Botschafter des Heils in Christo 1887
Das Reich der Himmel - Teil 1/3
Das Reich der Himmel steht in unmittelbarem Gegensatz zu allen Reichen dieser Erde; es trägt einen himmlischen Charakter und wird vom Himmel aus regiert. Seine Grundsätze sind himmlisch. Jetzt besteht es als ein Geheimnis, das nur den Gläubigen, nicht aber der Welt offenbart ist: „Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Reiches der Himmel zu wissen, jenen aber ist es nicht gegeben“ (Mt 13,11). Später wird es in Macht und Herrlichkeit offenbart werden, und alsdann werden die Grundsätze des Himmels auf der ganzen Erde zur Geltung gelangen – „die Himmel werden herrschen“ (Dan 4,23). Alsdann wird das Wort erfüllt werden: „Güte und Wahrheit sind sich begegnet; Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküsst. Wahrheit wird sprossen aus der Erde, und Gerechtigkeit herniederschauen vom Himmel“ (Ps 85,10–11).
Gerechtigkeit, Güte, Wahrheit und Frieden sind die herrschenden Grundsätze des Reiches der Himmel. Der Herr offenbart in seiner Rede auf dem Berg diese Grundsätze, sowie die Charakterzüge derer, welche in das Reich eingehen und dasselbe besitzen sollen (Mt 5–7). Auch der Apostel beschreibt den moralischen Charakter des Reiches, wenn er sagt: „Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14,17). Andererseits steht geschrieben: „Wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Irrt euch nicht. Weder Hurer noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Weichlinge, noch Knabenschänder, noch Diebe, noch Habsüchtige, noch Trunkenbolde, noch Lästerer, noch Räuber werden das Reich Gottes ererben“ (1. Kor 6,9–10). Und ferner: „Denn in diesem seid ihr unterwiesen und wisst, dass kein Hurer, oder Unreiner, oder Habsüchtiger, der ein Götzendiener ist, ein Erbteil hat in dem Reich Christi und Gottes“ (Eph 5,5).
In welcher Weise das Reich auch offenbart sein mag, sei es im Geheimnis oder in Macht, mögen wir es betrachten als das Reich Gottes oder das der Himmel, als das Reich des Vaters oder das des Sohnes, als das tausendjährige oder das ewige Reich, immer bleiben seine Grundsätze dieselben. Es besteht jetzt, wie bereits bemerkt, im Geheimnis, und es nahm seinen Anfang zurzeit der Gegenwart des Herrn auf der Erde. Er war der König des Reiches, wie tief auch seine Erniedrigung sein mochte; zugleich offenbarte Er in seinem Leben und Wandel die Grundsätze des Reiches, so dass dieses in seiner ganzen moralischen Schönheit in seiner Person offenbart war für einen jeden, der Augen hatte, zu sehen. Darum konnte Er auch sagen: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Lk 17,20–21). Jetzt sind die Seinen berufen, die Grundsätze dieses Reiches zu offenbaren, so wie Er sie offenbart hat, damit an ihnen, als den Vertretern des Reiches, die moralische Schönheit desselben gesehen werde inmitten einer Welt, die nach ganz entgegengesetzten Grundsätzen wandelt.
In Matthäus 13 nun zeigt uns der Herr in verschiedenen Gleichnissen im Voraus, welche Entwicklung das Reich nehmen würde und in der Tat auch bis jetzt genommen hat. Verworfen von seinem irdischen Volk, verlässt Er dasselbe und beginnt als der „Sämann“ gleichsam etwas ganz Neues. Er sät den guten Samen. Die wahren Gläubigen, die Frucht des durch Ihn gesäten Wortes, bildeten die Söhne des Reiches; mit ihnen war das Reich errichtet. Und in der Tat offenbarte sich da die moralische Schönheit desselben in herrlichem Glänze. Es zeigte sich nach den Absichten des Herrn in seinem wahren Charakter, als das Reich der Himmel, inmitten einer Welt, deren Charakter nichts weniger als himmlisch ist. Je näher wir den von dem Herrn in der so genannten Bergpredigt dargestellten Charakter der Söhne des Reiches betrachten, desto mehr sehen wir, dass es der Charakter des Herrn selbst ist, wie Er ihn als ein himmlischer, inmitten einer gottlosen Welt wandelnder Mensch offenbart hat. Alles, was Er redete und tat, trug das Gepräge seiner himmlischen Sendung und war der Ausdruck eines Herzens, in welchem die Reinheit, der Friede und die Freude des Himmels wohnten. Alle, die mit Ihm in Berührung kamen, mussten notwendig in irgendeiner Weise die Atmosphäre des Himmels atmen, wie verschieden auch die dadurch erzeugte Wirkung auf ihre Herzen sein mochte. Entweder fühlten sie sich durch die Heiligkeit und Gerechtigkeit seines Wesens bestraft und von ihrem sündigen Zustand überführt, so dass sie seine Gegenwart mieden, oder sie fühlten sich durch seine Gnade, Milde, Freundlichkeit und Herablassung überwältigt und zu Ihm hingezogen. So unerträglich seine Gegenwart für Unbußfertige war, so wohltuend und anziehend war sie für Niedergebeugte und Trostbedürftige.
