Der erste Brief an die Thessalonicher

Kapitel 1

Der erste Brief an die Thessalonicher

Die Thessalonicher hatten, wie wir bereits bemerkten, erst vor kurzem das Heidentum verlassen, um im Glauben Christus zu erfassen. Es war daher von größter Wichtigkeit, die Beziehungen zu dem einen wahren Gott, den sie nun erkannt hatten, zu festigen. Der Apostel Paulus beginnt seinen Brief mit den Worten: „Paulus und Silvanus und Timotheus der Versammlung der Thessalonicher in Gott, dem Vater und dem Herrn Jesus Christus: Gnade euch und Friede!“ Er schreibt nicht an die Versammlung in Thessalonich, wie z. B. an die Versammlung in Korinth oder Ephesus. Er schreibt „an die Versammlung der Thessalonicher in Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“. In keinem seiner anderen Briefe drückt sich der Apostel auf diese Art aus. Das kennzeichnet seine Briefe an die Thessalonicher. Er betrachtet die Versammlung hier als eingepflanzt in Gott, dem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Sie steht in Beziehung zu Gott, dem Vater, und das charakterisiert ihren Glauben, der sich in einer so lebendigen Hoffnung kundtut. Die Gläubigen von Thessalonich kannten den Vater mit der Zuneigung von Kindem. Sie standen in Seiner Gemeinschaft. Sie hatten Freimütigkeit, sich Gott als ihrem Vater zu nahen; der Geist der Sohnschaft wohnte in ihnen; sie schmeckten die ersten Früchte der Freiheit, womit Christus sie freigemacht hatte.

Wie wichtig ist das auch für uns! Es waren keine gereiften Christen, diese Gläubigen in Thessalonich, sondern Kindlein in Christus. Kaum einige Monate bekehrt, waren sie sich doch dessen vollkommen bewusst, dass Gott ihr Vater war und dass sie Seine Kinder waren, und in diesem Bewusstsein hatten sie Gemeinschaft mit Ihm. So schreibt auch Johannes in seinem ersten Brief an die jungen Gläubigen in Christus: „Ich schreibe euch, Kindlein, weil ihr den Vater erkannt habt!“ Das ist etwas ganz anderes, als, wie oft gelehrt wird, dass die Erwartung der Wiederkunft des Herrn nur das Teil geförderter Christen sei. Wenn man Gott als Vater kennt und anruft und sich seiner Gotteskindschaft bewusst ist, empfindet man es als ein Vorrecht und ein unaussprechliches Glück, Christus aus den Himmeln zu erwarten.

Gleichwie ein Kind den Vaternamen ausspricht, so lehrt der Heilige Geist einen jeden, der an Jesus glaubt, „Abba, Vater“ sagen. Der Gläubige zeugt dadurch mit seinem Geist, dass er ein Kind Gottes geworden ist, auch wenn er erst später die volle Bedeutung dieses Namens und seiner Beziehungen zum Vater verstehen lernt. Der Bekehrte ruft Gott als seinen Vater an und fühlt sich in Seiner Gegenwart glücklich und wohlgeborgen.

Nach dieser kurzen Einleitung gibt der Apostel den Gefühlen seines Herzens im Hinblick auf die Gläubigen in Thessalonich Ausdruck. Er hatte reichlich Ursache, ihretwegen Gott allezeit zu danken, weil sie, das Evangelium mit Freuden aufgenommen hatten und ihrer Berufung würdiglich wandelten. Sie lebten, wie es Kindem Gottes geziemt; trotzdem vergaß der Apostel ob all dem nicht, ihrer in seinen Gebeten immer wieder zu gedenken. Wenn auch noch soviel Ursache zum Danken vorhanden war, so bedurften sie doch allezeit der bewahrenden Gnade Gottes und der Leitung des Heiligen Geistes. Möchten auch wir ja nicht vergessen, dass wir allezeit der göttlichen Gnade bedürfen; sobald wir uns auf uns selbst verlassen oder auf unsere Erfahrungen abstellen, laufen wir Gefahr, vom richtigen Pfad abzuweichen.

