Botschafter des Heils in Christo 1859

Der Gesalbte

Schon vor Grundlegung der Welt waren die Ratschlüsse Gottes alle in Christus Jesus niedergelegt. Durch sie wurde der Sohn in seinem Schoß ans Licht gebracht, und alle Absichten Gottes hatten in Ihm ihr Fundament. In seiner Person waren dieselben zuvor verordnet, und auch die Stellung, welche Er selbst einnehmen sollte, war zuvor bestimmt.1

Dies alles lesen wir in den Sprüchen Salomos in Kapitel 8,22–31:

„Der HERR besaß mich im Anfang seines Weges, vor seinen Werken von jeher. Ich war eingesetzt von Ewigkeit her, von Anbeginn, vor den Uranfängen der Erde. Ich war geboren, als die Tiefen noch nicht waren, als noch keine Quellen waren, reich an Wasser. Bevor die Berge eingesenkt wurden, vor den Hügeln war ich geboren; als er die Erde und die Fluren noch nicht gemacht hatte, und den Beginn der Schollen des Erdkreises. Als er die Himmel feststellte, war ich da, als er einen Kreis abmaß über der Fläche der Tiefe; als er die Wolken droben befestigte, als er Festigkeit gab den Quellen der Tiefe; als er dem Meer seine Schranke setzte, dass die Wasser seinen Befehl nicht überschritten, als er die Grundfesten der Erde feststellte – da war ich Werkmeister bei ihm und war Tag für Tag seine Wonne, vor ihm mich ergötzend allezeit, mich ergötzend auf dem bewohnten Teil seiner Erde; und meine Wonne war bei den Menschenkindern“ (Spr 8,22–31).

Was für eine liebliche Botschaft bringt uns diese Stelle der Schrift von den ewigen Zeitaltern! Sie spricht von jenen unendlichen Zeitaltern, welche vor Erschaffung der Welt waren, und zwar in einer wunderbaren und ausgezeichneten Weise. Wie genau und speziell ist die Erzählung der Weisheit in dieser Stelle schon an und für sich! – Es war vor Grundlegung der Welt, als schon alles in Jesus Christus beschlossen und festgesetzt war. Bis dahin hatte Gott noch kein Werk seiner Hände zu betrachten. Kein Abend und kein Morgen gaben Ihm aufeinanderfolgende Perioden, um zu erfreuen und zu erquicken. Aber Er hatte Christus, den Grund seiner Ratschlüsse vor sich – seinen ersten Gedanken und das Fundament aller seiner Gedanken. Schöpfung und Erlösung, Vorsehung und Gnade, himmlische und irdische Zwecke, nahe und ferne Dinge – alle standen in Beziehung zu Ihm. „Der HERR besaß mich“, sagt die Weisheit, „im Anfang seines Weges.“

Es gibt nun in diesem schönen und geheimnisvollen Abschnitt mindestens zwei Punkte, die besonders meinen Geist fesseln: Dass Christus bei Ihm Pflegling (oder Werkmeister, Liebling) war, und auch dass Er seine Wonne war – dass Er immer da und immer ein Gegenstand seiner Freude war. Er war Gottes Hilfe oder Zuflucht und Gottes Zweck.

Diese zwei Dinge sind hier deutlich angegeben, und wenn wir dem Lauf der Schrift folgen, so finden wir sie auch überall bestätigt. Es komme, was da wolle, Christus ist immer bei Gott, und immer bereit, um von Gott verwendet, und mit Wonne von Ihm verwendet zu werden. Dies sehen wir bestätigt in Eden bei der Schöpfung, bei den Patriarchen, unter dem Gesetz, in den Tagen der Könige, durch die Stimme der Propheten, so wie auch nach seiner Offenbarung im Fleisch – also vom Anfang bis zum Ende des Buches. Mögen wir dem Menschen begegnen in seiner Unschuld oder als verkauft unter der Sünde, als Auserwählter in einfachen Familienbanden oder unter dem geordneten System einer Nation, oder in der Einheit eines geistlichen Leibes, als regiert oder unterwiesen, d. i. unter Herrschaft oder unter der Offenbarung – Christus ist überall der große Gegenstand der Anordnung Gottes. Es mag sein, dass entweder aus Unglauben oder aus Blindheit des Herzens unsere Blicke oft sehr schwach auf Ihn gerichtet sind, Gott aber sieht Ihn zu aller Zeit und unter allen Umständen und Wechseln klar und deutlich. Und dies ist es, was ich hier in einigen Hauptpunkten etwas näher zu betrachten wünsche.