Dieser Charakter des Herrn nun kennzeichnete die Gläubigen der ersten Tage als „Söhne des Reiches.“ Wie gesegnet muss die Gemeinschaft solcher Gläubigen sein, wenn jeder Einzelne nach diesem Charakter wandelt! Naturgemäß herrschen dort die Grundsätze des Himmels: Gerechtigkeit und Güte, Wahrheit und Frieden. Wir lesen daher auch von den ersten Gläubigen: „Die Menge aber derer, die gläubig geworden, war ein Herz und eine Seele.“ Das war das Reich der Himmel, der Widerschein der himmlischen Herrlichkeit inmitten einer bösen, gottentfremdeten Welt. Die in demselben herrschende Gerechtigkeit und Wahrheit gestatteten dem Bösen keinen Eingang und bildeten die Grundlage der Güte und des Friedens in seiner Mitte. Nichts Geringeres als das konnte den Gedanken des Herrn entsprechen.
Aber ach! Wir wissen, dass diese Herrlichkeit des Reiches nur von kurzer Dauer war. Einmal dem Menschen anvertraut, ist es, wie alles andere, unter seinen Händen nur zu bald in Verfall geraten, so dass das, was heute das Reich vorstellt, einen schroffen Gegensatz zu dem bildet, was es im Anfang war. Doch wie traurig und demütigend dieser Verfall auch sein mag, so kann uns dennoch ein Vergleich des ursprünglichen Zustandes des Reiches mit dem, was es jetzt ist, nur zur heilsamen und nützlichen Belehrung dienen; denn der Charakter der Söhne des Reiches und dessen Grundsätze bleiben stets dieselben. Sie werden durch die Untreue des Menschen nicht im Geringsten verändert.
Betrachten wir denn zunächst die Ursachen dieses Verfalls, wie sie uns in den bereits erwähnten Gleichnissen in Matthäus 13 vor Augen gestellt werden. Wir lesen dort: „Während aber die Menschen schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut untreu unter den Weizen.“ Das war der erste kritische Augenblick in der Geschichte des Reiches; er barg bedeutungsschwere Folgen für dasselbe in seinem Schoß. Es erinnert uns dies an einen Grundsatz, dem wir nie zu viel Aufmerksamkeit schenken können, indem er sowohl für die Versammlung im Allgemeinen, als auch für jeden einzelnen Gläubigen von der höchsten Wichtigkeit ist. Dieser Grundsatz lautet: „Wacht und betet!“ Das ist die erste, unerlässliche Bedingung, unter welcher es für den Gläubigen allein möglich ist, seine Stellung inmitten einer feindseligen Welt zu behaupten, vorausgesetzt natürlich, dass er diese Stellung kennt und eingenommen hat. Unmöglich konnte das Böse Eingang finden in einem Reich, wo Gerechtigkeit und Güte, Wahrheit und Friede herrschten, und solange jeder Einzelne acht hatte auf die Ermahnung des Herrn: „Wacht und betet!“ Aber ebenso wertlos wie eine starke, wohlverschanzte Festung dem Feind gegenüber ist, wenn deren Wächter schlafen, ebenso wenig nützen dem Gläubigen seine herrlichsten Vorrechte, wenn er versäumt, zu wachen und zu beten.
