Der Prophet Daniel und die Zeiten der Nationen
Daniel 12
Die Zeit der Drangsal und der treue Überrest
„Und in jener Zeit wird Michael aufstehen, der große Fürst, der für die Kinder deines Volkes steht; und es wird eine Zeit der Drangsal sein, wie sie nicht gewesen ist, seitdem eine Nation besteht bis zu jener Zeit. Und in jener Zeit wird dein Volk errettet werden, jeder, der im Buch geschrieben gefunden wird“ (12,1).
Bezugnehmend auf die am Ende des letzten Kapitels aufgeworfene Frage, ob das Ende des Königs des Nordens in Vers 45 das endgültige Gericht über die Assyrer darstellt, gibt der erste Vers dieses Kapitels Aufschluss. Die Worte „und zu jener Zeit wird Michael aufstehen“ beziehen sich auf die Zeitperiode, die in Daniel 11,36–45 beschrieben wird, denn auf sie folgt die Beschreibung: „...und es wird eine große Drangsal sein“ – die Zeit unaussprechlichen Leidens für die Juden im Land vor der Wiederkunft Christi. Dann wird gesagt: „Und zu jener Zeit wird dein Volk errettet werden.“ Wie wir aus der Schrift wissen, bezieht sich dies auf das Ende der Drangsalszeit, und demnach auf die Zeit nach der Vernichtung des Antichristen und des Assyrers. Dieser einleitende Vers enthält drei wichtige Dinge. Das erste ist das Verhalten Michaels. Wir haben in Daniel 10,21 gesehen, dass dieses hochgestellte Wesen nach göttlicher Vorsehung eine besondere Verbindung zu den Juden hatte. Daher wird er durch den Engel, als dieser zu Daniel spricht, „Michael, euer Fürst“ genannt. Was auch immer seine besondere Rolle bis zu dieser Zeitperiode gewesen ist, so sehen wir jetzt, dass er zu dem in Vers 1 angegebenen Zeitpunkt damit beginnt, aktiver zu handeln, indem er mit Macht für das ihm anvertraute Volk eingreift. Können wir irgendwie ableiten, was genau Michael tut, wenn über ihn geschrieben wird: „Und zu jener Zeit wird Michael aufstehen“? In Offenbarung 12 lesen wir: „Und es entstand ein Kampf in dem Himmel: Michael und seine Engel kämpften mit dem Drachen. Und der Drache kämpfte und seine Engel; und sie siegten nicht ob, auch wurde ihre Stätte nicht mehr in dem Himmel gefunden. Und es wurde geworfen der große Drache ... geworfen wurde er auf die Erde, und seine Engel wurden mit ihm hinabgeworfen.“ Darauf gab es einen lautstarken Ausbruch der Freude im Himmel, „denn hinabgeworfen ist der Verkläger unserer Brüder, der sie Tag und Nacht vor unserem Gott verklagte“ (Off 12,7–10). Zweifellos ist dies der Beginn der Handlungen des Erzengels, wenn er für Daniels Volk aufstehen wird.
Diese Schlussfolgerung wird durch die Tatsache gestützt, dass die Zeit unvergleichlicher Drangsal folgt, was sich mit dem deckt, was wir in der Offenbarung finden: „Wehe der Erde und dem Meer! Denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen und hat große Wut, da er weiß, dass er wenig Zeit hat“ (Off 12,12). Im nächsten Vers lesen wir: „Und als der Drache sah, dass er auf die Erde geworfen war, verfolgte er die Frau, die das männliche Kind [Christus] geboren hatte“ (Off 12,13). Auch ist in Bezug auf dieses Thema die Tatsache von Bedeutung, dass der Frau Kraft verliehen wird, um ihrem Feind zu entkommen, und „sie ernährt wird eine Zeit und Zeiten und eine halbe Zeit, fern von dem Angesicht der Schlange“, und dass der Drache zornig über die Frau wird, als er in seinem Versuch, sie zu vernichten, gehindert wird, „und [er] ging hin, Krieg zu führen mit den übrigen ihrer Nachkommen, die die Gebote Gottes halten und das Zeugnis Jesu haben“ (Off 12,14–17).
