Botschafter des Heils in Christo 1859
Die Versuchung Jesu oder die Kraft im Kampf
Es ist unendlich kostbar, dass der Herr Jesus in dieselbe Stellung auf dieser Erde gekommen ist, in welcher auch wir sind, aber ohne Sünde. Er hat nicht nur eine besondere Stellung, wodurch Er uns in die himmlische Herrlichkeit und Segnung gebracht hat, für uns erhalten, sondern zugleich auch einen Platz unter uns eingenommen. Dies letztere war nicht der Fall am Kreuz. Dort nahm Er einen Platz an unserer Statt ein, – ohne Sünde wurde Er zur Sünde gemacht; aber außer diesem kam Er auch unter uns. Jesus war völlig von der Sünde getrennt – nicht nur in seinem praktischen Leben, sondern auch in Betreff seiner Natur. Wir sind in Sünden geboren; Er war „ohne Sünde.“ Also kam Er unter uns und erhielt seinen Platz in der Mitte der Sünde und der Versuchung. Adam blieb nicht in seinem ersten Zustand; Christus aber blieb völlig in seiner Stellung. Der Apostel sagt, dass Er „in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde“ (Heb 4,15).
In gewissem Sinn kann ich von der Lust der Sünde in meinen Gliedern, als von Versuchungen sprechen, und in der Tat sagt der Apostel Jakobus: „Jeder aber wird versucht, wenn er von seiner eigenen Begierde fortgezogen und gelockt wird.“ (Jak 1,14); aber wenn Paulus von Christus (welcher Sünde nicht kannte) spricht, dass Er versucht worden sei, so spricht er stets von den Versuchungen Satans. Diese sind immer den Umständen, in denen wir uns befinden, angepasst. Satan wirkt in uns durch das Fleisch, und wir treten seinen Versuchungen entweder im Fleisch oder in der Macht des Geistes entgegen. Wenn Satan erkannt wird und der neue Mensch seine Lockungen mit Entschiedenheit verwirft, so ist dies eine Versuchung und nicht eine Sünde.
In dem vorliegenden Kapitel sehen wir, dass dem Herrn Jesus alles vorgestellt wurde – alles war, so zu sagen, berechnet, und zwar in einer geeigneten Zeit, um Ihn zum Fall zu bringen. Doch hatte dies nur den Erfolg, dass seine Vollkommenheit ans Licht gestellt wurde. Er begegnete durch das Zeugnis des Wortes der List des Feindes. Er sagt: „Was das Tun des Menschen betrifft, so habe ich mich durch das Wort deiner Lippen bewahrt vor den Wegen des Gewalttätigen.“ (Ps 17,4) – nicht durch göttliche Macht, sondern dadurch, dass Er sich auf Gott stützte.
Der Herr Jesus hatte freiwillig diesen Platz der Niedrigkeit, als ein gehorsamer Mensch, eingenommen, und Er sagt in dem schönen Ausdruck des 16. Psalms: „Du, meine Seele, hast zu dem HERRN gesagt: Du bist der Herr; meine Güte reicht nicht zu dirhinauf.“ (Ps 16,2). Er redet Gott als den Herrn an, wie ein Mensch. Dies sehen wir hier augenscheinlich, obgleich Er selbst der Herr von allem war. Er setzte Gott in die Stellung der Herrschaft über sich. Der Psalm beginnt: „Bewahre mich, o Gott, denn ich traue auf dich!“ d. h. ich bin vollkommen abhängig. Wir finden auch in dem zweiten Kapitel des Briefes an die Hebräer und vielen anderen Stellen, dass Christus in eine solche Stellung kam, wo Er sein ganzes Vertrauen auf Gott setzte. Er, der in allem den Vorrang hat, lobsingt Gott in der Mitte der Sünde, des Elends und der Verwüstung seines Volkes; und wir sehen, dass Er wirklich ein Mensch war, welcher sagte: „Ich will mein Vertrauen auf Ihn setzen.“ – Wir wissen, dass der Apostel dies auf den Herrn bezieht; denn am Ende des Psalms heisst es: „Andere aber sagten spottend: Sie sind voll von süßem Wein.