„Wir danken Gott allezeit für euch alle, indem wir euer erwähnen in unseren Gebeten, unablässig eingedenk eures Werkes des Glaubens und der Bemühung der Liebe und des Ausharrens der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus, vor unserem Gott und Vater“ (Verse 2 und 3). Welch schönes und herrliches Zeugnis! Die Thessalonicher standen in der vollen Frische der ersten Liebe. Das Leben Gottes entfaltete sich in ihnen, weil sie in steter Verbindung waren mit der Quelle aller Kraft. Auf ihrer Arbeit und ihrer Ausdauer stand der göttliche Stempel – Glaube, Hoffnung und Liebe. Das ist das Dreigestirn göttlicher Tugend, das Werk Gottes in der Seele des Gläubigen. „Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die größte aber von diesen ist die Liebe“, sagt Paulus in 1. Korinther 13. Wo dieses Dreigestirn vorhanden ist, da sind auch jene Kraftquellen wirksam, aus denen jedes Werk des Glaubens hervorgeht. Gott will, dass unser Werk ein Werk des Glaubens sei, dass wir die Kraft dazu aus der Gemeinschaft mit Gott, unserem Vater, schöpfen. Es ist dies die Entfaltung des göttlichen Lebens, das den Stempel der Gnade und Wahrheit trägt, das uns in Jesus Christus geworden ist. Gott will, dass unsere Arbeit für Ihn die Frucht der Liebe sei, Seiner eigenen Liebe, die ausgegossen ist in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, so dass die Arbeit nicht als eine auferlegte Pflicht verrichtet wird, die man erfüllen muss, sondern als die freie Betätigung eines mit der Liebe Gottes erfüllten Herzens. Auch will der Herr, dass wir die Ausdauer, die zur Durchwanderung dieser Wüste erforderlich ist, nicht als einen Zwang auffassen, sondern dass sie gewirkt werde durch die Hoffnung, die den Heiland aus dem Himmel erwartet.

So war es bei den Gläubigen in Thessalonich. Was sie taten, geschah nicht aus Gewohnheit, nicht einfach, weil es so sein musste, sondern es ergab sich aus der Verbindung mit der Quelle, aus der alles Gott Wohlgefällige hervorgehen muss. Ganz anders verhielt es sich bei der Versammlung zu Ephesus, zu welcher der Herr im Sendschreiben in der Offenbarung sagen muss: „Ich kenne deine Werke und deine Arbeit und dein Ausharren.“ Ach, es waren keine Werke des Glaubens, es war keine Arbeit der Liebe, kein Ausharren der Hoffnung; es war alles nur die Frucht einer einmal angenommenen Gewohnheit, der Überrest eines früheren geistlichen Zustandes. Die Gemeinschaft mit Gott fehlte und die Erwartung des Herrn war eingeschlafen. Äußerlich war alles noch schön und vortrefflich, aber das angenehme Opfer, das als ein lieblicher Geruch zu Gott hätte aufsteigen sollen, mangelte. Die erste Liebe, die für das Herz des Herrn so kostbar war, die Anhänglichkeit an Seine Person war verloren gegangen. Es war vielleicht viel christliche Tätigkeit vorhanden, aber weil es den Gläubigen an dem gebrach, das allein allen unseren Werken Ewigkeitswert zu verleihen vermag, nämlich an wahrer göttlicher Liebe, hatte all ihr Tun vor Gott keinen Wert. Nicht das Werk an sich selbst ist das Wichtigste, sondern auf die Beweggründe und die Gefühle des Herzens, womit es getan wird, kommt es an. Möchten wir als solche erfunden werden, zu denen der Herr, der auf den Grund unserer Herzen sieht, sagen kann: „Ihr habt ein gutes Werk an Mir getan!“