Wenn diese Deutung stimmt, ist der nächste Teil des Verses leicht zu verstehen. Es heißt: „Und es wird eine Zeit der Drangsal sein, dergleichen nicht gewesen ist, seitdem eine Nation besteht bis zu jener Zeit.“ Es gibt zwei weitere bemerkenswerte Hinweise auf eben diese Zeit der Not und der Drangsal. In Jeremia lesen wir: „Denn so spricht der HERR: Eine Stimme des Schreckens haben wir gehört; da ist Furcht und kein Friede. Fragt doch und seht, ob ein Mann gebiert? Warum sehe ich eines jeden Mannes Hände auf seinen Lenden, einer Gebärenden gleich, und jedes Angesicht in Blässe verwandelt? Wehe! Denn groß ist jener Tag, ohnegleichen, und es ist eine Zeit der Drangsal für Jakob; doch wird er aus ihr gerettet werden“ (Jer 30,5–7). Der nächste Vers beschreibt seine Rettung durch den Herrn selbst, genau wie in Daniel die Drangsalszeit von eine Rettung gefolgt wird. Unser Herr hat zudem folgendermaßen von dieser Zeitperiode gesprochen: „Denn dann wird große Drangsal sein, dergleichen von Anfang der Welt bis jetzthin nicht gewesen ist, noch je sein wird. Und wenn jene Tage nicht verkürzt würden, so würde kein Fleisch gerettet werden; aber um der Auserwählten willen werden jene Tage verkürzt werden“ (Mt 24,21–22). Um jeglicher Möglichkeit eines Irrtums bezüglich dieser Drangsalszeit vorzubeugen, verbindet der Herr sie ausdrücklich mit der Aufrichtung des „Gräuel der Verwüstung, von dem durch Daniel, den Propheten, geredet ist ... an heiligem Ort“ (Mt 24,15). Wir erinnern uns daran, was über die siebzigste Woche in Daniel 9 gesagt wird, nämlich dass dieses Ereignis in der Mitte dieser Woche stattfinden wird. Diese Zeit der Drangsal ist demnach die letzte Hälfte – die „Zeit und Zeiten“ aus Daniel 7,25, die „eine Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit“ aus Vers 7 dieses Kapitels, und die 1.260 Tage bzw. 42 Monate aus der Offenbarung. Satan ist der Anstifter der Drangsal; doch seine Mitarbeiter, wie anderer Stelle sehen, werden die zwei großen Feinde des gläubigen Überrests unter den Juden sein, die zwei Tiere aus Offenbarung 13, sowie ihr Feind von außen, der Assyrer.
Doch während Satan die treibende Kraft hinter all der Drangsal ist, durch die das Volk Daniels wird gehen müssen, so muss doch im Gedächtnis behalten werden, dass Gott es als Stab seines Gerichts benutzt, um sein Volk für ihre krönende Sünde der Verwerfung ihres Messias zu strafen. Nachdem das Volk nach der babylonischen Gefangenschaft wieder in seinem Land zusammengeführt wurde, kam Christus in der Fülle der Zeiten, in Bethlehem geboren, nach der Vorhersage ihrer Propheten. Sein Vorläufer, Johannes der Täufer, kündigte seine Ankunft an; doch als Er in das Seine kam, nahmen die Seinen Ihn nicht an, sie lehnten Ihn ab und verwarfen Ihn, indem sie sogar so weit gingen zu sagen: „Wir haben keinen König, als nur den Kaiser.“ Auch nahmen sie die Schuld seines Todes auf sich, indem sie riefen: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“ Gott konnte nicht anders, als die schuldige Nation zu züchtigen, und diese „Zeit der Drangsal“ ist die Zeit, während der sein Stab, ungeachtet der Werkzeuge, in aufeinanderfolgenden und immer härter werdenden Schlägen niedergehen wird, bis „bis der Zorn vollendet ist“ (11,36).