“ (Apg 2,13), „Meine Güte reicht nicht hinauf zu dir“ (Ps 16,2), d. h. ich gebe nicht vor, dass der Platz, welchen ich hienieden einnehme, bis zu deiner göttlichen Herrlichkeit reicht. Ebenso sprach Er zu dem Jüngling: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als nur einer, Gott“ (Lk 18,19). Er kam auf diese Erde und machte sich selbst zu Nichts, Er nahm völlig die Stellung eines Knechtes ein. „Du meine Seele, hast zu dem HERRN gesagt, du bist der Herr!“; ich verlasse den Platz der göttlichen Herrlichkeit und nehme den Platz eines Knechtes. Ich mache mich eins mit den Heiligen, die auf der Erde sind. – Und als Mensch geht Er zu der Herrlichkeit, die Er bei dem Vater hatte, ehe die Welt war, zurück. Er sagt zu Maria Magdalena: „Geh aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20,17). Dies ist mein Platz in der Herrlichkeit. Ich höre nicht auf, ein Mensch zu sein, obgleich ich zu der Herrlichkeit gehe. Ich nehme dort meinen Platz mit ihnen, wie ich hier meinen Platz mit ihnen genommen habe.
Wir lesen in Lukas 3,21: „Es geschah aber, als das ganze Volk getauft wurde und Jesus getauft war.“ Hier war es, wo Er ganz den Platz des Volkes einnahm. Er tat es als Mensch, und Er war ein Mensch ohne Sünde. Er hatte sich ganz und gar mit der Stellung seines Volks eins gemacht. Das jüdische Volk, um hier nicht weiter zu gehen, war jetzt in einer Lage, um gerichtet zu werden. Der Herr hatte seine Worfschaufel in seiner Hand; aber ehe Er den Platz als Richter einnahm, nahm Er den Platz inmitten des Volkes ein, um gerichtet zu werden. Gerade als Jesus den Tod schmeckte, nahm Er durch Gnade ganz und gar den Platz seines Volkes ein. Er tat es freiwillig, denn kein Mensch konnte sein Leben von Ihm nehmen: „Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich habe Gewalt, es zu lassen, und habe Gewalt, es wiederzunehmen. Dieses Gebot habe ich von meinem Vater empfangen.“ (Joh 10,18). In dieser Stellung betete Er – der Ausdruck der vollkommenen Abhängigkeit – und als Folge davon öffnete sich der Himmel. Der Himmel konnte sich bis dahin nicht öffnen; als aber Jesus diesen Platz einnahm, da öffnete er sich. Es ist ein wenig anders mit Stephanus (vgl. Apg 7,55.57). Dort ist ein Mensch auf der Erde fähig, in den Himmel zu schauen. Über Jesus aber, dem sündlosen und vollkommenen Menschen, dem alleinigen Heiligen Gottes, welcher seinen Platz unter sündigen Menschen genommen, öffnete sich der Himmel und der Heilige Geist stieg hernieder, und Er wurde versiegelt, wie gesagt ist: „Ihn hat Gott der Vater versiegelt.“ Anerkannt als Sohn Gottes, nahm Er als Sohn des Menschen seinen Platz unter dem Volk und begann seinen Dienst. So ging Er völlig den Pfad, welchen wir zu gehen haben, und erfüllte vollkommen den Willen dessen, der Ihn gesandt hatte. In dem Pfad, welchen wir zu durchwandeln haben, in dem Pfad der Abhängigkeit und des Gehorsams, des Kampfs und der Versuchung, in der Gegenwart Satans, hat Er als Mensch Gott auf der Erde verherrlicht. Und dies ist, was wir zu tun haben, und was wir nur in seiner Kraft zu tun vermögen.
Das Erste nun, was der Herr tut, ist, dass Er den Platz der Versuchung einnimmt. Als Er diese Stellung des Dienstes, als Sohn des Menschen, angetreten hatte, musste Er, anerkannt als Sohn Gottes, (Adam war in gewissem Sinn der Sohn Gottes; Lk 3,33) vom Satan versucht werden und denselben überwinden, und zwar in der Welt und in denselben Umständen, worin Adam gefallen war.
