie aufgenommen hatte, fort. Aber auf den Befehl des Herrn kehrte Hagar zu ihr zurück, und jetzt, zurzeit des 21. Kapitels, hatte Sara bereits vierzehn Jahre mit ihr zusammengelebt. Allerdings hatte sich der erneuerte Sinn oder das Leben des Glaubens in Sara bis dahin wenig oder gar nicht offenbart. Gerade während dieser Zeit hatte sie am Eingang des Zeltes ungläubig über die Verheißung Jehovas gelacht. Aber doch war sie in gewissem Sinn in der Schule gewesen, und sie scheint etwas gelernt zu haben; denn sie unterwirft sich geduldig und ohne Widerspruch der Gegenwart der Magd und ihres Sohnes in der Wohnung ihres Mannes. Wir hören von keinen neuen Streitigkeiten zwischen ihr und Hagar. Das ist wenigstens ein Zeugnis dafür, dass sie sich in der Hand und Schule Gottes befand, und dass sie darin lernte, bis sie zuletzt durch Glauben Kraft empfing, einen Samen zu gründen (Heb 11). Dann aber nimmt ihr Geist einen höheren Flug; sie geht selbst ihrem Mann voraus. Gehorsam dem Befehl Jehovas (Kap 17,19), nennt Abraham das Kind Isaak, aber Sara deutet jenen Namen; dazu gehörte eine tiefere Übung der Seele im Blick auf die Gabe Gottes. Dem Wort Gottes zu gehorchen, ist gut, aber dies zu tun in der Freude eines geübten Herzens und in dem Verständnis eines Sinnes, welcher die göttliche Bedeutung jenes Wortes versteht, ist besser. „Abraham nannte den Namen seines Sohnes, der ihm geboren wurde, Isaak ... und Sara sprach: Gott hat mir ein Lachen gemacht; ein jeder, der es hört, wird mit mir lachen.“ Das Wort des Herrn in Kapitel 17,19 war für sie mehr als ein Gebot, das beobachtet werden musste; es war voll Licht und Bedeutung für das geöffnete Verständnis Sarahs. Und das führte sie weiter, um mit Kraft und Entschiedenheit zu handeln. „Treibe diese Magd und ihren Sohn aus“, sagt sie zu Abraham; denn sie war glücklich in der Freiheit der Gnade und Verheißung, während Abraham noch unter den Ansprüchen der Natur und unter den Forderungen schmachtete, welche seine eignen Lenden erzeugt hatten. „Treibe diese Magd und ihren Sohn aus; denn der Sohn dieser Magd soll nicht erben mit meinem Sohn, mit Isaak.“ Das war die Sprache der Schrift, wie wir in Galater 4 lesen – es war die Stimme Gottes. Dieser Entschiedenheit des Glaubens in der Freiheit der Gnade drückt der Herr mit eigener Hand das Siegel auf. Was sprach mehr zu dem Herzen des Herrn in den Tagen seines Fleisches, als ein gleich kühner und freimütiger Glaube, ein Glaube, der durch eine Volksmenge hindurch Ihn erreichte, oder trotz der Vorwürfe eines falsch urteilenden Pharisäers zu Ihm drang?

Diese Kühnheit des Glaubens in Sara, diese Verwerfung der Magd, dieses Verlangen, sich in ihrem Isaak ganz allein zu erfreuen, ist die Sprache der Schrift; Sara redete in der Tat Gott gemäß. In Abraham wirkte jetzt die Natur; er wollte Ismael gern behalten. In Sara aber wirkte der Glaube. Doch die Natur in Abraham muss sich unterwerfen. Das Haus muss von Ismael befreit werden, denn es soll nur in Isaak aufgebaut werden. „Der Sohn der Magd soll nicht erben mit dem Sohn der Freien.“

Alles das trägt schnell seine Früchte. Nachdem Hagar entfernt und das Haus gemäß dieser Forderung des Glaubens in Isaak errichtet ist, tritt die Herrlichkeit ein. Das ist die göttliche Ordnung. Da wir „Zugang haben zu der Gnade, in welcher wir stehen, ... rühmen wir uns in Hoffnung der Herrlichkeit Gottes.“ Das ist die Ordnung des Geistes in der Seele eines Heiligen, und das ist jetzt auch die Ordnung in dem Haus Abrahams.