Ohne Zweifel sind die Vorrechte des Christen überaus groß, mögen wir ihn nun betrachten als einen Sohn des Reiches, oder als ein Glied des Leibes Christi. Immer bleibt es wahr, dass der Kleinste im Reich der Himmel größer ist, als selbst Johannes der Täufer, obgleich nach den Worten des Herrn unter den von Weibern Geborenen kein Größerer aufgestanden ist, als er (Mt 11,11). Wie schwach der Zustand oder wie gering das Verständnis eines Gläubigen auch sein mag, so befindet er sich dennoch, seiner Stellung nach, gereinigt durch das Blut Christi und begnadigt in dem Geliebten, ohne irgendeinen Flecken von Sünde in der Gegenwart Gottes, und kann das Licht seines Antlitzes genießen ohne Vorhang. Keine Wolke, kein Schatten kann je den Frieden mit Gott trüben, der kraft des Werkes Christi sein Teil ist – sein Verhältnis ist das eines Kindes zu Gott dem Vater, und sein Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes, der in ihm wohnt. Einsgemacht mit Christus, dem auferstandenen und verherrlichten Menschen zur Rechten Gottes, steht er außerhalb der alten Schöpfung, des Bereiches der Macht Satans, der Sünde und des Todes (Eph 1,3–7; Röm 5,1–2; 2. Kor 5,17). Und darum ist er auch befähigt, obgleich er sich noch in einem Leib der Niedrigkeit befindet und von einer feindseligen Welt umgeben ist, mit dem Apostel inmitten der Leiden und Prüfungen des Glaubenspfades zu sagen: „Wer wird uns scheiden von der Liebe des Christus? Trübsal, oder Angst, oder Verfolgung, oder Hungersnot, oder Blöße, oder Gefahr, oder Schwert? Wie geschrieben steht: Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wie Schlachtschafe sind wir gerechnet worden. Aber in diesem allen sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin überzeugt, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, weder Gegenwärtiges noch zukünftiges, noch Gewalten, weder Hohes noch Tiefes, noch irgendeine andere Kreatur uns zu scheiden vermögen wird von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 8,35–39).
Aber ach! Leider müssen wir bekennen, dass diese triumphierende Sprache des Glaubens heute nur selten unter uns gehört wird. Und dies nicht deshalb, weil wir nicht dieselben Vorrechte hätten wie der Apostel; o nein, wir besitzen heute noch genau dieselben, ohne Apostel zu sein. Der Grund ist einfach der, dass wir nicht wachsam sind und nicht im Gebet beharren. Dürfen wir uns wundern über unseren Mangel an Kraft, Frische und Freudigkeit des Glaubens; über unseren Mangel an Frieden und einer lebendigen Erwartung der nahen Ankunft des Herrn; über unseren Mangel an einer unermüdlichen, selbstverleugnenden Hingebung für das Werk und den Dienst des Herrn und für die Seinen, wenn sich unsere Abhängigkeit von Gott so wenig kundgibt in einem anhaltenden Gebet und Flehen zu Ihm? Wenn wir einmal einen Vergleich ziehen zwischen dem Beispiel des Herrn und seiner Apostel, welche Tag und Nacht im Gebet zu Gott verharrten (Lk 6,12; Eph 1,16; Phil 1,4; Kol 1,3.9; 4,12; 1. Thes 1,2–3; 2. Tim 1,8), und unserem Gebetsleben, so werden wir nicht mehr zu fragen brauchen, warum unsere Arbeit im Werk des Herrn oft so fruchtleer ist. Wie eindringlich ermahnt der Apostel die Gläubigen zu Ephesus, zu aller Zeit zu beten „mit allem Gebet und Flehen in dem Geist, und eben hierzu wachend in allem Anhalten und Flehen für alle Heiligen und für mich usw.“ Und wiederum: „Verharrt im Gebet und wacht in demselben mit Danksagung; und betet zugleich auch für uns usw.“ „Betet unablässig“ (Eph 6,18; Kol 4,2; 1. Thes 5,17). Wie wenig steht heute das Leben so vieler Gläubigen mit diesen Ermahnungen im Einklang! Wie manche mögen vielleicht ohne Gebet den Tag anfangen, ohne Gebet ihr Tagewerk verrichten und ohne Gebet es vollenden! Darf man sich da wundern, wenn sich Lauheit, Schlaffheit, Dürre, Weltförmigkeit und traurige Zustände unter uns offenbaren? Solche Zustände sind umso trauriger, weil man im Besitz der herrlichsten Vorrechte, der größten Schätze und Segnungen ist, aber dieselben nicht zu verwerten weiß aus bloßer Nachlässigkeit und Unwachsamkeit.
