Botschafter des Heils in Christo 1887

Das Reich der Himmel - Teil 3/3

In den beiden folgenden Gleichnissen haben wir das, was Christus in dem Reich sieht und unterscheidet, und was der Gläubige nach seiner geistlichen Fähigkeit ebenfalls in demselben unterscheiden soll. Der Herr teilt deshalb auch diese Gleichnisse nur seinen Jüngern mit, nachdem Er die Volksmenge entlassen hat und in ein Haus getreten ist (Mt 13,36).

„Wiederum ist das Reich der Himmel gleich einem im Acker verborgenen Schatz, den ein Mensch fand und verbarg; und vor Freude darüber geht er hin und verkauft alles, was irgend er hat, und kauft jenen Acker. – Wiederum ist das Reich der Himmel gleich einem Kaufmanne, der schöne Perlen sucht; als er aber eine sehr kostbare Perle gefunden, ging er hin und verkaufte alles, was irgend er hatte, und kaufte sie“ (V 44–46). Beide Gleichnisse beziehen sich auf eine und dieselbe Sache, obgleich unter verschiedenen Gesichtspunkten dargestellt. In beiden haben wir die Gläubigen, betrachtet nach den Ratschlüssen Gottes. Die beiden Ausdrücke „Schatz“ und „Perle“ bezeichnen den großen Wert, den sie für Christus haben, zugleich aber auch, wie ich glaube, einen Unterschied in ihrer Stellung als Söhne des Reiches.

Wir können weder sagen, dass die Kirche das Reich, noch dass das Reich die Kirche ist. Kirche und Reich sind zwei verschiedene Begriffe. Die Kirche befindet sich in dem Reich und bildet einen Teil, und zwar den himmlischen Teil desselben. Das Reich wird in seiner Vollendung, gesehen nach den Ratschlüssen Gottes, aus einem irdischen und einem himmlischen Teile bestehen; es wird eine irdische und eine himmlische Herrlichkeit haben und doch ein zusammenhängendes Ganzes bilden. In dem so genannten tausendjährigen Reiche werden Himmel und Erde mit einander in Verbindung und Einklang stehen; der Erstere wird über der letzteren geöffnet sein, und die Herrlichkeit der Kirche und der himmlischen Heiligen wird über der Erde sichtbar werden. Christus wird als der Sohn des Menschen den Mittelpunkt sowohl der irdischen, als auch der himmlischen Herrlichkeit des Reiches bilden, indem alsdann, nach Psalm 8, alles seinen Füßen unterworfen, und alles, „was in den Himmeln und was auf der Erde ist“, in Ihm, als dem einen Haupt, zusammengebracht sein wird (Eph 1,10). Es wird dann auch das Wort des Herrn sich erfüllen: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: ihr werdet von nun an den Himmel geöffnet sehen und die Engel Gottes auf– und niedersteigen auf den Sohn des Menschen“; sowie die Prophezeiung bezüglich der Kirche, des neuen Jerusalems: „Und die Nationen werden durch ihr Licht wandeln, und die Könige der Erde ihre Herrlichkeit zu ihr bringen. Und ihre Tore sollen nicht geschlossen werden des Tages, denn Nacht wird daselbst nicht sein. Und sie werden die Herrlichkeit und die Ehre der Nationen zu ihr bringen.“ Mit einem Wort, die Kirche wird dann der Welt gegenüber in ihrer ganzen Herrlichkeit offenbart sein als „das neue Jerusalem“, als der Mittelpunkt der himmlischen Herrlichkeit des Reiches, als die Trägerin der „Herrlichkeit Gottes“ selbst (Joh 1,52; Off 21,9–27).