Wir wissen, dass bei der Schöpfung nichts ohne Ihn gemacht ist, was gemacht ist. – Sobald die Sünde eintritt, erscheint auch Er zu gleicher Zeit. Er ist der Gegenstand der ersten Prophezeiung, welche gleich nach dem Anfang und der Überführung der Sünde gemacht wurde. Er ist, wie wir wissen, der, dem die Ferse zermalmt würde, aber zugleich der siegreiche Same der Frau (vgl. 1. Mo 3,15). Der Herr Gott stellt Ihn sofort als den dar, welcher schon in seinem Ratschluss ausersehen war, und der bei Ihm war. Die Sünde, welche die große Veranlassung für die Offenbarung Gottes – seiner Gnade und seiner Geheimnisse – wurde, war aufgetreten, und Christus wurde sofort vorgestellt. Der Glaube in Adam empfängt Ihn – in welchem Maß des Lichts können wir nicht sagen, aber sobald Adam auf Befehl des ihm jetzt geoffenbarten Samens der Frau aus seinem strafbaren Versteck glaubend hervorkommt, wendet der Herr Gott den Christus mit Wonne für ihn an. Die Handlung, ihn mit den Fellen der Tiere zu bekleiden, deutet uns dies an. Es war Freiheit und auch Innigkeit in dieser Handlung, und sie wurde ohne Vorbehalt und durch die Hand des Herrn selbst ausgeführt. Der Rock von Fellen wurde von Ihm selbst gemacht und dann dem entblößten Adam angezogen. Dies alles äußert seine Wonne in Christus, welchen Er, wie unsere Schriftstelle sagt, für die „Menschenkinder“ verwendet, und Ihn mit Willigkeit des Herzens für sie verwendet. Der Herr Gott arbeitete jetzt in einer zerstörten Welt, wie Er kurz vorher sechs Tage lang in einer unbefleckten Schöpfung gearbeitet hatte. Und wenn es Gottes Wonne war, vor Grundlegung der Welt den Ratschluss seiner Gnade in Christus Jesus niederzulegen, so war es auch jetzt seine Wonne, diesen Ratschluss zu offenbaren und in Anwendung zu bringen. Diese Wonne fand jetzt in der Ausübung seiner Ratschlüsse, als das Bedürfnis vorhanden war, ebenso völlig ihre Nahrung, wie sie dieselbe gefunden hatte, als sie vor Grundlegung der Welt diese Ratschlüsse fasste und in Christus Jesus niederlegte.

Nach diesem ersten Beispiel, welches die Geschichte Adams uns darstellt, spricht Abels Altar und Lamm dieselbe Wahrheit aus. Dieses Opfer war für Gott ein Bild von Christus, und deshalb antwortet er augenblicklich auf dasselbe. Er erkannte es sofort und mit sichtbarer Wonne an. „Und der Herr blickte auf Abel und auf seine Opfergabe“ (1. Mo 4,4). Er rechtet mit Kain wegen der Berechtigung und des Wertes desselben, und würde sicher gern gesehen haben, dass auch er, ein anderer Sünder wie Abel, auf demselben Altar gedient hätte. Alles dieses spricht von demselben Zweck und von derselben Freude, dass sein Gesalbter bei Ihm war, und zwar als der Pflegling bei Ihm und „als seine tägliche Wonne“ – seine gleiche und völlige Wonne an einem wie an dem anderen Tag, sowohl in Betreff des Abel als auch in Betreff des Adam.