Glaube, Hoffnung und Liebe – das ist also das Dreigestirn, das unseren Charakter als Christen kennzeichnen soll. Diese Charakterzüge könnten sich aber niemals entfalten, wenn der Glaube, die Hoffnung und die Liebe keinen Gegenstand hätten, mit dem sie verbunden sind. Im folgenden stellt uns der Heilige Geist diesen vor Augen: „Das Ausharren der Hoffnung auf unseren Herrn Jesus Christus, vor unserem Gott und Vater.“ Das Herz erwartet den Herrn Jesus, während das Gewissen sich in der Gegenwart Gottes, unseres Vaters, befindet. Das stärkt unser Vertrauen und lässt uns im Licht wandeln. Der Herr Jesus, der einst hienieden wandelte, ist jetzt für uns im Himmel. Er sorgt für uns als der treue Hirte; Er hat die Seinen lieb und nährt und erhält sie. Er wird wiederkommen, um uns dahin zu bringen, wo Er jetzt ist. Nach Ihm ist unsere Hoffnung; nach Ihm verlangt unsere Seele. O möchten wir, solange Er verzieht, in dieser Hoffnung verharren und allezeit überfließend sein im Werk des Herrn! Sollen wir uns fürchten? O nein! Nicht die geringste Unsicherheit betreffs unserer Beziehungen zu Ihm kann uns beunruhigen, sind wir doch Kinder eines Vaters, der uns vollkommen liebt. Wir wandeln vor Ihm in dem steten Bewusstsein, dass Seine Augen auf uns gerichtet sind – sicherlich in Liebe, aber auch in Heiligkeit. Das Licht von oben leuchtet in unsere Gewissen mit Macht und Kraft. Es beurteilt und richtet alles, was unsere Gemeinschaft mit Gott und mit Seinem Sohn stören könnte.

Der Apostel fügt hinzu: „Wissend, von Gott geliebte Brüder, eure Auserwählung“ (Vers 4). Die Sicherheit ihrer Erwählung gründete sich auf die Tatsache, dass sie von Gott geliebte Brüder waren. Die vorhergehenden und die folgenden Verse beweisen es. Die Liebe Gottes hatte auf eine solch herrliche Weise in ihrer Mitte gewirkt, dass sie das Evangelium Gottes trotz zahlreicher Verfolgungen mit Freuden aufgenommen hatten, und ihre Stellung des Glaubens war nicht eine bloß vorübergehende. O nein! Der Apostel konnte ihres Werkes des Glaubens und der Arbeit der Liebe und des Ausharrens der Hoffnung fortdauernd gedenken. Die Aufnahme des Evangeliums und der Wandel zur Verherrlichung des Herrn waren für den Apostel die Beweise ihrer Erwählung. Etwas Ähnliches finden wir im Brief an die Philipper, wo der Apostel auf Grund der Treue und des Gehorsams der Philipper sagt: „Indem ich eben dessen in guter Zuversicht bin, dass Der, welcher ein gutes Werk in euch angefangen hat, es vollführen wird bis auf den Tag von Jesus Christus.“