Zugleich wird das irdische Jerusalem auf der erneuerten Erde den Mittelpunkt des irdischen Volkes Gottes, der irdischen Herrlichkeit des Reiches, bilden. Offenbart in noch nie gesehener Schönheit, als der Gegenstand der Wonne Jehovas, wird es ein Segen sein für die ganze Erde, wie geschrieben steht: „Groß ist Jehova und sehr zu loben in der Stadt unseres Gottes, auf seinem heiligen Berge. Schön ragt empor, eine Freude der ganzen Erde, der Berg Zion, an der Nordseite, die Stadt des großen Königs“ (Ps 48,1–2). „Aus Zion, der Schönheit Vollendung, ist Gott hervorgestrahlt“ (Ps 50,2). Danu wird auch das Wort seine vollkommene Erfüllung finden: „Ganz herrlich ist des Königs Tochter drinnen, von Goldwirkerei ihr Gewand; in buntgewirkten Kleidern wird sie geführt werden zum König usw“ (Ps 45,13–14). Viele Stellen der Schrift zeigen uns, welchen Wert das irdische Jerusalem, oder das Volk Gottes auf der Erde, alsdann für den Herrn haben wird. So lesen wir z. B.: „Und die Nationen werden deine Gerechtigkeit sehen, und alle Könige deine Herrlichkeit; und mit einem neuen Namen wirst du genannt werden, den der Mund Jehovas bezeichnen wird. Und du wirft sein eine prachtvolle Krone in der Hand Jehovas, und ein Diadem des Königtums in der Hand deines Gottes. Nicht mehr wird zur dir gesagt werden: ‚Verlassene‘; und zu deinem Land wird nicht mehr gesagt werden: ‚Verwüstete‘; sondern du wirst genannt werden: ‚Meine Lust an dir‘, und dein Land: ‚Vermählte.‘“ (Jes 62) Wer ist fähig, die Tiefe der Zuneigungen des Herzens Christi für seine irdische Braut zu beschreiben, wie sie sich in folgenden Ausdrücken kundgibt: „Siehe, du bist schön, meine Freundin, siehe, du bist schön, deine Augen sind Tauben!“ Und wiederum: „Ganz schön bist du, meine Freundin, und kein Fehl ist an dir. ... Du hast mir das Herz geraubt, meine Schwester, meine Braut; du hast mir das Herz geraubt mit einem deiner Augen. ... Eine ist meine Taube, meine Vollkommene usw“ (Man vergleiche das ganze Hohelied).

Aber so unbeschreiblich innig das Verhältnis der irdischen Braut zu Christus auch sein mag, so ist doch das Verhältnis der Kirche, der himmlischen Braut, zu Ihm noch weit inniger und erhabener; es steht einzig da in dem ganzen Weltall, nur schwach vorgebildet durch das Verhältnis zwischen Mann und Frau, wie wir lesen: „Ihr Männer, liebt eure eignen Weiber, gleich wie auch der Christus die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, auf dass Er sie heiligte, sie reinigend durch die Waschung mit Wasser durch das Wort, auf dass Er sich selbst die Versammlung verherrlicht darstellte, die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei. Also sind auch die Männer schuldig, ihre Weiber zu lieben, wie ihre eignen Leiber. Wer sein Weib liebt, der liebt sich selbst. Denn niemand hat jemals sein eigenes Fleisch gehasst, sondern er nährt und pflegt es, gleich wie auch der Christus die Versammlung. Denn wir sind Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinen Gebeinen. ‚Darum wird ein Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weib anhängen, und die zwei werden ein Fleisch sein.‘ Dieses Geheimnis ist groß; ich sage es aber auf Christus und auf die Versammlung“ (Eph 5,25–32). Wie wunderbar ist die Liebe, mit welcher Christus seine Versammlung geliebt hat, als diese sich noch in dem niedrigsten Zustand einer gefallenen Kreatur befand! Er gab nicht nur alles, was Er hatte, sondern auch sich selbst für sie dahin. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, können wir verstehen, dass die Kirche in unserem Gleichnis eine „sehr kostbare Perle“ genannt wird, welche der Herr gesucht und gefunden hat. Sie hat für Ihn, betrachtet in ihrer vollendeten Herrlichkeit, alle die göttlichen Netze und die himmlische Schönheit, welche sein Herz begehrte – das, was Er nirgendwo anders in dem ganzen Weltall finden konnte. Gleichwie für den ersten Adam in der ganzen Schöpfung keine Hilfe „seines Gleichen“ gefunden wurde, ausgenommen in Eva, so fand auch der zweite Adam nur in der Kirche die Eine, von welcher Er sagen konnte: „Diesmal ist es Gebein von meinen Gebeinen und Fleisch von meinem Fleisch“ (1. Mo 2,20–23).