Mit Noahs Arche war es ebenso. Eine andere Zerstörung war zu dieser Zeit ausgebrochen. Das Ende alles Fleisches war vor Gott gekommen – die Zerstörung alles dessen, was sich auf der Erde regte. Aber Christus war noch „bei ihm“. „Mache dir eine Arche von Gopherholz“, sprach der Herr zu Noah, und diese Arche war Christus. Und als Noah sich auf Christus stützte – mit anderen Worten, eine Arche zur Rettung seines Hauses bereitet hatte, schloss Gott hinter ihm zu“ und dann „fuhr die Arche auf der Fläche der Wasser“. Seine eigene Hand, welche kurz zuvor für Adam den Rock gemacht hatte, schützte jetzt die „Menschenkinder“ in dem Heiligtum, welches die Gnade bereitet hatte – und diese Handlung und dieses Einschließen aller Erlösten in diesen sicheren Ort durch die eigene Hand Gottes, spricht wieder von der Wonne, mit welcher Er seinen Gesalbten für uns verwendet, und welche Er empfand, als Sünder auf seinen Christus vertrauten und von ihnen angenommen wurde. Und Noahs Altar war nachher gerade das, was seine Arche vorher war. Dieser Altar und das Opfer darauf war Christus. Noah nahm jedes reine Tier und alles reine Geflügel, und opferte Brandopfer auf dem Altar. Ich kann nicht sagen, in wie weit er den Christus Gottes in diesem allem sah, aber ich bin sicher, dass er Ihn nach seiner Weise darin erblickte. Der dem Adam versprochene Same der Frau, zertreten und dennoch siegreich, war nach meiner Meinung vor seiner Seele, so wie auch Abels Lamm. Aber mag es dem Noah klar oder unklar gewesen sein, so hatte doch der Herr Gott selbst den einen, den Er besaß im Anfang seines Weges „vor seinen Werken von jeher“, sicherlich vor seinen Augen, und um der Vortrefflichkeit seines Namens und der Kostbarkeit seines Blutes willen sagte Er in seinem Herzen: „Nicht mehr will ich fortan den Erdboden verfluchen um des Menschen willen“ (1. Mo 8,21) – der Herr Gott sagte es „in seinem Herzen“. Welche Worte! Welch ein Zeugnis von der tiefen und vollkommenen Befriedigung, welche Gott in dem Christus hat – das beschlossene, besiegelte Fundament aller seiner Ratschlüsse in Betreff der Menschenkinder – die Fülle aller seiner Reichtümer und Geheimnisse der ewig rettenden Gnade!

Und der Regenbogen redet zu uns dieselbe Sprache. In dem lieblichen Glanz dieses wundervollen Zeichens scheint Gott mit seiner ganzen Seele die Schöpfung in Sicherheit zu stellen. Aber dies alles war in seinem Gesalbten, denn es war das Blut des Altars Noahs, welches die Wirksamkeit hatte, unter dem Auge des Herrn der Erde das Zeichen des Bundes für immer zu sichern. Jenes kostbare Blut hatte die tiefe und liebliche Äußerung seines Herzens hervorgerufen, wie wir sehen, und nun wird dies Zeichen stets sein Auge nach dieser Richtung hinziehen. Die gerichtsschwere Wolke mag kommen, aber der Bogen soll sie überstrahlen und regieren und ihr das bestimmte Ziel setzen: – „Hier sollen sich legen deine stolzen Wellen.“ Das Auge dessen, der alle Fluten überschaut, wird sich stets auf diesen Bogen richten. Und noch ein anderes Zeugnis ist gegeben, um uns sicher zu machen, dass die Zeit keine Veränderung leiden soll: „Fortan, alle Tage der Erde, sollen nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“ weil Christus stets „bei Ihm“ bleibt, und immer seine Wonne ist – seine vorherbestimmte Errettung und Gnadengabe zu Gunsten der Menschenkinder. Und wenn wir unseren Weg durch die Schrift oder auf dem Pfad Gottes verfolgen, so finden wir stets dasselbe Geheimnis: wir finden Christus stets „bei Ihm“ und auch stets als „seine Wonne“.