„Jesus aber, voll Heiligen Geistes, kehrte vom Jordan zurück und wurde durch den Geist in der Wüste vierzig Tage umhergeführt“ (Lk 4,1). (Er war als Mensch von dem Heiligen Geist erfüllt; denn man kann nicht sagen, dass Gott vom Heiligen Geist erfüllt ist, weil der Heilige Geist Gott ist.) Er hatte hier eine viel schwerere Stellung als Adam. Christus war in der Wüste, in einem dürren Land, wo kein Wasser war; nichts war da, Ihn zu erfrischen; nichts war dem Paradies gleich, wo Adam mit aller Art Trost und Segnung umgeben war. Er musste ganz und gar in die Umstände und in die Lage des Menschen, wohin diesen die Sünde gebracht hatte, eintreten, – in all das Elend und das Verderben, in welchem sich der Mensch befindet, und in gewissem Sinn getrennt von Gott sein. Er konnte nicht den Platz des Adam in der Mitte dessen einnehmen, wodurch seine Seele erhalten wurde, es war eher der Platz des Kain, der Platz der Entfernung von Gott in dem Nichtvorhandensein der schützenden Macht von Außen. Die Macht der Bewahrung war in Ihm, aber nicht in der Welt.
Wir lesen hier, was wir nicht in Matthäus finden, dass Christus vierzig Tage vom Teufel versucht wurde (vgl. Lk 4,1.2). Diese ganzen vierzig Tage suchte Satan die Macht der Finsternis an seiner Seele auszuüben. – Gott bewahrt uns mit tausendfachen Gnaden; aber als Christus kam, um den Starken zu binden, musste Er seinen Platz in den wirklichen Umständen des Zustands, worin der Mensch ist, einnehmen. Er musste in die ganze Macht des Verfalls eintreten, wenn Er gegen die ganze Kraft der Versuchung standhalten und Satan in der Mitte des Verfalls überwinden wollte. Dies hat Er getan. Er hat ganz und gar in seiner Seele den Zustand, in welchem der Mensch wegen der Sünde von Gott abgesondert war, empfunden. Es lag das ganze Gewicht der völligen und wirklichen Trennung von Gott in diesen vierzig Tagen der Wüste auf seiner Seele, gerade so, wie später das ganze Gewicht des Zornes Gottes am Kreuz auf Ihm lag. Als Er wirklich in diese Lage gebracht war, und zwar so weit wie eine Seele, welche das Band mit Gott nie gebrochen hatte, gebracht werden konnte, begann Satan dem Herrn entgegen zu handeln, um Ihn von dem Pfad des Gehorsams, welchen Er betreten hatte, abzuziehen. Als Jesus den Druck des traurigen Zustandes, in welchem der Mensch war, fühlte, fing Satan an, in Ihm das Verlangen zu wecken, durch seine eigene Kraft und in seinem eigenen Willen aus dieser Stellung heraus zu gehen.
