Kommentar zum Jakobusbrief
Kapitel 5
Die Verse 1–6 richten sich an die Reichen, und zweifellos besonders an solche, die für sich beanspruchen, Gott zu kennen. Ihnen wird gesagt, dass sie über das Elend, das über sie kommen wird, weinen und heulen sollen – ein Gegensatz zu ihrem derzeitigen Luxusleben. Wie vergänglich und leer sind irdische Reichtümer! Gott sieht sie als verdorben, verfault und schnell am Ende, und die Kleider des Wohlstands als von Motten zerfressen – nicht etwa durch Gebrauch, sondern vom unbenutzten Hängen im Kleiderschrank.
Die Sprache ist hier scharf kritisierend. Wenn von Gold und Silber die Rede ist, die verrosten, ist damit natürlich die geistliche Bedeutung der Dinge gemeint, von denen er spricht: von Wohlstand, der einfach angehäuft wird, ohne daran zu denken, ihn für die Bedürfnisse anderer zu verwenden. Das ist so ähnlich wie bei dem bösen Knecht, der das Pfund, das ihm sein Herr gegeben hatte, nur verwahrte, anstatt es zu gebrauchen. Ein Schatz, der nur aufgehäuft wird, legt am Tag der Abrechnung nur Zeugnis gegen seinen Besitzer ab. Und das wäre ein verzehrendes Feuer für den fleischlichen Luxus.
In Vers 4 wird den Reichen vorgeworfen, ihre Arbeiter unterdrückt zu haben, die doch letztendlich zur Vermehrung des Reichtums ihrer Arbeitgeber beigetragen haben, denen aber kein gerechter Lohn gegeben wurde. Gott hört das Geschrei solcher. Die Reichen leben vergnügt auf Kosten ihrer Arbeiter. Sie erfüllen sich jeden eigennützigen Wunsch. Sie nähren nicht ihr geistliches Leben, sondern nur die Begierden ihrer Herzen. Wie Nabal, der zur Zeit der Schafschur satt und betrunken in seinem Haus war (1. Sam 25,36). Andere leiden und werden getötet, während die Reichen sich jeden Luxus leisten. Und „der Gerechte“ leistet ihnen keinen Widerstand, so wie ein Schaf vor der Schlachtung.
Die Welt ist geradezu voll von solcher Ungerechtigkeit. Christen sollten sich in dieser Weise nicht schuldig machen. Wenn jemand reich ist an irdischen Gütern, soll er auch reich sein an guten Werken, indem er willig abgibt und mit anderen teilt, was er hat, mit der ehrlichen Absicht, Gott in der Verwendung seines Überflusses zu gefallen (1. Tim 6,17–19).
Beginnend mit Vers 7 sehen wir, welche Haltung ein Gläubiger angesichts solcher Missstände einnehmen soll. Wird er unterdrückt, soll er nicht streiten oder das einfordern, was er als rechtmäßig empfindet. Er soll geduldig sein. Wie lange? Bis der Herr kommt! Das ist die einzig wahre Hoffnung eines Kindes Gottes. Es ist vergeblich, darauf zu hoffen, dass Menschen freiwillig die Unterdrückung aufgeben, es sei denn, sie kommen aufrichtig zu Gott. Ein Christ kann jedoch lernen, Unterdrückung zu ertragen, wenn er sich an der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes erfreut.
Der Bauer erwartet keinen Ertrag, bevor die Saat keimt und langsam wächst. Gott nimmt diese lange Wartezeit als ein Bild für die lange Zeit der Geduld, die Er mit uns hat, bis wir schließlich die Frucht hervorbringen, die Er sucht. Auch wir sollten diese geduldige Haltung haben. Gott ist es, der den Regen gibt, früher oder später – zu der Zeit, wo er gebraucht wird, um das Werk seiner Gnade zur Reife zu bringen. Wir können diesen Vorgang nicht beschleunigen oder verzögern. Deshalb ist es nur klug, wenn wir im Glauben und mit Geduld handeln. Das führt zu wahrer Festigkeit der Herzen, zu einem gesunden, zuverlässigen Charakter. Dazu werden wir ermahnt, denn die Ankunft des Herrn ist nahe gekommen.
Es bestand nicht nur die Gefahr, sich gegen die Unterdrückung der Reichen zu wehren, sondern es gibt auch die Gefahr, einen Geist der Beschwerde gegeneinander zu hegen. Das bedeutet jedoch, den Platz eines Richters einzunehmen. Der einzig wahre Richter steht bereit, um alles Falsche zu richten, und es könnte sein, dass wir uns aufgrund unseres Richtens selbst dem Gericht ausgesetzt haben. Damit ist natürlich nicht das Gericht in der Ewigkeit gemeint, sondern im Hier und Jetzt.