Doch in der Mitte des Zorns wird Er Barmherzigkeit zeigen, denn wenn diese Tage nicht (wie wir gesehen haben) verkürzt würden, würde kein Fleisch gerettet werden. Doch um der Auserwählten willen werden diese Tage verkürzt werden. Dementsprechend lesen wir am Ende von Vers 1: „Und in jener Zeit wird dein Volk errettet werden, jeder, der im Buch geschrieben gefunden wird.“ Die Zeit, auf die sich hier bezogen wird, ist natürlich das Ende der „Zeit der Drangsal“. Wie wir tatsächlich aus anderen Propheten wissen, wird dies in dem Augenblick sein, wenn es scheinen wird, als sei alle Hoffnung verloren. Genau dann, wenn der Kiefer des brüllenden Löwen im Begriff steht, seine Beute zu zerschmettern – dann wird der Herr plötzlich zur Hilfe und Rettung seines armen und bedrängten Volkes erscheinen (siehe Sach 12–14; Jes 25,26, etc.).
Es ist interessant, dass hier eine Unterscheidung zwischen der Masse des Volkes und dem auserwählten Überrest gemacht wird. Es werden nicht alle befreit werden, sondern „jeder, der im Buch geschrieben gefunden wird“. Daher wird sehr deutlich, dass Gott seine Auserwählten unter seinem irdischen Volk hat, genau wie sein himmlisches Volk der Gegenstand seiner ewigen Auserwählung in Christus ist. Es wird auch in Offenbarung erwähnt, wo wir nach der Beschreibung des gotteslästerlichen Verhaltens des ersten Tieres lesen: „Und alle, die auf der Erde wohnen, werden es anbeten, jeder, dessen Name nicht geschrieben ist in dem Buch des Lebens des geschlachteten Lammes von Grundlegung der Welt an“ (Off 13,8). Gott hatte also bereits von Grundlegung der Welt an – nicht vor Grundlegung der Welt, wie die himmlischen Heiligen nach Epheser 1,4 – seinen Überrest auserwählt, der seine Auserwählung beweisen würde, indem er sich weigert, das Bild des Tieres anzubeten (vgl. 1. Thes 1,4–5). Von diesen sagt der Engel, dass sie gerettet werden sollen. Einige werden in der Tat ihre Treue mit dem Märtyrertod besiegeln – doch sie werden eine umso größere Errettung erlangen, denn sie werden den himmlischen Segnungen vorbehalten sein und in der ersten Auferstehung teilhaben. Doch ob sie sterben oder, wie die 144.000 auf dem Berg Zion, durch die Drangsalszeit hindurchkommen werden, so werden alle gleichermaßen aus der Hand ihrer Feinde durch die Treue und Macht ihres Gottes gerettet werden.
Gott sammelt sein Volk
„Und viele von denen, die im Staub der Erde schlafen, werden erwachen: diese zu ewigem Leben und jene zur Schande, zu ewigem Abscheu“ (12,2).
Der nächste Vers ist leichter zu verstehen. Man muss bedenken, dass während der „Zeit der Drangsal“ nur zwei Stämme im Land sein werden: Juda und Benjamin. Die übrigen zehn Stämme werden, wie heute auch, unter die Völker verstreut sein – und auf diese bezieht sich dieser Vers. Nachdem der Herr erschienen und dem treuen Überrest in Juda und Jerusalem zur Hilfe gekommen ist (Sach 12), wird Er seinen Thron auf dem Berg Zion aufrichten, und von da an wird Er sein verlorenes Volk wiederherstellen, wie wir im Propheten Hesekiel lesen: „Und ich werde euch herausführen aus den Völkern und euch aus den Ländern sammeln, in die ihr zerstreut worden seid ... Und ich werde euch in die Wüste der Völker bringen und dort mit euch rechten von Angesicht zu Angesicht ... Und ich werde die Empörer und die von mir Abgefallenen von euch ausscheiden ... Und ihr werdet wissen, dass ich der HERR bin, wenn ich euch in das Land Israel bringe, in das Land, das euren Vätern zu geben ich meine Hand erhoben habe“ (Hes 20,33–42).
