Botschafter des Heils in Christo 1887

Das Reich der Himmel - Teil 2/3

Das zweite Gleichnis zeigt uns das Reich unter einer anderen Form des Verfalls (Mt 13,31–32), nämlich in seiner weltlichen Größe und Macht. „Das Reich der Himmel ist gleich einem Senfkorn, welches ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte, das zwar – kleiner ist als alle Samen, wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als die Kräuter, und wird ein Baum, so dass die Vögel des Himmels kommen und sich niederlassen in seinen Zweigen.“ Diese Größe und Macht des Reiches bekundet eine Verleugnung seines himmlischen Charakters und ist die Frucht der Verbindung der Gläubigen mit der Welt. Seiner ursprünglich himmlischen Natur nach war das Reich, entsprechend den Absichten des Herrn, völlig von der Welt getrennt, obwohl (in der Welt errichtet) und stand im Gegensatz zu deren Charakter und deren Grundsätzen. Infolge dessen war es auch, solange es seinen himmlischen Charakter bewahrte, ein Gegenstand der Feindschaft und Verachtung von Seiten der Welt. Denn die Welt kann nichts weniger ertragen als die Atmosphäre des Himmels. Aus diesem Grund konnte sie auch die Gegenwart des Herrn selbst nicht ertragen und stieß Ihn hinaus. Dasselbe Los der Verachtung und Verwerfung seitens der Welt trifft notwendig alle, die in den Fußstapfen des Herrn wandeln. „Alle aber, die gottselig leben wollen in Christus Jesus, werden verfolgt werden“ (2. Tim 3,12). „Wenn euch die Welt hasst, so wisst, dass sie mich vor euch gehasst hat. Wenn ihr von der Welt wärt, so würde die Welt das Ihrige lieben; weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt auserwählt habe, darum hasst euch die Welt. Gedenkt des Wortes, das ich euch gesagt habe: Der Knecht ist nicht größer, als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, so werden sie auch euch verfolgen“ (Joh 15,18–20).

Das Gleichnis von dem Senfkorn stellt uns daher einen weiteren Fortschritt in dem Verfall des Reiches vor Augen. Wir haben hier nicht die bloße Vermischung der Gläubigen mit den Ungläubigen, wie in dem vorhergehenden Gleichnis, sondern das Ergebnis dieser Vermischung, das gänzliche Aufgeben der himmlischen Stellung des Reiches; denn um keinen geringeren Preis hätte dasselbe je seine jetzige Größe und Macht erlangen können. Um die Welt zu besitzen, musste es den Himmel aufgeben.

Welch ein wichtiger und ernster Grundsatz ist das! Wie lebhaft erinnert er uns an das Wort des Herrn: „Kein Hausknecht kann zwei Herren dienen; denn entweder wird er den Einen hassen und den Anderen lieben, oder er wird dem Einen anhängen und den Anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Lk 16,13). Es ist sicher der Mühe wert, diesen Grundsatz etwas näher ins Auge zu fassen, um den Hang des natürlichen Herzens zu erkennen, der dem Feind einen Anknüpfungspunkt bietet zur Erreichung seiner teuflischen Absichten. Nichts bildet einen schrofferen Gegensatz, als der Vater und die Welt, Christus und Satan, der Geist und das Fleisch. Johannes sagt: „Wenn jemand die Welt liebt, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm“ (1. Joh 2,15). Ebenso erklärt der Herr in dem früheren Gleichnis den Teufel als seinen Feind (V 25.39). Und Paulus sagt: „Denn das Fleisch gelüstet wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch; diese aber sind einander entgegengesetzt“ (Gal 5,17). Und in den oben angeführten Worten aus Lukas 16 erklärt der Herr in der entschiedensten Weise, dass die Liebe zu dem einen Herrn den Hass zu dem Anderen voraussetzt, und ebenso umgekehrt. Liebe zu beiden zugleich gehört in den Bereich der Unmöglichkeit. Welch ein ernster Gedanke! Wie sehr stellt das unsere armen Herzen auf die Probe! Was ist der Gegenstand derselben? Ist es Christus, oder die Welt? Sind es die Dinge droben, oder die Dinge auf der Erde? Wandeln wir nach dem Geist, oder nach dem Fleisch?