Nach dem Gesagten dürfen wir also wohl annehmen, dass uns in dem „Schatz“ alle Söhne des Reiches, sowohl das irdische Volk Gottes als auch die himmlischen Heiligen, in der „Perle“ dagegen in besonderer Weise nur die Kirche, der Mittelpunkt der himmlischen Herrlichkeit des Reiches, vorgestellt werden. Beide, der Schatz und die Perle, zeigen uns das Reich als ein Ganzes, so wie Gott es sieht, und wie Christus es gesucht hat, und daher auch als das, was der Gläubige gegenwärtig in dem Reich unterscheiden soll. Aber in dem ersten Gleichnis hören wir, dass Christus den ganzen Acker und damit auch den darin verborgenen Schatz kauft, während es sich in dem Zweiten nur um die Perle handelt. Christus hat die Welt gekauft, um in ihr die Herrlichkeit des Reiches zu offenbaren. Diese Herrlichkeit bleibt indessen solange verborgen, bis Er die Welt tatsächlich in Besitz genommen hat. Deshalb lesen wir auch bezüglich des Schatzes die Worte: „den ein Mensch fand und verbarg.“ Die Welt in ihrem jetzigen Zustand ist nicht geeignet für die Offenbarung dieser Herrlichkeit. Aber der Augenblick ist nicht mehr fern, da Christus Besitz von ihr nehmen wird; denn Er hat bereits den Kaufpreis für sie bezahlt. Sie ist sein Eigentum aus doppeltem Grund: Er hat sie als Gott erschaffen, und Er hat sie als Mensch durch sein eigenes Blut erkauft. Sobald Er sie in Besitz nimmt, wird das Reich in ihr offenbart werden, als eine Sache, welche den Absichten Gottes völlig entspricht, ja, als etwas ganz Neues. Außer dieser Sache gab es nichts in der Welt, was einen solchen Wert für Christus gehabt hätte, um sich selbst als Opfer für den Besitz desselben hinzugeben. Wie unendlich kostbar muss diese Sache sein! „Vor Freude darüber geht er hin und verkauft alles, was irgend er hat.“ Wer könnte die Größe dieses Opfers ermessen? Wer die Tiefe seiner Leiden ergründen? Und diese unergründlichen Leiden ertrug Er mit Freuden! Darum noch einmal, wie kostbar muss diese Sache sein! Wahrlich, nur eine erkaufte und erneuerte Welt wird für die Offenbarung einer Herrlichkeit geeignet sein, die noch nie gesehen, noch nie erkannt worden ist. Nur der von Gott erleuchtete Glaube ist fähig, jetzt schon die Herrlichkeit dieser neuen Sache zu erkennen und von dieser Welt zu unterscheiden.

Beachten wir jedoch, dass wir in dem Gleichnis von der Perle das Urteil des Herrn über die moralische Schönheit der Kirche finden. Er, der sich nicht täuschen kann und der alles beurteilt nach seinem wahren Werte, gibt uns in dem Ausdruck: „eine sehr kostbare Perle“ zu verstehen, was die Kirche für sein Herz ist und welche Schönheit sie in seinen Augen hat. Der Herr hat in der Kirche das gefunden, was, gemäß den ewigen Ratschlüssen Gottes, in vollkommenem Einklang mit der Natur Gottes steht und daher durchaus himmlisch, göttlich und ewig ist. Kein Sterblicher ist fähig, die Schönheit und die ganze Tragweite dessen zu beschreiben, was in den Worten ausgedrückt ist: „die Herrlichkeit Gottes“; denn nichts Geringeres als diese Herrlichkeit bildet den Schmuck der Kirche. Sie kann nur in Bildern den Begriffen des Menschen einigermaßen verständlich gemacht werden; daher wählt der Heilige Geist die kostbarsten Dinge der Erde: Gold, Edelsteine und Perlen, um diese Herrlichkeit darzustellen. So lesen wir in Offenbarung 21,11: „Ihr Lichtglanz war gleich einem sehr kostbaren Edelstein, wie ein krystallheller Jaspisstein.“ Denselben Vergleich finden wir in der Beschreibung dessen, der auf dem Thron des Gerichts sitzt: „Und der da saß, war von Ansehen gleich einem Jaspisstein und einem Sardis“ (Off 4,3). Die vollkommene Reinheit, Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes selbst wird die verherrlichte Kirche zieren. Sie wird gesehen werden als in vollkommener Übereinstimmung stehend mit der Natur dessen, vor welchem die Serafim ihre Angesichter verhüllen und rufen: „Heilig, heilig, heilig ist Jehova der Heerscharen! die ganze Erde ist voll seiner Herrlichkeit!“ (Jes 6)