Dieser Abschnitt bezieht sich auf ganz Israel – das heißt auf die zehn Stämme, die von den Juden unterschieden werden (den zwei Stämmen). Wenn man genau liest, erkennt man, dass er von zwei Gruppen spricht – eine, die zum Segen in das Land zurückgebracht wird, und eine andere, die in der Wüste gerichtet werden wird. Von diesen beiden Gruppen spricht Vers 2. Beide werden gleichermaßen als im Staub der Erde schlafend betrachtet, während sie unter den Völkern verstreut sind, doch wenn der Herr „seine Engel aussenden [wird] mit starkem Posaunenschall“, um „seine Auserwählten [zu] versammeln von den vier Winden her, von dem einen Ende der Himmel bis zu ihrem anderen Ende“ (Mt 24,31), werden sie alle erwachen. Einige, wie wir hier lesen, zum ewigen Leben, und einige zur Schande und ewiger Abscheu. Der gleiche Unterschied findet sich in dem Gericht über die lebenden Völker, von denen einige in die ewige Strafe eingehen und einige in das ewige Leben (Mt 25,31). Diese letzte Schriftstelle ist wichtig, da sie zeigt, dass die Heiligen während des 1000-jährigen Reiches ewiges Leben genießen werden, wenn dieses auch nicht denselben Charakter haben wird wie das, das die Christen besitzen, yet according to the revelation God will make of Himself to His people of that dispensation. Es wird das „Leben bis in Ewigkeit“ sein, von dem David in Psalm 133 spricht, welches den Segen des 1000-jährigen Reiches kennzeichnen wird.
Einige könnten sich jedoch fragen, ob Vers 2 nicht viel eher von der Auferstehung spricht. Zwei Überlegungen werden, wie wir meinen, zeigen, dass dies nicht der Fall ist und die hier gegebene Auslegung mit der Lehre der Schrift übereinstimmt. Zunächst wird das Bild des „Erwachens“ im Alten Testament durchgehend in moralischer Weise verwendet (siehe Jes 51,17; 52,1, usw.). Selbst im Neuen Testament wird es auf sehr auffällige Weise verwendet. Der Apostel schreibt beispielsweise in seinem Brief an die Epheser: „Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, und der Christus wird dir leuchten!“ (Eph 5,14). Niemand würde den sinnbildlichen Charakter dieses Verses bezweifeln. Zweitens benutzt der Prophet Hesekiel das Bild der Auferstehung eindeutig im Sinne einer nationalen Belebung. Wir sagen „eindeutig“, weil die vom Propheten selbst gegebene Deutung ohne Frage zeigt, was damit gemeint ist (Hes 37,1–14).
Was wir daher sehen, ist dass Gott auf besondere und außergewöhnliche Weise sein zerstreutes Volk aus der Lethargie wecken wird, in das es gefallen ist, und in ihren Herzen die Erwartung der Erfüllung der prophetischen Verheißungen in Bezug auf ihre Wiederherstellung und ihren Segen unter ihrem Messias wieder neu entfachen wird. Doch zusammen mit der dem Wieder-Erwachen ihrer Hoffnungen als Volk, wird Gott die Rebellen unter ihnen in Vorbereitung auf die Wiederherstellung des Volkes herausfiltern, sodass es buchstäblich wahr sein wird, dass einige zum ewigen Leben erwachen werden und andere zur Schande und zu ewigem Abscheu.
„Und die Verständigen werden leuchten wie der Glanz der Himmelsfeste, und die, welche die Vielen zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne, immer und ewig“ (12,3).