„Und er aß in jenen Tagen nichts; und als sie vollendet waren, hungerte ihn. Der Teufel aber sprach zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so sprich zu diesem Stein, dass er zu Brot werde“ (Lk 4,2.3). Christus, welcher fähig war, diesen Platz einzunehmen, zeigte jetzt, dass sein wirklicher Platz die Gemeinschaft mit Gott war. Jesus redete mit dem Feind, und dieses ist allein seine Sache; unsere Sache aber ist es, mit Gott zu reden. Der Teufel sagt: „Wenn du Gottes Sohn bist, so suche deine Macht, und handle für dich selbst; mache die Steine zu Brot und gehe aus der Stellung der Abhängigkeit.“ Dies war es, was der erste Adam getan hatte, und Satan wünschte, auch den zweiten Adam aus dieser Stellung der absoluten Abhängigkeit herauszubringen. Er sollte nicht sagen: „Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen“, sondern sollte für sich selbst handeln. Des Herrn Antwort ist nun ein Beispiel für uns. „Und Jesus antwortete ihm: 'Es steht geschrieben!“ – (durch das Wort deiner Lippen habe ich mich bewahrt vor den Wegen des Gewalttätigen) – „Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, [sondern von jedem Wort Gottes]'“ (Lk 4,4). – Ich bin abhängig von dem Wort Gottes – ich warte auf das Wort, um zu essen. Wenn wir diese Stelle im fünften Buch Mose lesen, so finden wir, dass es ein Prüfstein des Gehorsams war. „Und du sollst dich an den ganzen Weg erinnern, den der HERR, dein Gott, dich hat wandern lassen diese vierzig Jahre in der Wüste, um dich zu demütigen, um dich zu prüfen, um zu erkennen, was in deinem Herzen ist, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht. Und er demütigte dich und ließ dich hungern; und er speiste dich mit dem Man, das du nicht kanntest und das deine Väter nicht kannten, um dir kundzutun, dass der Mensch nicht von Brot allein lebt, sondern dass der Mensch von allem lebt, was aus dem Mund des HERRN hervorgeht.“ (5. Mo 8,2–3). Hier war Christus gerade durch die Versuchung dessen, was in der Welt war, dahin gebracht, um zu erproben, was in seinem Herzen war und um zu sehen, ob Er den Platz der Unabhängigkeit wählen würde. Er sagt aber: „Ich bin in der Stellung der Abhängigkeit; was mein Vater schickt, will ich nehmen, was Er sagt, will ich tun. Mag ich der Sohn Gottes sein oder sonst etwas, ich will stets den Platz der Abhängigkeit innehalten.“ Sein eigener Wille handelte nie, denn die Kreatur ist gerade dadurch, dass sie ihren eigenen Willen haben wollte, zum Fall gebracht.
Die Versuchungen Satans sind zweifacher Art. Er wendet sowohl allerlei Lockungen und Schmeicheleien an, als er auch die Umstände selbst gebraucht, um uns von dem Pfad des Gehorsams abzuziehen. Seine Schmeicheleien, die er hauptsächlich in der Wüste anwendete, hatten, wie wir am Schluss sehen, ihr Ziel beim Herrn verfehlt, und deshalb begegnet er Ihm später als solcher, der die Gewalt des Todes hatte, um seinen Gehorsam in dem Opfer seiner selbst zu verhindern. Christus aber sagt: „Ich will in den Tod gehen“ – „Denn der Fürst der Welt kommt und hat nichts in mir; aber damit die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe und so tue, wie mir der Vater geboten hat“ (Joh 14,30.31).
Ebenso ist es mit uns. Satan sucht uns durch allerlei Reizungen von dem Pfad abzulocken, und sucht uns auch in dem Pfad selbst zu erschrecken. Wir werden vielen Versuchungen und Schwierigkeiten begegnen, wenn wir auf diesem Pfad sind. Es ist ein böser Tag für uns, wo wir nötig haben, die ganze Waffenrüstung Gottes anzulegen! „Und er führte ihn auf einen hohen Berg und zeigte ihm in einem Augenblick alle Reiche des Erdkreises. Und der Teufel sprach zu ihm: Dir will ich diese ganze Gewalt und ihre Herrlichkeit geben; denn mir ist sie übergeben, und wem irgend ich will, gebe ich sie. Wenn du nun vor mir anbetest, soll sie ganz dein sein.“ (Lk 4,5–7). Christus wollte die Herrlichkeit nur als eine Gabe Gottes verwirklicht haben; aber Satan sagt: Nimm sie von mir; gehe nicht durch die Drangsale und Versuchungen, um sie als Sohn Gottes zu erlangen. „Wenn du vor mir anbeten wirst, so wird es alles dem sein.“
Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: “Es steht geschrieben: „Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, [sondern von jedem Wort Gottes]“ (Lk 4,8; vgl. 5. Mo 6,13). – Es ist außerordentlich wichtig für uns, dass Jesus nicht nur durch göttliche Autorität den Fürsten der Welt zurücktrieb, und Er in dieser Stellung von ihm nicht angetastet werden konnte, sondern dass Er im Gegenteil in seiner Stellung als Mensch den Versuchungen Satans entgegentrat. Als Gott konnte Er nicht versucht werden, und Er würde dann auch kein Beispiel für uns gewesen sein. Es war aber einfach in seiner Stellung als Mensch, dass Er den Satan weg trieb. Ebenso kann auch uns der Satan nicht antasten, wenn wir auf die rechte Weise den Platz der Kreatur inne zu halten wissen. Er kann uns schaden, wenn wir ihm in unserem eignen Willen begegnen. Begegnen wir ihm aber in der Stellung der Abhängigkeit und des Gehorsams, so kann er uns nicht antasten. Würde Satan mir beistehen, dass ich den Platz des Gehorsams einnähme, so würde er nicht Satan sein, und wäre das Fleisch nicht Eigenwille, so würde es nicht Fleisch sein. Johannes sagt: „Wir wissen, dass jeder, der aus Gott geboren ist“ – die neue Natur – „nicht sündigt; sondern der aus Gott Geborene bewahrt sich, und der Böse tastet ihn nicht an“ (1. Joh 5,18). Wenn ich in der Stellung des Gehorsams bleibe, so kann Satan mir nichts anhaben. Wenn das Wort mich leitet, so hat Satan getan; er muss fliehen. Er handelt sehr listig, er kommt und sagt, indem er mir die gegenwärtigen Annehmlichkeiten vorstellt: Dies passt sich für dich als Mensch, bediene dich dessen; aber er sagt nicht: Ich bin Satan, und mit mir kommt das Verderben. – Wenn ich den Platz des einfachen Gehorsams behaupte, so hat er gar keine Macht über mich, nicht die geringste; er kann nicht eindringen, er muss draußen bleiben; das ist der Weg, wie wir dem Satan zu begegnen haben. Der Herr begegnete ihm, wie wir gesehen haben, stets dadurch, dass Er den Platz des Gehorsams einnahm und bewahrte; und allein das ist es, was wir zu tun haben.
Wiederum lesen wir: „Er führte ihn aber nach Jerusalem“ (Lk 4,9). Jerusalem war die Stadt des großen Königs. Nicht war es die Wüste, wo Satan sich die natürlichen Bedürfnisse zu Nutzen machte, indem er einem Hungernden sagte: Gebrauche deine Macht und lass die Steine zu Brot werden, noch zeigte er dem, welcher nicht hatte, wo Er sein Haupt hinlegen konnte, in einem Augenblick alle Reiche der Welt und bot Ihm alle Gewalt und Herrlichkeit an, sondern es war die Stellung der Rechte und der Verheißung. „Er führte ihn aber nach Jerusalem und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so wirf dich von hier hinab; denn es steht geschrieben: '„Er wird seinen Engeln deinetwegen befehlen, dass sie dich bewahren“'; und: „'Sie werden dich auf Händen tragen, damit du nicht etwa deinen Fuß an einen Stein stoßest.'“ (Lk 4,9–11; vgl. Ps 91,11.12). Konnte Satan eine wahre Verheißung Gottes anführen? Gewiss, und er macht es ebenso mit uns. Er führt die Schrift an, wenn er dadurch seinen Zweck zu erreichen meint und wenn er augenscheinlich sieht, dass die Verwerfung des Wortes nichts nützen würde. Wir können in der Stellung unserer Rechte sein, in den Verheißungen, welche uns gehören, versucht werden, und dann werden die Versuchungen Satans einen viel feineren Charakter annehmen – einen Charakter, welcher die Treue Gottes in Frage stellt. Satan gebraucht die Verheißungen, aber nicht im Weg des Gehorsams. Er führte den Herrn nach Jerusalem, auf die Zinne des Tempels und dann sagte er: „Wenn du der Sohn Gottes bist, wirf dich von hier hinunter! Denn es steht geschrieben.“ Dies war nicht die Hilfe Gottes auf dem Weg des Gehorsams. Er sagte: Handle im Glauben auf diese Verheißung hin; verwirkliche deinen Platz, als Haupt über alles; versuche es, ob Gott seine Engel senden wird, dich zu bewahren; aber Jesus, der sich selbst, obgleich Er Sohn war, zu einem Diener gemacht hatte, antwortete und sprach zu ihm: „Du sollst den Herrn, deinen Gott nicht versuchen“ (5. Mo 6,16), d.i. du sollst Gott und sein Wort nicht zu einem Probierstein machen. Jesus sagt: Diese Verheißung ist wahr, aber ich gehe in dem Pfad des einfachen Gehorsams einher, und habe keinen Befehl, so zu handeln.