Können wir sagen, dass wir den Herrn lieben und die Gegenwart des Heiligen Geistes in uns hochschätzen, wenn wir tatsächlich den eitlen und nichtigen Dingen dieser Welt nachjagen und nach dem Fleisch wandeln? Unmöglich; wir dürfen in diesem Fall vom Gegenteil versichert sein. Ach, und dennoch steht es so bei vielen Gläubigen in unseren Tagen. Ein Zustand der Halbherzigkeit und Weltförmigkeit hat in bedauernswertester Weise Platz gegriffen unter denen, welche als Söhne des Reiches einen himmlischen Charakter offenbaren sollten. Viele Tausende bekennen am ersten Tage der Woche am Tisch des Herrn ihre Einheit mit Ihm, dem von der Welt verworfenen, auferstandenen und verherrlichten Christus zur Rechten Gottes; viele Taufende strömen an diesem Tag zusammen, um das Wort Gottes zu hören und dem Herrn Lob und Dank darzubringen, während die übrigen sechs Tage von so vielen unter ihnen ausschließlich mit dem Jagen nach der Befriedigung ihrer eignen Interessen ausgefüllt werden. Und bei manchen, die da bekennen, dass ihre Leiber Tempel des Heiligen Geistes sind, treten die Werke des Fleisches in einer Weise zu tage, dass man die Augen niederschlagen muss; Dinge geschehen, von welchen der Apostel will, dass sie nicht einmal unter den Gläubigen genannt, viel weniger von ihnen getan werden sollten (vgl. Eph 5,3). Aber alle diese Zustände haben ihren Grund in dem Mangel an wirklicher Liebe für Christus und an Ehrfurcht vor der Person des in uns wohnenden Heiligen Geistes. Wenn man Christus wirklich liebt, so wird man ebenso wirklich die Welt und das Fleisch hassen, sich selbst und die Sünde verabscheuen.

Hier liegt der erste Keim des Verfalls. Gewiss würde der Feind keinen Eingang in das Reich gefunden haben, wenn die Gläubigen im Wachen und Beten verharrt hätten. Aber was war die Ursache ihres „Einschlafens“? Die Person Christi verlor mehr und mehr ihren Wert für sie. Er war nicht mehr der einzige teure Gegenstand ihrer Herzen. Das geht klar und deutlich aus dem ersten Sendschreiben an die Versammlung zu Ephesus hervor; dort haben wir den Anfang des Verfalls. Äußerlich war noch alles in schönster Ordnung; aber das liebende Herz des Herrn war betrübt und klagte: „Aber ich habe wider dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast“ (Off 2,4).

Warum konnte der Feind den Herrn Jesus nicht zum Fall bringen, als er Ihn versuchte und Ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zeigte? Weil der Vater ein unvergleichlich teurer und kostbarer Gegenstand für sein Herz war, ein Gegenstand, wie ihn alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit Ihm nicht zu bieten vermochten; und den Willen des Vaters zu tun, war „Seine Lust“ (Ps 40,8). Manche mögen vielleicht einwenden: Aber der Herr Jesus war der Sohn Gottes, und wir können uns mit Ihm nicht vergleichen. Das ist wahr; aber es ist ebenso wahr, dass Er versucht wurde als ein wirklicher, wahrhaftiger Mensch, wiewohl ohne Sünde, und dass Er nicht in der Kraft seiner Gottheit, sondern als ein abhängiger Mensch in der Kraft des Heiligen Geistes dem Feind widerstand. Dieselbe Kraft ist aber auch uns geschenkt, weil der Heilige Geist in uns wohnt.

Nehmen wir indessen ein anderes Beispiel, dasjenige des Apostels Paulus, eines Menschen von gleicher Beschaffenheit und von gleichen Gemütsbewegungen wie wir. Warum sehen wir ihn unentwegt seinen Lauf fortsetzen, trotz der bittersten Verfolgungen, Leiden und Prüfungen? Weil er sagen konnte: „Denn das Leben ist für mich Christus.“ Er diente nicht zwei Herren, sondern konnte sagen: „Eins aber tue ich.“ Er suchte nicht halb die Dinge, die droben, und halb die Dinge, die auf der Erde sind; sondern „vergessend, was dahinten, und sich ausstreckend nach dem, was da vorne ist, jagte er, das vorgesteckte Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus“ (Phil 1,21; 3,14).