Abraham wird von den Heiden besucht. Das ist sehr bedeutungsvoll. In den Tagen der Not und des Hungers suchte Abraham die Heiden auf, sei es in Ägypten oder in Philistäa; jetzt aber kommen die Heiden zu Abraham. Abrahams Haus ist jetzt in Gnade errichtet. Ismael ist entlassen und Isaak erhöht. In vorbildlichem Sinn hat sich Israel zum Herrn gewandt, die Decke ist weggenommen, und Jerusalem hat zu Christus gesagt: „Gesegnet, der da kommt in dem Namen des Herrn!“ Sein Kampf ist deshalb zu Ende, und es empfängt doppelt. Der Heide sucht Israel auf. Abimelech und Pichol, der König und sein Kriegsoberster, kommen zu Abraham.

Das bezeichnet eine große Veränderung in den Wegen Gottes. Israel ist jetzt das Haupt und nicht mehr der Schwanz. Der Zipfel des Juden wird jetzt von dem Heiden ergriffen; denn der Jude hat durch Glauben den Herrn ergriffen, und die Nationen sagen: „Gott ist mit dir“ (Kap 21,22; Sach 8,23). Abraham ist daher durch (den Geist geleitet) in seinen Gedanken mit der Herrlichkeit und dem Reich beschäftigt. Und das mit Recht; denn wenn der Jude von dem Heiden aufgesucht wird, anstatt von ihm zertreten zu werden, so ist das Reich nahe. Demgemäß errichtet unser Patriarch jetzt einen neuen Altar; nicht den Altar eines himmlischen Fremdlings, wie im 12. Kapitel, sondern einen Altar „dem ewigen Gott.“ 1

Diese Einsicht des Glaubens in Abraham ist bewunderungswürdig. Wir haben dieselbe schon einige Male in Ihm gesehen. Er kannte die Zeit des Friedens und die Zeit des Krieges, und er handelte dementsprechend am Tag der Schlacht der Könige. Er kannte seine Pflichten gegen Lot, seinen Bruder, und er kannte seinen himmlischen Platz, als das Feuer des Herrn die Städte der Ebene zerstörte. Er wusste auch, wie uns das vorliegende Kapitel in besonderer Weise zeigt, wann es galt, Unrecht zu leiden, und wann, es zurückzuweisen, wann, duldsam zu sein, und wann, seine Rechte geltend zu machen. Denn jetzt, wo der Heide ihn aufsucht, straft er Abimelech wegen eines Wasserbrunnens, den dessen Knechte mit Gewalt genommen hatten. Bis dahin hatte er sich über dieses Unrecht nicht beklagt; denn Abimelech sagt zu ihm: „Ich weiß nicht, wer dies getan hat, und auch hast du es mir nicht berichtet, und ich habe es auch nicht gehört, außer heute.“ Das ist außerordentlich schön. Abraham hatte bis dahin Unrecht gelitten und es geduldig ertragen, weil er ein himmlischer Fremdling hienieden war; und bei einem solchen ist geduldiges Leiden angenehm vor Gott. Aber jetzt sind die Zeiten verändert. Der himmlische Fremdling ist das Haupt der Nationen geworden und wird aufgesucht von dem Heiden; jetzt muss Recht und Unrecht festgestellt und der Schrei des Unterdrückten gehört werden.

Alles das enthält so viel moralische Schönheit, dass man das Werk des Geistes in Abraham nicht genug bewundern kann. Er war ein Israelit, der die Zeiten des Jahres kannte, der da wusste, wann er bei dem Passah und wann er bei dem Laubhütten fest zu sein hatte. Gott teilte durch den Geist dem Abraham dieses schöne geistliche Verständnis mit. Zu anderen Zeiten begehrte er nicht so viel von der Erde zu besitzen, dass er seinen Fuß darauf hätte setzen können – er überließ Lot die Wahl des Landes; er ließ die Kanaaniter, wo er sie fand; er weigerte sich, durch den König von Sodom sich bereichern zu lassen, sei es auch nur um einen Faden oder Schuhriemen; er wanderte hin und her mit seinem Zelt, als ein himmlischer Fremdling – aber jetzt, zu einer Zeit, welche durch die Hand Gottes bezeichnet war, kann er auch ein anderer Mann sein; er kennt seinen Platz als Vater des Israels Gottes und als ihr Stellvertreter als Haupt der Nationen. Er weiß das Fest der Laubhütten zu seiner Zeit zu feiern. Er straft Abimelech, er bewirtet und bereichert ihn, und er macht einen Bund mit ihm, und das alles mit einer ruhigen, bewussten Würde, die unser Erstaunen wachruft. Dann baut er einen neuen Altar oder ruft Gott in einem neuen Charakter an. So sehen wir hier in Abraham einen ganz anderen Mann vor uns, als früher. Alle jene Dinge zeigen, dass eine den Gedanken Gottes entsprechende Verwandlung, wenn ich es so nennen darf, in ihm stattgefunden hatte.