Im Blick auf die Lehre von der Auserwählung sind diese Worte sehr wichtig. Wie konnte Paulus wissen, dass die Thessalonicher auserwählt waren? Hatte er diesbezüglich. eine Offenbarung empfangen? Hatte er ihre Namen in dem Buch des Lebens gelesen? Waren ihre Erfahrungen mit dem Herrn ihm ein Beweis? Nein, nichts von dem allem. Er war ihrer Erwählung gewiß, weil sie das Evangelium mit Freuden angenommen hatten und diesem Evangelium gemäß wandelten. Auf keine andere Weise konnte er ihrer Auserwählung gewiß werden. Sobald jemand durch Gottes Gnade dazu gebracht wird, das Evangelium in der Freude des Heiligen Geistes anzunehmen, um durch den Glauben mit dem Herrn Jesus verbunden zu werden, dann sagt ihm Gott in Seinem Wort: „Ich, habe nicht erst jetzt an dich gedacht; nicht erst etwa vor 1.900 Jahren, als Jesus starb; nicht erst zur Zeit des Paradieses, als die Sünde in die Welt gekommen war, sondern Ich habe vor Grundlegung der Welt an dich gedacht; damals habe Ich dich auserwählt, damit du heilig und untadelig vor Mir sein solltest.“ (Vgl. Eph 1,4). Sind das nicht trostreiche Worte für unsere Seelen? Wenn wir die herrliche Tatsache von der Auserwählung im Glauben erfasst haben, fällt es uns nicht mehr schwer, Gottes unendliche Liebe zu rühmen; da werden unsere Blicke weggewendet von uns selbst und allem, was in uns ist, und auf Gott gerichtet, den Ursprung und die Ursache alles ewigen Glückes. Wie unfassbar groß ist doch die Liebe Gottes!

Wie herrlich und gesegnet die Wahrheit von der Auserwählung für Gläubige auch ist, so wäre es allerdings gänzlich verkehrt, diese bei der Verkündigung des Evangeliums in den Vordergrund zu stellen. Es trägt keine Frucht, wenn man zu unbekehrten Seelen über die Auserwählung spricht, im Gegenteil, dies könnte eine unsägliche Verwirrung herbeiführen. Der Unbekehrte muss nicht an die Erwählung, sondern an den Herrn Jesus glauben. Nicht durch den Glauben an die Auserwählung, sondern einzig und allein durch den Glauben an Christus Jesus empfängt er das ewige Leben. Würden wir der Welt die Lehre von der Auserwählung predigen, so würde in vielen Seelen unverzüglich die Frage aufsteigen: „Gehöre ich wohl auch, zu den Auserwählten? Wenn ich wüsste, dass ich dazu gehörte, würde auch ich mich Jesus übergeben.“ Das zu erfahren aber ist für den Sünder ein Ding der Unmöglichkeit. Wo sind in der Bibel die Namen derer angeführt, die Auserwählte sind? Das wäre doch notwendig, wenn ich zum voraus wissen möchte, ob ich auserwählt bin oder nicht. Was aber an unzähligen Orten der Heiligen Schrift geschrieben steht, ist, dass ein jeder, der an Jesus Christus, den Sünder-Heiland, glaubt, das ewige Leben hat, und dass alle, die das Evangelium der Gnade angenommen haben, Auserwählte sind. Der Sünder muss also nicht zuvor wissen, ob er auserwählt ist, um zu Jesus kommen zu können; im Gegenteil, er muss zuerst zu Jesus kommen als ein verlorener Sünder, und erst dann, wenn er an Ihn glaubt, wird er inne werden, dass ihn Gott vor Grundlegung der Welt auserwählt hat. Lasst uns deshalb den Sündern das Evangelium von Gottes unergründlicher Gnade und Liebe verkündigen, damit noch viele zum Glauben kommen! Die Gläubigen aber wollen wir in der herrlichen Lehre von der Auserwählung unterweisen, zu ihrem bleibenden inneren Gewinn und Segen.