In den Tagen der Berufung Abrahams war die Welt in Finsternis und Gräuel des Götzendienstes versunken. Die Familie Abrahams diente fremden Göttern (vgl. Jos 24,2). Es war also ein anderer, großer moralischer Ruin, der sich jetzt überall ausbreitete. Wie Ungehorsam den Garten Eden verunreinigte und Eigenwille und Gewalt die Welt vor der Sintflut verdorben hatte, so bezeichnete jetzt dieser Götzendienst sogar den Fall der Familie Sems, denn Tarah war von dieser Familie. Allein Abraham wurde davon getrennt. Er fand, wie Noah, Gnade in den Augen Gottes. Er war einer der Auserwählten, ein Gefäß der Gnade. Große Verheißungen wurden ihm gemacht, aber von allen war Christus der Grund und Mittelpunkt. „In dir“, sagte der Gott der Herrlichkeit zu ihm, als Er ihn berief, „in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde!“ (1. Mo 12,3) – und sein Segen, wie wir durch die göttliche Belehrung in Galater 3 wissen, ist durch Glauben an Jesus Christus. In diesen Worten an Abraham wurde das Evangelium des Christus, in dem alle unsere Segnung enthalten ist, gepredigt. Wie einfach ist dies! Christus und Christus allein, ist noch vor Gottes Augen. Er ist „bei Ihm“ und zwar zum Nutzen der „Menschenkinder“ und wird ohne Verzug und ohne Vorbereitung zum Vorschein gebracht und für alle ihre besonderen Bedürfnisse dargestellt.

Und wenn der Herr Gott den Abraham auffordert, zu den Sternen hinauf zu schauen, um sie zu zählen, als Christus vor ihm offenbar werden soll, so sehen wir eine Handlung, welche aufs deutlichste zeugt, was für eine Wonne Gott findet, wenn Er seinen Gesalbten für ihn verwendet. Es war eine Innigkeit in der Handlung, eine Art und Weise, welche von der geheimen, inneren Freude spricht, die den Augenblick bezeichnet und begleitet, in welchem Gott seinen Erwählten, nämlich Christus, dem Glauben enthüllt.

Und so erscheint zu allen Zeiten dasselbe Geheimnis. Zu der Zeit des Sündenfalls des Adam, in dem Abfall und dem Verderben der vorsintflutlichen Welt, und jetzt in der Stunde der Berufung Abrahams, inmitten der Ausbreitung der Abgötterei – immer wird Christus, in dem ewigen Ratschluss zuvor erkannt, dem Auge des Glaubens dargestellt. Ebenso finden wir Ihn auch in den Tagen des Auszugs der Kinder Israel. Dies war eine Zeit des Gerichts, wie die Zeit des Noah es gewesen war. Und es musste eine andere Arche bereitet werden, und diese Arche, wie die frühere in den Tagen der Sintflut, war Christus. „Und sie sollen von dem Blut nehmen und es an die beiden Pfosten und an den Türsturz tun, an den Häusern, in denen sie es essen. […] Und ich werde in dieser Nacht durch das Land Ägypten gehen und alle Erstgeburt im Land Ägypten schlagen vom Menschen bis zum Vieh, und ich werde Gericht üben an allen Göttern Ägyptens, ich, der HERR. Und das Blut soll euch zum Zeichen sein an den Häusern, worin ihr seid; und sehe ich das Blut, so werde ich an euch vorübergehen; und es wird keine Plage zum Verderben unter euch sein, wenn ich das Land Ägypten schlage“ (2. Mo 12,7.12.13). Auf der Türschwelle der Kinder Israel war das Blut, und das Blut war Christus, welcher in den Tagen des Gerichts und des Todes das Haus beschützte.

Sein Gesalbter war nach dieser Art wieder „bei Ihm“, und war bei Ihm, zum Nutzen der „Menschenkinder“ in den Tagen ihrer Bedürfnisse. Und als ein von Christus erlöstes Volk, welches seine Stellung vor Gott nach dem Wert Christi hat, nimmt Gott dasselbe mit seinem ganzen Herzen und mit seiner ganzen Seele auf. In der Wolkensäule seiner Gegenwart gesellt Er sich auf dem Weg zu ihnen, sobald sie aus der Knechtschaft befreit sind. Er hält mit Ihm Rat über sie, und dann handelt Er für sie. Er richtet eine Scheidewand zwischen ihnen und ihren Verfolgern auf. Er speist sie mit dem Brot des Himmels, tränkt sie mit dem Wasser des Felsens, und führt sie in Kraft und Triumph, bis Er sie an den Ort der Herrlichkeit seines heiligen Berges gebracht hat. Und dies alles, sowie auch der Lobgesang, den Er an den Ufern des Roten Meeres in ihren Mund gelegt hatte, erzählt uns von der vollen Wonne, mit der Er seinen Gesalbten für sie verwendet (vgl. 2. Mo 12–18).