Lasst uns nie vergessen, dass, wie der Vater, der Sohn und der Heilige Geist eins sind, so auch Satan, die Welt und das Fleisch mit einander im Bund stehen! Und möchten wir die letzteren stets als unsere Feinde erkennen und uns entschieden auf die Seite Gottes stellen, eingedenk des Wortes des Herrn: „Kein Hausknecht kann zwei Herren dienen; denn entweder wird er den Einen hassen und den Anderen lieben, oder er wird dem Einen anhängen und den Anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon!“ In göttlichen Dingen gibt es keine Neutralität. Jede Halbherzigkeit ist in den Augen Gottes nichts mehr und nichts weniger als ein geheimes Bündnis mit dem Feind. „Bist du für uns oder für unsere Feinde?“ so lautete die bestimmte Frage des göttlichen Kriegsmannes auf dem Kampfplatz vor Jericho (Jos 5,13). Und dieselbe Frage richtet der Herr auch an einen jeden Einzelnen von uns, die wir berufen sind, „gute Kriegsmänner Jesu Christi“ zu sein, um „Dem zu gefallen, der uns angeworben hat“ (2. Tim 2,3–5). „Wie lange hinkt ihr auf beiden Seiten? Wenn Jehova Gott ist, so wandelt Ihm nach, und wenn Baal, so wandelt ihm nach!“ (1. Kön 18,21)

Das Ansehen, welches das Reich heute genießt, und die Größe, unter welcher es sich unseren Blicken darstellt, werden uns umso mehr als eine Schmach und als eine Folge der Untreue erscheinen, je mehr wir beides im Licht der Niedrigkeit unseres geliebten Herrn auf der Erde betrachten. Das Reich ist umgeben mit den Herrlichkeiten der Reiche dieser Erde und prangt in Purpur und Scharlach, während Er, der wahre König des Reiches, von ruchlosen Kriegsknechten zum Spott mit einem Purpurmantel und mit einer Dornenkrone bekleidet und vor einer gaffenden Menge zur Schau gestellt wurde. Jenes hat zu verfügen über Ämter und Ehrenstellen, ja über die Besitztümer der Erde; dieser hatte nicht, wo Er sein Haupt hinlegen konnte. Er, der „König“, der in die Welt kam, um der Wahrheit Zeugnis zu geben, begann mit „der Krippe“ und endigte mit „dem Kreuz“. Sollten wir nicht, angesichts dieser Niedrigkeit des Herrn, jeden Hang nach Größe und Ansehen in dieser Welt auf das Tiefste verabscheuen? Sollten wir nicht vielmehr mit aller Entschiedenheit zu Ihm hinausgehen, um seine Schmach zu tragen? Wir sehen bei den Jüngern, wie sehr der Hang nach Größe in der Welt dem natürlichen Herzen eigen ist. Während der Herr in ihrer Mitte als der Dienende auftrat und von seiner Erniedrigung und von seinen Leiden sprach, stritten sie sich, wer unter ihnen der Größte sei. Ja wahrlich, nur der Tod des Herrn konnte uns von einer solch verdorbenen Natur befreien!

Wir kommen jetzt zu dem dritten Gleichnis. „Ein anderes Gleichnis redete Er zu ihnen: Das Reich der Himmel ist gleich einem Sauerteig, welchen ein Weib nahm und unter drei Maß Mehl verbarg, bis alles gesäuert ward“ (V 33).

Wir haben gesehen, wie der Verfall durch die Verbindung der Söhne des Bösen mit den Söhnen des Reiches herbeigeführt wurde. In diesem Gleichnis nun wird uns das geistliche Mittel vorgestellt, dessen sich der Feind zu diesem Zweck bediente: der Sauerteig. 1 Unmöglich konnte Satan die Ungläubigen in das Reich einführen, es sei denn, dass er vorher die Gläubigen betrog durch Verfälschung des reinen Wortes Gottes. Nur durch Betrug und Lüge konnte er seinen Zweck erreichen, wie im Anfang, als er den ersten Menschen verführte. Allerdings würde die Schlange trotz all ihrer List und Klugheit ihren Zweck nicht erreicht haben, wenn Eva in Einfalt an dem Wort festgehalten hätte, so wie Gott es ausgesprochen hatte. Dies erinnert uns an einen höchst wichtigen Grundsatz, den der Apostel für die Zeit des Verfalls dem Timotheus und allen Gläubigen mit ihm ans Herz legt: „Halte fest das Bild gesunder Worte, die du von mir gehört hast, im Glauben und in der Liebe, die in Christus Jesus ist“ (2. Tim 1,13).