„Denn“ – so fährt der Apostel fort – „unser Evangelium war nicht bei euch im Wort allein, sondern auch in Kraft und im Heiligen Geist und in großer Gewissheit“ (Vers 5). Das Evangelium bewirkte in den Seelen der Thessalonicher Vertrauen und Furcht Gottes und in ihren Herzen Kraft, so dass sie sich einer vollkommenen Erlösung erfreuen konnten. Zudem offenbarte sich der Heilige Geist in ihrer Seele, indem Er in ihnen das Bewusstsein Seiner Gegenwart bewirkte, sodass sie die volle Gewissheit der Wahrheit in all ihrer Kraft und in all ihrer Wirklichkeit erkannten. So gestärkt und befestigt konnten sie durch die heftigen Verfolgungen, denen sie ausgesetzt waren, nicht erschüttert werden. Sodann bestätigte das Leben des Apostels, sein ganzes Verhalten, das Zeugnis, welches er in ihrer Mitte abgelegt hatte: „Wie ihr wisst, was wir unter euch waren um euretwillen“ (Vers 5). Das Leben des Apostels war ganz in Übereinstimmung mit dem Evangelium, das er predigte, und die Frucht seiner Arbeit entsprach dem Charakter Dessen, der ihm den Ansporn dazu gab. Die Thessalonicher waren Nachfolger des Paulus geworden, ja des Herrn Jesus selber, mit welchem der Apostel in solch inniger Gemeinschaft lebte.

„Und ihr seid unsere Nachahmer geworden und des Herrn, indem ihr das Wort aufgenommen habt in vieler Drangsal mit Freude des Heiligen Geistes“ (Vers 6). Die zahlreichen Verfolgungen, die über die Gläubigen in Thessalonich kamen und die sie in der Freude des Heiligen Geistes willig erduldeten, kennzeichneten sie als treue Nachfolger des Apostels und des Herrn. Verfolgungen waren ja auch das Teil des Herrn, als Er auf Erden wandelte, wie auch das Teil Seiner Apostel, ja sie sind das Teil aller, die in Treue dem Herrn nachfolgen. „Alle, die gottselig leben wollen in Christus Jesus, werden verfolgt werden (2. Tim 3,12). Die Gemeinschaft Seiner Leiden ist unser Vorrecht in aller Welt, in der wir Fremdlinge sind, und wir haben allen Grund, uns der Drangsale um des Christus willen zu rühmen, weil wir in ihnen stets die Liebe Gottes erfahren dürfen. Welch herrliches Zeugnis von der Kraft des Heiligen Geistes! Voll Freude inmitten der Verfolgungen, ja, Gott lobend im Gefängnis und auf dem Scheiterhaufen – das ist ein Zeugnis vor der Welt von der Kraft des Glaubens und der mächtigen Wirkung des Heiligen Geistes, die das Herz nicht nur von allem Irdischen löst, sondern es selbst im Angesicht des Todes mit himmlischer Freude erfüllt.

Kein Wunder, dass solche Hingabe und Treue der Gläubigen zu Thessalonich einen tiefen Eindruck machte. Auch für die Gläubigen in Mazedonien und in Achaja waren sie Vorbilder geworden (Vers 7). Selbst die Welt verwunderte sich ob ihrem für sie ganz fremden Benehmen. Sie- konnte es nicht begreifen, dass diese Christen bereit waren, alles preiszugeben, was für das menschliche Herz hienieden begehrenswert ist. Es erweckte ihr Erstaunen, dass sie einen einzigen, den lebendigen und wahren Gott anbeteten.

„Denn von euch aus ist das Wort des Herrn erschollen, nicht allein in Mazedonien und in Achaja, sondern an jedem Ort ist euer Glaube an Gott ausgebreitet worden, so dass wir nicht nötig haben, etwas zu sagen, Denn sie selbst verkündigen von uns, welchen Eingang wir bei euch hatten, und wie ihr euch von den Götzenbildern zu Gott bekehrt habt, dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten, den Er aus den Toten auferweckt hat – Jesus, der uns errettet von dem kommenden Zorn“ (Verse 8 bis 10). Fürwahr, wie glücklich sind doch jene Christen, die durch ihren Wandel und ihr Benehmen die Welt nötigen, von der Wahrheit Kenntnis zu nehmen! Die Klarheit des Bekenntnisses und die Treue im praktischen Leben waren bei den Thessalonichern so offensichtlich, dass der Dienst des Apostels eigentlich nicht mehr notwendig war; die Welt selber verbreitete allerorten dieses Zeugnis. Möchten doch auch wir diesen treuen Gläubigen gleichen! Ach, wie wenig trachten wir im allgemeinen danach, den Namen des Herrn zu verherrlichen! Müssen wir uns da wundern, wenn unser persönliches und gemeinsames Zeugnis oft so matt und schwach ist? O lasst uns zum Herrn flehen, dass Er uns allen mehr Treue und Gewissenhaftigkeit im Bekenntnis schenken möchte.

Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem schönen Zeugnis, das der Apostel den Thessalonichern gibt. Dieses ist von größter Wichtigkeit, denn es lässt uns erkennen, welches die Grundlagen wahren christlichen Lebens sind. Wir möchten drei Punkte dieses Zeugnisses hervorheben:

  1. Sie hatten sich von den Abgöttern bekehrt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen.
  2. Sie hatten sich bekehrt, um den Sohn aus den Himmeln zu erwarten, den der Vater aus den Toten auferweckt hat.
  3. Dieser Jesus ist die einzige Sicherheit vor dem kommenden Gericht.

1. Der Mensch hat sich von Gott abgewandt und dient den Götzen; sei es, dass er gleich den Heiden sich vor Sonne und Mond oder vor Bildern aus Holz und Stein niederbeugt, sei es, dass er an allerlei Dinge gebunden ist, die er dem einen, wahrhaftigen Gott vorzieht. Aus diesem Zustand kann der Mensch sich selbst nicht retten. Er vermag sich nicht über die Sphäre zu erheben, in welcher er in dieser Welt gebunden ist. Er hat die Welt lieb; er lebt in der Sünde, und die Sünde ist seine Lust; er ist ferne von Gott und den Göttern ergeben, die er sich selbst gemacht hat und die er anbetet. Wie kann der Mensch aus dieser furchtbaren Gebundenheit befreit werden? Die menschliche Philosophie sagt, dass der Mensch nur seiner Natur zu folgen brauche, dann würde alles gut herauskommen. Das wäre wohl möglich, wenn der Mensch nicht gefallen wäre. Aber er ist durch seinen Ungehorsam ein gefallenes Geschöpf geworden, und wenn er sich jetzt von seiner Natur leiten lässt, dann folgt er seiner bösen Natur. Es ist ein großer Fehler aller Zeiten, über den Menschen so zu reden, als ob er noch im Stand der Unschuld wäre. Die Schlussfolgerungen sind falsch, weil der Ausgangspunkt falsch ist. Aber wie kann denn der Mensch aus einem solchen Zustand herauskommen? Wie soll er seinen Abgöttern Lebewohl sagen? Eine große und wichtige Tatsache kennzeichnet das Christentum: Ein unendlich schöner und erhabener Gegenstand wird vor die Seele gestellt, dass, wenn sie sich damit beschäftigt, sie sich von selbst von den Göttern abkehrt. Dieser Gegenstand ist niemand anders als Gott selbst, offenbart in Christus Jesus. Er stellt sich vor uns; Er überstrahlt mit Seinem Licht unsere durch die Sünde verdunkelte Seele und bewirkt dadurch die Abkehr von Sünde und Welt und weckt in uns das Verlangen, bei Ihm zu sein. Das ist Bekehrung.

„Ihr habt euch von den Götzenbildern bekehrt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen.“ Wahre Bekehrung besteht aus zwei Dingen: 1. Abscheu vor der Sünde und Abkehr von allen Abgöttern. 2. Aus einem Sichhinwenden zu Gott, um sich mit Ihm zu verbinden und fortan Ihm zu leben und Ihm zu dienen.

