Das Buch Esra
Botschafter des Heils in Christo 1913
Esra 7 – Esra
Wir treten hier in einen neuen Zeitabschnitt unserer Geschichte ein. 47 Jahre sind seit der Einweihung des Tempels verflossen, ungefähr 68 seit dem Erlass des Königs Kores. Ahasveros (in der Geschichte unter dem Namen Xerxes bekannt), der Herrscher, von dem im Buch Esther die Rede ist, der Sohn des Darius (Hystaspes) von Esra 5 und 6, ist im Lauf der Zeit seinem Vater in der Regierung gefolgt, und nach ihm hat sein Sohn Artasasta (Artaxerxes Langhand), von dem unser Kapitel redet, den Thron bestiegen. Das Aufwachen im 5. Kapitel wurde durch die Macht des prophetischen Wortes gekennzeichnet. Diese rief bei dem Volk, das seit langer Zeit die Arbeit am Haus Gottes verlassen hatte, neue Energie hervor. Die Kapitel 5 und 6 reden von den Folgen dieses Aufwachens.
Nachdem das erste Werk vollendet ist, wird das Volk berufen, in friedlicher Weise die Früchte davon zu genießen. Wird es in diesen neuen Verhältnissen auf derselben geistlichen Höhe bleiben? Nein, wieder treten Zeiten ein, in denen es reißend schnell bergab geht. Die Welt dringt ein; unheilige Verbindungen werden, wie wir am Ende dieses Buches sehen werden, geduldet und nehmen die sittliche Kraft weg. Das Böse war noch verborgen zur Zeit, als Esra erweckt wurde, denn gerade sein Erscheinen mit neuen, nicht befleckten Elementen war es, das das Böse aufdeckte.
Wo ist ein Hilfsmittel gegen solch geistliche Entkräftung und deren Folgen zu finden? Es gibt nur eins: das Wort Gottes. Gott erweckt Esra, um das Volk im Gesetz Moses‘ zu unterweisen und es an die Wichtigkeit desselben zu erinnern. Es handelt sich hier nicht um neue Offenbarungen wie damals, als Haggai und Sacharja zu dem Volk redeten, sondern einfach darum, „Satzung und Recht“, die im „Gesetz des HERRN‘ enthalten waren, wieder ans Licht zu stellen und auf die Gewissen anzuwenden.
Lasst uns nicht vergessen, dass dies auch heute unser einziger Schutz und unser einziges Wiederherstellungsmittel ist. „Auf diesen“, spricht der HERR, „will ich blicken: auf den Elenden und den, der zerschlagenen Geistes ist und der da zittert vor meinem Wort“ (Jes 66,2).
Esra war, insoweit er von Gott zur Erfüllung dieses Dienstes erwählt wurde, in jeder Hinsicht beachtenswert. Zunächst finden wir (V. 1–5) sein Geschlechtsregister, das keine Lücke aufweist. Er war aus priesterlichem Geschlecht und stieg durch seine Vorfahren und ihre Tugenden (die Treue eines Zadok, den Eifer eines Pinehas) bis zu „Aaron, dem Hauptpriester“, auf.
Soll es in unseren Tagen nicht ebenso sein bei den Dienern des Wortes? Ihre Person, ihre Werke und ihr Verhalten sollen klar zeigen, dass „ihre Quellen in Christus sind“, dem wahren Hohenpriester. Es muss vor allen Augen deutlich sein, wer ihr Meister ist, und von wem sie das Leben empfangen haben.
Esra war „ein kundiger Schriftgelehrter im Gesetz Moses, das der HERR, der Gott Israels, gegeben hatte“ (V. 6). Gott hatte ihn vorher zubereitet als eine besondere Gabe, um der Leiter des Volkes zu sein; doch das genügte nicht, um ihn zur Ausübung seines Dienstes zu befähigen: „Esra hatte sein Herz darauf gerichtet, das Gesetz des HERRN zu erforschen und zu tun“ (V. 10). Zuerst es zu erforschen und dann es zu tun. Esra trennte nicht die Praxis von der Erkenntnis. Er glich nicht jenen Gesetzeslehrern, die in den Tagen Jesu „die Menschen mit schwer zu tragenden Lasten belasteten, und selbst die Lasten nicht mit einem ihrer Finger anrührten“ (Lk 11,46). Sein praktisches Leben war durchdrungen von den Vorschriften des Wortes, von dem er sich nährte. Erst dann hatte er sein Herz darauf gerichtet, „in Israel Satzung und Recht zu lehren“ (V. 10). Mit einem Wort, sein Leben und sein Verhalten standen in vollem Einklang mit seiner Unterweisung.