Der dritte Vers spricht nach unserem Verständnis von der Gruppe, die im vorherigen Kapitel erwähnt wurde (11,33), nur dass es hier sein könnte, dass sie nochmals in zwei Gruppen unterteilt wird – die Verständigen und die, die die Vielen zur Gerechtigkeit weisen oder (wie einige es übersetzen) die die Vielen in der Gerechtigkeit unterweisen. Nach dieser Übersetzung finden wir erneut einen Hinweis auf die tatkräftigen Zeugen, die Gott inmitten der Juden während der letzten halben Woche erhalten hat, während die Macht Satans sich ungehindert offenbart. Selbst dann wird es solche geben, von Gott auserwählt und erhalten, unerschrocken durch die Schrecknisse der Zeit, die mutig die Autorität des Wortes Gottes festhalten und unermüdlich versuchen werden, „die Vielen“ unter seinen Einfluss und seine Macht zu bringen. Doch wie stark auch ihre Leiden oder sogar ihr Märtyrertum aufgrund ihres Zeugnisses sein werden, ihr Dienst wird anerkannt werden, und sie werden eine besondere Stellung erhalten. Nachdem die Verständigen Einsicht in die Gedanken Gottes erlangt haben und mit göttlicher Weisheit ausgestattet wurden, werden sie leuchten wie der Glanz der Himmelsfeste. Sie werden eine herausragende Stellung erhalten und das besondere Wohlgefallen Gottes genießen. Die, die die Vielen zur Gerechtigkeit weisen, werden leuchten wie die Sterne, immer und ewiglich, ihnen wird während des Reiches ein Platz der Autorität und des Leuchtens zugewiesen werden (vgl. Lk 19,15–19).
Versiegelt bis zur Zeit des Endes
Die Offenbarung des himmlischen Boten ist nun zu Ende, und Daniel empfängt den Auftrag:
„Und du, Daniel, verschließe die Worte und versiegle das Buch bis zur Zeit des Endes. Viele werden es durchforschen, und die Erkenntnis wird sich mehren“ (12,4).
Es wurde oft bemerkt, dass Johannes im Gegensatz zu dem, was Daniel aufgetragen wird, am Schluss der Offenbarung angewiesen wird, die „Worte der Weissagung dieses Buches“ nicht zu versiegeln, mit der Begründung, dass die „Zeit ... nahe“ ist (Off 22,10). Dies erklärt den Unterschied zwischen den von Daniel und Johannes eingenommenen Stellungen – für Daniel war die Zeit noch nicht nahe, daher sollte dieses Buch bis zur Zeit des Endes versiegelt werden. Man könnte fragen, wie es sein kann, dass wir die Mittel zum Verständnis dessen haben, was doch „bis zur Zeit des Endes“ versiegelt werden sollte. Die Antwort ist, dass diese Zeit für die Christen gekommen ist. Paulus spricht von den „letzten Tagen“ und Johannes von der „letzten Stunde“ (2. Tim 3,1; 1. Joh 2,18). Der Tod Christi, der in der „Fülle der Zeit“ stattfand, leitete die Zeit des Endes ein. Daher ist für die Christen, die den Heiligen Geist besitzen, nichts versiegelt (Joh 16,13; 1. Joh 2,20). Da nun durch den Geist Gottes die „Zeit des Endes“ gekommen ist, ist das Buch Daniels entsiegelt, und wenn wir das darin Mitgeteilte nicht verstehen, dann sind wir entweder nicht in der richtigen Herzenshaltung, um ein geöffnetes Ohr und völlige Unterwerfung unter das Wort Gottes zu erlangen (siehe Jes 50,4–5), oder wir haben dem Offenbarten nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt.
Die Aussage, dass viele es durchforschen und die Erkenntnis sich mehren wird, scheint die Kennzeichen der Zeit von den Tagen Daniels bis zur „Zeit des Endes“ zu beschreiben. Wie sehr trifft es auf den heutigen Tag zu. Bis der Herr kommt, wird es sich immer mehr und mehr bewahrheiten.