Man wendet sich von allem Sündigen, Eiteln und Vergänglichen der Welt ab und geht zu dem lebendigen, wahrhaftigen Gott. Diese Umkehr ist gepaart mit wahrer Reue und tiefer Demütigung, ja, mit einer aufrichtigen Verurteilung seiner selbst. Wie könnte es anders sein? Wo man durch das Anschauen von Gottes Majestät und Herrlichkeit sein Elend und seine Erbärmlichkeit einzusehen gelernt hat, wird notwendigerweise Beugung und Demütigung im Blick auf den bisher zurückgelegten Lebensweg hervorgehen.

Gott hat sich offenbart in Christus, dem Sohn Seiner Liebe. Die Majestät Seines Wesens, alle Vorzüglichkeit Seiner Natur hat Er in Dem entfaltet, an welchem Er all Sein Wohlgefallen gefunden hatte. Er, der von Ewigkeit her im Schoß des Vaters war, ist Mensch geworden, hat unter uns gewohnt und uns den Vater offenbart, so, wie Er Ihn kannte. Nicht nur das, sondern Er ist im Vater und der Vater in Ihm, so dass, wer Ihn gesehen, den Vater gesehen hat. In Ihm, dem Sohn Gottes, ist das Unsichtbare und Ewige für uns zugänglich geworden; und nachdem Er das Werk der Sühnung und Erlösung vollbracht hatte, hat Er uns mit dem Vater in Gemeinschaft gebracht, so dass Er sich nun nicht schämt, uns Seine Brüder zu nennen, weil Sein Gott und Vater nun auch unser Gott und Vater geworden ist.

2. Hierdurch ist Christus unsere Hoffnung geworden. Was sagt der Apostel? „Ihr habt euch von den Götzenbildern zu Gott bekehrt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten.“ Der lebendige und wahre Gott ist der Gegenstand unseres freudigen Dienstes; mit Ihm sind wir in Gemeinschaft gebracht, verbunden wie Kinder mit dem Vater. Sein Sohn, den wir kennen und der uns kennt, will, dass wir da sein sollen, wo Er ist; Er wird uns in Seine Herrlichkeit bringen – Er, der verherrlichte Mensch im Himmel, der Erstgeborene unter vielen Brüdern. Welch herrliche Erwartung! Bis dahin hat Er uns dem Heiligen Geist als unserem Führer und Leiter anvertraut. Bevor der Herr den Schauplatz dieser Erde verließ, versprach Er, uns diesen Tröster und Sachwalter zu senden und wiederzukommen und uns dann in Seine Herrlichkeit aufzunehmen, uns dahin zu bringen, wo Er ist, ins herrliche Vaterhaus. Ihn erwarten wir nun aus den Himmeln. Auf Ihn, der dort mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt ist, ist unser Auge gerichtet, und nach Ihm verlangt unsere Seele. Wir werden Ihn von Angesicht zu Angesicht schauen und allezeit bei Ihm sein. Welch eine freudenvolle Aussicht! Welch eine selige Erwartung!

Doch achten wir wohl auf die Belehrung des Apostels! Die Erwartung des Herrn ist vom wahren Leben in Christus nicht zu trennen. Das Warten auf den Herrn ist einer der wichtigsten und gesegnetsten Bestandteile des Christentums. Wir sind nicht nur von den Abgöttern bekehrt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen, sondern auch, um Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten. Ach, wie konnte eine solch herrliche Hoffnung den Herzen der Gläubigen verloren gehen! Ist es nicht betrübend, feststellen zu müssen, dass viele Christen unserer Tage noch nie etwas von der Wiederkunft Jesu gehört haben, und wenn sie davon hören, wollen sie es nicht glauben. Tatsächlich sind Jahrhunderte vorübergegangen, in denen diese Wahrheit mit so vielen anderen unter dem Scheffel verborgen war, und nachdem im letzten Jahrhundert die Augen vieler Gläubiger für die Ankunft Jesu wieder geöffnet wurden, gibt es doch noch viele, die meinen, dass es sich bei dieser Hoffnung um eine neue Lehre handle. Und doch gehört die Erwartung von Jesu Kommen zu den wichtigsten Wahrheiten der Heiligen Schrift. Sie bildet eine der ersten und vornehmsten Grundlagen des Christentums. Die Thessalonicher bekehrten sich, um Christus aus den Himmeln zu erwarten. Obwohl sie noch Kindlein in Christus waren und wenig von der Wahrheit kannten, lebten sie in dieser Hoffnung und freuten sich darin. Sie dienten dem lebendigen und wahren Gott; sie erwarteten Gottes Sohn aus den Himmeln. Und dieser Dienst bestand nicht nur in Worten, sondern auch in Taten; die Erwartung des Herrn war von ihnen nicht lediglich als bloßer Lehrsatz angenommen worden, sondern lebte in ihren Herzen und wurde offenbar in ihrem Wandel hienieden. Die Menschen, in deren Mitte sie lebten, konnten aus ihrem Verhalten sehen, dass sie nicht hier auf der Erde zu Hause waren, sondern eine andere Heimat hatten.