Dies ist wirklich eine große und herrliche Szene, und alles ist unveränderlich, denn der Christus Gottes, von Ewigkeit „gesalbt“, ist noch immer für uns „bei Gott“. Er ist stets vorhanden und ist zubereitet und bestimmt für die „Menschenkinder“. Er ist zu ihrem Nutzen offenbart, und zwar mit der Wonne Gottes, wie uns diese inhaltsschweren Worte in Sprüche 8 so deutlich bezeugen.

Lasst mich hier einen Augenblick innehalten, um zu sagen, dass Propheten und Aussprüche uns dieses erzählt und seine eigenen Lippen es bestätigt haben: „Siehe, mein Knecht, den ich stütze, mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat“ sagt der HERR von seinem Gesalbten in Jesaja 42,1. – „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“, wurde in den Tagen seines Fleisches wiederholt über Ihn gehört. „Darum liebt mich mein Vater,“ sagt Jesus selbst, „weil ich mein Leben lasse, damit ich es wiedernehme“. Solche und ähnliche Worte, sowie der ganze Verlauf der göttlichen Geschichte, sprechen uns von der Wonne, welche Gott empfindet über die Offenbarung und Werke seines Gesalbten, zum Nutzen für die „Menschenkinder“.

Aber jetzt, indem wir dem Lauf der göttlichen Schrift weiter folgen, kommen wir zu 2. Mose 19, und sehen hier Gott in einer Eigenschaft, in welcher wir Ihn seit der Zeit von 1. Mose 2 nicht gesehen haben. Er ist jetzt zum zweiten Mal ein Gesetzgeber. Derjenige, der in dem brennenden Busch gewesen war, hat jetzt seinen Thron auf dem feurigen Berg aufgeschlagen. Der Gott der Väter, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott der Gnade erscheint jetzt als der Gott der vernichtenden Gerechtigkeit und des Gerichts. Durch das Selbstvertrauen Israels ist ihr Gott jetzt eher ein Gesetzgeber, als ein Erlöser, – eine Eigenschaft, sagen wir wieder, in welcher Er seit der Zeit Adams im Garten Eden nicht erschienen ist (s.a. Röm 5,13.14).

Dies war in der Tat ein Wechsel. Das Volk hatte es sich selbst zugezogen. Wie zerstörend es sich auch erweisen mochte, sie hatten es alle aus ihrer eigenen Hand anzunehmen. Aber dessen ungeachtet lesen wir: „Dieses aber sage ich: Einen vorher von Gott bestätigten Bund macht das 430 Jahre danach entstandene Gesetz nicht ungültig, dass es die Verheißung aufhebt“ (Gal 3,17). Und ebenso konnte der ewige Vorsatz, welcher vor Grundlegung der Welt und nicht nur vierhundert dreißig Jahre vorher beschlossen war, durch dies alles nicht zerstört werden. Gewiss nicht. Den Gesalbten, den Gott besaß im Anfang seines Weges, vor seinen Werken von jeher, konnten keine darauffolgenden Werke wegstoßen. Dies haben wir schon zu verschiedenen aufeinander folgenden Zeiten vom Anfang an gesehen, und wir sehen es aufs Neue zu der Zeit des Selbstvertrauens der Menschen, welches den Gott der Gnade zum Berg des Gerichts leitete. Sofort ist Christus wieder „bei Ihm“, als der Pflegling bei Ihm, bereit um von Ihm verwendet zu werden für die „Menschenkinder“. – Alle diese wechselnden und vorübergehenden Szenen, die Sünde und Gericht, Gesetz und menschliche Anmaßungen hervorbringen, – sie besiegeln und bestätigen nur für immer den unveränderlichen Zweck und die Gnade Gottes in der Person, in dem Werk und in dem Wert seines Gesalbten.