Welche Zunge wäre imstande, die Größe dieser Heiligkeit und Reinheit zu beschreiben? Wer wäre fähig, im Licht derselben zu stehen? Jesaja musste ausrufen: „Wehe mir, denn ich vergehe!“ Und doch wird dereinst jedes Glied der Kirche mit Freimütigkeit in dem Licht dieser Herrlichkeit stehen, wie wir in 1. Johannes 4,17 lesen: „Hierin ist die Liebe mit uns vollendet worden, auf dass wir Freimütigkeit haben an dem Tag des Gerichts, dass, gleich wie Er ist, also auch wir sind in dieser Welt.“ Unser Offenbarwerden vor dem Richterstuhl Christi ist gewiss eine sehr ernste Sache, aber andererseits auch etwas überaus Köstliches. Viele Erlöste fürchten den Augenblick dieses Offenbarwerdens, weil sie die Liebe Gottes und die Tragweite des Werkes Christi nicht kennen, noch den Ratschluss Gottes verstehen, nach welchem wir schon vor Grundlegung der Welt zu seiner Herrlichkeit bestimmt waren: „Denn welche Er zuvorerkannt hat, die hat Er auch zuvorbestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit Er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Welche Er aber zuvorbestimmt hat, diese hat Er auch berufen; und welche Er berufen hat, diese hat Er auch gerechtfertigt; welche Er aber gerechtfertigt hat, diese hat Er auch verherrlicht“ (Röm 8,29–30). Gerade das vollkommene Verständnis, welches wir dann von der Heiligkeit Gottes haben werden, wird uns mit unaussprechlicher Freude und göttlicher Ruhe erfüllen, und zwar infolge der völligen Erkenntnis der Liebe Gottes, welche Er darin erwiesen hat, dass Er uns seiner göttlichen Natur teilhaftig machte, einer Natur, die in vollkommenem Einklang mit dieser Heiligkeit steht. Nichts weniger als das ist nach den Ratschlüssen Gottes unser Teil von Ewigkeit her und wird es sein bis in alle Ewigkeit. Die Schönheit dieser göttlichen Natur nun war es, welche Christus in der Kirche eine „sehr kostbare Perle“ erkennen ließ, für deren Besitz Er freudig alles verkaufte, was irgend Er hatte.

Ach, wie sehr fehlt es unter den Gläubigen an Verständnis über diese Schönheit der Kirche nach den Ratschlüssen Gottes, trotzdem sie tatsächlich zu dieser Kirche gehören! Wie wenig gehen die Meisten in die Gedanken Gottes über seine Kirche ein! Anders würden sie gewiss den Platz derselben nicht auf der Erde suchen. Sie gehört dem Himmel an und ist nicht Don dieser Welt, wie Christus, ihr verherrlichtes Haupt, nicht von der Welt ist (Joh 17,16). Welch einen Einfluss würde es auf unseren persönlichen Wandel hienieden ausüben, wenn diese Schönheit, Reinheit und Heiligkeit mehr vor unseren Augen stünde, in welcher wir in Christus bereits vor Gott hingestellt sind und angesichts des Weltalls bald erscheinen werden! „Geliebte, jetzt sind wir Gottes Kinder, und es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen, dass, wenn es offenbar geworden, wir Ihm gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist. Und jeder, der diese Hoffnung zu Ihm hat, reinigt sich selbst, gleich wie Er rein ist“ (1. Joh 3,2–3). Wahrlich, nichts kann uns mehr anspornen zu einem heiligen, von Sünde und Welt abgesonderten Wandel, als das Bewusstsein, Ihm gleich zu sein, der rein ist. In diesem Mangel an Verständnis einerseits und dem Vergessen der wahren christlichen Stellung andererseits liegt das Geheimnis des so oft und in so beklagenswerter Weise hervortretenden Mangels an einem wirklich himmlischen Wandel unter den Gläubigen.