Die Verständigen werden es verstehen
Von Vers 5 an finden wir die Wirkung der prophetischen Gesichte auf Daniel. Er befindet sich noch immer am Fluss Hiddekel und sagt:
„Und ich, Daniel, sah: Und siehe, zwei andere standen da, einer hier am Ufer des Stromes und einer dort am Ufer des Stromes. Und einer sprach zu dem in Leinen gekleideten Mann, der oben über dem Wasser des Stromes war: Wie lange wird das Ende dieser wunderbaren Dinge dauern? Und ich hörte den in Leinen gekleideten Mann, der oben über dem Wasser des Stromes war, und er erhob seine Rechte und seine Linke zum Himmel und schwor bei dem, der ewig lebt: Eine Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit. Und wenn die Zerschmetterung der Kraft des heiligen Volkes vollbracht sein wird, dann werden alle diese Dinge vollendet sein“ (12,5–7).
Die Antwort erklärt die Frage. Der in Leinen gekleidete Mann „erhob seine Rechte und seine Linke zum Himmel und schwor bei dem, der ewig lebt: Eine Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit. Und wenn die Zerschmetterung der Kraft des heiligen Volkes vollbracht sein wird, dann werden alle diese Dinge vollendet sein.“ Aus der Einleitung der uns bekannten Zeitepoche, „eine Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit“, d. h. der letzten Hälfte der Woche, entnehmen wir, dass die gestellte Frage sich auf die Dauer der „Zeit der Drangsal“ bezieht, die in Vers 1 erwähnt wird. Die Antwort ist, dass sie auf dreieinhalb Jahre bzw. 1.260 Tage begrenzt ist. Der zweite Teil der Antwort sagt auch aus, dass alle diese Dinge zu Ende sein werden, wenn Gott sein zerstreutes Volk wieder gesammelt haben und so seine Ziele mit ihrer Zerstreuung erfüllt haben wird1. Zwei Dinge werden dann offenbart: Dass die Zeit der Drangsal nicht länger als eine halbe Woche dauern wird, und dass Gott am Ende davon, nachdem Er seinem Volk bereits wieder in das Land geholfen hat, sein verstoßenes Volk von allen vier Enden der Erde versammeln wird, in das es zerstreut worden ist. Diese beiden Dingen werden durch einen göttlichen Schwur bestätigt – einen der beiden unveränderlichen Dinge, in denen es Gott unmöglich ist zu lügen, denn wenn man diese Stelle mit Off 10,5–7 vergleicht, kommt man sicherlich zu der Schlussfolgerung, dass der, der diesen Schwur ablegt, mehr als ein Mensch ist.
„Und ich hörte es, aber ich verstand es nicht; und ich sprach: Mein Herr, was wird das Ende davon sein? Und er sprach: Geh hin, Daniel; denn die Worte sollen verschlossen und versiegelt sein bis zur Zeit des Endes“ (12,8–9).
Daniel hört es und versteht es nicht, daher fragt er: „Was wird das Ende davon sein?“ Er wird daran erinnert, dass die Worte „verschlossen und versiegelt sein“ sollen „bis zur Zeit des Endes“. Dann wird weiter mitgeteilt:
„Viele werden sich reinigen und weiß machen und läutern, aber die Gottlosen werden gottlos handeln; und alle Gottlosen werden es nicht verstehen, die Verständigen aber werden es verstehen“ (12,10).
Es ist offensichtlich, dass sich dies noch immer auf die „Zeit der Drangsal“ in der letzten halben Woche bezieht. Wir lernen, dass der Herr die Sorgen und Nöte dieser Zeit als eine nützliche Erziehung für die einsetzen wird, die auf Ihn warten – seinen treuen Überrest inmitten der Bosheit und des Abfalls, von dem er umringt sein wird. Wie schlimm auch ihre Leiden sein werden, „viele werden sich reinigen und weiß machen und läutern“. Nach diesem Prinzip handelt Gott immer, selbst wenn uns der Apostel lehrt, dass Gott und züchtigt, „zum Nutzen, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden“ (Heb 12,10). Doch wenn Gott sein Volk von ihrer Schlacke reinigt, werden die Gottlosen (unserer Ansicht nach die Gottlosen unter den Juden) „gottlos handeln“. Sie werden unter der Führung des Antichristen mit erhobener Hand sündigen, alle Zurückhaltung ablegen und offen ihre Abtrünnigkeit erklären.