Für einen jeden, der Augen hat, zu sehen, lässt sich ein großer Unterschied in dem praktischen Leben der Gläubigen wahrnehmen. Die Einen gehen voran im Glauben trotz der Schwierigkeiten, die Anderen unterliegen und bleiben zurück; und dies hat seinen Grund einfach darin, dass die Einen wachen und beten, während die Anderen es versäumen. Infolge dessen wird den einen „der Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Heilands Jesu Christi reichlich dargereicht“, während die Anderen nur „mit Not“ errettet werden (2. Pet 1,11; 1. Pet 4,18). Die Einen können mit Paulus im Blick auf ihr Leben sagen: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt; fortan ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, die der Herr, der gerechte Richter, mir zur Vergeltung geben wird an jenem Tag“; während die Anderen gleich Lot „wie durchs Feuer“ gerettet werden (2. Tim 4,7–8; 1. Kor 3,15; 2. Pet 2,7–8). Lot war eben sowohl ein „Gerechter“, als Paulus, und er wird an jenem Tag ebenso wenig in der Schar der Erlösten fehlen, wie der Apostel; aber im Blick auf die „Vergeltung“ wird ein großer Unterschied zwischen beiden bestehen. Möchten wir daher nicht versäumen, zu wachen und zu beten! Es ist das eine unerlässliche Sache, wenn wir anders unsere Vorrechte verwirklichen wollen; unerlässlich für die Überwindung des Feindes und für den Sieg in den Prüfungen; für die Bewahrung der Kraft, des Friedens, der Freude und der Einfalt des Glaubens. Es ist, mit einem Wort, eine Sache von höchster Wichtigkeit für Zeit und Ewigkeit.
Doch kehren wir zu unserem Gleichnis zurück. Nachdem der Feind einmal Eingang gefunden hatte in dem Reich, begann er sein verderbliches Werk damit, dass er „die Söhne des Bösen“ in die Mitte desselben einführte. Diese Verbindung der Söhne des Bösen mit den Söhnen des Reiches musste naturgemäß einen höchst verderblichen Einfluss auf das Wesen und die Natur des Reiches ausüben, und dasselbe sowohl seinem Charakter, als auch seiner äußeren Form nach völlig verändern, wie wir dies heute durch die so genannte Christenheit vor unsere Augen gestellt sehen. Die bekennende Christenheit ist eine Mischung von Gläubigen und Ungläubigen, von Personen, die in jeder Beziehung ganz entgegengesetzter Natur sind. Das Reich hat seinen göttlichen und himmlischen Charakter eingebüßt und stellt in seinem Ganzen eine Sache dar, die aus einem Zeugnis Gottes zum Heil und Segen des Menschen zu einer Werkstätte des Feindes, zu einem System des Trugs und der Lüge geworden ist. Da, wo einst die Gegenwart und Macht des Heiligen Geistes das Ganze beherrschte und alles eine himmlische Atmosphäre atmete; da, wo die Strahlen der Herrlichkeit des auferstandenen Christus jeden Einzelnen erleuchteten und das Ganze in den offenbarsten Gegensatz zu der Welt stellten, da herrscht jetzt unter dem Einfluss des Feindes der Geist dieser Welt, und das Ganze ist eingehüllt in die finsteren Nebel der Philosophie, der Überlieferungen der Menschen und der Elemente der Welt (Kol 2,8). Nicht umsonst hatte der Apostel schon in den ersten Tagen der Kirche einen so großen Kampf für die Gläubigen zu Kolossä und Laodizäa (Kol 2,1). Die liebliche Szene der Einigkeit, der Liebe und des Friedens, wo alle ein Herz und eine Seele waren, begann sich schon damals in das Gegenteil zu verwandeln. Und was erblickt das Auge heute? Ein Schauspiel der traurigsten Uneinigkeit und der Zersplitterung in unzählige Parteien, die einander bekämpfen und aufreiben. Die Wahrheit ist entstellt, und Sünden aller Art haben da ihren Einzug gehalten, wo einst Reinheit und Trennung von dem Bösen herrschten. Mordtaten, Ehebruch, Hurerei, Habsucht, Diebstähle, Götzendienst, ja fast alle Laster und Ausschweifungen des Heidentums sind an der Tagesordnung. Und immer weiter wuchert das Unkraut, und immer düsterer gestaltet sich das Gemälde, bis schließlich der Feind seinem Werk die Krone dadurch aufsetzen wird, dass er den Sohn des Verderbens, den „Menschen der Sünde“, einführt. Welch schreckliche Folgen hat die Verbindung der Söhne des Bösen mit den Söhnen des Reiches erzeugt!