Wir brauchen Geduld in jeder Hinsicht. In Vers 10 wird Bezug genommen auf die Propheten der Vergangenheit, die im Namen des Herrn geredet haben. Fast alle von ihnen wurden verfolgt und bedrängt. Ihre Geduld im Ertragen dieser Umstände ist beispielhaft für uns.
Wahres Glück findet man nicht in günstigen Umständen, sondern im geduldigen Ertragen von Widrigkeiten. Das Ausharren Hiobs wird uns hier als Beispiel vorgestellt. Sein Leiden wurde nicht in erster Linie von Menschen verursacht, sondern von widrigen Umständen, obwohl Menschen diese noch zusätzlich verstärkten. Einige verachteten ihn, nur weil er niedergeschlagen war, andere (seine Freunde) klagten ihn ungerechterweise an. Hiobs Geduld war anfangs vorbildlicher als später, als er sich bitterlich beschwerte. Dennoch harrte er aus, bis Gott ihm „das Ende des Herrn“ zeigte, d. h. das Ziel, was der Herr damit verfolgte, dass Er all diese Bedrängnis zuließ. Am Ende erwies sich, dass der Herr barmherzig und voll innigen Mitgefühls ist. So wird es immer sein.
„Vor allem aber, meine Brüder, schwört nicht.“ Vielleicht finden wir es merkwürdig, dass das Schwören so negativ betont wird, aber hierbei handelt es sich um einen wesentlichen Gegensatz zwischen der Lehre des Alten und des Neuen Testamentes. Die Haushaltung des Gesetzes stellte unter Beweis, dass der Mensch sündig und unzuverlässig ist. In einem System, wo Schwüre und Gelübde erlaubt waren, erwies sich, dass der Mensch selbst keine Kraft hatte, diese einzuhalten. Aus diesem Grund verbot der Herr Jesus diese Dinge in Mt 5,33–37 eindringlich. Tatsächlich hat nur Gott das Recht, bei dem Himmel oder bei der Erde oder bei irgendetwas anderem zu schwören, denn Er hat dies alles geschaffen. Wir sollten deshalb den Platz von Geschöpfen einnehmen und unsere Schwachheit anerkennen. Unseren Worten mit einem Schwur mehr Gewicht zu verleihen, ist ein Zeichen ungeziemenden Stolzes und bringt uns in Gefahr, unter unmittelbares Gericht zu fallen.
Nun gibt Jakobus einfache Ratschläge für das tägliche Leben. Leidet jemand Trübsal, er bete. Das Gebet an sich ist eine Quelle des Trostes, denn bei einem einfachen, ungekünstelten Gebet erleben wir Gottes Gegenwart. Ist jemand ganz erfüllt von Freude? Dann ist das Singen von „Psalmen“ eine wunderbare Möglichkeit, dieser Freude Ausdruck zu verleihen.
Ist jemand krank, so soll er die Ältesten der Versammlung zu sich rufen, dass sie über ihm beten und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben. Wir dürfen nicht vergessen, dass dieser Brief an Israeliten geschrieben wurde, als die derzeitige Haushaltung der Gnade eingeführt wurde und in jeder Versammlung durch die Apostel Älteste ernannt wurden (Apg 14,23). Nachdem die Kirche etabliert war, war die Ernennung von Ältesten nicht weiter vorgesehen, und so werden sie heute nicht definitiv als solche benannt. Natürlich gibt es zweifellos Männer mit Charaktereigenschaften, die sie zu wahren Ältesten machen, obwohl ihnen dieses Amt nicht verliehen wurde. Was das Salben mit Öl angeht, so maßen die Israeliten diesem eine besondere Bedeutung zu, wie im Fall des geheilten Aussätzigen (3. Mo 14,16–18).
Es scheint deshalb sehr klar zu sein, dass sich diese Belehrungen im Buch Jakobus speziell an die jüdischen Gläubigen der frühen Kirche richten. Sie sind wohl kein Verhaltensmuster für die Gläubigen der nachfolgenden Zeit bis zur heutigen Kirche. Johannes hingegen, der letzte Schreiber der Schrift, gibt auch Belehrungen hinsichtlich des Gebets für Kranke mit der Zusicherung, dass der Herr es erhören wird, wenn wir seinem Willen gemäß bitten. Er sagt jedoch nichts davon, die Ältesten zu rufen oder jemanden mit Öl zu salben. Und natürlich schreibt er an alle Gläubigen, die gesamte Familie Gottes, so dass seine Belehrungen vollständig für unsere Zeit gelten. Wir können viel von Gott erwarten, wenn wir abhängig und vertrauensvoll beten.