Wir meinen oft, wenn wir Gott versuchen, eine große Tat des Glaubens zu verrichten, aber Gott versuchen heisst, an Gott zweifeln. Wir finden dies gerade in 5. Mose 6,16, welche Stelle der Herr hier anführt. Wie versuchte das Volk den Herrn seinen Gott in Massa? Sie murrten gegen Mose als kein Trinkwasser für sie vorhanden war, sagend: „Ist der HERR unter uns oder nicht?“ Sie hielten es nicht für ausgemacht, dass der Herr wirklich da war und dass Er jede Sache zu tun vermochte.
Die Antwort Christi zeigte den Grundsatz des Gehorsams im Gegensatz zu dem Grundsatz der Anmaßung der wahren Vorrechte – eine sehr wichtige Wahrheit. Satan gebrauchte die Verheißungen, welche Christus gehörten, und führte Ihn nach Jerusalem, damit Er dort in Hochmut die Verheißung an sich risse, aber der Herr nahm den Platz des Gehorsams ein und sagte: Nein, ich bin in der Stellung eines Knechtes und habe keinen Befehl, so zu handeln. In einfacher Demut bewahrte Er den Platz eines abhängigen und gehorsamen Menschen. Er sagt: Wenn ich mich hinabwerfe, so werden Engel mich bewahren und mich auf den Händen tragen; aber ich tue es nicht, um zu versuchen, ob ich Gottes Sohn bin, – und Satan war überwunden. Dies war der Platz des Herrn auf dieser Erde, und es ist auch der unsere.
Gott bringt viele Söhne zur Herrlichkeit, und Er hat den Anführer ihrer Errettung durch Leiden zur Vollkommenheit gebracht: Obwohl er Sohn war, hat er an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Gerade dadurch, dass Er in unsere Stellung als Mensch kam, so wie auch durch die Kraft seines Todes und seiner Auferstehung, hat Er uns in dieselbe Beziehung zu Gott gebracht, in der Er stand – als Sohn. Aber während wir durch diese Welt gehen, haben wir die Stellung eines Knechtes, die Stellung des Gehorsams. Es mag dies sehr demütigend erscheinen, aber wenn mein Wille in irgend einer Sache wirksam ist, so bringe ich mich selbst unter die Gewalt Satans. Gott kann mich wohl wieder herstellen und zurückbringen, aber mein Handeln verzichtet auf die Sorge Gottes, wenn ich auch meine Stellung als Sohn nicht verliere. Unsere Stellung ist die des demütigen Gehorsams, und unsere Antwort ist das einfache Wort Gottes. Wenn wir demütig sind, wird Gott uns auf die geeignete Weise aushelfen.
Das Wort, welches Jesus gebrauchte, war gerade das rechte; denn es war die Antwort des demütigen Gehorsams. „Und als der Teufel jede Versuchung vollendet hatte, wich er für eine Zeit von ihm.“ (Lk 4,13).