Der letzte Teil des Verses bezieht sich auf Vers 8, wo Daniel sagt, dass er es nicht verstand. Wir finden darin ein Prinzip von äußerster Wichtigkeit. Es zeigt uns die unumgängliche Bedingung zum Verständnis göttlicher Dinge, wie sie in Gottes Wort offenbart werden. Es heißt: „Und alle Gottlosen werden es nicht verstehen, die Verständigen aber werden es verstehen.“ Es mag die klarsten Zeugnisse geben, doch wenn das Herz von Gott entfremdet und in Bosheit verstrickt ist, wird es sie nicht verstehen. Das, was für das Volk Gottes reinstes Licht ist, ist für die Sünder aus den Nationen tiefste Finsternis. Nur der Verständige wird es verstehen – es sollte nie vergessen werden, dass die Furcht des Herrn der Anfang der Weisheit ist, und dass Christus in der heutigen Zeit die einzige Weisheit für sein Volk ist. Es wäre gut gewesen, wenn man dies beachtet hätte, besonders jetzt, wo die Schriften der Wahrheit immer wieder heftig von Gelehrten und Intellektuellen angegriffen werden. „So weiß auch niemand, was in Gott ist, als nur der Geist Gottes.“ Und weiter: „Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird“ (1. Kor 2,11–14). Es kann daher in jedem Zeitalter niemand Einblick in die Gedanken Gottes erlangen als nur die Verständigen, wie klar sie auch in seinem Wort offenbart sind.
Die Berechnung der Tage
„Und von der Zeit an, da das beständige Opfer abgeschafft wird, und zwar um den verwüstenden Gräuel aufzustellen, sind 1290 Tage“ (12,11).
Auf der Grundlage dieses Prinzips ergeht die Antwort auf Daniels Frage nach dem Ende davon, indem der „in Leinen gekleidete Mann“ dem Propheten weitere Offenbarungen kundtut. Er teilt ihm nun auf ausdrucksstarke Weise mit: „Und von der Zeit an, da das beständige Opfer abgeschafft wird, und zwar um den verwüstenden Gräuel aufzustellen, sind 1.290 Tage.“ Diese Stelle zitiert der Herr in Matthäus 24, wo es sich auf die Aufrichtung des Gräuels der Verwüstung bezieht. Aus Daniel 9,27 wissen wir, dass diese Dinge in der Mitte der siebzigsten Woche geschehen werden. Wenn dies berücksichtigt wird, bleiben nur 1.260 Tage für diese prophetischen Wochen, um ihren Lauf zu nehmen. Doch hier finden wir, dass 40 zusätzlich Tage genannt werden. Was ist der Grund dafür? Es kann hierzu nichts Definitives gesagt werden. Es wird lediglich aus vielen Stellen aus diesem Buch und aus der Offenbarung klar, dass die 1.260 Tage die Dauer der „Zeit der Drangsal“ angeben, die mit der Erscheinung Christi enden wird. Bei seinem Kommen in Herrlichkeit werden der falsche Prophet und das Tier lebendig in den Feuersee geworfen (Off 19), und Er wird hinausgehen und gegen die Völker kämpfen, die zu dieser Zeit Jerusalem belagern werden. Es gibt daher einige Ereignisse, die in Vorbereitung auf die Aufrichtung des Thrones des Messias in Zion dem Ende dieser letzten halben Woche folgen werden – möglicherweise ist dies der Grund für die zusätzlichen 30 Tage.
In Vers 12 finden wir jedoch weitere 45 Tage:
„Glückselig der, der ausharrt und 1335 Tage erreicht!“ (12,12).