3. Und dieser Jesus, den wir erwarten, „errettet uns von dem kommenden Zorn“. Beachten wir, dass der Apostel nicht sagt: Der uns errettet hat, sondern: Der uns errettet oder erretten wird von dem kommenden Zorn. Der Zorn Gottes, der auf einem jeden Menschen ruht, ist in dem Augenblick von uns weggenommen worden, da wir an den Herrn Jesus glaubten. „Wer an den Sohn glaubt, der hat ewiges Leben; wer aber dem Sohn nicht glaubt, auf dem bleibt der Zorn Gottes.“ Wir sind Kinder Gottes geworden; wir haben mit Gott, dem Vater, Gemeinschaft; wir dürfen mit aller Freimütigkeit ins Heiligtum eintreten. Alles ist durch das Werk des Christus für uns in Ordnung gebracht worden. Für die Welt aber gibt es ein Gericht, einen kommenden Zorn. „Gott hat einen Tag gesetzt, an welchem Er den Erdkreis richten wird in Gerechtigkeit durch einen Mann, den Er dazu bestimmt hat, und hat allen den Beweis davon gegeben, indem Er Ihn auferweckt hat aus den Toten“ (Apg 17,31). Nun, sagt der Apostel, wir erwarten Jesus, den Gott aus den Toten auferweckt hat, der uns errettet von dem kommenden Zorn. Wenn der Tag des Zornes und Grimmes Gottes über die gottlose und gottferne Welt anbricht, dann kommt Jesus, um uns von diesem Zorn zu erretten. Er nimmt uns von der Erde, der Stätte des kommenden Gerichts, hinweg und bringt uns droben in Sicherheit. Herrliche Hoffnung! Wenn die große Drangsalszeit anbricht, von der bereits die Propheten des Alten Bundes zeugten und die durch den Herrn Seinen Jüngern vorausgesagt wurde, und von der uns in der Offenbarung eine symbolische Beschreibung gegeben wird – eine Zeit, so schrecklich, wie noch keine auf Erden gewesen ist – dann weilen und ruhen wir droben bei Ihm, bei Dem, der um unsertwillen litt und starb und der uns heimgeführt hat ins Vaterhaus.

Das sind die drei Hauptgrundlagen des christlichen Lebens: Wir dienen dem lebendigen und wahren Gott, nachdem wir uns von jeglichem Götzendienst abwandten; nun erwarten wir den Herrn Jesus aus den Himmeln, der kommen wird, um uns zu sich in Seine Herrlichkeiten zu nehmen; und weil wir wissen, dass der Zorn Gottes über diese Erde ausgegossen wird, gehen wir ohne Furcht der Zukunft entgegen; wir sind, was, unser Gewissen betrifft, vollkommen gereinigt, unsere Sünden sind vergeben, und unser Herr ist nahe, um uns von dem kommenden Zorn zu erretten.

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