Wie sehr auch die Gläubigen sich anstrengen mögen, persönlich ihren himmlischen Charakter zu bewahren, so vermögen sie doch nichts an dem Zustand des Reiches zu ändern, indem das Boje, einmal eingeführt in seine Mitte, nach der Natur der Sache die Oberhand haben muss. Das führt uns jedoch zu einem anderen höchst wichtigen Grundsatz, zu dem der persönlichen Treue und Trennung von dem Bösen. Nichts kann nutzloser sein, als die Anstrengung, das Reich mittelst des Evangeliums zu seinem ursprünglichen Zustand der Reinheit zurückführen zu wollen, nachdem einmal das Böse in demselben Fuß gefasst hat. Wohl wird es einmal gereinigt werden, aber nicht durch die Predigt des Evangeliums, sondern durch das Gericht, welches der Herr am Ende durch seine Engel ausführen wird. „Der Sohn des Menschen wird seine Engel senden, und sie werden ans seinem Reich zusammenlesen alle Ärgernisse und die das Gesetzlose tun; und sie werden sie in den Feuerofen werfen: da wird sein das Weinen und das Zähneknirschen“ (V 41–42). Bis dahin wird und soll der jetzige Zustand des Reiches fortbestehen: „Lasst es beides zusammen wachsen bis zur Ernte.“
Die Reinigung des Reiches wird also bewirkt durch das Gericht und nicht durch das Evangelium; sie ist Sache des Herrn und nicht der Gläubigen. Alles, was diese in dem jetzigen Zustand der Dinge tun können, ist, dass sie sich selbst reinigen und fernhalten von „aller Art des Bösen“ (1. Thes 5,22). Den Zustand des Reiches können sie nicht ändern; aber sie sind verantwortlich, ihren himmlischen Charakter zu bewahren und die Grundsätze des Reiches zu verwirklichen, trotz des Verfalls desselben. Und dazu bedarf es einer persönlichen Treue und einer entschiedenen Trennung von dem Bösen; denn ohne dieses ist jenes unmöglich. Darum steht geschrieben: „Wenn sich nun jemand von diesen (den Gefäßen zur Unehre) reinigt, – d. h. sich von ihnen absondert – der wird ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu allem guten Werke bereitet. Die jugendlichen Lüste aber fliehe; strebe aber nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe, Frieden mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen“ (2. Tim 2,20).
Das ist der einfache, klare und bestimmte Weg, den jeder Gläubige inmitten des Verfalls zu gehen hat. Das, was er zu meiden, und das, was er zu tun hat, das, wovon er sich trennen, und das, womit er sich verbinden soll, wird ihm in diesen wenigen Worten klar vorgestellt. Er hat sich zu trennen von den Gefäßen zur Unehre, das heißt von solchen, die in offenbarer Ungerechtigkeit wandeln; und er muss sich verbinden mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen, das heißt mit solchen, die in Lauterkeit und Aufrichtigkeit nach dem Wort Gottes wandeln; er soll die jugendlichen Lüste fliehen und der Gerechtigkeit usw. nachstreben. Für die Befolgung dieser Vorschriften ist jeder Gläubige persönlich verantwortlich; nichts kann ihn von dieser Verantwortlichkeit entbinden. Außer diesem besteht für alle die gemeinsame Verantwortlichkeit, sich von dem Bösen zu trennen, die sich in den Worten ausgedrückt findet: „Tut den Bösen von euch selbst hinaus“ (1. Kor 5,13). Auch diese Verantwortlichkeit wird durch den allgemeinen Verfall nicht aufgehoben. Und alle, die persönlich treu sind, werden es auch gemeinsam sein. Auf diese Weise genießen sie das Vorrecht, den Charakter und die Grundsätze des Reiches inmitten des Verfalls zu verwirklichen. Ohne Zweifel werden sie vieles durch das sie umringende Böse zu leiden und zu tragen haben, besonders von solchen, die gegen besseres Wissen der Wahrheit widerstehen; nichtsdestoweniger aber sind sie „glückselig“ nach den Worten des Herrn in Matthäus 5,2–12 (Fortsetzung folgt).