Wenn diesen frühen jüdischen Gläubigen gesagt wird, bei Krankheit die Ältesten der Versammlung zu rufen, die über ihnen beten und sie im Namen des Herrn mit Öl salben sollten, dann sehen wir doch, dass es das Gebet des Glaubens ist, das den Kranken rettet, und nicht die Salbung. Hier ist diese Rettung natürlich die Heilung eines Menschen von einer Krankheit. Wenn die Krankheit aus Sünden resultierte, die der Kranke begangen hatte, würden diese vergeben. Johannes jedoch sagt (1. Joh 5,12–15), dass es für eine „Sünde zum Tode“ keine Genesung gibt. Deshalb wäre es kein Glaube, in diesem Fall für Genesung zu bitten. Zweifellos ist in jedem Fall geistliches Unterscheidungsvermögen notwendig im Blick auf die Frage, ob wir im Glauben bitten können. Dieses Unterscheidungsvermögen erstreckt sich nicht nur auf die begangene Sünde, sondern auch die Umstände und die damit verbundenen Motive.
Deshalb ist es für Heilige wichtig, sich ihre Verfehlungen gegenseitig zu bekennen, weil dies Dinge sind, die Hilfe durch Gebet erfordern. Während die Heilung hier wohl in erster Linie die Genesung von Krankheit meint, ist geistliche Wiederherstellung sicherlich genauso notwendig. Für beides gilt: „Das inbrünstige Gebet eines Gerechten vermag viel.“ Was für ein Ansporn für ein Leben in praktischer Gerechtigkeit, und auch für unablässiges, ernsthaftes Gebet!
Das Beispiel Elias ist bemerkenswert. Seine Natur war nicht anders als unsere (auch er war entmutigt und beklagte sich), dennoch betete er im Glauben ernstlich, dass es nicht regnen möge. Das ist sicherlich ein sehr ungewöhnliches Gebet (das Gebet für Regen ist im Allgemeinen eher nachvollziehbar). Elia hatte jedoch den bösen Zustand seines Volkes erkannt, der drastische Maßnahmen verlangte. Zweifellos hatte Gott ihm dieses Gebet eingegeben, und danach hielt Er den Regen für dreieinhalb Jahre zurück.
Elia wartete diese ganze Zeit, bevor er darum bat, dass es wieder regnen möge. Wir dürfen nicht denken, dass die Macht nur in seinem Gebet lag. Es ist eher so, dass sein Gebet mit dem Wort Gottes übereinstimmte, in dem die eigentliche Macht liegt, wie Elia selbst sagt: „… dass ich nach deinem Wort dies alles getan habe“ (1. Kön 18,36). Ein Gebet in Abhängigkeit wird sowohl dazu führen, das wir das Wort Gottes verstehen, als auch den Wunsch hervorbringen, dass Gottes Wille ausgeführt wird. Bemerkenswert ist auch die lange Wartezeit, bevor das Gebet Segen brachte: „Die Erde brachte ihre Frucht hervor.“ Aufrichtiges Gebet ist nicht ungeduldig, sondern kann still auf Gott warten.
Der Brief endet so praktisch, wie er beginnt. Während Jakobus dringend dazu ermahnt hat, der Wahrheit Gottes zu gehorchen, stellt er nun die Tatsache vor, dass Gläubige sich solche Ermahnungen nicht immer zu Herzen nehmen. Wenn das der Fall ist und jemand von der Wahrheit abirrt, kann ein anderer ein gutes Werk an dieser Person tun. Mit der Wahrheit selbst kann jemand einem anderen helfen, wieder zurechtzukommen. Dieses Prinzip trifft immer zu, egal ob jemand gar nicht errettet ist oder ob er ein Gläubiger ist. Wenn wir durch Gnade einen Sünder von einem falschen Weg abbringen können, dann wird dies sowohl eine Seele vom Tod erretten als auch eine Menge von Sünden bedecken. Hier ist vom physischen Tod die Rede, wie in Hesekiel 18,4: „Die Seele, die sündigt, die soll sterben.“ Der Begriff „Seele“ wird hier für die Person verwendet und weniger für den inneren Teil des Menschen, der auch „Seele“ genannt wird (vergleiche auch 1. Pet 3,20). Wenn man in der Sünde verharrt, kann das zu einem vorzeitigen Grab führen, wie 1. Joh 5,16 uns zeigt. Wenn man einer Sünde nachgibt, zieht dies normalerweise Schlimmeres nach sich, „eine Menge von Sünden“. Der Herr möchte, dass die Seinen sich eifrig und von Herzen diesem guten Werk widmen: der Fürsorge für die Seelen und dem „Bedecken von Sünden“. Um diesen Worten die Kraft nicht zu nehmen, wird hier nichts mehr hinzugefügt, noch nicht einmal ein Schlusssatz.