Doch wir dürfen hierbei nicht länger verweilen; es gibt noch mehr zu betrachten in jenem herrlichen Glaubensleben, welches unser Vater Abraham durch die Gnade bis zum Ende hinführte. Es war ein Leben, das in der Kraft der Auferstehung zugebracht wurde; ja es war das Leben eines gestorbenen und auferstandenen Menschen. Es ist eine allerdings schwer zu lernende Aufgabe (obwohl die praktische Aufgabe unseres Lebens), dass wir ein gestorbenes und auferstandenes Volk sind. Abraham zeigte sich von Anfang an in diesem Charakter; er ließ alles zurück, was die Natur oder die Welt ihm gegeben hatte. Er gab das Land, in welches seine Geburt ihn gebracht hatte, auf für dasjenige, wohin der Glaube ihn führte. Und wie der Anfang, so war die Fortsetzung und das Ende seines Weges. Allerdings machte er wiederholt verkehrte Tritte, aber bis zum Ende hin blieb er ein Mann des Glaubens, ein gestorbener und auferstandener Mensch.

Als ein solcher hatte er Isaak empfangen, „nicht ansehend seinen eignen schon erstorbenen Leib und den erstorbenen Mutterleib der Sara“; und als ein solcher opferte er ihn etwa zwanzig Jahre später auf dem Altar auf das Geheiß des Herrn. Die Verheißung war die Verheißung Gottes – das war genug für ihn. Der Glaube wird nie überwunden; er hat unbegrenzte göttliche Hilfsquellen. Der Gläubige fehlt immer wieder; aber der Glaube wird nie besiegt, wird nie in seiner Erwartung zu Schanden (Kap 22). Und denselben überwindenden Glauben, den wir bei der Opferung Isaaks in Abraham finden, entdecken wir auch nachher bei der Beerdigung Sarahs. Derselbe Glaube, der Isaak empfangen und geopfert hatte, beerdigt jetzt Sara. Abraham glaubte an die Auferstehung, und an Gott als den Gott der Auferstehung; er kannte den Gott, „der die Toten lebendig macht und das nicht Seiende ruft als seiend.“ Die Höhle Machpela zeigt uns dieses. Erde zur Erde, Staub zum Staub, Asche zur Asche, in gewisser und sicherer Hoffnung – das war hier die Sprache des Herzens Abrahams. Das sorgfältige Kaufen jenes Platzes, um ihn zu seinem Eigentum zu machen und ihn als sein Besitztum zu haben, während er sonst nicht einen Fußbreit von dem ganzen Land begehrte, redet in lebendiger Sprache von dem Glauben Abrahams an die Auferstehung. Sein Handeln mit den Kindern Het um ein Erbbegräbnis gleicht dem Wort, das er am Fuß des Berges Moria zu seinen Knechten sprach: „Bleibt ihr hier mit dem Esel, und ich und der Knabe wollen gehen bis dorthin und anbeten, und zu euch zurückkehren.“ Beides deutete im Voraus seine Gedanken betreffs Isaaks und Sarahs an; er übergab beide in die Hände dessen, der die Toten lebendig macht. Er wusste, dass das sterbende Weizenkorn wieder leben, dass die Handvoll Staub wieder eingesammelt werden würde. Angesichts des Todes errang sein Glaube denselben Sieg, wie auf dem Berg Moria, als er das Holz auf den Altar legte und das geliebte Schlachtopfer band, um es Jehova zu opfern (Kap 23). 2