Infolge dieser vollständigen Widmung an das Wort und das Werk war „die gute Hand seines Gottes über ihm“; denn, heißt es (beachten wir dieses „denn“), Esra hatte sein Herz darauf gerichtet. Wir begegnen dem immer und zu allen Zeiten. Der Schutz Gottes ruht ganz besonders auf denen, die sich selbst vergessen, um von Ihm allein abhängig zu sein, und so sich rückhaltlos seinem Werk widmen.
Um diesen Weg des Gehorsams zu gehen, ohne Gefahr zu laufen, davon abzuweichen, bedurfte Esra einer genauen Kenntnis der ganzen Schrift. Er war kundig in dem Gesetz Moses‘ (V. 6); er war „der Schriftgelehrte, der Schriftgelehrte in den Worten der Gebote des HERRN und seinen Satzungen für Israel“ (V. 11). Nichts ist unter Umständen für die Seelen so verhängnisvoll wie eine oberflächliche und beschränkte Kenntnis des Wortes. Wie viele Trennungen und Streitigkeiten unter den Kindern Gottes würden vermieden werden, wenn sie mehr die Schriften unter ihren verschiedenen Gesichtspunkten betrachteten! Eine Wahrheit von anderen mit ihr zusammenhängenden Wahrheiten trennen, ohne letztere zu beachten, ist gewöhnlich ein Beweis von Unwissenheit und Eigenwillen, wenn es nicht gar die Frucht eines stolzen Selbstbefriedigtseins ist, das andere unterweisen will und sich weigert, von Gott Belehrung anzunehmen. Falsche Lehren haben fast alle ihren Ausgangspunkt in einer Wahrheit, die aus ihrem Zusammenhang gerückt und infolge dessen verkehrt verstanden und so vielleicht die Wurzel einer Irrlehre wird.
Der Erlass Artasastas zeigt uns, wie der Brief des Darius, die Überlegungen in den Herzen der Herrscher von Persien. Ohne lebendig machenden Glauben besaßen sie eine gewisse Gottesfurcht. Wie sein Großvater Darius, so erkennt auch Artasasta den Gott des Himmels an. Wie die Geschichte sagt, ließ er jedem Volk seine Götzen, er selbst aber hatte keine. Die Lehre Zoroasters, der Glaube an einen höchsten Gott, die Lehren der Weisen, alles das vermengt mit philosophischen Anschauungen bezüglich des Grundsatzes von Gut und Böse, bildete die Religion dieser Herrscher. Es hatte sich ohne Zweifel geneigt, den „Gott des Himmels“ anzuerkennen, aber in seinem Erlass geht Artasasta weiter: er erkennt den Gott Esras an (V. 14), den Gott Israels (V. 15), den Gott Jerusalems (V. 19). Er kennt auch seine Verantwortlichkeit diesem Gott gegenüber, dessen Zorn man fürchten muss (V. 23). Er zeigt weiter viel Vertrauen zu Esra, dem Mann Gottes. So überlässt er ihm die Einsetzung von Richtern und Rechtspflegern jenseits des Stromes (V. 25), weil er sehr gut weiß, dass der gottesfürchtige Esra keine Leute dazu erwählen wird, die sich gegen die königliche Autorität auflehnen werden. Er will, dass dieser Mann die Unwissenden unterweise, denn das ist für ihn die Bürgschaft für den Frieden des Reiches. Er ordnet schließlich strenge Maßregeln gegen diejenigen an, die das Gesetz Gottes und des Königs übertreten, indem er in seinen Gedanken diese beiden Gesetze zu einem macht (V. 26).
Esra selbst führt alles auf Gott zurück, sogar die Gunst des Königs. Er sagt: „Gepriesen sei der HERR, der Gott unserer Väter, der dieses in das Herz des Königs gegeben hat, um das Haus des HERRN zu verherrlichen, das in Jerusalem ist, und der mir Güte zugewandt hat vor dem König und seinen Ratgebern und allen mächtigen Fürsten des Königs!“ (V. 27.28). Vor allem lebt er in der Gegenwart seines Gottes und erfährt, dass „die Hand des HERRN über ihm ist“, um ihn zu erhören (V. 6), ihn zu beschützen (V. 9), ihn zu stärken (V. 28) und ihn zu erretten (Kap. 8,31).
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