Wir haben bereits gesehen, dass die Bewahrung eines guten geistlichen Zustandes und unseres himmlischen Charakters davon abhängt, dass wir im Wachen und Beten verharren und ein ganzes Herz für Christus bewahren. Jedoch ist das nur die eine Seite unseres Gegenstandes. So notwendig der ununterbrochene Verkehr des Herzens mit der Quelle aller Kraft ist, so notwendig bedürfen wir andererseits des Festhaltens an dem unverfälschten, inspirierten Worte Gottes, so wie es uns in der „Heiligen Schrift“ von Anfang bis zu Ende derselben mitgeteilt ist. Wir können diesem Punkt nie zu viel Wichtigkeit beilegen. Denn bei aller Zuneigung des Herzens für Christus und bei aller Wachsamkeit würden wir dennoch den Fallstricken des Feindes nicht entgehen, wenn wir das Wort Gottes vernachlässigten oder auch nur die geringste Verfälschung desselben zuließen. Denn das Wort Gottes allein gibt uns Aufschluss darüber, wie wir uns als Gläubige zu allen Zeiten und unter allen Umständen, auch in den Tagen des größten Verfalls, verhalten sollen. Es kommt gar nicht so selten vor, dass sich Gläubige in einer falschen Stellung befinden (zum großen Schaden für sie selbst und andere), trotzdem man ihnen weder wahre und innige Zuneigungen für Christus, noch einen fleißigen Umgang mit Ihm absprechen kann. Nicht dass sie geradezu gleichgültig wären gegen das Wort Gottes; aber sie achten nicht sorgfältig genug auf die Reinheit der Lehre, um in Wirklichkeit nur das Wort Gottes und nicht dasjenige der Menschen zu haben. Mit welch peinlicher Gewissenhaftigkeit und heiliger Eifersucht wachte der Apostel Paulus über die Reinheit der Lehre! Wie ernstlich ermahnte und warnte er die Gläubigen in dieser Beziehung! So ruft er z. B. den Galatern zu: „Aber wenn auch wir oder ein Engel aus dem Himmel euch etwas als Evangelium verkündigte, außer dem, was wir euch als Evangelium verkündigt haben, der sei verflucht! Wie wir zuvor gesagt haben, so sage ich euch jetzt wiederum: Wenn jemand euch etwas als Evangelium verkündigt außer dem, was ihr empfangen habt, der sei verflucht!“ (Kap 1,8–9) Das Evangelium, welches Paulus den Galatern verkündigt hatte, war von Gott und nicht von Menschen; und wenn Paulus selbst oder gar ein Engel aus dem Himmel ihnen etwas als Evangelium verkündigt hätte, was auch nur um eines Haares Breite von dem abgewichen wäre, was sie durch den Apostel als die inspirierten Worte Gottes empfangen hatten, so sollten sie es rücksichtslos als falsch verwerfen.

Alle Schriften des Alten und Neuen Testaments, aber auch nur diese, haben Anspruch auf die Bezeichnung: „Heilige Schriften.“ In betreff ihrer wird gesagt, dass sie „von Gott eingegeben“ sind (2. Tim 3,15–16). Sie sind, kurz gesagt, das Wort oder der Ausdruck der Gedanken Gottes. Das, was Gott von sich selbst offenbaren, sowie das, was Er uns mitteilen wollte betreffs des Himmels, betreffs des Menschen und seines Zustandes, betreffs seiner Errettung und seiner Zukunft, betreffs der Schöpfung, betreffs der Welt und ihrer Zukunft; mit einem Wort, alles, was Er uns mitteilen wollte, hat Er uns in diesem Bild oder in dieser Form mitgeteilt, in welcher uns „die Heiligen Schriften“ in ihrer Zusammenstellung als ein Ganzes gegeben sind. Würde man dieses Bild auch nur in der geringsten Weise verändern, vielleicht in der Art der Darstellung, um es dem Geschmack des Menschen besser anzupassen, wenn auch unter Anwendung derselben Worte, so würde man nicht mehr sicher sein, ob man noch die Gedanken Gottes und folglich die Wahrheit hätte. Will man die Wahrheit nicht einbüßen, so handelt es sich nicht bloß darum, dieselben Worte zu besitzen, welche Paulus oder Petrus gebraucht haben, sondern auch dieselbe Form festzuhalten, in welcher sie gegeben worden sind. Wer außer Gott kann uns die Wahrheit betreffs aller Dinge, sowohl der sichtbaren als auch der unsichtbaren, mitteilen? Der Mensch vermag nicht einmal die sichtbaren. Dinge der Wahrheit gemäß zu beurteilen und darzustellen, geschweige denn die unsichtbaren. Lasst ihn z. B. eine Beschreibung seines eigenen Zustandes geben, der ihm doch eigentlich sehr bekannt sein müsste, und man wird sehen, wie sehr diese Beschreibung von derjenigen abweicht, welche Gott in seinem Wort darüber gibt. Wenn der Mensch aber nicht einmal fähig ist, über sich selbst, über das Sichtbare, richtig zu urteilen, wie viel weniger wird er uns über die unsichtbaren Dinge oder gar über Gott selbst einen wahren Bericht zu geben vermögen. Wir wiederholen daher, dass wir die Wahrheit nur in dem Wort Gottes, so wie es uns mitgeteilt und anvertraut worden ist, d. h. in den „Heiligen Schriften“ Alten und Neuen Testaments finden können. Diese sind das getreue Bild, welches uns alle Dinge der Wahrheit gemäß darstellt. Und wir müssen jede, auch die geringste Veränderung desselben, jede Hinzufügung oder jede Weglassung als einen Eingriff in die Rechte Gottes und als eine Verfälschung seiner Gedanken entschieden verwerfen; und alles, was uns als Lehre gebracht wird, wäre es selbst von einem Apostel oder von einem Engel aus dem Himmel, haben wir nach diesem einzig untrüglichen Maßstäbe zu prüfen.