Wir mögen viele listige Angriffe Satans gegen uns finden, aber wir finden noch viel köstlichere Ermunterungen, um uns gegen dieselben zu schützen. Wir haben nicht nötig, vor denselben zu erschrecken, wenn wir nur stets unsere eigene Schwachheit fühlen und die Kraft Gottes erkennen. Er fühlte sie so sehr, dass Er seine Jünger, welche im Garten Gethsemane bei Ihm waren, aufforderte: „Bleibt hier und wacht mit mir“ (Mt 26,38). Er schaute aber unverrückt zu seinem Vater und rang nicht gegen die Versuchungen. In dem Bewusstsein der Stellung, welche Er eingenommen hatte, schaute Er einfach auf seinen Vater. Es handelte sich nicht um Judas, nicht um Pilatus und nicht um die Hohenpriester – es war der Kelch, welchen sein Vater Ihm gegeben hatte. Er sagte: „Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber“ (Mt 26,39). Auch sagte Er: „Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?“ (Joh 18,11). Angesichts dieses Kelchs war Er in „ringendem Kampf.“ „Und sein Schweiß wurde wie große Blutstropfen, die auf die Erde herabfielen“ (Lk 22,44). Aber es war der Kelch von seinem Vater, und ihn trinken, war des Vaters Wille. Dies war der Platz des einfachen Gehorsams. „Und Jesus kehrte in der Kraft des Geistes nach Galiläa zurück“ (Lk 4,14). Er wurde von seiner Taufe durch den Geist in die Wüste geführt, und Er kam nach seiner Versuchung in der Kraft des Geistes aus der Wüste zurück. Nachdem Er, der Stärkere, den Starken gebunden hatte, ging Er jetzt hin, um seine Güter zu rauben. Es gibt keine Versuchung, durch welche wir mit Gott hindurch gehen, worin wir nicht Kraft empfangen. – Unser eigentliches Teil als Heilige ist Freude, aber in unseren Herzen ist noch manches, was hart, noch manches, was nicht im einfachen Gehorsam dem Herrn unterworfen ist, deshalb haben wir die Versuchungen nötig. Und wenn wir in denselben die Stellung des Gehorsams inne halten und einfach hindurch gehen, so wird das, was zu irgendeiner Versuchung Anlass gegeben hat, gebrochen. Und: wenn wir in den vielfachen Versuchungen den Kampfplatz behaupten wollen, so ist es nötig, dass wir die ganze Waffenrüstung Gottes anlegen – Geht ein Mensch mit einem unbedeckten Haupt in den Kampf, so ist er leicht geschlagen, und je weiter er vorwärts dringt, desto leichter wird er überwunden. Und oft machen sogar die Heiligen, welche im Zeugnis am weitesten sind, die traurigsten Fehler, wenn sie nicht einfach in der Stellung des Gehorsams verharren. Ich sage nicht, dass der Platz, wo sie sich befinden, der unrechte ist, aber sie sind in einem verkehrten Zustand darin. Der Sieg, welchen wir an dem bösen Tag gewonnen haben, gibt uns die Kraft für den wirklichen Dienst – wir kehren in der Kraft des Geistes zurück. Wenn es aber in der Zeit der Prüfung nicht dieser einfache, demütige Weg des Gehorsams ist, so kehren wir nicht in dieser Kraft des Geistes zurück, sondern Satan gewinnt einen Vorteil über uns, obgleich uns der Herr wieder herstellen kann.
Ich habe Christus auf zweifache Weise. Ich habe Ihn für meine Fehler, und habe Ihn auch für meine Kraft im Wandel – ich bin in Gemeinschaft mit Ihm. – Gesegnet ist es, Christus für meine Fehler zu haben, aber es ist augenscheinlich noch viel gesegneter, Ihn in den gegenwärtigen Versuchungen als Kraft zu haben und mit Ihm in Gemeinschaft zu sein. Er begegnet all unserer Notdurft auf das freundlichste.
Wenn wir unter dem Gesetz fehlen, so ist Verdammnis die Folge, wenn wir aber unter der Gnade fehlen, so setzen wir die Gnade in Bewegung. Wir haben einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten; und wir haben Ihn auch als unseren Gefährten im Kampf, in Gemeinschaft der Freude. O, wie gesegnet ist es, dass Christus in unsere Stelle in die Mitte all unserer Schwierigkeiten und Versuchungen auf diese Erde gekommen ist, und uns das Beispiel eines demütigen und gehorsames Dienstes hinterlassen hat. Es war derselbe Pfad, den wir als Heilige zu betreten haben, der Pfad des Kampfes und des Gehorsams. Und der hatte nur einen Zweck hienieden: völligen Gehorsam gegenüber dem Willen seines Vaters. Er sagte: „Siehe, ich komme [...], um deinen Willen, o Gott, zu tun“ (Heb 10,7). – O möchte auch dies unser einziger Zweck auf dieser Erde sein.