Dieser neue Zustand, in welchen Israel sich jetzt selbst gebracht hatte, musste aber ebenso sicher die Zerstörung hervorbringen, wie es auch die Sünde in dem Garten Eden getan hatte. Der gefallene Mensch konnte nicht mehr dem Gesetz entgegen treten, als der unschuldige Mensch der Versuchung widerstanden hatte. Aber der Gesalbte Gottes ist noch „bei Ihm“. Wir sehen dies in 3. Mose 25, wie wir es in 1. Mose 3 gesehen haben. „Das Bild der zukünftigen Güter“, welches jetzt Mose gezeigt wurde, sagt uns dies ebenso sehr, wie es die Verheißung, dem Adam gegeben, damals gesagt hatte. Mose ist zu einer höheren Region berufen, über und jenseits derjenigen der Dunkelheit, des Donners und des Sturmes, und hier in einem Vorbild wird ihm Christus gezeigt, im Heiligtum des Friedens. Das Volk hatte jetzt noch nicht das Gesetz gebrochen, und wenn es geschehen war, so waren sie wenigstens noch nicht davon überführt. Das nationale und bedingende Bündnis ist in Kapitel 24 besiegelt und diese Darstellung des Gesalbten wird Mose in Kapitel 22,30 gemacht, d. h. unmittelbar danach. Kein Verzug findet statt, denn Christus war „bei Ihm“. Kein Rat und keine Vorbereitung ist erforderlich, denn der Ratschluß war gefaßt „im Anfang seines Weges, vor seinen Werken von jeher“. Gerade so wie Er, „gesalbt von Ewigkeit“, in den Tagen, als die Sünde eintrat, Gottes Hilfe und Zuflucht gewesen war, so war Er auch jetzt zum unmittelbaren Nutzen vorhanden, so dass Er den feurigen Berg, den Ort des Gerichts verließ, und eine höhere Region, den Ort der Gnade und seines Gesalbten einnahm.

Und „Wonne“ verrichtete auch diese Handlung, wie sie es, wie wir gesehen, schon in den frühesten Zeiten, getan hatte. Denn als die Gemeinde Israel im Gehorsam des Glaubens die Stiftshütte bereitet hat, und alles vollendet ist, da tritt die Herrlichkeit ein, und nimmt dort ihren Platz, und nimmt ihn mit der augenscheinlichsten und größten Wonne. Sie will alles zu ihrem Eigentum haben, so dass sogar Mose nicht folgen konnte (vgl. 2. Mose 40). Dies alles bezeugt wieder die Wonne Gottes, sich da aufzuhalten, wo Christus gesehen wird. Er hatte aber nicht auf diese Art seinen Platz auf dem Berg Sinai genommen. Dorthin war Er mit sichtbarer Zurückhaltung gegangen, wie wir in Kapitel 19 sehen. Aber hier, da Er das Allerheiligste erfüllt, ist es nicht mit Zurückhaltung, sondern mit Bereitwilligkeit und Innigkeit und offenbarer Wonne nimmt Er das Ganze ein, den Vorhof, das Heilige und alles. Und dies alles war nur ein Ausdruck der Wonne, welche uns unser Schriftabschnitt vorstellt. Er war bekannt im Ratschluss, ehe die Welt war. Denn diese Wonne ist eine „tägliche“ Wonne – genauso frisch nach den Zeitaltern wie im Anfang – in der Ausführung seiner Ratschlüsse, wie auch im Anfang, da Er sie in Christus fasste.

Sicher sind noch viele andere Zeugnisse vorhanden, welche uns beweisen, dass Christus der Gesalbte in der Zeit der Bedürfnisse der „Menschenkinder“ stets die Hilfe und die Zuflucht Gottes ist, und dass Er immer noch für sie verwendet wird, aber ich will hier nur noch eine Tatsache hervorheben.

Die Israeliten waren ins Land gebracht, und dort wurden sie aufs Neue versucht, wie es auch unter dem Gesetz in der Wüste geschah. Sie brachen jetzt den ersten Befehl ihrer Verordnung, wie sie schon das erste Gebot ihres Gesetzes gebrochen hatten. Sie verbanden sich mit den Völkern des Landes, den Nationen von Kanaan, deren Vernichtung ihnen anbefohlen war, und der Engel des Bundes weinte zu Bachim über das verletzte Bündnis (vgl. Ri 1). Alles ist deshalb wieder zerstört. Adam im Garten Eden, der Mensch unter dem Gesetz, die Israeliten mit ihrem Bündnis in dem Land – kurz, alles zeugt von diesem Untergang. Und wie Israel mit der in ihr Erbteil eingeführten Nation angefangen hat, so fährt es fort. Diese Untreue, welche im Buch der Richter Kapitel 1 mit den Stämmen anfängt, wird ebenfalls bei ihrem König Saul, dem Sohn von Kis, in Samuel 1 gefunden.