Wir kommen jetzt zu dem letzten Gleichnis (V 47–50). Dasselbe führt uns das vor Augen, was die gegenwärtige Form des Reiches hienieden beschließen wird. Es handelt sich hier nicht mehr darum, das Netz in das Meer der Völker zu werfen; dieses ist geschehen, das Evangelium ist in der ganzen Welt verkündigt worden und hat im Lauf der Zeit „von jeglicher Gattung zusammengebracht.“ Alle, welche den Namen Christi tragen, ob bekehrt oder unbekehrt, befinden sich in dem Netz des Christentums; und der Zweck der Arbeiter ist, die „Guten“ auszulesen und zu sammeln.

Dieses Werk des Auslesens und Sammelns vollzieht sich, allerdings unter verschiedenen Formen, in ganz, besonderer Weise inmitten der Christenheit unserer Tage. Der Heilige Geist ist beschäftigt, die „Guten“ immer mehr von der bekennenden Masse zu trennen. Die Gläubigen scheiden sich, infolge dieser Wirksamkeit, überall von dem großen Haufen der toten Bekenner aus, wie verschieden auch die Benennungen sein mögen, unter welchen sie sich sammeln. Trennung der Guten von den Bösen, oder mit anderen Worten, der Gläubigen von den Ungläubigen, ist die besondere Tätigkeit des Geistes Gottes in der gegenwärtigen Zeit, und das charakteristische Zeichen des herannahenden Gerichts zur Einführung einer neuen Ordnung, der Dinge.

Ein Reich, in welchem Gute und Böse mit einander vermischt sind, entspricht nicht den Ratschlüssen Gottes und kann deshalb nicht von Dauer sein. Der Herr wird seine Tenne reinigen, wie geschrieben steht: „Dessen Worfschaufel in seiner Hand ist, und Er wird seine Tenne durch und durch reinigen und seinen Weizen in die Scheune sammeln; die Spreu aber wird Er verbrennen mit unauslöschlichem Feuer“ (Mt 3,12). Das Gericht hat es nur mit der Spreu zu tun. Der Weizen, d. h. die wahre Kirche, wird von der Spreu geschieden und vor dem Gericht in Sicherheit gebracht werden.

Aber so wie die Gläubigen durch den Dienst der Arbeiter ausgesondert und gesammelt werden, so werden sich auch die Ungläubigen durch die Wirkung der Vorsehung unter verschiedenen Formen mit einander verbinden. In dem Gleichnis von dem Unkraut im Acker lesen wir: „Und zurzeit der Ernte (d. h. in jenem Zeitraum, in welchem sich die auf die Ernte bezüglichen Ereignisse erfüllen werden) werde ich den Schnittern sagen: Lest zuerst das Unkraut zusammen und bindet es in Bündeln.“ 1 Die Beweggründe dieser Verbindung der Bösen sind einerseits die Feindschaft des natürlichen Herzens gegen Gott, und andererseits das Streben nach Selbsterhebung. Gott wird sie, nachdem sie seinem Wort lange genug widerstanden haben, schließlich ihrer Feindschaft überlassen, und sie werden sich, je länger die Langmut Gottes sie trägt, umso mehr verhärten. Das böse Gewissen, das Gefühl der Unsicherheit der bestehenden Verhältnisse, die Furcht vor dem Eintreffen ernster Ereignisse auf der einen Seite, und Stolz, Ruhmsucht und Ehrgeiz auf der anderen, erwecken in ihren Herzen das Bedürfnis nach Vereinigung. Sie sind zu weit von Gott entfernt, um sich auf Ihn zu stützen. Die Verzagtheit und der Stolz ihrer Herzen lassen es ihnen nicht zu, sich Ihm zu nahen, oder sich vor Ihm zu beugen. Darum verbinden sie sich, im Vertrauen auf ihre vereinte Kraft, um sich gegen alle möglichen Fälle zu sicheren und trotz Gottes ihre ehrgeizigen Zwecke zu erreichen.