Allein die Art und Weise, in der diese zusätzliche Periode eingeführt wird, deutet eindeutig auf die vollkommene Aufrichtung des Segensreiches hin. Wir möchten hier die Worte eines bekannten Erforschers der Schriften zitieren: „Ich denke, dass folgende Rechnung daraus hervorgehen könnte: Ein Zwischenmonat zusätzlich zu den 1.260 Tagen bzw. dreieinhalb Jahren, und dann 45 Tage, wenn es sich um kirchliche Jahre handelt, bis zum Laubhüttenfest – aber ich erlaube mir kein Urteil darüber. In jeden Fall wird die Aussage klar werden, wenn das Heiligtum Gottes in Jerusalem gereinigt sein wird.“2
Wenn man 4. Mose 23 liest, wird die Bemerkung in Bezug auf das Laubhüttenfest verständlich, da man sieht, dass es der letzte Zyklus des Festes ist – ein Fest, mit dem man die Ruhe Israels und den Besitz des Landes nach der Wanderung durch die Wüste feiern sollte; ein Fest, das daher nach der Lehre aus Hebräer 3 und 4 noch nicht vollständig erfüllt ist. Es wartet noch auf seine Erfüllung nach den Gedanken Gottes, bis der wahre Salomo, nachdem er, wie der wahre David, an seinen Feinden das Gericht vollzogen hat, seinem Volk Ruhe verschaffen wird, wenn es mit Wonne Wasser schöpfen wird aus den Quellen der Rettung (Jes 12,3; vgl. Joh 7,37).
Doch Daniel geht auf diese Szene der Freude des 1000-jährigen Reiches nicht ein. Er beschäftigt sich mit den Zeiten der Nationen bis zur Befreiung seines Volkes. Es war anderen Propheten vorbehalten, über die Aufrichtung des Reiches und die Segnungen der messianischen Regierung zu sprechen.3
Das Ende Daniels
Nun wird das Buch des Propheten mit einer letzten Aussage beendet. Sein Werk als Gefäß göttlicher Gedanken bis zu den Zeiten der Nationen und der Befreiung seines Volkes ist vollendet, und er wird nun gebeten, sich aus der Szene zurückzuziehen:
„Du aber geh hin bis zum Ende; und du wirst ruhen und wirst auferstehen zu deinem Los am Ende der Tage“ (12,13).
Auf die Vollendung seiner Dienste sollte Ruhe folgen, und er würde am Ende der Tage seinen eigenen, besonderen Platz im Königreich haben. Unser Herr selbst sagte: „Ich sage euch aber, dass viele von Osten und Westen kommen und mit Abraham und Isaak und Jakob zu Tisch liegen werden in dem Reich der Himmel“ (Mt 8,11) – Daniel wird an den Herrlichkeiten dieses Tages teilhaben. Nachdem nun der Geist dieses gerechten Mannes vollendet ist, wird er an der ersten Auferstehung teilhaben. Er wird mit allen auferstandenen Heiligen mit Christus in der Herrlichkeit wiederkommen, sein Los empfangen und den besonderen Platz einnehmen, der ihm im Königreich dessen zugewiesen wurde, den er in den nächtlichen Gesichten als den Sohn des Menschen gesehen hatte, der auf den Wolken des Himmels kommen wird.
Fußnoten
- 1 Wir verstehen es so, dass dies die „Kraft“ in diesem etwas schwer verständlichen Satz ist.
- 2 Aus Daniel 9,24 wird klar, dass die Zeitperiode die Salbung des Allerheiligsten einbezieht. Wenn daher die dreieinhalb Jahre, 1.260 Tage, die Dauer der Drangsalszeit festlegen, könnte es eine weitere Periode zur Einführung in das Segensreich geben, die damit angegeben wird.
- 3 Es ist bemerkenswert, wie wenige Stellen die eigentlichen Segnungen der Regierung Christi behandeln. Von den Psalmen sprechen z. B. nur Psalm 72 und 145 davon. Deutlich mehr beschäftigen sich mit seinem Kommen und der Freude seines Volkes bei seiner Annahme, doch kurz vor dem 1000-jährigen Reich selbst stoppen sie. Auch Jesaja, der am häufigsten prophetisch auf die kommende Herrlichkeit der Herrschaft Immanuels anspielt, geht nicht viel weiter.