Der Glaube in unserem Patriarchen trug der Reihe nach über alle Umstände den Sieg davon. Herrliche Siege eines kostbaren Glaubens! Und dieselben Siege werden heute noch errungen; der Glaube triumphiert auch heute noch über die Umstände. Er begegnet unserem eignen persönlichen Zustand, als „tot in Vergehungen und Sünden“; er begegnet den mancherlei Schwierigkeiten und Versuchungen des Weges; er begegnet dem letzten großen Feinde. Ich brauche das, was mir auf der Reise oder am Ende derselben begegnet, nicht mehr zu fürchten, nachdem ich das bereits überwunden habe, was mir bei Beginn des Weges entgegenstand. Dem Glauben fällt es nicht schwer, zu dem Berg Moria oder zu der Höhle Machpela zu gehen, wenn er bereits zu Hebron mit dem Herrn in die sternenhelle Nacht hinausgegangen ist. Wenn er in meiner eignen Person dem Tod begegnet ist, so kann er ihm auch in meinem Isaak oder in meiner Sara begegnen. Wir sprechen, der Herr weiß es, von seiner Gnade und nicht von unseren eignen armseligen Erfahrungen. Aber dennoch, Geliebte, darf ein jeder von uns sagen: Habe ich nicht Frieden mit Gott? Weiß ich nicht, dass Er für mich ist? Weiß ich nicht, dass seine Gnade meinem Zustand der Sünde, der Schuld und Verdammnis begegnet ist? Weiß ich nicht, dass ich abgewaschen, aufgenommen und in die Stellung eines Kindes gebracht bin? Habe ich nicht mit Abraham ein Heilmittel gefunden für meinen eignen Zustand von Natur, und sollte ich nun auf meinem Weg ängstlich zagen, obgleich die Versuchung des Berges Moria oder der Tod und die Beerdigung zu Machpela meiner warten mögen? Wenn der Glaube schon der Sünde begegnet ist, so muss er sich auch als Sieger über den Tod kennen. Unsere Seelen sollten sich an den Gedanken gewöhnen, dass der herrlichste Sieg des Glaubens am Anfang des Weges errungen worden ist, und dass wir, wenn wir trotz der Sünde Frieden mit Gott haben, auch auf Stärke und Trost von seiner Seite rechnen können, ungeachtet der Versuchungen des Weges, und auf Kraft und Triumph in Ihm, ungeachtet des Endes desselben. Der Glaube, der sein erstes Werk getan hat, hat damit auch sein größtes Werk vollbracht. „Wenn wir, da wir Feinde waren, Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, vielmehr werden wir, da wir versöhnt sind, durch sein Leben errettet werden!“ „Er, der doch seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird Er uns mit Ihm nicht auch alles schenken?“

Der Glaube benutzt die Macht des Lebens über den Tod; und von dieser Kraft des siegreichen Lebens besaß Abraham etwas durch den Glauben. Das Erstorbensein seines eigenen Leibes, der Altar seines Isaak und das Grab seiner Sara wurden von ihm als einem auferstandenen Menschen betrachtet, und zwar in dem Licht des Glaubens an den, der die Toten lebendig macht und das nicht Seiende ruft als seiend (Schluss folgt).

Fußnoten

  • 1 Der Herr Jesus erkennt zu einer späteren Zeit dasselbe Pfand oder Symptom des Reiches. Als die Griechen auf das Fest kommen und Ihn zu sehen wünschen, wie der Heide hier Abraham aufsucht, sind seine Gedanken sogleich auf die Herrlichkeit gerichtet. Er weiß allerdings, dass die Herrlichkeit nur durch seinen Tod erlangt werden kann, und Er bezeugt das; aber doch gehen seine Gedanken sogleich zu der Herrlichkeit hin (siehe Joh 12,23).
  • 2 Außer den Darstellungen des Glaubens gibt es in diesen Dingen auch herrliche Geheimnisse. Das Opfer Isaaks auf dem Berg Moria ist, wie niemand bezweifeln wird, ein wunderbares, geheimnisvolles Vorbild. Ebenso die Geschichte von Hagar und Ismael in Kapitel 21. Letztere ist ein Bild des gegenwärtig beiseite gesetzten, aber von Gott bewahrten Juden – eines heimatlosen Flüchtlings, der aber für zukünftige Vorsätze der Gnade bestimmt ist (vgl. Gal 4,25). Doch ich muss mich hier auf eine bloße Andeutung dieser Dinge beschränken.
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