„Wie das Volk, so der Fürst“ – wie wir im Buch der Richter und dem Buch Samuel im 1. Kapitel sehen. Aber Gott ist derselbe in Gnade, obwohl der Mensch derselbe im Unglauben und im Abfall sein mag. Denn nach diesem allen lesen wir bald nachher: „Wie lange trauerst du über Saul?“ So spricht der Herr zu Samuel, als er über den Fall des Königs weinte, so wie der Engel über den Fall des Volkes zu Bachim geweint hatte: – „Bis wann willst du um Saul trauern, da ich ihn doch verworfen habe, dass er nicht mehr König über Israel sei? Fülle dein Horn mit Öl und geh hin, ich will dich zu Isai, dem Bethlehemiter, senden; denn ich habe mir unter seinen Söhnen einen König ersehen“ (1. Sam 16,1). Dieser Sohn Isais war den Menschen unbekannt, aber im Geheimen hatte Gott ihn für sich selbst ausersehen. David, der Geliebte, war Gott in seinen Ratschlüssen jetzt bekannt, und David, der Geliebte, war das Zeugnis oder Sinnbild des Gesalbten. Bethlehem trug das Zeugnis jetzt, wie zur bestimmten Zeit Christus selbst es trug. In dem Ohr des Glaubens erklang jetzt nach ihrer Art die „Botschaft großer Freude“ in den Feldern jener Stadt Judas. „Aus dir wird mir hervorkommen, der Herrscher über Israel sein soll“ (Mich 5,1), war so zu sagen jetzt zu ihr gesagt worden. David war ein Pfeil im Köcher des Herrn und er war der Pfeil des Herrn zur Befreiung Israels in dieser schrecklichen Zeit der Verderbtheit Israels. Er war der Bethlemiter, der Gesalbte, der Geliebte, das Pfand dessen, der seitdem zur Erlösung und Seligmachung erschienen ist – das Vorbild dessen, welcher im Ratschluss der Gesalbte war – „im Anfang seines Weges, vor seinen Werken von jeher.“

In diesen verschiedenen und doch beständigen Formen wurde dieses Geheimnis wiederholt offenbart, dass nämlich Christus für die Menschenkinder in der Zeit ihrer Not vorherbestimmt war. Beim Eintritt der Sünde – in der Zeit des Verderbnisses der Welt vor der Sintflut – in der Berufung Abrahams bei der Ausbreitung des Götzendienstes – in der Stunde des Gerichts über Ägypten – in dem Untergang Israels unter dem Gesetz – und wieder in der Zeit ihrer Zerstörung unter ihrem eignen nationalen Bündnis – stets ist Christus da, „gesalbt“ und für die Menschenkinder dargestellt – den Einen, welchen Gott bei sich hat zur unmittelbaren Verwendung, und zwar zu jeder Zeit und mit „Wonne“ für die „Menschenkinder“.

Und gehen wir mit dieser Geschichte der Gnade Gottes in seinem Gesalbten bis zum Ende des Buches, so finden wir überall die lieblichsten Zeugnisse, die uns aber am lebendigsten entgegentreten, wenn wir zum neuen Testament kommen, doch ich will hier schließen. Die Verheißung, die erste Verheißung, die des Samens des Weibes, fängt an, diese liebliche Geschichte zu erzählen, und nach vielen anderen Zeugnissen darüber, wie wir bis jetzt angeführt haben, wiederholt sie sich nach so langer Zeit in David, dem Hirtenknaben von Bethlehem, vom Stamm Juda.

„Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit“ (Heb 13,8)!

Fußnoten

  • 1 Als die Zeit erfüllt war, wurde das Wort Fleisch, ewiger Gott und ewiger Mensch, ohne Vermischung der Naturen und dennoch vereinigt in einer Person, und als der Christus durchlief Er die gesegnete und wundervolle Geschichte seines Lebens und Todes, seiner Auferstehung und Herrlichkeit.
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