Gott sei gepriesen, dass Er uns sein kostbares Wort bis heute hin, trotz aller Anläufe und Ränke Satans, trotz aller Feindschaft des Menschen, bewahrt hat! Es genügt für alle, auch für die dunkelsten Zeiten, um zu erleuchten und „Einsicht zu geben den Einfältigen“ (Ps 119,130). Was wir zu beklagen haben, ist der große Mangel an Einfalt bei so vielen Gläubigen in unseren Tagen. Weil sie nicht einfältig genug sind, um sich allein durch das Licht des göttlichen Wortes erleuchten zu lassen, werden sie so leicht „hin und her geworfen und umhergetrieben von jedem Wind der Lehre“ (Eph 4,14–15). Sie kommen nicht zur vollen Erkenntnis der Wahrheit, weil sie sich nicht einzig und allein an dem Wort halten. Ungewissheit und Zweifel erfüllen ihre Herzen, sowohl betreffs ihres Platzes Gott gegenüber, als auch ihrer Stellung den Menschen gegenüber. Leider aber muss auch von manchen gesagt werden, dass es ihnen nicht wirklich darum geht, die Wahrheit zu besitzen, weil dieselbe sie in Dingen verurteilt, die sie nicht aufgeben mögen. Sie ziehen die Lehren der Menschen der einfachen Wahrheit vor, weil jene den Weg breit genug lassen, um auch noch ein wenig dem Fleisch nach leben zu können. Aber solche Gläubige sind nur die Sklaven ihres eignen Willens und der Wünsche ihrer alten Natur. Wahren Frieden, wahres Glück und wahre Freude kennen sie nicht; denn alles das kann nur die Wahrheit in einer Seele erzeugen, wie geschrieben steht: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen“ (Joh 8,32). Solche Seelen stehen mehr oder weniger außer dem Bereich der gesegneten Wirksamkeit des Wortes. Dasselbe hat keine unbedingte Macht, keine ausschließliche Autorität über sie. Und darum können wir nichts weiter für sie tun, als ihrer mit anhaltendem Gebet und Flehen vor Gott zu gedenken; Er allein kann sie zur Einsicht und Umkehr bringen und ihre Herzen zubereiten, um sich bedingungslos unter die Autorität seines Wortes zu beugen. Uns allen aber wolle der Herr in seiner Gnade geben, dass wir das Bild gesunder Worte festhalten! Denn nur dadurch werden wir feststehen inmitten der Schwankungen und Verirrungen, welche uns von allen Seiten umgeben. Indem wir mittelst des kostbaren Wortes alle Dinge in ihrem wahren Licht sehen, ist unser Blick klar, unser Gang fest.