Stolz und Anmaßung, verbunden mit Angst und Verzagtheit, kennzeichnen diese Verbindungen; aber Gesetzlosigkeit ist der Grundsatz, der sie beherrscht. Man sucht Gott auszuschließen und den Menschen zu erheben. Gott erlaubt in seiner Vorsehung, dass dieser Grundsatz wirksam ist: Er erlaubt, dass es den gemeinsamen Anstrengungen der Menschen je länger je mehr gelingt, ihre kühnsten Pläne in wahrhaft erstaunlicher Weise in Ausführung zu bringen; Er erlaubt, dass sich Wissenschaft, Kunst und Industrie in ungeahnter Weise entwickeln und gerade durch die bestehenden Verbindungen gefördert werden zur Selbsterhebung des Menschen, damit die Gesetzlosigkeit zur Reife komme. Wie weit auch die selbstsüchtigen Interessen der Ungläubigen auseinander gehen, und wie verschieden die Zwecke ihrer vielseitigen Verbindungen auch sein mögen, so führt dennoch, infolge ihrer Feindschaft gegen Gott, dieser Grundsatz sie alle zu einem vereinten Ziele hin. Pilatus und Herodes vergaßen ihren persönlichen Hader über der gemeinsamen Feindschalt gegen Christus und reichten sich versöhnt die Hände.

Die Beweggründe der Vereinigung der Gläubigen stehen in direktem Gegensatz zu denjenigen der Ungläubigen; und dieser Gegensatz verschärft sich, je mehr das Ende herannaht. Ein Zustand der Halbheit wird für die Dauer nicht bestehen können. Gott lässt in seiner Vorsehung die Verhältnisse sich so gestalten, dass ein jeder genötigt wird, in der einen oder anderen Weise Stellung zu nehmen; ein jeder wird entweder für oder gegen Christus erfunden werden. Niemand aber wird sich in einer Stunde der Prüfung für Christus entscheiden, es sei denn, dass er im wahren Sinne des Wortes „glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist“ (1. Joh 5,5).

Der Herr wolle uns, die wir dieses durch die Gnade glauben und Söhne des Reiches sind, geben, dass wir allezeit das in dem Reich sehen und unterscheiden, was Christus in demselben sieht – das Reich nach den Gedanken und Ratschlüssen Gottes, dessen Herrlichkeit bald offenbart werden wird. Nur wenn dieses klar vor unseren Augen steht, werden wir fähig sein, den himmlischen Charakter und die Grundsätze des Reiches zu verwirklichen, wie groß auch der uns umringende Verfall sein mag.

Fußnoten

  • 1 In den beiden Schlussversen des letzten Gleichnisses wird nichts von diesem zusammenbinden des Unkrautes, oder der Ungläubigen, vor dem Hereinbrechen des Gerichts, gesagt; vielmehr haben wir hier die Vollstreckung des Gerichts selbst durch die Engel Gottes. Nachdem die Guten ausgelesen und in Gefäße gesammelt sind, nachdem der Weizen auf den Speicher des Herrn gebracht, d. h. nachdem die Kirche ins Vaterhaus eingegangen ist, „werden die Engel ausgehen und die Bösen aus der Mitte der Gerechten (die dann hienieden sein werden) aussondern und sie in den Feuersee werfen.“ In dem Gleichnis selbst sind die Fischer beschäftigt, die Guten zu sammeln; in der Anwendung, welche der Herr macht, sondern die Engel die Bösen aus und übergeben sie dem Gericht.
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