In betreff des Reiches hat der Feind seinen Zweck erreicht – alles ist durchsäuert worden. Das Ganze hat die Natur des Sauerteigs angenommen. Die Ermahnung, den alten Sauerteig auszufegen, findet daher, soweit es das Reich als solches betrifft, keinen Platz mehr, indem alles bereits durchsäuert ist. Das Reich ist ein großes Lehrsystem geworden, ein System des Trugs und der Lüge, durch welches der „schmale Weg“ und die „enge Pforte“ so breit und so weit gemacht worden sind, dass jeder in den Himmel eingehen kann, der sich den äußeren Formen und Satzungen dieses Systems unterwirft. Durch ein solches Lehrsystem werden die Gewissen abgestumpft, verhärtet und für die Aufnahme der Wahrheit immer unempfänglicher gemacht; ja mehr noch, die Anhänger dieses Systems werden immer mehr zu entschiedenen Feinden der Wahrheit. Nirgendwo stößt die Wahrheit auf mehr Widerstand, als in einem durch falsche Religion verblendeten und verhärteten Herzen, zumal wenn jene sich in die äußeren Formen der Wahrheit kleidet. Während eine solche Religion einerseits dem Fleisch seine volle Befriedigung gewährt, indem sie dessen Wünschen und Begierden Rechnung trägt, erfüllt sie andererseits das natürliche Herz mit geistlichem Stolz und religiöser Anmaßung, mit jenen Dingen, welche einen Menschen zu den größten Gewalttätigkeiten hinreißen können. Es ist mit einem Wort die Religion des Fleisches, ganz und gar angemessen dem Herzenszustand ihrer Bekenner, welche weder Gott noch die Wahrheit ertragen können.

Ach, zu welch traurigen, schrecklichen Resultaten führt ein Abweichen von der reinen, gesunden Lehre des unverfälschten Wortes Gottes! Was ist aus dem Reich Gottes in seiner äußeren Gestalt geworden! Es hat sich im Vergleich mit dem, was es anfangs war, in das gerade Gegenteil verwandelt und steht nach jeder Seite hin im Gegensatz zu dem Wort Gottes. An die Stelle der Autorität Christi ist die Autorität des Menschen getreten. Die Wahrheit wird als ein verderblicher Irrtum bezeichnet, und diejenigen, welche sie verkündigen, werden als Irrlehrer und Ketzer verschrien; man warnt vor ihnen, als vor gefährlichen Verführern, während andererseits der Lüge Tür und Tor weit geöffnet ist.

Der Feind hat seine böse Absicht bei der großen Masse der Bekenner völlig erreicht. Durch die Einführung des Sauerteigs falscher Lehre, menschlicher Meinungen und Satzungen, hat er die Herzen der Menschen ganz und gar gegen Gott und seine Wahrheit einzunehmen gewusst und sie dadurch zugänglich gemacht für alle möglichen Irrtümer und Lügen; auch für die große Lüge der letzten Tage. Sie werden den aufnehmen, „dessen Ankunft nach der Wirksamkeit des Satans ist, in aller Macht und in Zeichen und Wundern der Lüge und in allem Betrug der Ungerechtigkeit denen, die verloren gehen, darum dass sie die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen, dass sie errettet würden. Und deshalb sendet ihnen Gott eine wirksame Kraft des Irrtums, dass sie der Lüge glauben, auf dass alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen gefunden haben an der Ungerechtigkeit“ (2. Thes 2,9–12). (Schluss folgt)

Fußnoten

  • 1 Bekanntlich wird der Sauerteig in der Schrift stets als das Symbol der Verderbnis angewandt. So durfte z. B. kein Sauerteig mit den Speisopfern dargebracht werden: „Alles Speisopfer, das ihr Jehova darbringt, soll nicht aus Gesäuertem gemacht werden; denn aller Sauerteig und aller Honig – davon sollt ihr kein Feueropfer räuchern dem Jehova“ (3. Mo 2,11). Auch durfte Israel während der ganzen Feier des Passahfestes nichts Gesäuertes essen. „Du sollst kein Gesäuertes auf ihm essen, sieben Tage sollst du Ungesäuertes auf ihm essen. ... Es soll bei dir kein Sauerteig gesehen werden in deiner ganzen Grenze sieben Tage“ (5. Mo 16,3-4). Ferner schreibt der Apostel an die Korinther: „Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig die ganze Masse durchsäuert? Fegt den alten Sauerteig aus, auf dass ihr eine neue Masse werdet, gleich wie ihr ungesäuert seid. Denn auch unser Passah, Christus, ist für uns geschlachtet. Darum lasst uns Festfeier halten, nicht mit altem Sauerteig, auch nicht mit Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit ungesäuertem Brot der Lauterkeit und Wahrheit“ (1. Kor 5,6-8).
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